„Herkunft“ Sasa Stanisic. Roman. Luchterhand Verlag.
Der Schrei vom Balkon. Über die eigene Lebensspanne und die der Zeit hinweg. Das Beschützen lässt heute und damals, Zeit und Raum, eins werden. Geborgenheit, darum geht es. Das bleibt. Jetzt am Weg auf die Straße hinunter. Die Großmutter und das fremde Mädchen. Das Da-Sein und das Fort-Sein. Immer das Allein-Sein. Meine Großmutter ist am Weg zurück. Zum Anfang und zum Ende. Und ich bin es auch. Am Weg in die Welt. Es ist der 7.März 1978. Visegrad, Bosnien.
Der Weg in die Welt ist nie leicht. Ich musste gezogen werden. Raus aus der Geborgenheit. Wohin? Ankommen? Jetzt bei der Behörde dreißig Jahre später geht es um meine Staatsbürgerschaft. Deutschland. Lebenslauf, Schulbildung, Elternhaus. Geborgenheit. Das Aufzählen wird der Anstoß zum Erzählen. Die Tabelle wird zum Ablauf der Ereignisse. Wie die Saugglocke bei der Geburt. Wie das Werden eines Dorfes, einer Familie, eines Lebens. Und das Verschwinden. Das Vergessen.
Und ich schrieb auf das Formular – Hier ist eine Reihe von Dingen, die ich hatte…Eine Kindheit in einer kleinen Stadt an der Drina. Und jetzt die Erinnerungen. Worte. Poesie und Saugglocke. Es beginnt…
Sasa Stanisic, ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2019, legt mit Herkunft einen Roman vor, der in sehr direkter Sprache und Ansprache Lebensursprünge und Identitätssuche im persönlichen wie zeitgeschichtlichem Kontext reflektiert. Die Reflexionsebene ist dabei eine sehr poetisch wie rasant narrativ, die in Ereignis und Bewegung mitreißt. Es ist ein Sog der Worte, der in außergewöhnlicher Weise Autobiographie, Gegenwart und Ausblick verdichtet. Ein Autor, welcher der Sprache alles abverlangt. Und damit dem Leben, der Hoffnung und der Phantasie.
„Ein Roman, der das nackte Leben fulminant auf die Waagschale der Sprache und damit des Hier und Jetzt wirft. Ein Ereignis.“
Walter Pobaschnig 11_19