Lieber Norbert, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Es ist Ferienzeit und damit herrscht weitläufigere Terminfreiheit. Ich stehe sehr früh auf und gehe spät ins Bett. Dazwischen kann ich mich gerade freier Menschen, Dingen und Projekten hingeben, die mich bewegen, spiele mit meinen Kindern oder Flöte. Ich liebe diesen Zustand!
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich denke, aufeinander acht zu geben, das Menschliche – was für mich immer auch das Unversuchte meint – zu wagen, aufs Träumen nicht zu vergessen und noch weniger aufs Tun. Nicht machen, tun. Corona hat uns aus der üblichen Routine gerissen, die so nicht mehr wiederkehren wird. Insofern sind wir heftig gefordert, auch unsere gewohnten Denkroutinen loszulassen und neu denken zu lernen. Das ist leicht gesagt, aber in Wirklichkeit eine echte Herausforderung: Bevor wir neue Antworten finden, müssen wir neue Fragen stellen lernen!
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, der Kunst an sich zu?
Wir leben in einer sehr fragilen Zeit und müssen als Gesellschaft gut aufpassen, dass die Risse, Gräben und Unterschiede nicht noch größer werden. Unsicherheit ist aber immer die große Zeit der Möglichkeiten, auch jener, uns wieder als Gestaltungsbefähigte zu begreifen. Jede, jeder hat Einfluss und es ist höchste Zeit, diesen in Anspruch zu nehmen. Wer es nicht tut, stimmt dem Lautesten zu. Die Kunst kann uns helfen, die Ohren zu spitzen, uns unserer Verbindungen untereinander bewusst zu sein, uns zu unterhalten, uns heftig irritieren, in Räume führen, die wir uns gar nicht vorstellen konnten und vieles mehr. Sie muss nichts, die Kunst. Aber sie kann, ermutigen zum Beispiel. Wie wir können, wenn wir nur wollen – auch das Undenkbare, Noch-Nicht-Gedachte in Betracht ziehen.
Was liest Du derzeit?
Valerie Fritschs Roman „Herzklappen von Johnson & Johnson“. Ich bin mittendrin, in jeder Hinsicht.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Drei Sätze, Gedanken begleiten mich gerade sehr.
„Und ob die weite Welt wirklich weit ist, das liegt an jedem Menschen.“ /Ilse Aichinger
„Kenntnis der Notausgänge kann dazu führen, dass ich beim nächsten Mal mein Verhalten ändere.“ /Alexander Kluge in einem Interview mit „Welt am Sonntag“, 22. März 2020
„Ich brenne seit je darauf, es zu schaffen, dass sie zu Erreichbaren würden – Aufhorchende – Offene – Antwortende (und sei es wortlos).“ /Peter Handke; Die Obstdiebin
Vielen Dank für das Interview lieber Norbert viel Freude und Erfolg für Deine großartigen vielfältigen Musikprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Ich danke, dass ich darüber nachdenken durfte.
5 Fragen an KünstlerInnen:
Norbert Trawöger, Musiker
Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz und Intendant des Kepler Salon.
Foto: Andrea Trawöger
24.7..2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Norbert, Du sprichst mir aus der Seele. Authentizität und Empathie sind Leitwörter in dieser Zeit. Kunst zu machen, Kunst zu erleben, sich mit allen Sinnen darauf einlassen eröffnet neue Horizonte. Sich lassen, Ideen aufgreifen und tun ohne zu quantifizieren schafft Neue Welten. Digitale Kommunikation hilft sich finden, live Erlebnisse emotionalisiert und erfüllt. Lg Carl
– Tiefe Verneigung für den Abend der Utopie. Außerirdisch schön!
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