Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst, Hildegard Kretschmer. Rom – Architektur und Kunst. Reclams Städteführer. Christoph Höcker. Neuerscheinungen Reclam Verlag.

 

 

 

Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst, Hildegard Kretschmer.

Rom – Architektur und Kunst. Reclams Städteführer. Christoph Höcker.

Neuerscheinungen Reclam Verlag.

Die moderne digitale Kommunikation ist geprägt von Zeichen und Symbolen, die hinweisen und darüber hinaus Bedeutungsebenen öffnen, die traditionelle Sprachebenen wesentlich führen bzw ersetzten. Ein Piktogramm (emoji) wird zum persönlichen Gefühlscode, der direkte verständige Ansprache ist. Dies trifft insbesondere für die Generation der digital natives, also jener unmittelbar mit digitaler Kommunikation Aufgewachsenen, zu. Die Bildsprache ist dabei eine vertraute Lesart, die keiner zusätzlichen sprachlichen Erklärung bedarf.

Blicken wir vom 21.Jahrhundert in die Epochen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit zurück, so begegnen uns auch hier schon in der Kunst eine Reihe von codierten Attributen und Symbolen, die in ihrer je eigenen Ausdrucksform ästhetische Bildsprache und Ansprache tragen wie prägen. Der gegenwärtigen digitalen Form der Kommunikation entspricht also formal auch jene der Kunst über Jahrhunderte hinweg. Die renommierte Kunsthistorikerin Hildegard Kretschmer legt nun einen umfangreichen Übersichtsband über die Attribute und Symbole der Kunstepochen vor, der in alphabetischer Stichwortfolge ein schnelles Nachschlagen erlaubt und kompakte Information vermittelt. Von Aaronstab bis Zypresse reicht dabei die mythologische, religiöse und politische Bandbreite der Bedeutungsebenen und Sinnkonnotationen. Ein Register der Heiligen und mythologischen Gestalten rundet diese Neuerscheinung zum gut erklärenden wie handlichen Reisebegleiter und Nachschlagwerk ab.

Reclam_Rom

Der Reclam Städteführer Rom von Christoph Höcker, nun in dritter aktualisierter Auflage erschienen, bietet einen verlässlichen Reisebegleiter zu Architektur und Kunst, der die wesentlichen Sehenswürdigkeiten und Kunststätten erläutert und über Standort und Besonderheiten informiert. Abbildungen, Grundrisse und Stadtkarten bieten zusätzliche unmittelbare Orientierung. Ein Gewinn für Kunst- und Romexperten wie Neugierige am Weg in die Ewige Stadt.

 

Walter Pobaschnig 9_18

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Fotos: Cover_Reclam;

Hl.Sebastian_St.Egyd Kirche Klagenfurt. Spolien_Tschahitsch Kärnten – Fotos: Walter Pobaschnig

„Karl Barth – Ein Leben in Widerspruch“ Christiane Tietz. Biographie. Neuerscheinung Beck Verlag.

„Karl Barth – Ein Leben in Widerspruch“ Christiane Tietz. Biographie. Neuerscheinung Beck Verlag.

  1. Ein kalter Februartag im noch tief verschneiten Bern. Alle Honorationen der Universität und der Stadt waren gekommen, um dem verstorbenen Theologieprofessor Fritz Barth die letzte Ehre zu erweisen. In den Reden wird auf sein wissenschaftliches Selbstverständnis zurückgeblickt „…Theologie nicht auf Zeitmeinungen zu gründen, welche kommen und gehen, sondern auf den Ewigkeitsgrund der Offenbarung Gottes in Christus…“. Aufmerksam hört sein Sohn Karl, seit wenigen Monaten Pfarrer in Safenwil, einer ländlichen Schweizer Streusiedlung, zu. Karl erinnert sich an die Konsequenz und den Willen, mit dem der Vater seinen Beruf aber auch sein Familienleben gestaltete und formte. Karl nimmt diesen Lebensanspruch in sein berufliches Werden und auch privates Sein mit. Er wird in beiden sehr gefordert sein und immer wieder an die prägende Gestalt des Vaters in allen Widersprüchen zurückdenken…

Der Schweizer Theologe Karl Barth (1886-1968) ist einer der einflussreichsten  theologischen Denker des 20.Jahrhunderts. Geprägt von pietistischen und liberal theologischen Zugängen zu Wissenschaft und Glaube formt sich bei Barth in Auseinandersetzung mit den unmittelbaren Herausforderungen sozialer Lebenswelt und den politisch autoritären wie nationalistischen Gesellschaftsdoktrinen der Zeit eine theologische Haltung, die in den 1930/40 Jahren entschiedene Position gegen Faschismus und Rassismus bezieht. Dieses „dialektische“ Gottesbild Barths, welches keine „Vergöttlichung“ politischer Führer und Institution zulässt, wird zur entscheidenden Grundlage kirchlichen Widerstandes wie aber auch in weiterer zeitlicher Folge zum problematischen starren Gegensatz eines „fernen Gottes“ zur Lebenswelt an sich.

Christiane Tietz, Theologie Professorin an der Universität Zürich und renommierte internationale Fachautorin und Dozentin, legt mit ihrer Karl Barth Biografie facettenreiche Zugänge zu Zeit, Werk und Leben vor, welche die theologische, politische und private Persönlichkeit erstmals in umfassender Form öffnen und darstellen. In 14 Kapiteln fokussiert die Autorin berufliche und familiäre Etappen mit vielen Werk- und persönlichen Quellentexten (Briefe).

„Eine Biographie, die Grundlagen theologischen Denkens und Ringens des 20.Jahrhunderts im gesellschaftlichen wie sehr persönlichen Spannungsfeld beeindruckend erzählt und reflektiert“.

Walter Pobaschnig 9_18

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Liliom.Club _ Bernhard Ensemble- Off Theater Wien. 19.10.2018

 

Liliom.Club _ Bernhard Ensemble- Off Theater Wien. 19.10.2018

Wenn die Lichter im Vergnügungsviertel des Wiener Prater aus sind, gibt es nur Dunkelheit. Menschen sind reglos am Boden. In Stop-Motion beginnen sie sich morgens stumm zu bewegen. Finden ihren Weg in die U-Bahn, ihren Platz im Tageslicht. Wie jeden Tag. Mittendrin im Ringlspiel der Schlaflosen – Andreas Zavoczki, Schausteller. Sein Leben abseits von Achterbahn, Zuckerwatte und Langos ist alles andere als ein Vergnügen. Er sitzt einsam am Bahnsteig. Sein Kopf ist eine Geisterbahn zerfetzter Träume. Schlafen kann er schon lange nicht mehr. Menschen um ihn am Morgen gibt es nicht. Keine Nähe, keine Freunde, keine Liebe. In einem regelmäßigen Gruppentreffen spricht er über seine Ängste kein Wort. Er sitzt da und hört zu. Dann trifft er Fiscur und alles ändert sich. Fiscur kennt nur die Sprache der Gewalt. Direkt, unmittelbar. Zunächst fällt es schwer, doch dann fällt Zavoczki in das grelle Licht des Faustkampfes, das keine Worte mehr braucht. Und seine Sitzungsgruppe mit ihm. Auch Julie, die sich in ihn verliebt, wird ein Teil dieses dunklen Reigens. Und jetzt soll es um Geld gehen. Einen Überfall aber auch gleich um das Finanzamt. Fiscur hat da Ideen. Zavoczki zögert. Julie ist schwanger. Ihre Freundin Marie will das ungleiche Liebespaar verzweifelt an das sichere Ufer einer Existenz in der Seestadt bringen. Doch Zavoczki geht den Weg weiter. Ringt mit allen blutigen Dämonen bis zum Ende und der überraschenden stillen Rückkehr zur verlassenen Liebe….

Regisseur Ernst Kurt Weigel verbindet in seinem neuesten Mash-up, einem innovativen Theatergenre, welches Film- und Literatur/Theaterplots in kritischem Gegenwartsbezug setzt, den Thriller Fight Club (1999, David Fincher) und das Bühnendrama Liliom (1934, Molnar) zu einer furiosen Hochschaubahn moderner menschlicher und gesellschaftlicher Abgründe. Weigel gelingt das außergewöhnliche Kunststück den Film- und Theaterklassiker in ihrer gemeinsamen Mitte von subjektiver Tragik und objektiver Kritik an Lebenswelt und –enge in expressiver Bühnendarstellung in die Gegenwart zu katapultieren. Die Thematisierung von Sprachlosigkeit und Gewalt sind dabei die zentralen Säulen der Inszenierung, die in ihrer Vielfalt der dichten Bewegungs- und Ausdruckformen in großem schauspielerischen Anspruch beeindruckt. Ob in der Einsamkeit täglicher wie düsterer Stadttreffpunkte, im satirischen Monolog des Sitzungszimmers der Selbsthilfegruppe, im impulsiven Tanz am Bahnsteig, im blutigen Slow-Motion Faustkampf oder in stillen Momenten der Sehnsucht und Trauer, das großartige Bernhard Ensemble beherrscht alle Facetten und Ansprüche emotionalen und körperlichen Spiels. Großartige Bühnenpräsenz ist da im Kollektiv und in Gänsehaut erzeugender Weise zu bewundern. Hervorzuheben ist auch das aufwendig gestaltete Bühnenbild in beeindruckender Graffiti-Galerie.

„Modernes mutiges Theater, das keine Scheu vor Experimenten hat und in Regie und Ensemble zweifellos zu den talentiertesten und innovativsten der Gegenwart zählt.“

 

Walter Pobaschnig, Wien 19.10.2018

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Alle Fotos_Walter Pobaschnig

 

 

 

Liliom Club

Regie/Konzept: Ernst Kurt Weigel

Performance: Isabella Jeschke, Leonie Wahl, Kajetan Dick, Gerald Walsberger, Michael Welz, Ernst Kurt Weigel

Komposition: b.fleischmann

Bühne und Kostüme: Devi Saha

Choreografie: Leonie Wahl

Kostümassistenz: Florine Stuefer

Regieassistenz: Jennifer Skriwan

Technik: Jennifer Skriwan, Christian Lieb

Produktionsleitung: Monika Bangert

Presse: Simon Hajós

 

Weitere Termine:

20., 23., 25., 30. Oktober

3., 4., 6., 9., 10., 11., 13 November, jeweils um 19:30 Uhr

 

DAS OFF THEATER, Eingang: Kirchengasse 41, 1070 Wien

Karten:

karten@off-theater.at, +43 676 360 62 06

 

 

„Bruder und Schwester Lenobel“ Michael Köhlmeier. Neuerscheinung Hanser Verlag.

„Bruder und Schwester Lenobel“ Michael Köhlmeier. Neuerscheinung Hanser Verlag.

Der König will regieren. Immer und ewig. Er braucht keinen Nachfolger, keinen Mann für seine Tochter. Seine List endet mit Mord und einem Fluch. Niemand wird hier jemals wieder irgendwem trauen. Die Sprache, die Liebe und das Leben ist eine Falle. Es geht weiter, aber eigentlich ist es vorbei – „Nun wussten alle anderen was ihnen blühte“.

Robert weiß viel von Märchen und ihren tiefenpsychologischen Wahrheiten. Robert ist Psychoanalytiker und seit Tagen nicht mehr in seine Wohnung in der Wieder Garnisongasse zurückgekehrt. Jetti, seine Schwester, ist jetzt aus Dublin angereist. Hanna hat eine Vermisstenanzeige wegen ihrem Mann Robert aufgegeben.  Jetti versucht bei Hanna etwas über ihre Partnerschaft, ihre Lebenssichten zu erfahren. Sie weiß selbst wie schwierig es mit Lust und Liebe ist und wie sich etwa eine menage a trois leicht und schwer anfühlen kann. Auch sie hat viel Liebes- und Lebensgepäck. Wie auch die jüdische Familiengeschichte in Tod, Flucht und Trauma. Ist Robert nun dem inneren Getriebensein gefolgt  – einer Sehnsucht nach unendlich erfüllender Liebe und dem Anspruch des Erschließens von schwerer Vergangenheit in der Familie? Eine lange Reise beginnt nun für alle mit großen und alltäglichen Fragen zu Sinn und Dauer der Liebe, des Lebens und des Leidens – „…und die Kinder liefen, bis niemand, niemand, niemand sie hat gesehn.“.

Michael Köhlmeier ist einer der großen Erzähler unserer Zeit, der Leben und Liebe, Himmel und Erde, Gegenwart und Zukunft in weiter lustvoller Sprachrafinesse zur Rede stellt. Die Welt ist, was wir daraus formen. Ein Wachsein, ein Denken und ein Sehnen nach Glück und Veränderung. Wie im Märchen. In Anspruch, Gelingen und Scheitern. Der Roman verbindet in seiner sehr gelungenen sprachlichen Dialogform (Märchen/Lebensereignis) Handlung wie Existenz- und Sinnfragen und lässt Leserin und Leser spannend wie überraschend den Lebensgeschichten der Geschwister Lenobel folgen.

„Ein Roman, der in faszinierender Sprachlust von der Welt und dem Ringen der Menschen in Liebe und Leiden darin erzählt.“

 

Walter Pobaschnig 9_18

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„Neujahr“ Juli Zeh. Roman. Neuerscheinung Luchterhand Verlag.

 

„Neujahr“ Juli Zeh. Roman. Neuerscheinung Luchterhand Verlag.

Lanzarote. Der ersehnte Urlaub. Henning sitzt auf dem Rad. Allein. Es ist Freiheit für ihn in durchgescheuerten Turnschuhen und billiger Radlerhose. Das Wasser fehlt. Doch so sieht auch sein Leben aus. Schnell, ohne ausreichende Pausen und Labung. Auf der Fahrt jetzt zum Atalaya-Vulkan hat er jetzt Zeit über alles nachzudenken. Seine Frau, die Kinder Jonas und Bibi, die gemeinsamen Weihnachtsfeiern, Urlaube – eine gute Zeit, die er aus der eigenen Kindheit nicht kannte. Der Vater verließ früh die Familie. Seine Schwester Luna und Henning wuchsen ohne all das täglich bemühte und besorgte Da-Sein, wie er es jetzt in seiner Familie leistet und erlebt, auf. Es ist viel, sehr viel zu tun und oft zu viel für ihn. Und da ist auch dieses drückende „ES“ bei Henning, das Gewitter in Körper und Kopf, Blitz und Donner, die so plötzlich kommen und so lange bleiben wie sie wollen.

Jetzt ist er am Pass angekommen. Erschöpft, ein weiter Weg. Er blickt zurück. Dann fällt sein Blick auf Straße und Landschaft um ihn. Es passiert ganz plötzlich in seinem Kopf. Allein auf dem Berg. Bilder kommen aus der Tiefe. Henning hat überlebt. Aber was ist an diesem Ort geschehen –  ja, es ist eine Rückkehr. Ein Schrecken, der hier auf ihn gewartet hat und ihn jetzt umfasst. Henning muss nun mit diesem ringen, mit dem dunklen verschlossen Raum in ihm, der Ereignisse, die nicht ruhen wollen…

Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin, Literaturpreisträgerin und engagierte gesellschaftliche Stimme, Juli Zeh, legt mit Neujahr einen Roman vor, der einmal mehr einen rasanten mitreißenden Spannungsaufbau mit tiefgehenden thematischen Fragestellungen verbindet. Trauma und Familiengeschichte sind dabei die zentralen Topoi, welche die Autorin in einen facettenreichen Erzählrahmen setzt, der Fragen persönlicher Ambivalenz in Aufarbeitung von erlebter Vergangenheit und überfordernden Ansprüchen familiärer und beruflicher Rollen öffnet und diesen packend nachgeht.

„Ein Roman, der gegenwärtige Lebenswelt in fordernden und überfordernden Ansprüchen und Lasten der Familiengeschichte und des persönlichen Gewordenseins in spannender Erzählung mitreißend öffnet.“

 

Walter Pobaschnig 9_18

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Ursel Bühring, Alles über Heilpflanzen. Ulmer Verlag

„Ein Buch, das in beeindruckend umfassendem Kräuterwissen neue Zugänge zu Natur in Achtsamkeit, Hilfe und in Freude am Entdecken, Genießen und Heilen öffnet“

Ursel Bühring, Alles über Heilpflanzen. Ulmer Verlag

Ursel Bühring, Heilpraktikerin, Krankenschwester und Naturpädagogin ist Gründerin der ersten Heilpflanzenschule Deutschlands und als Dozentin für Heilpflanzenthemen im In- und Ausland tätig. Das vorliegende Buch im Ulmer Verlag kann als ihr grundlegendes Standardwerk auf dem Gebiet der Heilpflanzenkunde in Kenntnis und praktischer Information, Anwendung angesehen werden. Die Autorin legt dabei inhaltlich sehr klar aufbereitet und auch in der graphischen Überblicksform anschaulich dargestellt für interessierte Laien wie für Fachleute eine „Fundgrube“ zum weiten botanischen Kosmos der natürlichen Kräuter-Heilanwendung vor, die immer wieder neue Entdeckungen zulässt und auch neugierig auf Wege in der Natur und das Entdecken der abgebildeten Pflanzen macht.

Das Buch bietet einerseits eine grundlegende Einführung zu persönlicher Achtsamkeit in Gesundheit/Krankheit und den Anwendungsmöglichkeiten von Kräuterwirkstoffen wie auch eine fundierte Vorstellung und Erklärung von über 70 Heilpflanzen. Die einzelnen Kapitel weisen eine klare Gliederung auf und erlauben so eine gute persönliche Schwerpunktsetzung der Vertiefung. Etwa werden die Möglichkeiten der Verwendung bestimmter Kräuter den verschiedenen Beschwerden- und Krankheitsbildern gegenübergestellt und so ein schneller Zugang ermöglicht. Ebenso bietet ein Überblicksteil gut dargestellte Rezepttipps und –anleitungen, welche eine eigenständige Anwendung gut ermöglichen. Ein Kalenderüberblick stellt die jeweiligen Blüh- und Sammelzeiten vor und gibt auch Anleitungen und Tipps zur Konservierung über das Jahr.

 

 

Walter Pobaschnig, Wien 9_2018

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„Im Verborgenen“ Ljuba Arnautovic. Roman, Picus Verlag.

 

„Im Verborgenen“ Ljuba Arnautovic. Roman, Picus Verlag.

  1. Wien. Der Fluss durchzieht sprachlos die Stadt. Und er ist Sinnbild für das Leben gestundeter Zeit. Alle leben auf Abruf jetzt. Im Krieg, in Verfolgung, in Hoffnungslosigkeit. Die Streifenbeamten sammeln Kleider, Schuhe und Abschiedsbriefe ein, die sie hier am Ufer der Donau zwischen Brigittenau und Nussdorf finden. Jetzt ist auch jener von Walter Baumgarten dabei, der eine Aufforderung zum Erscheinen in der Gestapoleitstelle am Morzinplatz Wien erhalten hatte – „…war aufgrund der oben angeführten Beweise als Jude rassisch einzuordnen…Dem Prüfling wird aufgetragen, sich unverzüglich nach Erhalt dieses Schreibens….einzufinden“. Walter weiß, was dies bedeutet. Und er hofft auf die Hilfe von Eva, die im Büro des Evangelischen Oberkirchenrates arbeitet. Er ist hin und her gerissen zwischen Lebenswillen und Aufgabe. Doch Eva, die selbst in den 1930er Jahren als politisch Verfolgte Folter und Vertreibung erleiden musste, weiß viel davon, was es heißt, nicht aufzugeben und Hilfe zu erfahren, wenn alle/alles fortgerissen wird. Eva kennt Möglichkeiten des Versteckens und Walter nimmt dieses Leben „Im Verborgenen“ an. Auch um den Preis, der Mutter im Abschiedsbrief seinen fingierten Selbstmord mitteilen zu müssen. Doch auch Eva muss in ihrer Hilfe für Verfolgte „im Verborgen“ ständig in Angst leben. Und auch in Sorge um ihre Söhne in der Ferne. Niemand weiß jetzt, wen der Tod noch fortreißen wird. Hier und dort. An Donau und Newa. Doch Eva geht ihren Weg. Unbeirrt…

Die in Kursk (Russland) geborene und in Wien lebende Journalistin und Schriftstellerin Ljuba Arnautovic legt mit „Im Verborgenen“ ihren ersten Roman vor, der in eindringlicher wie spannender Erzählung die gesellschaftliche Lebenswelt der 1930-1950er Jahre öffnet. Der Autorin gelingt es, existentielle Sprachdichte im historischen Hintergrund beklemmend wie mitreißend zu setzen und biographisch anzuleiten.

„Ein mitreißender wie anspruchsvoller Roman, der Fragen von Humanität und Solidarität selbstbewusst über den historischen Kontext hinaus stellt.“

 

Ljuba Arnautovic. Im Verborgenen. Picus Verlag.

 

Walter Pobaschnig 8_18

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„Paul Celan . Die Gedichte“ Neue kommentierte Gesamtausgabe. Neuerscheinung Suhrkamp Verlag.

„Paul Celan . Die Gedichte“ Neue kommentierte Gesamtausgabe. Neuerscheinung Suhrkamp Verlag.

„Erst jenseits der Kastanien ist die Welt/von dort kommt nachts ein Wind im Wolkenwagen/und irgendwer steht auf dahier…“ Sand aus den Urnen/Drüben.

Der Dichter ist zwanzig Jahre alt als er diese Zeilen schreibt. Geboren 1920 in Czernowitz (Bukowina/Rumänien) kommt das Unheil immer näher. Die Sprache wird zum Ausdruck inneren Ringens mit dem unvorstellbaren Grauen.  In symbolischen Bezügen eindringlich artikuliert (Mythologie/Natur/Märchen). Er muss die Deportation der Eltern und deren Tod miterleben. Er selbst kann überleben und flieht nach dem Krieg nach Wien. Das Schreiben ist ihm immer ein Begleiter. Freunde wie der Dichter und Kunsthistoriker Klaus Demus und dessen Frau die Pädagogin Nani Demus unterstützen ihn. Sein Anspruch über Unsagbares wie persönlich erlittenen Verlust und Leiden zu schreiben wird zu einer gehörten, wenn auch zunächst unverstandenen Stimme im deutschen Sprachraum. Ingeborg Bachmann erkennt die Kraft und das Talent. Sie fördert den Dichter nach Möglichkeit und dieses Band wird sie zu Lebzeiten in allen Stürmen der Liebe und des Lebens begleiten. In Paris findet der Dichter weitere Formkraft und gleichsam ungeahnte sprachliche metaphorische Tiefe, die seine Poesie zum Feuer im Blick auf Klage und Anklage wie der Liebe werden lassen. Seine Frau, die Grafikerin Gisele Celan-Lestrange, ist bis zu seinem frühen Tod an seiner Seite und auch künstlerische Partnerin.

Der Suhrkamp Verlag legt nun eine beeindruckende gebundene Gesamtausgabe des Werkes von Paul Celan vor – hervorragend herausgegeben und kommentiert von Barbara Weidemann – welche in ihrer inhaltlichen Kompetenz (erweiterter Gedichtumfang und Kommentar zur Ausgabe von 2003, ebenso kommen 25 Radierungen von Gisele Celan-Lestrange hinzu) und bibliophilen Ausstattung Maßstäbe in der literarischen Werkedition  setzt.

„Der Suhrkamp Verlag öffnet mit dieser kommentierten Gesamtausgabe die Tür zu Werk und Verständnis Paul Celans sehr, sehr weit. Es ist faszinierendes Lesen wie literarischer Dialog in einem. Ein Zauber und ein Nachdenken, in dem das Wort wie die Gegenwart des Dichters selbst in Gänsehaut zu spüren ist“.

Paul Celan . Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe. 1262 Seiten. 2018, Suhrkamp Verlag.

Walter Pobaschnig 8_18

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„Streetfotografie“ David Gibson. Edition Profifoto. mitp Verlag.

 

„Streetfotografie“ David Gibson. Edition Profifoto. mitp Verlag.

„Es mag seltsam sein, einfach nur herumzulaufen und kein bestimmtes Motiv im Kopf zu haben. Doch wenn dieser eine magische Moment passiert, ist es die natürlichste und wunderbarste Sache der Welt“.

So leitet David Gibson, einer der Gründungsmitglieder von In-Public, dem ersten modernen und internationalen Kollektiv von Streetfotografen, sein Buch über eine der faszinierendsten Fotowege und –inspirationen der Gegenwart ein. Der Autor betont, dass Streetfotografie wesentlich in Freude, Neugierde und Faszination als Motivation gründet und Stilmittel und Technik diesen Ausgangspunkt weiterführen. Ein Fachbuch wie dieses ist gleichsam ein Wegbegleiter, der Möglichkeiten aufzeigt und eröffnet. Es ist ein Teilen von Begeisterung an einer ganz besonderen Form der Fotografie.

Gibson baut sein sehr anschauliches und übersichtlich gestaltetes Buch auf Themen und Fotografen auf, an denen er wesentliche Grundlagen und Möglichkeiten der Streetfotografie aufzeigt. Zunächst gibt er eine sehr kompakt illustrierte Einleitung, die Geschichte und Gegenwart der Streetfotografie wie auch bedeutende Persönlichkeiten wie Henri Cartier-Bresson vorstellt. Die 5 Überblicksthemen sind dann  1) Betriebsam (Bewegung auf der Straße/Plätzen/Orten)  2) Ruhe (Momente des Wartens/Blickwinkel) 3) Abstrakt (Schärfevariationen/Schatten/Reflexionen)  4) Stillleben (Objekte/Leere)  5) Motive (Menschen/Objekte). In der Vorstellung und Erläuterung dieser werden jeweils namhafte Fotografen und deren Zugänge wie grundsätzliche Möglichkeiten geöffnet. Der Autor versteht es dabei ausgezeichnet nicht so viel Theorie und Details abstrakt darzustellen sondern in sehr anschaulicher Weise gleichsam Fotografie als eine Geschichte zu erzählen, der spannend zu folgen ist und die Lust auf eigenes Erzählen in Bildern macht.

„Ein Fotobuch, das ausgezeichnet informiert und motiviert. Eine sehr gute Ein- und Anleitung zur Streetfotografie aber vor allem auch ein wunderbares Erzählen über die Faszination – ein Bild von der Welt – zu machen“

 

David Gibson, Streetfotografie. Edition Profifoto. mitp Verlag.

Walter Pobaschnig, Wien 9_2018

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„Matriarchatsfiktionen – Johann Jakob Bachofen und die deutsche Literatur des 20.Jahrhunderts“ Ulrich Boss, Yahya Elsaghe, Florian Heiniger (Hg.). Neuerscheinung Schwabe Verlag Basel.

„Matriarchatsfiktionen – Johann Jakob Bachofen und die deutsche Literatur des 20.Jahrhunderts“  Ulrich Boss, Yahya Elsaghe, Florian Heiniger (Hg.). Neuerscheinung Schwabe Verlag Basel.

„Mutterrecht“, schon der Titel des 1861 erschienenen Hauptwerkes des Basler Altertums- und Rechtswissenschaftlers Johann Jakob Bachofen forderte umfassend heraus – Wissenschaft, Gesellschaft, Selbstverständnis. Der leidenschaftlich Musen und archäologische Stätten der Zeit bereisende Bachofen entwickelte darin eine Gesellschaftstheorie, die sich in symbolisch-metaphorischer Anlehnung und Assoziation an griechische Mythologie begrifflich zu fassen sucht. Bachofen postuliert ein vergangene Epochen bestimmendes Matriarchat, welches von patriarchaler Gesellschaftsstruktur abgelöst wurde. Dem einher ging auch ein Verlust von ganzheitlichem Lebens- und Kontingenzverständnis sowie gesellschaftlicher Empathie, die nun im Patriarchat von Macht und Gewalt ersetzt ist.

Das Erbe des in wissenschaftlichen Fachkreisen der Zeit größtenteils ignoriertem wie abgelehntem Modell der Gesellschaftstheorie erlebte und erlebt in den folgenden Kulturepochen, besonders auch im Schrecken, Erleben und Bedenken der Weltkriegskatastrophen, eine neue Renaissance der vieldimensionalen Aufmerksamkeit in Moderne und Postmoderne.

Die Schweizer Literaturwissenschaftler Ulrich Boss, Yahya Elsaghe und Florian Heiniger legen nun eine hochinteressante Schwerpunktstudie zur Bachofenrezeption bzw -inspiration in der Literatur des 20.Jahrhunderts vor, die in Beiträgen namhafter Fachwissenschaftler umfassende neue Zugänge eröffnet. Ausgewählte Werke, etwa von Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler, Franz Kafka oder Elias Canetti (und weiterer), bekommen dabei ganz neue Blickwinkel und Perspektiven und weisen auf die literarische Kenntnis oder auch Auseinandersetzung mit dem Werk Bachofens hin (auch im modernen Film – Metropolis). Bachofens Thesen sind dabei Anstoß zu gesellschaftlich alternativen Denkmodellen im künstlerischen Dialog und Diskurs.

Der Baseler Schwabe Verlag, das Buch erscheint in der Reihe Schwabe interdisziplinär, legt hier innovative wissenschaftliche Analyse und Kritik auf höchstem Niveau vor, die auch narrativ sehr spannend dargelegt wird.

Walter Pobaschnig 8_18

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