Liebe Isabel, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Nicht viel anders als in präpandemischer Zeit – ich lebe, liebe, arbeite – mit sehr unterschiedlichen Rhythmen. Durch Corona hat sich mein Tagesablauf insofern geändert, als dass ich mich entspannter fühle. Angesichts eines so essentiellen Themas wie der Unversehrtheit der Menschen, die mir am wichtigsten sind, fällt es mir nun leichter, zu differenzieren, was wirklich von Wert ist für mich, was notwendig ist oder eigentlich nicht. Und welche Begegnungen mir wirklich Freude machen, wechselseitig bereichern, und welche nicht. Diese Filterung war mir vor Corona so nicht möglich und erleichtert mein Leben.

Isabel Belherdis, Approaching cape of good hope, 2020
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Erdung, so glaube ich – einerseits das Aufhalten in der Natur, das Sich-Betätigen in der Natur, aber Erdung auch im Sinne der Pflege seiner Gedankenwelt im Hinblick auf natürliche Logik, Urvertrauen, Hausverstand. Und die Unterhaltung mit geerdeten, unaufgeregten Menschen.
Gründe für die eigene Zufriedenheit finden: Ich hatte die letzten Jahre zuweilen das Gefühl, es herrschte in der westlichen Welt regelrecht eine Jagd auf „Glück“– fast so, als ob die wirtschaftliche Parameter der stetigen Verbesserung und Adaptierung eines Produkts an den Markt in den persönlichen Raum übergegriffen hätten und unter dem Deckmantel von Lebensratgebern und Selbstfindungsworkshops ein seltener, kurzer Moment des Vollkommen-In-Einklangs-Stehens als Ware angepriesen werden würde.
Ich habe schon vor Corona nach einigen persönlich erlebten hohen Wogen in meiner Lebenssee eine ganz unspektakuläre Zufriedenheit mit dem, was ist, dem was nicht ist, dem, was ich habe und dem, was ich nicht habe, entwickelt. Zufriedenheit bedeutet für mich nicht, dass ich keine Ziele mehr anvisieren würde – was ich als im Gegenteil als ebenso wichtig und heilsam empfinde –sondern die Abwesenheit eines stetigen Optimierungsdrucks, der in den letzten Jahren nach dem körperlichen Bereich auch immer stärker im Bereich des Geistes zu spüren war.
Ich bin der Meinung, dass im Schatten unserer stark individualisierten westlichen Gesellschaft mit dem in den letzten Jahren so vehement ausgerufenen Postulat des Erkennens seines Selbstwerts und dem Voranstellens der eigenen Bedürfnisse auch ein starker Egoismus gewachsen ist, der durch die derzeitige, wieder mehr die Situation und die Befindlichkeit eines anderen wahrnehmenden Verhaltens zu einer gesunden Balance zwischen Gemeinwohl und Selbstwohl führen könnte.
Die Tatsache, dass man selbst – ohne es zu wissen – unter Umständen etwas für jemand anderen gesundheitsschädliches verbreitet, wie dies beim Corona-Virus der Fall sein kann, finde ich insofern höchst symbolträchtig für unserer Zeit.
Geduld: Ich glaube, die rasante Entwicklung der letzten Jahre hat die Fähigkeit der Geduld, die noch vor einigen Jahrzehnten zur notwendigen Grundausstattung gehörte, nicht wirklich gefördert. Nun ist es sicher an der Zeit und höchst sinnvoll, Geduld zu trainieren. Kurzfristig, mittelfristig und langfristig. Mit der Fähigkeit und dem Willen, warten zu können und zu wollen, wäre die derzeitige, in vielen Aspekten unsichere Situation eigentlich nicht so schwer zu ertragen.
Das Wichtigste am Schluss: (Gemeinsame) Projekte und Ziele, die Freude machen. Wenn man nicht auf das schaut, was man ohnehin nicht ändern kann sondern auf das, was man bewegen kann, umsetzen kann, ist man glaube ich immer in einer besseren – weil selbstbestimmbaren – Situation.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?
Ich habe unmittelbar nach dem Lock-Down zunächst an der Kunst gezweifelt – angesichts der plötzlichen Unsicherheit des Verbleibens all dessen, was uns normal und gegeben schien, angesichts einer auch mich am Anfang erfassenden Welle von Zukunftsangst, erschien mir die Kunst , das künstlerische Tätig-Sein für kurze Zeit vollkommen unsinnig, von dieser plötzlichen Sinnentleerung ihres Tuns haben mir auch Künstlerfreunde berichtet. Die Inspiration war wie weggeblasen, was hätte in diesem Schock noch Sinn gemacht, alles Künstlerische schien abgehoben, weltfremd, unsinnig. Bis plötzlich gerade durch die Kunst, durch das gemeinsame Sprechen über die Kunst, sich die Hoffnung und mit ihr die Zukunftsfreude wieder entwickelte, wie die Phoenix aus der Asche stand gerade jene, die Kunst, die in dem ersten Schock so gar keine Relevanz zu haben schien, als leuchtende Galionsfigur vor mir und wies mir den Weg. Doch das Entthronen der Kunst in ihrer hehren Bedeutung hatte für mich etwas sehr befreiendes. Befreit davon, Sinn haben zu müssen, Relevanz haben zu müssen, befreit, in Richtung einer Ausstellung zu denken, eine Ausstellung anzukündigen, nachzubearbeiten, konnten in der Zeit, als alles stand, Arbeiten mit einer Leichtigkeit und Freude und gleichzeitig einer Bestimmtheit und Dringlichkeit herauswirbeln, wie ich sie schon lange nicht mehr in erlebt hatte.

Undine geht, Ingeborg Bachmann_Inszenierung am Bachmannweg_Klagenfurt _ Walter Pobaschnig/Isabel Belherdis 8_2020
Vielleicht ist das nun auch generell in der Kunstwelt eher möglich: Ein Abschütteln der Schwere, was Bedeutung, Text und Ausführung – ich spreche jetzt von der bildenden Kunst – betrifft, ein Leichter-Werden, Sinnlicher-Werden, vielleicht sogar Zugänglicher-Werden. Kunst soll doch erheben, eine Hebebühne über unsere kleinen menschlichen Horizonte sein, eine innere Weite öffnen, durch die sich vielleicht, nur einen Moment lang, die großen Zusammenhänge erahnen lassen und kein Rucksack, mit dem wir beladen werden, so empfinde ich es.
Was liest Du derzeit?
Ich wohne an unterschiedlichen Orten, überall habe ich Bücher aufgeklappt. In Graz lese ich seit geraumer Zeit schon „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Stan Nadolny, entsprechend des Titels (ungeplant) wirklich in einer ungemein langsamen Geschwindigkeit. Ich bin zufällig auf das Buch gestoßen, weil ich während des „Lock downs“ künstlerisch einen starken Bezug zu den Expeditionen ins ewige Eis bekam, besonders die historischen Vermessungen und Kartografierungen faszinierten mich.

Isabel Belherdis_polarity_2020
Der ganze Lock-Down kam mir wie ein plötzliches Gefrieren vor, vor allem in zwischenmenschlicher Hinsicht. Das Buch ist angelehnt an die Biografie des Polarforschers John Franklin und entwirft an ihm die Fähigkeit, sehr langsam, aber sehr detailliert aufzunehmen, wobei diese meine Beschreibung angesichts der Feinheit der Beschreibung banal anmutet. In Wien schmöckere ich in zwei Büchern des Architekturtheoretikers Wolfgang Meisenheimer, der Korrespondenzen zwischen Körper und Architektur artikuliert, die auch in meinen Kunst-Entwürfen fühle und hier ausgesprochen, beschrieben finde. Und hier in Kärnten, wo ich während des Sommer bin, direkt am See, lese ich nicht sondern lausche den Erzählungen der Natur, ohne Sprache, nur Bild, Erlebnis und Klang auf Wellenpapier, Himmelspergament.

Isabel Belherdis_spellbound_2020
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
So viele Menschen schwingen sich derzeit auf, Erklärungsmodelle für die pandemische Situation zu postulieren, glauben näher an der Wahrheit zu sein als andere. Das Informationszeitalter gaukelt Wissen vor, das ja lediglich momentane und oft ungeprüfte Informationsbruchstücke darstellt, deshalb bin ich für ein Revival des antiken Klassikers:
„Ich weiß, dass ich nichts weiß“
Oder, für das Medienzeitalter aufbereitet: „Ich glaube bisweilen zu wissen, weiß aber auch nicht mehr als alle anderen, die Informationen sammeln, zusammenfassen und artikulieren“
Vielen Dank für das Interview liebe Isabel, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
War mir eine Freude!

Undine geht_Isabel Belherdis/Walter Pobaschnig_Klagenfurt_8_20
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Alle Fotos_Isabel Belherdis_Walter Pobaschnig
23.8.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
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