Liebe Eva Maria, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Hm, eigentlich sehr verschieden. Aber momentan mache ich viel Bewegung. Ich habe gerade viel Freude meinen Körper zu spüren, nicht in Gedanken oder Befürchtungen abzuhauen. Es fühlt sich ja alles ein bisschen unsicher und neu an. Radfahren hilft. Ich genieße es täglich mein Essen frisch zuzubereiten, ernähre mich ja seit 8 Jahren roh-vegan und wenn mir viel Zeit zur Verfügung steht, liebe ich es auch was Neues zu kreieren und das auch mal bei einem Picknick zu zweit oder mit Freunden genüsslich zu verspeisen. Ich suche die beruhigende Natur, das ,,auf der Erde sitzen’’.
Und ich bereite eine Aufnahme von meinen klassischen und zeitgenössischen Lieblingssongs vor. Zur Abwechslung nicht meine Eigenen. Singen ist überhaupt für mich eine Art Seelendusche. Da fängt alles wieder an sich einzupendeln, und es befriedigt mich tief. War ja auch meine erste Liebe vor dem Schauspiel. Ich greife auch wieder zur Viola, die ich ja sonst nur dann spiele wenn ich sie für Konzerte brauche. Jetzt, wo die Zeit noch großzügig ist, weil wir noch nicht aufführen können, fühlt es sich richtig an, an meiner Kunst zu feilen, sie auch da und dort zu überprüfen- oder einfach nur rum zu spielen.
Mit anderen Menschen an ihrer Sprache und Stimme zu arbeiten, sie zu begleiten, hilft mir sehr, nicht als Künstlerin in eigener Nabelschau stecken zu bleiben.
Ja, und ich versuche am Tag immer wieder still zu werden. Den hohen Frequenzen in mir zu lauschen. Das brauche ich sehr um meinen Kompass wieder nach zu justieren.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Auf jedem Gebiet ,,Inventur’’ zu machen. Zu schauen was trägt noch und was ist eigentlich nicht mehr passend. Von den mitmenschlichen Beziehungen bis zur Art mit unserer Erde umzugehen.
In der Coronazeit waren wir alle auf einen kleinen Kreis an Menschen bezogen. Eine Art Biedermeier in den 2020ern. Das kann verbinden oder auch von einander trennen. Durch die Erklärung der Regierung und andererseits das ,,InFrageStellen’’ der getroffenen Maßnahmen sind zwei Gruppen entstanden, die sich nicht und nicht einigen können, auch wenn beide Meinungen für sich nachvollziehbar sind. Für mich ist dieser Ausbruch mit der Reaktion der Welt kein Zufall. Es ist für uns scheinbar wichtig erkennen zu lernen, was Wahrheit und Unwahrheit ist. Das ist oft nicht leicht, aber einfach Mitschwimmen geht, glaube ich, nicht mehr wirklich… und trotz allem das Verbindende zu suchen und zu finden, den Herzenskontakt. Nicht die Technik wird uns in den Kontakt bringen, auch kein 5G. Selbst wenn wir alle in dieser Zeit froh waren um die Möglichkeiten des Internets, sehe ich das enorme, atemlose Drängen mehr Digitales in unser Leben zu bringen, sehr kritisch. I want the real thing! Ich finde es enorm wichtig immer im Auge zu behalten, das die Technik für uns da ist und nicht umgekehrt. Maschinen werden nie unsere Fähigkeiten des Herzens ersetzen. Und das ist das eigentliche Wunder. Der Funke der den Baum zum Blühen bringt, das Herz das lieben kann! Das schafft keine künstliche sogenannte Intelligenz. Lassen wir uns niemals einreden, dass das Künstliche mehr ist als die Natur.
Auch Viren sind Natur, und je weiter wir uns von ihr entfernen, und ein denaturiertes Leben leben, desto mehr werden wir glauben, uns schützen zu müssen, weil wir verlernt haben mit den abermillionen kleinen Mitbewohnern im Einklang zu sein. Solange wir jedes Unkraut ausreißen, und sogar den Tod, der zum Leben gehört, zu vermeiden versuchen, desto härter wird uns alles noch Kommende, nicht Voraussagbare überwältigen. Das Lebendige, auch in uns Menschen zu achten und schützen, das ist lohnend. Weil wir selbst Natur sind.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Film, Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Die Kunst hat immer schon die Freiheit genossen alles sagen zu dürfen. Auch gegen den Konsens aufzustehen und die Gesellschaft und ihre Entwicklung zu hinterfragen. Gerade jetzt wünsche ich mir ein mutiges und beherztes Theater.
Mutig nicht weil wieder jemand nackt ist oder weil ein Stück zur Unkenntlichkeit auseinander genommen wird, sondern weil die Figuren sich trauen ihre Meinung zu sagen. Moralisch hat das Theater eine Verantwortung Meinungsfreiheit zu verteidigen. Figuren, die ihr Gesicht zeigen und das auch dürfen. Immer wieder stehen Stücke auf dem Programm, die von Nazigräuel und Geschichten erzählen in denen Menschen enormes Leid zugefügt wurde. Das Theater rühmt sich da eine moralische Instanz zu sein und wir glauben immer, wir hätten zur Zeit des 3. Reichs Zivilcourage gezeigt. Ich bin mir da leider nicht so sicher. Wenige würden, glaube ich, den Mund aufmachen… ihr Visier heben… weil wir durch die sozialen Medien mitbekommen was mit Menschen geschieht, die ihre Meinung öffentlich zum Ausdruck bringen. Selbst auf fachlicher Ebene… dass dann der Andersdenkende bekämpft werden muss. Das beunruhigt mich. Und da sehe ich die Aufgabe des Theaters: diese Memes zu entlarven, die nicht mehr sachlich hinterfragt werden dürfen.
Auch im Film ist die zigste Auflage von Wer-war-der-Mörder irgendwie entbehrlich. Es braucht positive Visionen und Themen die heutige Missstände aufzeigen und mutige, starke und lebendige Menschen portraitieren. Und die Zeit des eitlen, zynischen, Hybris-getue am Theater hat für mich keine Kraft mehr. Es geht jetzt um Verbindung der Menschen, Katharsis, Stärkung. Für mich ist das Theater und der Film Heilstätte. Die Zuschauer sollen etwas Lebendiges, eine Mut machende Vision erleben. Wir müssen wieder durch Mitgefühl verbunden werden. Darum ist es wichtig Geschichten zu erzählen die Kraft haben und sie dann mit Hingabe und Liebe zu verwirklichen. Ich erinnere mich an Aufführungen vor 25 Jahren die immer noch tief in meiner Seelenlandschaft auffindbar sind… aber auch noch heute, zuletzt im National Theatre in London, eine Vorstellung von,, Jane Eyre’’. Tief berührt und befriedigt wacht man aus so einer liebevoll erzählten Geschichte auf… ohne Zynismus, aber mit viel Humor und Wahrhaftigkeit.- Und natürlich Musik.
Wir brauchen jetzt Künstler, die uns kritisch denken, aber vor allem mit dem Herzen fühlen lassen. Miteinander. Als große Menschheitsfamilie. Diese Künstler gibt es.

Was liest Du derzeit?
Das rote Buch, von C. G. Jung
Italienische Kurzgeschichten
Jeden Tag weniger ärgern. Von Vera F Birkenbihl 😉
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Es gibt Dinge, die sind unbekannt,
Es gibt Dinge , die sind bekannt.
Dazwischen gibt es Türen. ( William Blake 1757-1827)
Und weil`s so schön ist:
Es ist das Ende der Welt sagte die Raupe.
Es ist erst der Anfang, sagte der Schmetterling.
(Frei nach Laotse)
Vielen Dank für das Interview liebe Eva Maria, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen vielfältigen Schauspiel- und Musikprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Eva Maria Neubauer: Schauspielerin, Sängerin
http://www.evamarianeubauer.com/index.php?site=vita
Fotos: M.Giefing
12.7.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
https://literaturoutdoors.com