Lieber Wolfgang, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Nach dem Aufstehen Qi Gong, dann an den Schreibtisch, um an meinem neuen Roman weiterzukommen, was nicht immer gelingt. Es gibt zuviele Möglichkeiten der Ablenkung, Mails und Internet sind für das Schreiben Gift. Telefon aus, Stecker beim Computer ziehen und Konzentration auf die Geschichte. So sähe der ideale Tagesbeginn aus. Aber oft kommt es anders, das Leben da draußen hat seine eigenen Gesetze, denen man sich nicht entziehen kann, und wenn, dann nur für kurze Zeit.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ein Schreiber wie ich lebt eigentlich schon immer in Quarantäne, denn der Rückzug, um ein Buch zu schreiben, ist ja nichts anderes. Die Lektion des Bei-sich-bleibens, des Bleibens bei den inneren Bildern und Notwendigkeiten der Geschichte, das ist die Aufgabe, der man sich jeden Tag neu stellen muß.
Die Zeit jetzt ist außergewöhnlich für uns alle. Schon lange waren nicht mehr soviele Menschen auf sich selbst zurückgeworfen. Es wäre schön, wenn wir etwas daraus machen könnten, einen Neubeginn, mit anderem Blick auf die Welt da draußen und in uns.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Man schreibt ja hier und heute nicht im Bewußtsein einer Wirkung draußen in der Welt, dazu ist die Literatur viel zu sehr an den Rand gerückt. Wir sind eine Gesellschaft der Zerstreuung, an jeder Ecke poppen überlaute Marketing-Produkte auf, wer soll da noch die leise Stimme einer kleinen Geschichte hören. Aber sei‘s drum, wer nur auf Wirkung hin schreibt, der sollte vielleicht das Metier wechseln. Wenn ein Leser da draußen die innere Bewegung einer Geschichte mitgeht und in sich verwandelt und seine eigenen Bilder dafür an die Membran seiner inneren Netzhaupt strahlt, dann ist das mehr als man sich erträumen darf als Schreiber. Einer, der seinen eigenen Traum mit Hilfe eines Buches weiterträumt, das ist schon die halbe Welt.
Was liest Du derzeit?
Paolo Rumiz, Via Appia. Auf der Suche nach einer verlorenen Strasse. Ein herrliches Leseabenteuer an der Seite einer kleinen Gruppe von Wanderern, die sich aufmachen, um eine legendäre geschichtsträchtige, aber zerstörte Straße wieder zum Leben zu erwecken.
Außerdem lese ich das Buch Schulden. Die ersten 5000 Jahre von David Graeber, der leider viel zu früh starb. Ich begann das Buch vor Jahren, jetzt ist es Zeit es zu Ende zu lesen, es ist ein Vermächtnis.
Was lese ich noch? Arik Brauers Lebenserinnerungen „Die Farben meines Lebens“. Das ist ein außergewöhnliches Dokument eines Humanisten, humorvoll, lebensweise, eine Rückschau mit einem Augenzwinkern auf das Leben, unglaublich komisch, obgleich dieses Leben oft bedroht war.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ich erinnere mich an eine Zeile in einem Gedicht von John Ashbery, die ungefähr so ging:
Wir verirren uns im Leben, aber das Leben weiß, wo wir sind.
Vielen Dank für das Interview lieber Wolfgang, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Ich habe zu danken!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Wolfgang Hermann_Schriftsteller
Geboren in Bregenz, Studium der Philosophie in Wien. Anschließend lange Jahre in verschiedenen Ländern, u.a. Frankreich, Japan u.a.
Seit „Das schöne Leben“ (Hanser 1988) zahlreiche Bücher, u.a. „Herr Faustini verreist“, „Abschied ohne Ende“, im Jahr 2020 erschienen „Walter oder die ganze Welt“ sowie „Der Lichtgeher“. Im Februar 2021 erscheint „Herr Faustini bekommt Besuch“.
Willkommen (wolfganghermann.at)
Foto__Andrea Peller
19.12.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.