Liebe Nighttrain Poetry, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Bedingt durch eine schwere Erkrankung bin ich seit vielen Jahren in Pension. Daher hat sich nicht allzuviel geändert. Mein lieber Mann und ich versorgen unsere Tiere, schauen nach meiner betagten Mama und frühstücken gemeinsam. Vormittags widme ich mich meinem geliebten Hobby…das Verfassen von Gedichten und Texten. Das Schreiben bedeutet mir unendlich viel und gibt mir Kraft und Mut.Achtsam beantwortete ich Kommentare und Mitteilungen, das ist mir sehr wichtig und für all die liebevollen Menschen die mir begegnen, bin ich dankbar.
Gemeinsames Kochen mit meinem lieben Mann, Enkelkinder vom Kindergarten abholen, gemeinsames Spielen, Kreativität fördern, Waldspaziergänge…Gespräche, Vorlesen, Zusammensein, Dankbarsein.
Und immer wieder schreiben, nachdenken und wieder schreiben. Auch in unsere älteren Tage gibt es noch viel zu tun…Gott sei Dank, und nicht zu vergessen …für mich das Wichtigste…Dankbarkeit.
Nighttrain Poetry
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Dass sich Bemühen und der Zusammenhalt…und immer wieder für mich das Wichtigste, die Dankbarkeit für das Leben, auch wenn es nicht immer einfach war und ist. Denn wenn ich über den Tellerrand hinausblicke, geht es mir doch noch immer gut
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ein Neubeginn kann meiner Meinung nach gut gelingen. Aber auch hier spielt wieder das gegenseitige Geschenk des friedvollen Miteinanders eine große Rolle. Respekt und Toleranz, auch bei unterschiedlicher Auffassung.
Frieden ist machbar.
Kunst ist Leben
Kunst ist bunt
und regt zum Aufwachen an
zum Nachdenken
Kunst ist wie Atmen
wie der Schlag des Herzens
das Blut der Welt
Kunst ist ein Teil von mir
mit dem ich lieben, träumen aber auch weinen kann
Kunst ist Rettung
und Glaube und Zuversicht
Was liest Du derzeit?
Gioconda Belli, Bewohnte Frau. Ich liebe auch ihre Gedichte sehr
Alt sind nur die anderen, Lilly Brett.
Erneuere deinen Körper, Alberto Villodo.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
“ Wir alle sind Engel mit nur einem Flügel. Wir sollten uns umarmen, damit wir fliegen können“ Luciano De Crescenzo
Nighttrain Poetry
Vielen Dank für das Interview liebe Nighttrain Poetry, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Gewöhnlich stehe ich um 7 Uhr auf, ich schlafe im Schnitt 5-6 Stunden, ich dusche und trinke Kaffee. Manchmal wacht meine Tochter früher auf als ich, wenn nicht, dann habe ich noch etwas Ruhe. Ich bringe die Kinder mit dem Fahrrad zum Kinderladen.
Zweimal die Woche bin ich im TATWERK, dort arbeite ich im Büro. Außerdem mache ich hin- und wieder E-Castings. Ich nehme an Arabisch-Online-Kursen teil, gebe theaterpädagogische Workshops, unterrichte Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Schule oder Online, schreibe Anträge, plane Projekte, habe Meetings, mache Pläne und rede mit meiner Agentin. Ich habe im Augenblick ausreichend Aufträge und Anfragen, um gut zu leben, ich hoffe das geht so weiter.
Ich bin aktuell von zu viel Bildschirmzeit genervt und sehne mich nach mehr analoger und körperlicher Beschäftigung, beruflich und privat. Nachmittags und abends fällt Sorge- und Hausarbeit an. Glücklicherweise habe ich eine Wohnung mit Terrasse und Garten mitten in Berlin-Neukölln. Ich finde alles ganz schön anstrengend und mühselig. Aber ich bin auch dankbar für das, was ich habe, Freund*innen, Nachbar*innen, Familie, ein Dach über dem Kopf, Gesundheit, genug Geld für Bio und Jobs, die mir Spaß machen.
Anna Ortmann_Schauspielerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich bin der Meinung, dass Umweltschutz, die Reduzierung von Konsum, der Abbau der industriellen Landwirtschaft, Fischerei und Tierhaltung sehr wichtig sind. Aber auch die Einführung der 20-Stunden-Woche, höhere Löhne, Abschaffung von Hartz 4 und dem teuren Armut-Verwaltungsapparat, der damit einhergeht. Mehr Unterstützung für Frauen, Kinder und Jugendliche. 100 % Solidarität und Unterstützung für Menschen auf der Flucht. Kampf gegen den Rassismus, Auflösung der sozialen Ungleichheit und damit der Abbau von Klassismus, intersektionaler Diskriminierung und Unterdrückung von LGBTQI+ Critical Whiteness, Kolonialismus und Empowerment müssen auf den Lehrplan der Schulen. Diversitätssensibilität in die Kitas und Betriebe. Und wir brauchen unbedingt einen bundesweiten Mietendeckel.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Kunst und Künstler*innen können Diskursräume öffnen. In der letzten Zeit passiert was, weil keine*r mehr Bock auf Rassismus, Sexismus, Ableismus und und und hat. Ich hoffe auf mehr Rollen für Frauen, nichtweiße und nichtbinäre Schauspieler*innen* in Film und Fernsehen und auf den Bühnen, aber auch in den Leitungspositionen und in Entscheidungsprozessen, nicht nur Token, sondern veränderte Normen bzw Normalitäten. Ich möchte mich und unsere postproletarische und postmigrantische Realität in den Perspektiven und Erzählungen finden. Es gibt gerade eine Zeit der Umbrüche in den Machtstrukturen. Aber es ist ein langsamer Prozess.
Was liest Du derzeit?
Ich lese gerade „Die Übernahme “ von Ilko-Sascha Kowalczuk und mehrere Bücher von Dr. Natasha A. Kelly.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
no border, no nation – stop deportation.
Anna Ortmann_Schauspielerin
Vielen Dank für das Interview liebe Anna, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Theater-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Anna Ortmann_Schauspielerin
Fotos_Tim Kallweit.
4.5.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
3,Juli 1971. Paris. Jim Morrison (*1943), der kalifornische Rocksuperstar stirbt in Paris. Die Umstände bleiben im Dunklen. Der Sänger und songwriter der „DOORS“ war nach Europa gekommen, um von den Ereignissen in den USA Abstand zu gewinnen. Es sind Prozesse, die gegen ihn laufen, in denen er sich für seine schonungslose Performance auf Musik- und Lebensbühnen verantworten muss…Paris ist jetzt ein guter Fluchtpunkt. Die Stadt der Dichter*innen. Rimbaud, Baudelaire…Morrison liebt es gemeinsam mit seiner Frau Pamela Courson jetzt hier zu sein. Doch aus dem Sommer in Poesie und Erholung wird nichts. Ein Künstlerleben geht zu Ende. Ein Künstlerleben, das eine Generation geprägt und mitgerissen hat. Ein Künstlerleben, das bis heute – 50 Jahre – nach seinem Tod in seiner Vielfältigkeit, Virtuosität wie Kompromisslosigkeit begeistert und inspiriert…
In der Reihe „100 Seiten“ präsentiert der Reclam Verlag kompakte Zugänge zu Künstler*innenpersönlichkeiten und widmet Jim Morrison einen Band. Die langjährige Musikjournalisatin des Rolling Stone Magazin, Birgit Fuß, gibt nun Einblicke in Leben, musikalische Karriere wie das vielseitige Werk des Superstars der 1960/70er Jahre. Dabei werden besondere Momente des Bandlebens, der Konzerte, wie auch des privaten Jim Morrison geöffnet und lassen Wirkung wie Bedeutung wieder lebendig werden.
Ebenso werden die veröffentlichten Alben der „DOORS“ vorgestellt und Stationen ihres Erfolgsweges wie auch der herausfordernden Bandjahre dargestellt.
Im Schlusskapitel werden die Berichte und Umstände des Todes von Jim Morrison zusammengefasst und die Autorin schließt: „Das Feuer, das er angezündet hat, wird ewig brennen.“
„Ein spannendes Porträt eines der charismatischsten wie vielseitigsten Superstars moderner Rockmusik“
Im Gespräch und Fotoporträt: Verena Gotthardt, Schriftstellerin, Bildende Künstlerin_Bachmannpreisteilnehmerin 2021
„Der Bachmannpreis in Klagenfurt begleitet und begeistert mich seit meiner Jugend. Ich schreibe seit meinem vierzehnten Lebensjahr und war auch seitdem regelmäßig beim Bachmannpreis im Publikum und den vielen Veranstaltungen dazu zu Gast. Besonders die Lesungen waren immer ein extrem schönes Erlebnis. Es traf sich auch sehr gut, dass ich in der Nähe des ORF Studios Kärnten in Klagenfurt wohnte (lacht)
Ich bin in Klagenfurt geboren und aufgewachsen. Ingeborg Bachmanns Texte haben mich früh begleitet und fasziniert, bis heute. Auch Interviews von ihr, Lesungen.
Es ist sehr spannend das Leben in den Gedichten Ingeborg Bachmanns zu spüren. Die Bedeutung von Metaphern als Erfahrung und Ausdruck von Mensch, Zeit, Ort, Leben.
Der Bachmannpreis in Klagenfurt, das ist die Stimmung in der Stadt. Die Literatur-Zitate auf den Plätzen, Straßen, die Bachmannliegestühle kommen raus, das vielfältige Rahmenprogramm, viele Gespräche – das alles und mehr macht eine besondere Stimmung. Man spürt dies in der Stadt und weit darüber hinaus.
Drei Wege zum See_Ingeborg Bachmann outdoors_Rahmenprogramm Bachmannpreis
Die Atmosphäre im ORF-Studio bei den Lesungen ist ganz besonders. Das ist bei allen zu spüren. Freude, Erwartung, Anspannung, Aufmerksamkeit. Alles da, faszinierend.
Vor der Lesung_Bachmannpreisträgerin_Sharon Dodua Otoo_Klagenfurt 2016
Eine Lesung braucht einen guten Tisch, nicht mehr.
Wenn ich lese, ist es eine Art Trance. Das Spüren des Zuhörens im Raum ist wunderschön. Das fällt ja jetzt leider vor Ort in Klagenfurt aus.
Im Publikum zu sein, zu sitzen oder zu stehen, war auch immer wunderbar.
Das Rahmenprogramm des Bachmannpreises ist für mich auch immer sehr spannend. Etwa das Projekt der Autor*innen Vernetzung in Klagenfurt mittels QR Code in der Stadt.
Christina Wuga, Schauspielerin in Drei Wege zum See_Ingeborg Bachmann outdoors _ 2018
Mich freut, dass die Jury wieder in Klagenfurt und damit an einem Ort ist. Das ermöglicht besser das miteinander Reden.
Bachmannpreis Jury 2019 _ Klagenfurt_von links – Klaus Kastberger, Nora Gomringer, Hubert Winkels (Vorsitzender), Stefan Gmünder, Insa Wilke (Vorsitzende 2021), Hildegard Elisabeth Keller und Michael Wiederstein
Vor Ort sein ermöglicht Jury wie Publikum den Fokus auf das Wort, das Gespräch – es nimmt die ständige Wahrnehmung der Person am Bildschirm zurück, in der jede Mimik, Gestik Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Bachmannpreis Jury 2020 _online_ von links – Klaus Kastberger, Insa Wilke, Nora Gomringer, Hubert Winkels (Vorsitzender), Michael Wiederstein, Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler.
Mara Delius hat mich als Lesende eingeladen. Als der Anruf kam, musste ich nachfragen (lacht). In meiner Kindheit dachte ich, ein Text für Klagenfurt muss in zehn Tagen geschrieben werden und ich war dann überrascht, dass bei den Lesungen alle so gut waren (lacht).
Kritik am Text darf man nicht persönlich nehmen. Jeder Text wird anders wahrgenommen. Ich bin gespannt was Menschen darin sehen, erkennen. Die Neugierde darauf überwiegt.
Es sind jetzt die Umstände, die eine Live-Lesung in Klagenfurt nicht zulassen. Natürlich würde ich lieber live vor Ort lesen. Damit muss man sich abfinden. Pluspunkt ist etwa, dass die Nervosität wegfällt. Minuspunkt, dass ich vielleicht an diesem Tag anders lesen würde. Jetzt muss ich halt bei meiner Lesung zusehen. Ist aber auch ganz interessant bei der eigenen Lesung zuzuschauen (lacht).
Was Horst L.Ebner ORF als Bachmannpreisorganisator und sein Team, gerade auch in der Begleitung von uns Lesenden, leisten – ob analog oder digital – ist großartig!
Helga Schubert_bei der Lesung_Bachmannpreisträgerin 2020_screenshot
Ich werde bei mir Zuhause, da wo ich schreibe, lesen. Mein Zimmer ist sehr verwinkelt, es gibt da nicht viele Optionen (lacht). Denke, ich kann den Text da auch gut rüberbringen. Es wird aber bestimmt schön. Coronabedingt gibt es ja eingeschränkte Möglichkeiten den Lesungsort zu wechseln, etwa an die Universität. Ich lese mir den Text in der Vorbereitung immer wieder durch. Lesungsvorbereitungen brauchen aber auch Ruhepausen. Der Text muss auch ruhen. Ich lese nicht performativ.
Ich habe mich schon vor zwei Jahren zum Bachmannpreis beworben. Jetzt habe ich den Text intentional geschrieben. Mara Delius hat mich eingeladen. Ich habe es Mitte März erfahren und musste da erst nachfragen. Nehme ich jetzt teil, lese ich (lacht)?
Jetzt versuche ich in Ruhe auf die Lesung und den Bewerb zuzugehen. Eine gewisse Distanz ist da auch wichtig. Ich versuche nicht zu viel darüber nachzudenken wie es sein wird.
In meinem Teilnehmer*intext ist natürlich sehr viel von mir und den letzten Jahren drin. Der Text ist in der Pandemiezeit entstanden aber ich schreibe da nicht anders als sonst. Als Schriftstellerin ist ja immer eine Einsamkeit da.
Ich freue mich auf das Lesen im Wettbewerb und bin gespannt auf die Kritik. Hoffe, damit umgehen zu können (lacht).
Ich habe im Klagenfurter Gymnasium begonnen Gedichte in slowenischer Sprache zu schreiben. Ich habe immer in Slowenisch geschrieben. Meine Lehrerin hat mich da auch sehr motiviert und begleitet. Später gab es dann Übergänge in die deutsche Prosa. Das ist auch jetzt eine Mitte. Gedichte schreibe ich nach wie vor hauptsächlich in Slowenisch aber auch in deutscher Sprache.
Meine Familie, wie auch die Schule, haben das Schreiben immer sehr gefördert. Meine Eltern und meine Schwester lesen meine Texte immer zuerst.
Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Mir ist das Thema der Übersetzung sehr wichtig, das Kommen/Ankommen von Sprache zu Sprache. Da ich auch Bildende Künstlerin bin, ist jetzt auch der Weg von der Sprache zum Bild und vom Bild zur Sprache ganz wichtig.
Wenn ich deutsche Texte verfasse, übersetze ich diese nicht in die slowenische Sprache sondern schreibe einen slowenischen Text dazu. Da kann dann auch das Thema variieren. Ich will da ein Gefühl vermitteln.
Bei Lesungen in Deutsch nehme ich slowenische Texte, Gedichte dazu. Es ist da die Tonalität ganz wichtig. Der Klang. Texte müssen vom Publikum nicht immer verstanden werden. Sie können auch gefühlt werden. Das Wahrnehmen, Zuhören ist wesentlich.
Wenn ich lese, hat es einen ganz eigenen Rhythmus. Das braucht es.
Schreiben ist ein Weg, ein Lernprozess. Nominierungen sind eine große Freude auch Absagen sind aber ganz wichtige Wegmarken.
Vielleicht ist es gut, dass es letztes Jahr nicht mit der Teilnahme am Bachmannpreis klappte und es sollte einfach dieser Text jetzt sein. Wenn ein Text geschrieben ist, ist er selbständig. Er muss aus sich selbst funktionieren.
Licht ist wichtig in meinen Texten. Es ist für mich sehr bedeutsam, welche Stimmung das Licht schafft, das gebe ich im Schreiben wieder.
Es ist vielleicht ähnlich wie bei Edward Hoppers Film „Shirley“. Man muss nicht alles beschreiben. Das Licht beschreibt selbst sehr viel. Es geht dabei nicht um Symbolik. Es geht um eine Beschreibung des Moments.
In Wien ist ein Sonnenuntergang ein Nachgehen, Nachsehen. Die Sonne geht ja immer von Hausecke zu Hausecke unter. Es ist gebrochenes Licht.
Ich brauche beim Schreiben Ruhe. Unter Leuten kann ich nicht schreiben. Ich bin eine Morgen- oder Nachtschreiberin. Manchmal gibt es auch strukturierte Zeitpläne.
Schreiben ist ein Prozess, das Davor ist wesentlich. Beim Schreiben selbst ist schon alles passiert. Das kann dann in zwanzig Minuten fertig sein.
Ein Heft und ein Stift sind immer neben meinem Bett. Ich schalte dann oft im Halbschlaf nicht das Licht ein, wenn ich schreibe.Ich schreibe gerne auf Papier. Mit Bleistift oder Tinte. Ich habe da ein sehr visuelles Verständnis.
Mein Schreiben hat viele Bilder. Ich mag das.
Ich höre auch gerne zu was Leute auch auf der Straße sagen. Das nehme ich dann auf. Kurze Sätze, Wörter.
Das Hauptthema meines Schreibens ist Erinnerung. Dabei ist auch fiktive Erinnerung spannend. Das Spiel zwischen Realität und Phantasie. Das schafft auch Distanz, das ist wichtig.
Erinnerung muss nicht immer beladen und schwer sein. Ich bin 24 Jahre, Erinnerung ist für mich ein ruhiger Moment. Wie wenn im Herbst ein Blatt fällt, das letzte Blatt, das ist schön. Du siehst zu und gehst weiter. Aber der Impuls ist da. Das ist für mich Erinnerung.
Ich schreibe über stille Momente, die nur etwas weh tun.
Ich denke einen ganzen Tag über einen Satz nach. Das Schreiben braucht eine Dauer.
Wahrnehmung und Ausdruck von Schönheit, das will ich in meinen Texten vermitteln.
Sprache ist für mich etwas, das immer leiser wird.
Sprache ist zuhören, lesen und verstehen. Da muss nicht immer etwas neu erfunden werden. Es geht um das Verstehen-Wollen.
Worte müssen wie das Holz des Tischlers gut gewählt sein. Man muss daran arbeiten.Schreiben ist viel mit Zweifel verbunden und die Zweifel hören nicht auf.
Schreiben ist ein einsames Handwerk.
Ich ermögliche mir immer wieder in Frankreich zu leben und zu schreiben. Aber Texte beschreiben dann nicht den Ort. Der Ort ist ein Ort des Schreibens, um schreiben zu können. Ich kann in Wien besser über Kärnten und in Kärnten besser über Wien schreiben. Distanz ist im Schreiben oft Nähe. Man sieht und versteht in der Distanz oft mehr. Wie wohl im Leben auch.
Es gibt nicht viele Erinnerungsstücke, die mich an Orte begleiten, die mitgehen.
Eine Uhr kam damals als einziges Erinnerungsstück mit nach Frankreich. Es war unsere Küchenuhr in Klagenfurt, die sehr laut tickte und die niemand haben wollte. Ich liebe das Ticken einer Uhr. Ich schlafe da auch gut ein. Eine Holzskulptur meines Vaters habe ich auch Zuhause.
Orte verbinden. Es ist schön an Orten der Kunst zu begegnen. Es gibt da ein besonders Verstehen. Freunde kennen jeden Grashalm, den ich beschreibe. Topographische Nähe ist auch Textnähe.
Derzeit sind Friederike Mayröcker und Annie Ernaux meine Lesefavoriten. Ich habe immer ein Buch bei mir. Jetzt in der Tasche ist es Florjan Lipus „Mirne duse/Seelenruhig“. Ich schätze Florjan Lipus sehr. Es gibt eine Nähe zu AutorInnen in Kärnten, die slowenisch schreiben wie Stefan Feinig, Maja Haderlap, Fabjan Hafner.Ein Buch zu lesen hat für mich auch mit dem Tagesgefühl zu tun. Das kann ein Vertiefen im Text oder auch ein Innehalten, ein längeres Blättern der Seiten sein. Bücher vermitteln immer eine große Nähe und Ruhe.
Ich bin kein Stadt- und kein Landmensch. Ich bin dazwischen. Durch meinen kulturellen Hintergrund bin ich immer in Zwischenräumen.
Zwischenräume sind großartig, auch in der Literatur.“
Lieber Alexander, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich bin ein Chaot mit Ordnungsneurose: Für den Tag, die Woche, den Monat mache ich mir Arbeitspläne, die ich strikt ignoriere; ich stelle mir einen Wecker auf den frühen Morgen, würge ihn ab und stehe am Nachmittag auf; setze mich dann an die dringend fällige Kolumne – und arbeite bis in die Morgenstunden an einer Prosaminiatur, auf die niemand wartet. Das Patentrezept meiner Organisiertheit besteht darin, eine präzise Hierarchie zu eruieren und auf deren Basis zunächst das Wichtigste und dann erst das weniger Wichtige aufzuschieben. Das nenne ich strukturierte Prokrastination. Im Hinblick auf die Pandemie hat sich dabei nicht viel verändert: Da ich aus Russland stamme, habe ich eine genetische Disposition dafür, eingesperrt zu werden.
Alexander Estis, Schriftsteller
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Wenn es etwas gibt, das für alle besonders wichtig wäre, dann vermutlich dies: zu verstehen, dass gerade jetzt für alle ganz Unterschiedliches besonders wichtig ist. Mir persönlich scheint – so trivial das klingt – die Reflexion der Endlichkeit unseres Lebens bedeutend wie noch nie. Diese einende conditio humana hilft uns vielleicht dabei, dass wir einander als gleichermaßen fragile Wesen anerkennen und in entsprechend humaner, humiler, humorvoller* Weise begegnen. *Diesen Hu-Dreisatz hat der gleichnamige ägyptische Gott den Menschen geschenkt, nachdem er die Welt aus seinem Omphalolith erschaffen hatte.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Das kommt natürlich darauf an, wie man für sich Kunst bestimmt. Manche werden wohl sagen, die Kunst sei der sokratische Stachel, der uns mit unangenehmen Fragen zusetzt und zum notwendigen Wandel anspornt. Andere verstehen die Kunst umgekehrt als eskapistische Dimension, in der sie Freiheit von den »furchtbaren Realitäten« erfahren können. Wieder andere mögen behaupten, die Kunst sei ein Pharmakon, ein Therapeutikum für ebensolche Spaltungen wie diejenigen zwischen Engagement und Eskapismus, für Enttäuschungen und Verletzungen, ein Trost in dieser an Versöhnlichkeit armen Zeit. Das Gute daran: All dies trifft gleichermaßen zu.
Was liest Du derzeit?
Virenseuche – Şafak Sarıçiçek (Elif-Verlag 2017)
Mehr Hygiene schadet nie. Prosa – von Adrian Kasnitz (Parasitenpresse 2020)
Wie Anatolij Petrowitsch aus Moskau zurückkehrte und beinahe eine Infektion auslöste – von Katharina J. Ferner (Wortreich 2015)
Pandemischer Panikraum – von Hendrik Jackson (kookbooks 2018)
I Want Sputnik – von Melanie Katz (Hochroth 2018)
Jenseits des Relevanzprinzips – von Rebekka Kricheldorf (Rowohlt 2021)
Die Schließung ist eine Öffnung ist eine Schließung. Oder? – von Judith Keller (Der gesunde Menschenversand 2021)
Der Antrag der Danaiden. Tragödie – von Asmus Trautsch (De Gruyter 2020)
Kontaktlose Kinderspiele – von Danae Sioziou (Parasitenpresse 2019)
Maskenpflicht. Das beste Jahr für Diebe – von Jan Snela (Klett-Cotta 2016)
Flandern dunkelorange auf Coronakarten – von Patrick Wilden (lesezeichen 2019)
Acht Dinge. Was man im Lockdown tun kann – von Lisa Gollub (erscheint 2021 in der edition mosaik)
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Einerseits: Silbrig die Blüte, die junge, und atmend die Düfte des Frühlings, Siehe, da welkt sie geschwind, es vergeht, ach, vergeht jene Anmut. So auch das Leben der Menschen – den eben Geborenen, wehe, Schwindet’s dahin, gleich Blasen, gleich flüchtigem Dunst sich verlierend. (Franco Estius, 1594)
Andererseits: Es ist schwer, jemandem etwas über Puschkin zu erzählen, der nichts von ihm weiß. Puschkin ist ein großer Dichter. Napoleon ist nicht so groß wie Puschkin. Und Bismarck ist im Vergleich zu Puschkin ein Nichts. Und Alexander der I. und der II. und der III. sind im Vergleich zu Puschkin einfach Seifenblasen. Überhaupt sind alle Menschen im Vergleich zu Puschkin Seifenblasen, nur im Vergleich zu Gogol ist Puschkin selbst eine Blase. (Daniil Charms, 1936)
Vielen Dank für das Interview lieber Alexander, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Trotz Corona habe ich eigentlich viel gearbeitet: Proben im Odeon Theater für das Stück „Kompoosh“, dass am 10. Juni Premiere hat. Ich spielte und spiele auch in Paulus Mankers „Die letzten Tage der Menschheit“, das in Berlin im August und September aufgeführt werden soll. Dazu kommt die Arbeit an einem gerade entstehenden Musik-Projekt. Ich bin auch gerade Mama geworden und kümmere mich um meine kleine Tochter Neli – jeder Tag ist also ein wenig anders.
Ana Grigalashvili _ Schauspielerin, Tänzerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Die Freiheit spontan sein zu können. Das ist, was zumindest mir im Lockdown fehlt.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Schauspiel/ Tanz, der Kunst an sich zu?
Von einem Aufbruch kann ich ehrlich gesagt nichts erkennen. Ich habe das Gefühl, es steht noch alles. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Ich muss das, was passiert ist aber auch erst richtig verarbeiten. Es muss hinter mir sein. Kunst und Kultur werden meiner Meinung nach die ersten sein, die uns neue Impulse geben können.
Was liest Du derzeit?
Gerade lese ich nichts, aber auf meinem Couchtisch liegt schon „Die Frau eine Schlange“ von Carlo Gozzi.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Auf Georgisch würde ich sagen: Ich bewege mich nicht mit Zitaten – also eigentlich keines. Auf die Frage habe ich dann aber Nietzsches Satz: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen“ gefunden. Ich denke, der passt ganz gut zur jetzigen Zeit.
Ana Grigalashvili _ Schauspielerin, Tänzerin
Vielen Dank für das Interview liebe Ana, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspiel-, Tanzprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Vielen Dank!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Ana Grigalashvili _ Schauspielerin, Tänzerin
Alle Fotos_Manuel Zauner.
14.5.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Ich liebe die Vielfältigkeit von Wien. Du kannst Dich etwa am Naschmarkt wie in der Türkei oder in Italien fühlen. Oder wenn Du im I.Bezirk spazierst, fühlst du das imperiale Wien. Ich mag diese bunten lebendigen Facetten und auch verträumten Ecken Wiens sehr gern.
Fanny Altenburger_Schauspielerin
Derzeit bin ich viel im siebten, achten Bezirk, dieses hippe Wien mag ich auch sehr gern. Coole, gechillte Ecken mag ich.
Es ist ein tragisch schönes Bild, dass Ingeborg Bachmann versoffen, rauchend Zuhause sitzt und großartige Sachen schreibt aber eigentlich wahnsinnig leidet. Das fasziniert und gleichzeitig habe ich großes Mitleid. Dieser Griff zu Tabletten und Alkohol, dieses innerliche Kaputtsein und dann trotzdem oder gerade deswegen diese Kraft zur Kunst, Literatur.
Auch diese Brandflecken der Zigaretten auf ihren Körper, dass sie diesen Schmerz nicht mehr gespürt hat. Das ist erschütternd. Es ist tragisch, aber auch faszinierend wie weit Mensch und Kunst gehen können.
Kunst braucht Grenzgänge, da beginnt Kunst für mich spannend zu werden. Ich möchte selbst an diese Grenzen. Alles andere finde ich langweilig.
Die „Verrückten“ im Theater, in der Kunst, die so abgestempelt werden, die leben ja eigentlich nur, dürfen einfach leben, wieder leben. Ich war einmal bei einer Werkschau in einer Schauspielschule. Es war so grenzenlos, so schön. Da ist alles möglich. Im Schauspiel gibt es dieses einfach Sein-Dürfen.
In der Gesellschaft werden viele Menschen zurechtgeschnipselt. Viele Leute verbieten sich innerlich viel, vielleicht um angepasst zu sein, um in ein Konstrukt zu passen? Kunst überschreitet dies, lässt frei, das ist ziemlich geil.
Nicht Künstler*innen überschreiten Grenzen. Sie leben. Aber Menschen stecken sich viele Grenzen, die sich Menschen nicht zu stecken brauchen.
Kunst hat eine große Verantwortung. Wenn Menschen berührt, bewegt werden, Kritik geübt wird, da kann viel passieren. Das ist ein schmaler Grat. Da ist eine Emotion, mit der Menschen dann etwa das Theater verlassen. Das ist schwierig aber sehr wichtig. Eine große Verantwortung.
Kunst kann anregen.
Ingeborg Bachmann war in der Schule präsent. Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan hat mich vor Jahren im Theater beeindruckt. Die Briefe haben richtig in eine andere Welt gezogen. Es war ein Sog.
Wir sind in einem Aufbruch in unserer Gesellschaft. Viele verschiedenen Formen von Liebe werden gelebt. Da war ja etwa das #actout von Künstler*innen in der Süddeutschen Zeitung. Das ist ganz toll.
Unterschiedliche Beziehungsrealitäten werden immer normaler. Etwa auch die Väterkarenz. Dass diese zunimmt, ist großartig
Es ist gut, wenn wir heute über sexuelle Übergriffe reden und dazu nicht schweigen. Zur Zeit Bachmanns war das ja nicht so. Es ist wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten.
Bestimmt gibt es dieses Ivan-Malina Modell auch heute. Aber in meiner Generation bricht da gerade sehr viel auf. Diese patriarchalen Denkmuster gibt es da nicht mehr.
Ich kenne viele sensible einfühlsame Männer.Männer können nicht auf Ego-Gewalt reduziert werden. Aber es ist ganz wichtig für Frauenrechte zu kämpfen.
Männer dürfen weinen. Männerbilder sollen mehr aufbrechen, dieser Mucki-, Testosteron- Mann, der Mädels flachlegen will, das ist überholt. Da ist eine Befreiung für den Mann wichtig. Wir sind Menschen nicht aufgesetzte Muskelmaschinen.
Mein Partner soll sich in seiner Männlichkeit definieren dürfen. Ich würde begleiten aber es ist so ein filigranes Gebiet, ich würde da sehr zurückhaltend sein.
Ich glaube stark daran, dass jede/jeder für sich selbst verantwortlich ist. In einer Partnerschaft braucht es viele Gespräche.
Körperlichkeit ist absolut nicht das Einzige in einer Beziehung. Man kann Beziehungen auf so vielen verschiedenen Ebenen führen. Einander Zeit geben ist ganz wichtig.
Wenn man mit jemand im Bett landet, der gerade so nervös ist, dass der Körper nicht kann, dann wartet man. Das ist nicht schlimm. Dafür muss man sich als Mann nicht schämen. Da kann viel toxische Männlichkeit mit im Bett sein.
Sex braucht sehr viel Vertrauen, sich so zu öffnen.
Liebe hat keine Garantie. Es ist nichts Endgültiges.
Bachmann zog ja von Wien nach Zürich. Den Wohnort zu wechseln aufgrund der Liebe, etwa nach Berlin zu gehen wegen einem Mann, das ist ein sehr schönes romantisches Bild. Ob ich das könnte?
Liebe auf den ersten Blick gibt es. Oh, ja!
Wenn ich mich verliebe, verliebe ich mich schnell und impulsiv. Ich hab da viel Ähnlichkeit mit dem Roman (lacht).
Ich zelebriere die Liebe.
Es ist auch Unsicherheit und Angst in der Liebe. Da ist Ehrlichkeit wichtig.
Inszenierung in der Liebe ist auch ein Schutz vor dem Kern der Liebe. Aber ich kann mich nicht austricksen (lacht).
In Inszenierungen der Liebe kann man sich auch verlieren. Da kann auch Eitelkeit sein, das geht mir schwer auf die Nerven.
Ich finde das Spiegeln der Persönlichkeit sehr spannend. Das passiert auch oft bei mir. Wenn man zu gern spiegelt, kann das aber ungesund, narzisstisch sein. Ich muss mich immer wieder zurückholen – ich will den Menschen sehen und nicht mich in den Menschen.
Spiegeln kann sehr erschrecken. Es geht ja auch in den Körper über.Beim Spiegeln muss jeder gut bei sich bleiben. Ich denke, ich bin zu empathisch, um narzisstisch zu sein.
Ich liebe Halligalli, bin süchtig danach (lacht), wie auch nach der ruhigen Zeit mit mir selbst.
Ich begann mit neun Jahren in Berlin zu schreiben, das setzte sich dann fort. Leider hörte das in der Maturavorbereitung auf. Ich schrieb auch einen Kurzfilm (lacht). Jetzt schreibe ich immer wieder abends. Etwa auch den Monolog für die Schauspielschule, auch für eine Freundin schrieb ich da.
Schreiben, das ist auch Angst vor der Beurteilung. Mir fällt es auch schwer Selbstgeschriebenes zu spielen. Du kannst dich da ja nicht verstecken.
Ich schreibe so vor mich hin. Ein paar Leute dürfen es dann lesen.
Musik ist mir auch sehr wichtig
Ich werde jetzt viele Gewürze und Lebensweisheiten, etwa meiner Schauspiellehrerin, mit nach München nehmen. Eine gute Mischung davon (lacht).
Leben, Liebe, Kunst ist eine Balance. Da ist Sehnsucht, aber auch Fallhöhe.
Ingeborg Bachmann wusste was sie will. Ich fühle mich ihr in vielem sehr nahe.
Fanny Altenburger_Schauspielerin
50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch:
Fanny Altenburger _ Schauspielerin _Wien. Station bei Ingeborg Bachmann _Grabenhotel_Hotel Regina_Wien_4_2021
Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _ 5_2021.
Liebe Barbara, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ehrlich gesagt, ich bin Frühaufsteherin, das hat sich in Zeiten des Lockdowns noch verstärkt. Meistens wache ich so um 5:30 – 6:00 Uhr (oder noch früher) auf und nutze die Zeit für mich.. Etwas Bewegung, schreibe Tagebuch, höre Musik, lese und oft nehme ich sogar noch ein Bad. Wenn ich zu arbeiten beginne, versuche ich, nicht mit Büroarbeit oder Mails zu beginnen. Da in der Wohnung um die Zeit meist noch alles schläft, ist Arbeit mit Texten oder mit dem Körper dran. Ab 9.30 Uhr darf auch die Klarinette. Dabei bin ich so dankbar, dass ich nicht immer ins Studio dafür gehen muss und auch im Lockdown weiterarbeiten konnte. Am Nachmittag oft Proben, die uns zum Glück mit Vorsicht und Testen möglich sind, Spaziergänge mit Freundinnen oder einfach weiter üben mit der Klarinette.
Barbara Maria Neu, Klarinettistin, Musikerin, Performerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Während den Lockdowns versuchte ich, das für mich mögliche Positive daraus zu suchen. Immer nur das Negative zu sehen und darauf zu konzentrieren, was alles nicht mehr möglich ist, kann zum Verhängnis werden. Mir ist bewusst, dass ich da wirklich in einer guten Situation bin, da ich die Zeit nutzen konnte, um neue Projekte zu überlegen, viel zu lesen, mich Fremdsprachen wieder mehr zu widmen, viel zu üben und mal zur Ruhe zu kommen. Klassische Musik hören, wenn auch nicht live möglich, wirkt für mich immer als Energietanker. Jedoch jemand anderen zu empfehlen, sich auf das Positive zu konzentrieren würde ich nicht wagen, da ich weiß, für wie viele Menschen die Umstände ganz andere sind.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, der Kunst an sich zu?
Die Rolle und der politischer Stellenwert von Kunst wurde uns ja im letzten Jahr gezeigt.. Und auch der, der kleineren Betriebe. So oft fragte ich mich, wie es sein kann, dass riesige schwedische Modeketten, in die Menschenmassen ohne Mindestabstand hineinströmen, geöffnet haben dürfen und ein vergleichsweise kleines Wiener Kaffeehaus daneben, geführt von einer hier lebenden (und steuerzahlenden) Einzelperson oder Konzerthäuser und Theater nicht mal unter den strengsten Auflagen öffnen dürfen.. und das in Zeiten, wo sich die Politik eh so gerne mit so Parolen wie „Österreich zuerst“ schmückt.
Ob es wirklich einen gesellschaftlichen Neubeginn gibt, bezweifle ich um ehrlich zu sein.. Für mich persönlich, ja, war die Pandemie ein persönlicher Neubeginn, aufgrund der oben beschriebenen Möglichkeiten. Da hat die Musik viel geholfen. Auch gesellschaftlich kann die Musik bzw. generell Kunst zum Aufbruch helfen, indem sie aufmerksam macht und aufzeigt. Aber auch, indem sie Schönes zeigt und Freude bereitet und für die betrachtende Person mal nicht auf Leistung fokussiert ist.
Was liest Du derzeit?
Es ist mir fast etwas peinlich: Tatsächlich lese ich gerade oft in der Bibel. Zu Ostern höre ich jedes Jahr Bach Matthäus-Passion, heuer überkam es mich und ich war neugierig auf den Text.. und seither lese ich immer wieder darin. Habe ich davor noch nie gemacht und es ist irgendwie schon spannend.
Ansonsten las ich vor kurzem die Sanfte von Dostojewskij und einen Gedichtband von Droste Hülshoff. Ebenso begleiten mich Goethe-Gedichte seit einigen Wochen. Märchen beschäftigen mich ebenfalls seit einiger Zeit.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Jetzt oder nie entspring ich diesen Banden“ 😉
ist aus Turandot
Barbara Maria Neu, Klarinettistin, Musikerin, Performerin
Vielen Dank für das Interview liebe Barbara, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Musik-, Performanceprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Barbara Maria Neu, Klarinettistin, Musikerin, Performerin
Lieber Reinhardt, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?
Der Unterricht an der Schauspielschule Krauss findet, wenn auch eingeschränkt, statt. Ich unterrichte. Ich bin in Wien. Das ist der größte Unterschied. Sonst bin ich meist ein halbes Jahr „on the road“.
Ich habe einen wunderbaren Wohn, Arbeits- und Trainingskeller, indem all meine Bücher sind, und einen Garten vor der Türe. Ich bin ziemlich gesegnet.
In der ersten Zeit des Lockdowns konnte ich viele Dinge erledigen. Unterrichtsinhalte verschriftlichen, mich mit Hingabe meiner zusätzlichen Ausbildung an der Yurij Vasiljev Akademie widmen. Selbst zu Hause trainieren und üben. Mein Wissen um Atem Und Stimme vertiefen. Dafür wäre sonst keine Zeit gewesen.
Die Ausbildung, es geht um Stimme und Sprechen fand dann Online statt. Damit musste ich mich, technikfremd wie ich bin, erst anfreunden. Auch selbst Online zu unterrichten war eine neue, durchaus interessante Möglichkeit, die aber in der Schauspielausbildung auch bald Grenzen erreicht.
Ich habe mich mit Video und Audio in der Selbstproduktion beschäftigt. Ich habe täglich ein Gedicht aus Tagores Gitanjali online gestellt. Kurzgeschichten von Pirandello aufgenommen. Eine Videoproduktion mit Gedichten von Klassikern und befreundeten Autor*innen auf die Beine gestellt.
JETZT: Ich unterrichte weiter, Ende April des Jahres haben wir Lehrer*innen die Monologe der Schauspielschüler*innen zweier Jahrgänge angeschaut. 48 Monologe, sechs Stunden. Spannend, wie sich die jungen, begabten, zukünftigen Kolleg*innen trotz der eingeschränkten Möglichkeiten entwickeln. Ich lerne Text für die Komödienspiele Porcia, die diesen Sommer hoffentlich stattfinden.
Die Stille in der Stadt war bedrückend. Es erschlossen sich neue Lebensalternativen. Mehr Zeit zu haben ist so wertvoll. Weniger von einem Termin, von einer Probe zur nächsten zu hetzen, war so wertvoll. Für mich.
Reinhardt Winter, Schauspieler
Was ist jetzt für alle besonders wichtig!
GELASSENHEIT! Raus aus der Dauererregung. Gelassenheit ist nicht Gleichgültigkeit. Die Welt, die Dinge, sich selbst sehen. Nicht gleich alles bewerten, kritisieren, wissen. Aus den wirbelnden Speichen des Rades in die Achse treten und die Welt betrachten. Die eigenen Positionen hinterfragen. Nix is fix!
Wenn wir alle öfter sagen würden „Ich weiß es nicht!“ „Ich habe keine Antwort.“ Wäre das unserem und dem Wachstum der Gesellschaft förderlich. Auf wienerisch „schau ma amoi“ „Wir werdn schon sehn“. Vielleicht eine Art Gottvertrauen, das nicht alles in unserer Hand liegt, dass nicht alles, was wir heute als richtig erkennen auch morgen noch gültig ist.
SOLIDARITÄT! Wir haben als Menschen die wertvolle Möglichkeit einander auf vielen verschiedenen Ebenen zu unterstützen, zu helfen. Dieser Wert sollte bei allen Überlegungen und Handlungen im Vordergrund stehen.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ich glaube an das Theater als moralische Anstalt. Ich glaube daran, dass es die Gesellschaft, den Menschen positiv verändern kann. Generationen von Künstlern kommen zu Wort und erinnern uns an das Schlechteste und das Beste in uns. Wir werden zu Betrachtern, zu Zeugen der comedie humaine. „So sieht Gott die Welt“ sagt Mozart in „Amadeus“ von Peter Shaffer. Er will die Töne und Stimmen dieser Welt, die Stimmen von Adeligen und Dienstboten in einem gewaltigen Finale vereinen und doch jeden hörbar machen und „… das Publikum zu Gott machen.“
Die Kunst stellt Möglichkeiten, Utopien, Visionen dar. Künstler*innen, wenn sie denn welche sind, versuchen fern des Zeitgeistes, fern ihrer Erziehung, der Abhängigkeiten, der Konditionierungen aus dem Unbewussten zu schaffen. Den Zustand der Inspiration zu erreichen: Im Einssein mit der Welt, das eigene Ego auflösen, unserem Selbst näherkommen und zu einem wahren Schöpfer werden.
Wir brauchen diese Utopien. All diesen Möglichkeiten zugrunde liegt die Utopie des besseren Menschen. „Die Menschen sind eben so.“ „Da kann man eh nichts machen.“ Solche Aussagen sind die Gegenentwürfe. Zynismus wird uns nicht weiterhelfen.
Oft ist das was gesellschaftlich als naiv abgetan wird das eigentlich Starke. Besinnen wir uns auf das was uns wirklich gut tut, was uns tatsächlich als Menschen fördert und seien wir radikal aufrichtig. In der Gesellschaft, in der Wirtschaft in der Kunst.
Das war, ist und wird auch weiter die Aufgabe des Theaters sein.
Und: Es soll uns zum Lachen bringen. Lachen öffnet das Herz!
Was liest du derzeit?
Daniil Charms;
Kurzgeschichten von Pirandello;
„Wer bin ich, wenn ich spiele?“ Fragen an eine moderne Schauspielausbildung von Frank Schubert und Martin Wigger. Über Erfahrungen, Versuche und Methoden an der Hochschule der Künste Bern
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest du uns mitgeben?
„So mußt du allen Dingen
Bruder und Schwester sein,
Daß sie ganz dich durchdringen,
Daß du nicht scheidest Mein und Dein.“
„Spruch“ Hermann Hesse
Vielen Dank für das Interview lieber Reinhardt, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Theater-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Liebe Franziska, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Dadurch, dass der Kindergarten meines Sohns momentan offen hat, laufen die Vormittage bei mir nicht viel anders als vor Corona. Während er dort ist, trinke ich Kaffee und arbeite. Nachmittags waren wir früher oft im Museum, im Zoo, im Schwimmbad oder bei Freunden. Jetzt sind wir mehr draußen, im Wald oder in einem der Wiener Parks.
Franziska Gänsler. Schriftstellerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Geduld
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?
Was mich beschäftigt ist, dass die Idee von Fakten sich für Teile der Gesellschaft so aufgeweicht hat. Wenn da teils die Wissenschaft oder das was medial berichtet wird, irgendwie zu einer Glaubensfrage oder einer Gefühlssache wird, dann kann man sich schwer verständigen, weil man dann keine gemeinsame, faktische Wahrheit mehr teilt. Kunst kann zumindest etwas sein, über das man sich weiter unterhalten und vielleicht einig sein kann.
Was liest Du derzeit?
Aktuell lese ich noch Han Kangs „Deine kalten Hände“, danach wahrscheinlich „Klara and the Sun“ von Kazuo Ishiguro. Kürzere Formate, die mich regelmäßig freuen sind die Newsletter von Berit Glanz und Patti Smiths Instagram Posts.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Vielen Dank für das Interview liebe Franziska, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Franziska Gänsler, Schriftstellerin
Foto_Lina Schubert.
27.4.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.