„Konkretere künstlerische Perspektiven einfordern, als sie uns derzeit gegeben werden“ Josef Hader, Kabarettist, Schauspieler_Wien 30.4.2020

Lieber Josef Hader, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Aufstehen, Stadtspaziergang, Mails beantworten mit Tee, Kabarett schreiben mit Kaffee, gegen 18 Uhr Belohnungstrinken, das ins Abendessen übergeht.

 

Josef-Hader-©-www.lukasbeck.com-3

 

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Sehr altmodisch gesagt Solidarität. Viele KünstlerInnen haben konkrete und existentielle Sorgen, da ist es wichtig, dass wir alle zusammen aufzeigen und etwas konkretere Perspektiven einfordern, als sie uns derzeit gegeben werden.

  

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Kabarett, der Kunst zu?

Ich glaube, dass Kunst immer die Gesellschaft kritisch begleiten muss, vor und nach so einer Krise. Und vor allem auch währenddessen. Vielleicht ist es ja mehr so ein schleichender Aufbruch, der jetzt schon begonnen hat.

 

 

Was lesen Sie derzeit?

Robert Musil, Über die Dummheit

 

 

Welches Zitat, welche Textstelle möchten Sie uns mitgeben?

Wenn die Dummheit nicht dem Fortschritt, dem Talent, der Hoffnung oder der Verbesserung zum Verwechseln ähnlich sähe, würde niemand dumm sein wollen.

 

 

Vielen Dank für das Interview lieber Josef Hader, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kabarett-, Film-, Kunstprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Josef Hader, Kabarettist, Schauspieler, Regisseur

Foto_Lukas Beck

 

29.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

 

„Es wird ein Bussibussi sein, und wir werden nicht mehr sein“ Egyd Gstättner, Schriftsteller, Klagenfurt 29.4.2020

Lieber Egyd, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Wie immer. Nach dem gemeinsamen Frühstück mit meiner Frau und dem Morgenzigarillo vor dem Haus hinauf ins Atelier: Schreiben, Romanarbeit. (Noch mehr Zeit als gewöhnlich: Da meine Frau natürlich ebenfalls in Quarantäne ist, entfallen für mich momentan die meisten Haushaltsverpflichtungen).
Nachmittags Lektüre oder Recherchen, gegen Abend 1e Stunde (heftiges) Tischtennis im Keller – mit lautstarker Musikbegleitung. Tägliches Telefonat mit meiner Tochter. Abends (mit dem Kätzchen am Schoß) eine Literaturverfilmung oder Oper auf DVD.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Das weiß ich nicht. Denn ich weiß nicht, wer „wir alle“ sind. Wir Lebewesen? Wir Österreicher? Wir Europäer? Wir Endverbraucher, Steuerzahler, Fußballfans, Mitglieder, wir Länderspielwir? Wir Christen? Pantheisten? Atheisten? Sünder? Wir Lebemänner, Genussmenschen, Kostverächter? Weltverächter, Optimisten, Pessimisten, Besserwisser, Zeitungsabonnenten, Experten, Insider, Jetzterstrechtsgelehrten, Verantwortlichen, Unverantwortlichen, Egomanen? Ich-AG`s? Intriganten? Ignoranten? Diplomaten? Parteigänger? Wir Über-ich`s, Ich`s, Es`s? Wir Wirtschaftstreibende, Kleinunternehmer, EPU`s? Wir Schriftsteller, Dichter, kreative, Enfant terribles, Nestbeschmutzer, Nationalgewissen? Meinungsmacher, Vorbilder, Vorreiter, Intellektuelle, eingesperrte Freie, nützliche Idioten? Wir gute Menschen, Gutmenschen, Schwarzseher, Visionäre? Wir zerstrittener Haufen? Pluralis majestatis?
Sind wir wir? Sind wir wer? Oft hatte und habe ich den Eindruck, ich bin in wir gar nicht enthalten. Ich weiß aber, dass uns fast nie wichtig war, was mir wichtig war, und dass mir selten wichtig war, was uns wichtig war. Wir haben selten auf mich gehört, und ich habe mir von uns selten etwas vorschreiben lassen. Ist es wichtig, ein Grab zu haben, wenn man tot ist? Was sagen wir dazu? Wir schaffen-das-wir? Yes we can-we? Wir wissen wie der Hase läuft-wir? Wir kriegen das schon hin-wir? Warum soll sich an diesem Dilemma etwas ändern wegen einer Pandemie? Müssen wir immer enger zusammenrücken, weil wir immer größeren Abstand halten müssen? Müssen wir uns begreifen, bloß weil wir uns nicht mehr berühren? Und muss uns etwas berühren, wenn wir nichts begreifen? Müssen wir beim Zusammenbrechen zusammenhalten? Nobody is an island. But everybody is a planet. Das Wort „wir“ steht in der Literatur unter Generalverdacht. Immer.

 

Egyd Gstättner

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?
Ich bin sehr skeptisch, was Begriffe wie „Aufbruch“ oder „Neubeginn“ angeht. Die hat man im letzten Jahrhundert schon in anderen, aber ebenfalls katastrophalem – noch katastrophalerem – Zusammenhang gern bemüht. Im Nachhinein ist der Aufbruch kein Aufbruch, der Neubeginn kein Neubeginn gewesen. Warum soll es jetzt einen geben? Die Mächtigen und Macher aller Gesellschaftsbereiche ein paar Schrauben in ihrem Sinn anziehen. Aber sonst wird alles bleiben wir es war. Die alten Macher werden die neuen sein. Die alten wir`s die neuen.
Literatur hat damit gar nichts zu tun. Ihr revolutionäre Kraft zuzubilligen hieße, die Realität zu verkennen. Literatur ist ein Geistesprozess und als solcher als ganzes ein Welt-Außenseiter, ein Paralleluniversum. Ich bin innerhalb der Literatur noch einmal ein krasser Außenseiter: Ein doppelter Außenseiter sozusagen, krasser geht`s nicht. Kein Macher hat je auf mein Wort gehört. Keiner hat auf meinen Zuruf hin je kehrt gemacht. Laokoon, c`est moi.

Was liest Du derzeit?

Ebenfalls immer mehrere Bücher parallel, je nach Tageszeit und Zimmer: Derzeit Thomas Mann Tagebücher 35/36. Gunnar Decker: Hesse – Der Wanderer und sein Schatten. Das geheime Leben des Salvador Dalì (von ihm selbst). Alexander Widner: Bloße Anwesenheit. Außerdem Fach- und Sachliteratur zu meinem gegenwärtigen Romanprojekt.

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ich bin bei Voltaire, Schopenhauer, Cioran philosophisch und aphoristisch seit Jahrzehnten sehr gut aufgehoben, die Dreifaltigkeit beschützt mich. Von Jugendtagen an dröhnen zwei Cioran-Sätze in mir: Es zählt nur eines im Leben: Lernen, ein Verlierer zu sein. Und: Die Pflicht des Einsamen ist es, noch einsamer zu werden. Das kommt mir jetzt im Alter zugute.
Es wird ein Bussibussi sein, und wir werden nicht mehr sein.

 

Vielen Dank für das Interview lieber Egyd, viel Freude und Erfolg für Dein großartiges aktuelles Buch wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Egyd Gstättner, Schriftsteller

Aktuelle Buchneuerscheinung des Autors: „Klagenfurt – was der Tourist sehen sollte“  Picus Verlag, 2020

Weitere Informationen:

http://www.picus.at/autoren/egyd-gstaettner/

 

19.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

Foto_Egyd Gstättner

„Die Entstehung der Bibel“ Konrad Schmid/Jens Schröter. Beck Verlag.

Die Entstehung der Bibel_cover

Es ist das Wort, das den Lauf des Lebens in Geburt und Tod, Freude und Krise, Neubeginn und Untergang, Aufbruch und Zukunft eine bleibende Form gibt und Generationen wie Epochen über Jahrtausende verbindet. Die Unmittelbarkeit der Welt in allen Finessen und Raffinessen zwischen Morgen und Abend in Hell und Dunkel bleibt in der Sprache lebendig. Mensch und Welt, Sinn und Hoffnung, Angst und Zuversicht finden Ausdruck und weiten Raum darin.

So auch in der Bibel. Liebe und Verrat, Habgier und Vertrauen, Flucht und Ankommen, Plage und Rettung, Krieg und Frieden, der Bibel ist nichts fremd was das Leben in Blitz und Donner treffen, zerreißen und behutsam wieder heilen kann. Ob es Könige oder Bettler, Ackerbauer und Viehzüchter, Fischer und Schreiber, Besitzer oder Obdachlose, Liebende oder Zürnende sind, ihnen allen ist die Unabwägbarkeit des Lebens und die innere Zuflucht in Dank und Bitte, Anklage und Flehen gemeinsam. Ihr Glaube, oder Unglaube, ist nichts zum einfach in die Taschestecken sondern ein Festhalten, Herumreißen oder rastloses Suchen in Fragen und Zweifel oder Ruhe und Loslassen. Davon erzählt die Bibel in zeitlosen Bildern. Über gute Jahre oder Jahre der Krise. Ein Buch des Lebens und der Ansprache an das Leben…

 

Konrad Schmid, Professor für Altes Testament und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich wie Jens Schröter, Professor für Neues Testament und neutestamentliche Apokryphen an der Humboldt Universität Berlin legen mit „Die Entstehung der Bibel“ einen spannenden wie informativen Überblick über den Prozess der Entstehung, Auseinandersetzung und Auswahl wie Wirkungsgeschichte des jüdisch-christlichen Schriftenkanons vor. In acht Überblickskapitel gelingt eine kompakte Darstellung, die nicht zuletzt in ihrer Lebendigkeit des Erzählens beeindruckt.

 

„Die Entstehung der Bibel als spannender Prozess und Ansprache von Sinn und Zeit, Mensch und Wort“

 

Walter Pobaschnig 4_20

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„Nie auf die eigene Handlungsfähigkeit vergessen“ Katharina J.Ferner, Schriftstellerin, Salzburg 28.4.2020

Liebe Katharina, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Grundsätzlich hat sich an meinem Tagesablauf nicht so viel geändert. Ich setze mich gleich in der Früh an den Schreibtisch, schreibe, lese, später mache ich Erledigungen, gehe raus, treibe Sport. Was schwieriger geworden ist, ist, die Herausforderung, nicht in einen Leerlauf zu verfallen. Die Inspirationen und zufälligen Begegnungen, die sich sonst auf der Straße und bei Veranstaltungen begeben, gibt es in einer gewissen Form auch im Netz, aber das ist selbstverständlich nicht mit dem persönlichen Kontakt zu vergleichen. Was sich gravierend verändert hat, ist, dass meine Reisetätigkeit von beständig auf null gesunken ist. Das stört die Arbeitsruhe insofern, weil die ständige Bewegung und Neuverortung Teil meines Schreibprozesses sind.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Durchhalten. Geduld. Achtsamkeit. Solidarität.

Aber auch: kritisches Denken. Politisches Denken und nie auf die eigene Handlungsfähigkeit vergessen.

Katharina J-Ferner_ Foto_Mark Daniel Prohaska

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?

Gesellschaftlich fände ich es wichtig, die Berufe, die durch die Krise in den Fokus gerückt sind, nicht nur mit Dankesworten, sondern auch mit finanzieller Unterstützung und besseren Arbeitsbedingungen auszustatten. Die Aufwertung insbesondere im Gesundheitsbereich, und zwar gerade in jenen Bereichen, die gesellschaftlich sehr relevant sind, aber in öffentlichen Diskussionen gerne ausgeklammert werden, wie der Palliativbereich oder die 24-Stunden Pflege.

Im Kulturbereich sehe ich die prekären Verhältnisse einmal mehr aufgezeigt. Der Begriff der „Systemrelevanz“ ist nur eine der Wunden, die hier aufgemacht wurden. Eine Rolle für „die Literatur“ zu definieren finde ich schwierig, da ich mich auch hier an der Begrifflichkeit stoße. Literatur, so wie alle Künste, darf und soll sich auch keiner „Rolle“ zuordnen müssen.

Persönlich sehe ich die Sprache, aber als Möglichkeit, Anstöße zu geben und Themen anzusprechen, die nicht unter den Tisch fallen dürfen. Mit Corona verschwindet weder die Situation an Europas Grenzen, noch die Klimakrise. Eine klare Positionierung zu gesellschaftlichen und politischen Themen, kann ein gemeinschaftliches, kritisches und solidarisches Denken durchaus befördern.

 

Was liest Du derzeit?

„Die Erzählungen“ von Gabriel García Márquez.

„Tiefschwarz zu unsichtbar“ Gedichte von Isabella Feimer.

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

 „Lost ist nicht nur ein Raum, sondern auch ein Zustand. Verlorenheit im Inneren. Verlorenheit, die die letzten Stärkefünkchen auffordert sich auf den Weg an die Oberfläche zu machen. Am tiefsten Punkt liegt der alte Anfang, wartet wie ein Überwurf auf Tage voller Fragwürdigkeiten. Testen ob die Haut noch da ist, testen ob die Muskeln noch da sind, ob der Körper noch mitmacht. Unsicherheiten im Kopf ausbügeln. Konzentration. Den Tag- Nachtrhythmus einfangen.“

 Ein Zitat aus der Serie „Lost“ aus einer Zusammenarbeit mit dem Fotokünstler Yves Noir. https://yves-noir.de/lost.html

 

Vielen Dank für das Interview liebe Katharina, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Katharina J.Ferner, Schriftstellerin

Lyrik: „nur einmal fliegenpilz zum frühstück“ Limbus Verlag

Prosa: „Wie Anatolij Petrowitsch Moskau den Rücken kehrte und beinahe eine Revolution auslöste.“ Roman. Verlag Wortreich

 

16.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

Foto_Mark Daniel Prohaska

„Weisen wir unser Nazi- und Vernaderertum in Schranken“ Regine Koth Afzelius, Schriftstellerin, 27.4.2020

Liebe Regine, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Tag 36 in Isolation. Ich werde immer mehr zur Einsiedlerin. Die Stelle einer Schmuckeremitin gewinnt an Attraktivität. Langweilig ist mir nie, ich mag die Routine meiner Tage. Angebote, jemanden zu sehen, lehne ich mit der Coronagefahr ab. Wie mir überhaupt das Treffen anderer in der Rückschau hauptsächlich ein Entsprechen für deren Wünsche gewesen zu sein scheint. Der Hund haart, das ist ärgerlich. Sonst hat er keinen Fehler. Seiner Sehnsucht nach einem frühabendlichen Spaziergang über die Felder hinein in die Abendsonne komme ich gern nach. Alle paar Zeiten ein Gespräch über den Zaun mit den Nachbarn, über die Hühner, die Bienenstöcke, die Maßnahmen und die neuesten Erkenntnisse verschiedener Experten. Die umgekehrte Reihenfolge hinterließe wahrscheinlich einen harmonischeren Abgang beim Auseinandergehen, wie mir soeben bewusst wird. Dazwischen worke ich home, koche, schreibe am neuen Roman. Der Tag fängt an um 08:20, weil sich die Hendln gegen die Stalltür stemmen. Dann Kehrtwende ins Bett mit Kaffee, Kommunikation mit der Welt via Whatsapp und Facebook. Da ich verweigere, zu telefonieren, hat alles, was nicht schriftlich geklärt werden kann, es bei mir schwer.

 

Regine _Peter Hodina

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Maßen wir uns nicht gleich eine Meinung an. Das Beleuchten und Einengen des Virusverhaltens aus unterschiedlichen Richtungen kommt mir adequater vor, als zu glauben, man habe mit dem Festbeißen an einer Auffassung schon die Wahrheit gefunden. Aber es ist so symptomatisch! Bereits am Anfang der Pandemie empfand ich, meine Freunde durch ihr Krisenverhalten neu kennenzulernen: Realitätsverdränger, No-risk-no-fun-ler, Grippenvergleicher, Informierte & Informierende. Also bleiben wir nett zu Andersdenkenden, weisen unser Nazi- und Vernaderertum in Schranken. Dass wir jetzt übereinander herfallen wie Blockwarte, wenn wo wer zu viert auf einer Parkbank sitzt, finde ich hysterisch. Kultivieren wir Höflichkeit und Rücksicht. Ich merke hier im Ort beim Einkaufen, dass gerade mit Maske viel mehr angelächelt wird. Das macht doch Freude, bevor man ins stille Kämmerlein zurückkehrt. Und halten wir den Humor hoch, so hoch es geht!

 

Was wird für einen Neubeginn jetzt für Mensch und Gesellschaft, Mann und Frau, wichtig sein und welche Rolle kommt der Literatur dabei zu?

Ich war immer schon dafür, dass wir im Kleinen umsetzen, wonach wir im Großen schreien: Den Mikrokosmos pflegen und hätscheln, so liebevoll gestalten, wie man nur kann. Wenn jeder dieserart verfährt, gewinnt die Welt.

Was die Literatur betrifft, bieten Lesungen gute Möglichkeit zur Vermittlung unserer Texte. Daher hege ich vor allem Hoffnung, dass wir AutorInnen unsere Performance verbessern. Die Sprache ist der Leib des Denkens, sagt Hegel. Insofern ich nicht verstehe, dass so viele Ääähs und Ääähms vor, zwischen und nach den Aussagen kommen. Warum man sich eine Denkpause nicht still gönnt, anstatt der hässlichen Laute. Mich machen diese Schwa-Laute akustisch fertig.

 

 Was liest Du derzeit?

Auf meinem Nachttisch liegen ‚Die Tauben von Brünn‘ von Bettina Balaka, ‚Die Lichtsammlerin‘ von Beatrix Kramlovsky, ‚Der Herr Rudi‘ von Anna Herzig, aber auch Handke, Bernhard, Kafka, Nabokov. Ich denke, dass die alle im Schlaf in mich übergehen.

 

Welches Zitat, welchen Impuls aus Deinem aktuellen Roman möchtest Du uns mitgeben?

In Richtung eines geheimen Himmels zu fliegen.

Einhundert Schleier veranlassen, zu fallen,

und das jeden Moment.

Zuerst das Leben loslassen

und schließlich einen Schritt unternehmen,

ohne einen Fuß zu setzen.

Rumi schreibt dies über die Liebe. Mir sagt es aber auch etwas über den Tod. In jedem Fall hat es mit meinem kommenden Roman zu tun.

 

Vielen Dank für das Interview liebe Regine, viel Freude und Erfolg für Deinen großartigen aktuellen Roman und alle weiteren Kunstprojekte und vor allem  persönlich alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Regine Koth Afzelius, Schriftstellerin, Künstlerin

Aktueller Roman: „Der Kunstliebhaber“ Rösner Verlag, 2019 

Weitere Informationen zur Autorin:  https://www.rka.at/aktuell/

 

16.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

Foto_Peter Hodina

 

https://literaturoutdoors.com

 

„Vater Unser“ Angela Lehner. Roman. Hanser Verlag

 

„Vater Unser“ Angela Lehner. Roman. Hanser Verlag.

Wien. Ihr Name Eva Gruber. Sie hat jetzt die Hände auf den Rücken gebunden. Sitzt im Polizeiauto. Die schnelle Fahrt führt über die Hütteldoferstraße zur Psychiatrie am Hügel der Stadt, Richtung Westen. Der Untergang der Sonne. Uns so ist es auch jetzt für sie. Dunkelheiten. Oder war es nicht schon immer so? Ein Leben in ständiger anbrechender Dunkelheit?

Der Tagesablauf jetzt zwischen Therapiesitzung und Anweisungen täglicher Routine. Doch auch hier Bruder ist hier. Die Begegnung wird zur weitgehend stillen. So viel lastet auf ihnen…

In der Therapie kommt der Schrecken ihres Lebens zutage. Der verstorbene Vater, der die Tochter missbrauchte. Die tote Mutter. Aber vor allem der Grund, warum sie jetzt hier in der Psychiatrie ist. Ihr Mord an einer Kindergartengruppe. Mit einer Pistole, alle wurden erschossen…

Die Therapie setzt sich jetzt jeden Tag fort. Umrisse, Schatten und Schrecken, Lebens- Liebesversuche kommen zur Sprache, zu Wort und zu Tränen, vor allem zum Schweigen…

Doch wie geht es jetzt weiter mit Eva und ihrem Bruder? Gibt es einen Weg für sie? Welche Zukunft kann es sein?…

 

Die Klagenfurter Autorin Angela Lehner legt mit „Vater Unser“ einen fulminanten Roman als dramatisches Feuerwerk an Existenzanalyse, Gesellschaftskritik und Sprachgewalt vor. Der Roman fesselt vom ersten Satz an und katapultiert Leserin und Leser in die Lebens- und Familienabgründe einer jungen Frau und ihren Blick zurück auf Gewalt, Leiden und Ausweglosigkeiten.

 

„Ein Roman, der in Sprache, Dramatik und kritischer Gesellschaftsreflexion fesselt“

 

Walter Pobaschnig 4_20

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„Wir leben gerade in einer Gesundheitsdiktatur“ Franzobel, Schriftsteller, Wien, 26.4.2020

 

Lieber Franzobel, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Nicht viel anders als sonst: Schreiben, Lesen, Sport, Kochen, Liebe machen und Schlafen.

 

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 Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Wir leben gerade in einer Gesundheitsdiktatur. Wichtig ist, dass wir uns die Kritikfähigkeit bewahren und keine Blockwartmentalität einreißen lassen. Wichtig ist auch, dass wir die nationale Eingrenzung wieder wegbekommen. Jetzt hat jedes Volk, was es sich gewählt hat, aber ich hoffe, es kommt wieder zu einer Öffnung, einer Renaissance der EU.

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?

 Es findet gerade eine enorme Digitalisierung statt. Alles findet online oder virtuell statt und ist somit auch kontrollierbar. Es ist wichtig, zum Gemauschel zurückzukehren, zum Recht zur Selbstzerstörung. Weg von der Gesundheitsdiktatur. Was diese Krise für mich bedeutet, kann ich noch nicht abschätzen, aber ich rechne mit einer wirtschaftlichen Katastrophe.

 

Was liest Du derzeit?

 Stephen King: The Stand.

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

 Kreativ und humorvoll bleiben, über die Wunder der Schöpfung staunen und das Leben genießen.

 

 

Vielen Dank für das Interview lieber Franzobel und viel Erfolg für Deinen  aktuellen großartigen Roman „Rechtswalzer“ , Hanser Verlag 2019.

5 Fragen an KünstlerInnen:

Franzobel, Schriftsteller, Bachmannpreisträger 1995

 

Weitere Informationen: 

https://www.hanser-literaturverlage.de/autor/franzobel/

 

14.4..2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

Foto_Franzobel

 

„Mit unserer Unschuldsmiene ist es vorbei“ Eckhart Nickel, Schriftsteller, Frankfurt/Main 25.4.2020

 

Lieber Eckhart, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Eigentlich wie immer. Nur, dass jetzt genug Zeit vor dem Frühstück bleibt, gemeinsam mit Sohn James (12) laufen zu gehen: einmal über die Felder zum Lohrberg und zurück. Ein schönes Ritual, das auch durch das anhaltend gute Wetter seit dem Lockdown einfacher zu realisieren ist als sonst. Überhaupt ist das unvorstellbar geworden, schlechtes Wetter. Wie in der Schönen Neuen Welt fühlt man sich auf einmal, in der immer die Sonne scheint. Schon ein paar Wolken an dem nahezu kondensstreifenfreien blauen Himmel sind nach den letzten drei Wochen fast schon ein Schock. Dabei ist das auch nur der nächste Schritt im Klimawandel. Der abflauende Jetstream über dem Atlantik. Gespiegelter Lockdown 34.000 Fuss über dem Meeresspiegel, der das Wetter extremer macht. Das gute Wetter wird immer besser und die Hochdruckgebiete reichen sich die Hand. Oder der Kerndruck der Tiefs wird immer geringer und sie wachsen sich zu katastrophalen Stürmen aus. Wahrscheinlich wird Mitteleuropa wie Kalifornien: vertrocknete Sommer mit Hitzerekorden und eine zu milde Regenzeit mit Flut und Verwüstung im Winter. Aber wie schnell man sich gewöhnt. Vor allem an das Positive. Die Ruhe, schon fast wie damals an den autofreien Sonntagen meiner Kindheit gegen den Smog der Siebziger Jahre, als wir uns wie Rebellen fühlten, einfach über die Autobahn spazieren zu gehen, ein Triumph über den rasenden Alltag. Fast kommt es einem vor, als werde das alles tatsächlich jetzt passieren. Dass nichts mehr so sein wird wie es war, und dass wir schon bald Flughäfen besichtigen werden wie Industriemonumente aus einer anderen Zeit, in der das Unterwegs-Sein nahezu eine Tätigkeit geworden war, die man ausübte wie einen Beruf. Aber zurück zum Tagesablauf. Erst das Frühstück (Espresso, Orangensaft, frisch zubereitetes Müsli mit Beeren und Äpfeln, eine Art Bircher Variante), währenddessen ich das Morning Briefing der New York Times auf dem iPhone SE abrollen lasse, um mich über die neusten Entwicklungen in Amerika und dem Rest der Welt zu informieren. Dann setze ich mich gleich wie gewohnt an den Schreibtisch. Vor Osterferienbeginn war das nur möglich, wenn ich vorher meine Pflichten als Hauslehrer des neuen digitalen Schullebens erfüllt und meinen Sohn mit den Aufgaben des Tages vertraut gemacht habe. Mein Schreibtisch blickt auf einen wunderbar grau verwitterten Jägerzaun, dahinter die skandinavischen Nadelbäume unserer direkten Nachbarn, die alle, wie wir gerade erfahren haben, schon an Covid19 erkrankten, die Kinder leichter, der Familienvater am heftigsten. Vorher wussten wir nur, dass sie nach einem Skiurlaub in der Gegend von Ischgl alle in Quarantäne waren, und es kam uns seltsam vor, wie wenig sie bei dem guten Wetter im Garten waren und wenn, dann nur dick eingemummt. Die Nachricht war tatsächlich wie ein Schock. Bis dahin waren Fallzahlen nur ansteigende Ziffern auf der interaktiven Johns Hopkins Karte des Hamburger Abendblatts und mit keinem bekannten Gesicht hinterlegt. Die erschreckend rot unterlaufenen Augen der Corona-Kreise, deren Pupillen sich mit dem Ansteigen der Todesfälle wie in Italien und Spanien immer mehr teuflisch schwarz erweiterten. Aber vor allem in Deutschland sah es verhältnismäßig normal aus, die grüne Iris des Auges wurde dank der wieder geheilten Patienten immer größer, selbst wenn die Todeszahlen natürlich wie überall sonst auch stiegen. Plötzlich aber hatten wir einen Fall vor Augen, und das sogar noch, ohne es zu wissen, obwohl wir es irgendwie schon geahnt hatten. Das war eine Zäsur, die noch einmal den Trott, der sich inzwischen schon eingestellt hatte mit dem Händewaschen und Desinfizieren der von draußen in den sicheren Hafen des Hauses hereindrängenden verseuchten Dingwelt, ordentlich durcheinander gebracht hat. Also am Schreibtisch und die Forderungen des Tages, wie Max Frisch gesagt hat. Korrespondenz per Email und danach die Betrachtung der aktuellen Lage im Land mit dem Neuladen des Live-Blogs der FAZ zum Corona-Virus. Der überzeugt, weil er abwechselnd von ganz verschiedenen Redakteuren eingepflegt und getextet wird, die mit ihren Vorlieben und ganz eigenem Stil eine sehr persönliche Handschrift in den mal kurzen, mal längeren Nachrichten hinterlassen und so eine interessante Vielfalt in der Auswahl garantieren. Obwohl ich schon seit Wochen an meinem neuen Roman schreiben sollte, habe ich keine wesentlichen Fortschritte gemacht. Das mag daran liegen, dass es meiner Vorstellung nach im Leben des Schriftsteller vor allem zwei Zustände gibt: den Müssiggang und die Überwältigung durch den Lauf der Welt. Schreiben gelingt während Letzterem eher selten. Ich versuche es trotzdem weiter. Ich habe, um nicht wie zu Beginn der Krise ständig im Internet wie gebannt auf sich verändernde Zahlen zu starren, um ihren Algorithmus zu analysieren, das Heute-Journal im ZDF wieder entdeckt, mit einem Nachrichtenhelden, über den ich vor Jahren schon mal einen Artikel geschrieben habe: Claus Kleber. Im Wechsel mit der spitzzüngigen Marietta Slomka, das reicht wirklich völlig aus, um sich nach getanem Tag auf dem Laufenden zu halten. Es gab nur eine Situation in meinem Leben, mit der sich der aktuelle Zustand vergleichen liesse. Als ich in Kathmandu lebte, um an dem mit Christian Kracht herausgegebenem Kulturmagazin DER FREUND zu arbeiten, entließ König Gyanendra am 1. Februar 2005 die Regierung Nepals und bildete ein Notstandskabinett, um die Krise des zwischen Maoisten, Armee, Parlament und Royalisten zerriebenen Himalaya-Staats zu bewältigen. Direkt nach der Fernsehansprache des Königs erlosch das Programm, internationale Flugzeuge wurden umgeleitet, das Telefonnetz war tot, auch das Internet wurde abgeschaltet und Militärs patrouillierten die Strassen, um die nächtliche Ausgangssperre zu überwachen. Auch damals war das Wetter wunderbar, der Winter war früh vorbei gewesen, die Sonne strahlte über die bald autoarmen staubigen Strassen der Hauptstadt auf der Hochebene, man trank Tee in Gartenrestaurants und debattierte die widersprüchlichen Meldungen in den wenigen noch erscheinenden Tageszeitungen. Bei Kerzenlicht im abendlichen Hotel tauschte man Informationen mit handgeschriebenen Depeschen über Rikscha-Kuriere aus, die zudem auch Lebensmittel und Generatoren für die allabendlichen Stromausfälle transportierten. Das bewirkte eine viel radikalere Unsicherheit als in der Gegenwart, da alle Welt zwar kontaktbeschränkt zuhause sitzt, aber in den Sozialen Medien abhängen kann, um sich über die Pandemie zu verständigen. Viel wichtiger sind jetzt Freunde. Wie Detlev, mit dem ich Fernschach spiele. Dazu: mit jedem Zug der Austausch eines Artikels/Lieds/Films/Radiobeitrags, der einen beschäftigt oder beeindruckt hat, eher nicht zwingend zur Pandemie. Oder ein österlicher Wortscherzwechsel zum Hallraum des Wortstamms „leer“ mit Patentochter Lola am Elbstrand in Hamburg, inklusive Foto-Mimikry als Illustration der Spassbegriffe. Nächtliches Musikpingpong via Messenger mit einer Seelenverwandten in Berlin. Ein Anruf zum Buchprojekt „Neue Deutsche Welle lesen“ bei Philipp Theisohn, Zürich. Die schönste Geste seit Beginn der Krise sind die ästhetischen Fingerübungen, mit denen Freund Holger Liebs seine Instagram-Follower jeden Tag einfach so versorgt. Sein Sammelsurium an „Sonderlingen, Einsiedlern und Freaks“ aus der Kulturgeschichte, die er „zur Ermutigung“ jeweils mit kleinen profunden Texten darbietet, reicht vom Heiligen Hieronymus über Rübezahl und Rip van Winkle bis zum Mönch am Meer, Superman und Harry Dean Stanton in Paris, Texas. Ein Kleinod!  Was aber den Alltag, abgesehen von den Schlangen beim Anstehen zum Eintritt in den Supermarkt oder die wie Tatorte eines schlimmen Verbrechens mit Klebeband abgeriegelten Spielplätze und Erholungsparks viel fundamentaler verschiebt, ist die Vorahnung davon, dass das alles vielleicht nicht so vorübergehend ist, wie fast alle hoffen und viele prognostizieren. Sondern dass wir es mit einer monumentalen Kontaminierung nicht nur der Oberflächen und Organe zu tun haben, sondern auch einer viralen Veränderung unseres Bewusstseins, die idealiter zu einem weiseren Verhältnis zur Umwelt unseres verletzlichen Planeten führen wird. Aber zwangsläufig auch zu einem hysterisierten Umgang mit einer unsichtbar verseuchten Welt, die wir nie wieder mit der enthusiasmierten Unschuldsmiene und einer gesunden Sorglosigkeit und unbegrenztem Freiheitsgefühl wie in der Vergangenheit bereisen und entdecken werden können. Es bricht mir das Herz, wenn ich mir versuche, vorzustellen, wie ich meinem Sohn dereinst die Welt reisend erschließen wollte und wie wenig davon im schlimmsten Fall übrig geblieben sein könnte. Auch dafür werden wir uns dereinst zu verantworten haben, nicht nur gegenüber Greta Thunbergs Schulstreiks für ein besseres Klima an jedem Freitag. Das kommt vielleicht nun nahezu ganz von selbst, schneller als wir denken.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Die Ruhe und kühlen Kopf bewahren, auch wenn die Emotionen durch das Zurückgeworfen-Sein auf uns selbst noch mehr hochzukochen scheinen als sonst. Klarheit zu erlangen im Denken. Nicht zu viele Nachrichtensendungen verfolgen. Schon zu Beginn versucht, nicht durchgehalten: Social Media Distancing als Therapie gegen Paranoia. Den Körper nicht vernachlässigen und Bewegung in den Tag einbauen, wo es geht. Denken heißt gehen und hilft, nicht erst seit Thomas Bernhard. Das Meditieren üben. Generell: Bedachtes Vorgehen bei allem. Vorsicht walten lassen, sich nicht durch Leichtsinn anstecken. Wir wissen nichts über die möglichen Spätfolgen von Covid 19. Vielleicht gibt es keine Immunisierung, vielleicht wird kein Impfstoff wirken. Auch wenn alles hier in Deutschland wirklich weitestgehend in beispielhafter und hochzivilisierter Weise verläuft, wofür man einer besonnenen und hochengagierten Regierung dankbar sein kann (auch für die Rückholaktion des Auswärtigen Amtes von über 250 000 Deutschen und gestrandeten aus anderen Nationen, die auch an Bord der Flugzeuge noch Aufnahme fanden) sollte man die Politik aufmerksam verfolgen und seiner Stimme Gehör verschaffen. Erste Bürgerpflicht: sich informieren. Gerade die Einschränkungen machen die Öffentlichkeit, die res publica, zur Sache eines jeden einzelnen. Jetzt kann jeder einmal Verantwortung zeigen und Verbindlichkeit im Sinne einer neuen Moral, die zunächst nur ein vorrangiges Ziel hat: alles Menschen mögliche zu tun, um der Pandemie ein Ende zu setzen.

 

 

Jetzt wird es ein Neubeginn sein, von dem wir gesellschaftlich wie persönlich stehen werden. Was ist dabei wesentlich und welche Rolle kommt der Literatur dabei zu?

Die gleiche Rolle wie immer: die Axt zu sein für das gefrorene Meer in uns (Kafka). Aber der Schriftsteller ist auch Zeitzeuge und Teilnehmer der Gegenwart, und vielleicht erwächst aus dieser ungewissen Zeit ein neues Engagement. Gerhard Richter sagte, Kunst sei die höchste Form der Hoffnung. Das gilt auch für die Fiktion. Möglicherweise ermüden uns Geschichten nun schneller, die von nichts Wesentlichem erzählen, lediglich schockieren wollen oder nur darstellerischem Selbstzweck dienen. Wie schreibt es Handke in „Über die Dörfer“ so schön: „Erzählt den Horizont.“ Das sollte man auch streng metaphysisch verstehen.

 

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Was liest Du derzeit?

Aus aktuellem Anlass: Dr. Fischer of Geneva or The Bomb Party von Graham Greene. Aber auch, weil ich es 1992 in Neu Delhi gekauft habe und im United Coffeehouse zum ersten Mal gelesen. Eine wunderbare Reiseerinnerung, kostbarer als je zuvor.

 

 Welchen Textimpuls aus Deinem aktuellen Roman möchtest Du uns mitgeben?

„Überall standen Wanderprediger an den Straßenecken und schrien die Angst heraus, während sie die Plakate hochhielten vom Ende der Welt, das unmittelbar bevorstehe. Und, ganz ehrlich: Zum ersten Mal sah ich sie nicht mehr als kranke Spinner, sondern konnte tatsächlich verstehen, was sie meinten, weil ich wusste, dass sie diesmal wirklich Recht hatten.“ Hysteria, S. 213.

 

Vielen Dank für das Interview lieber Eckhart und weiterhin viel Erfolg für Deinen  großartigen aktuellen Roman „Hysteria“ , Piper Verlag 2018, und persönlich alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Eckhart Nickel, Schriftsteller, Kelag Preisträger 2017, Klagenfurt

 

Weitere Informationen: 

https://www.piper.de/autoren/eckhart-nickel-136

 

14.4..2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Mich beunruhigt etwas die aufkeimende Kontrolleuphorie“ Harald Darer, Schriftsteller, Wien 24.4.2020

Lieber Harald, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich habe zwei Kinder die meinen Tagesablauf bestimmen: Frühstück für sie herrichten, sie füttern, sie unterrichten, Mittagessen für sie herrichten, sie füttern, einkaufen gehen, sie weiter unterrichten, und so weiter. Ich schaue aber auch viel in die Gegend hinein, am liebsten mit einem Kaffeehäferl in der Hand und in der Sonne sitzend. Außerdem ist die Tube einer speziellen Hautcreme meiner Frau auf rätselhafte Weise verschwunden. Seit zwei Wochen treffen wir einander immer wieder einmal in verschiedenen Zimmern der Wohnung und suchen danach (mit wölfischem Blick, aber dennoch erfolglos). Dabei trage ich zumeist einen sogenannten „Onesie“, also einen Strampelanzug für Erwachsene, den ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe. Meine Frau trägt neuerdings Töffler-artige Schlapfen in der Wohnung. Ich fürchte, meine jüngere Tochter hat mit der Creme die Nachbarskatze „gefüttert“ und die Tube verschwinden lassen. Sie kann sehr bestimmend und raffiniert sein. Grundsätzlich haben die vergangenen Tage und Woche etwas Kontemplatives, dem ich, zugegeben, einiges abgewinne.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Sich nicht gegenseitig aufzureiben, die Situation ist mühsam genug. Feindseligkeiten sind bestmöglich zu vermeiden. Innerhalb der Familie und außerhalb. Humor schadet nie, der kann einen selbst und Andere von äußerlichen und innerlichen Blessuren gut bewahren. Mich beunruhigt etwas die aufkeimende Kontrolleuphorie des Staates und seinen ausführenden Organen, die von vielen Bürgern ebenso euphorisch-dankbar angenommen wird. Ist das die österreichische Lust zur Kleinlichkeit? Der Hang zu selbstlosen Schadenfreude? Ich weiß es nicht. Seid nett zueinander! Seien Sie keine unfreundliche Spinatgans! Es kostet nichts.

 

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Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?

Ich weiß überhaupt nicht ob das tatsächlich so ist. Natürlich geraten momentan viele in finanzielle und somit existenzielle Turbulenzen. Ob das zu einem gesellschaftlichen Aufbruch oder einem Neubeginn führt wird sich zeigen. Schön wäre es, wenn er positiv wird. Sätze wie: „Die Welt wird nach Corona nicht mehr so sein wie früher“, oder: „In Zeiten wie diesen, und so weiter“, finde ich bereits abgeschmackt und klingen in meinen Ohren wie Werbeslogans von Schlagzeilenverkäufern, derer sich die Zeitungen über Gebühr bedienen um ihren Artikeln mehr Dramatik zu verleihen. Menschen die in sogenannten prekären Verhältnissen leben und arbeiten, waren es vorher schon gewohnt vor persönlichen Neubeginnen zu stehen. Von Ländern, die nicht zur sogenannten westlichen Welt gehören gar nicht erst zu reden. Da ist bei uns schon eine ordentliche Portion Hybris dabei. Wesentlich wird sein, nicht einfach wieder so weiterzumachen wie bisher, und das wird, denke ich, schwierig werden, weil grundsätzlich haben wir es eh gemütlich gehabt vorher, nicht wahr? Was die Literatur betrifft- das Schöne an ihr ist ihre Langsamkeit, das schätze ich zurzeit besonders. Durch die Corona-Krise hat sich ihre Rolle als Lebensretterin für mich nicht geändert, das war vorher so und das wird nachher so sein. Vielleicht hat man als Autor hier einen gewissen Vorteil, weil man viel mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt ist und mit irgendwelchen Sätzen und Wörtern herumhängt als wären sie lebendig. Vielleicht sind sie es ja auch. Man darf nur nicht vergessen hie und da seinen Strampelanzug zu waschen.

 

Was liest Du derzeit?

„Wunder“ von Wsewolod Petrow, einem Vertreter des russischen Absurdismus. Kommt mir aber momentan ziemlich un-absurd und real vor.

 

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ich habe meinen aktuellen Roman „Blaumann“ ein Motto vorangestellt, das gut zu unserer verordneten Kasernierung passt: „Die Jahre verfliegen, nur der Nachmittag zieht sich“.

Alles Gute!

Vielen Dank für das Interview lieber Harald, viel Freude und Erfolg für Deinen großartigen aktuellen Roman und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Harald Darer, Schriftsteller

Aktueller Roman: „Blaumann“, Picus Verlag, 2019

https://der-darer.net/

 

13.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

 

„Wir können die zerbrochenen Teile jetzt anders zusammenfügen“ Leona Stahlmann, Schriftstellerin, Hamburg 23.4.2020

Liebe Leona, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Durch das Schreiben nicht viel anders als vorher. Die ersten Wochen der Pandemie waren für mich ein einziger schwarzer Sog hinein in ein Kaninchenloch aus Schock und Überforderung. Dann habe ich weitergearbeitet. Für meine Schreibarbeiten habe ich immer einen ziemlich ausgeprägten Weltausblendungsmechanismus gehabt; den kurbele ich jetzt noch energischer an als vorher, wie bei diesen Autos auf Schwarzweißfotos, bei denen man den Motor mit einer Kurbel angelassen hat. Ich bin dann sozusagen das Auto und fahre der Wirklichkeit davon. Und hoffe, dass es mir nicht doch noch Zucker in den Tank hagelt. Damit das nicht passiert, lese ich konsequent nichts als Romane und Erzählungen bis zum Abend und erst dann erlaube ich mir Berichterstattungsmedien. Sonst: Kaninchenloch. Und da ist’s mir zu duster.

 

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Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Das Alltägliche nicht aus dem Blick verlieren und vor dem Chaos verteidigen. Der Trost der Gewohnheit und der kleinen Routinen.

 

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?

Wesentlich wird sein, die Zäsur durch die Pandemie als solche zu akzeptieren, nicht nur als vorübergehende unangenehme Hautreizung auf der Oberfläche der globalisierten Welt. Es gibt den Riss, das Vorher und das Nachher, und wir können die zerbrochenen Teile jetzt anders zusammenfügen, als sie vorher gewesen sind. Dabei muss alles denkbar sein, man muss sich alles vorstellen dürfen: Vielleicht schaffen wir zusammen eine neue Form, die nicht nur notdürftige Reparatur des brüchigen Alten ist. Und wer, wenn nicht die Künste, sind Experten dafür, Formen für das Unvorstellbare zu finden?

 

Was liest Du derzeit?

Scurati! Und J.G. Ballard.

  

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

James Salter, Light Years: „Life is weather, life is meals.“ Gilt auch in Krisen. Vielleicht sogar besonders dann.

 

 

Vielen Dank für das Interview liebe Leona, viel Freude und Erfolg für Deinen großartigen aktuellen Roman und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Leona Stahlmann, Schriftstellerin, Journalistin

Aktueller Roman: „Der Defekt“, Kein&Aber Verlag, 2020 

https://www.leonastahlmann.de/

 

13.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

Foto_Simone Hawlisch