„Kunst hat für mich die Aufgabe eines Universalwerkzeuges – sie ist wie ein Schweizer Messer!“ Adelheid Rumetshofer, Künstlerin_Linz 23.2.2021

Liebe Adelheid, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mein Tagesablauf hat sich im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie nicht wesentlich verändert, nur manch Treffen oder Abendtermine fallen weg. Ich stehe zwischen sieben und halb acht auf, dann Kaffee, dabei Mailkorrespondenz, Nachrichten beantworten, News lesen, Büroarbeit. Danach geht´s ab ins Atelier. Derzeit arbeite ich sehr intensiv an neuen Bildern – heuer stehen neben Ausstellungsbeteiligungen auch drei große Solo-Shows und ein Kunst am Bau Projekt an. Im Atelier konzentriere ich mich vollständig aufs Malen, es gibt nicht einmal Internet dort, damit mich nichts ablenkt. Der Maltag dauert meist bis etwa 16 Uhr, dann kochen, Hausarbeit, etc… Am Abend erledige ich wieder Computerarbeiten, zB Bildbearbeitung, Layouts erstellen oder Webpage betreuen, schreibe To-Do Listen, sammle Ideen… Ab und an schau ich mir aber einfach einen Film an. Am Wochenende mache ich gerne Wanderungen im Mühlviertel. Das ist für mich der perfekte Ausgleich zur Arbeitswoche – beim Gehen in der Natur bekomme ich den Kopf frei.

Adelheid Rumetshofer _ Künstlerin
Adelheid Rumetshofer _ untitled (Liminal), 90×100 cm, Öl auf Leinwand, IX-2020

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Das maße ich mir nicht an zu wissen. Vermutlich, dass wir so schnell wie möglich die Pandemie hinter uns bringen und dann die Scherben einsammeln gehen. Die Kollateralschäden werden enorm sein. Doch es wird Neues entstehen und es wird auch viel Gutes dabei sein, da bin ich mir sicher.

Adelheid Rumetshofer_dark and bright blues, 100x90cm, Öl auf Leinwand, IV-2020

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?

Ich denke, dass uns diese Krise gezeigt hat, wie schnell sich gewohnte Dinge ändern können. Vieles, das wir in den letzten Monaten erlebt haben, wäre vorher undenkbar bzw. unvorstellbar gewesen. Das zeigt uns aber auch, wie fragil unsere gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Systeme sind und wie leicht sie zusammenbrechen können. Es ist jetzt eine gute Gelegenheit dies zu hinterfragen. Bestandsaufnahme zu machen und daraus Schlüsse zu ziehen, halte ich für einen guten Weg. Das gilt ebenso für das System Kunst.

Kunst hat für mich die Aufgabe eines Universalwerkzeuges – sie ist wie ein Schweizer Messer! Kunst kann klären, verstören, Kunst soll Fragen stellen, Antworten geben, unterhalten, sie darf auch langweilen. Ich denke, wir haben gerade in dieser Zeit der kulturellen Unterversorgung gemerkt, dass die Vielschichtigkeit der Kunst uns eine Ahnung vom Menschsein sehr nahe bringt. Und sie, dieses Universalwerkzeug, wird auch mithelfen, die Coronakrise und deren Nachwehen zu bewältigen.

Adelheid Rumetshofer _ untitled (Liminal), 90×100 cm, Öl auf Leinwand, XII-2020

Was liest Du derzeit?

Duft der Zeit – ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens von Byung-Chul Han

und

Die Lehre der Sainte-Victoire von Peter Handke

Adelheid Rumetshofer _ middle deep bright blue, 100×90 cm, Öl auf Leinwand, IV-2019

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Manchmal sehe ich meine Farben, und es sind die richtigen.“

Aus oben genanntem Buch von Handke. Damit meint er wohl, man soll sich auf seine eigene Wahrnehmung verlassen.

Vielen Dank für das Interview liebe Adelheid viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Kunstprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Adelheid Rumetshofer _ Künstlerin

ADELHEID RUMETSHOFER

Foto_Porträt_Erhard Kargel

Fotos_Kunst_Adelheid Rumetshofer _ Rumetshofer/Bildrecht Wien.

1.2.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Zu hinterfragen, wer wir eigentlich sind und sein wollen“ Jonathan Böhm, Schriftsteller_Leipzig 22.2.2021

Lieber Jonathan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Aufstehen. Kaffee. Den Kindern Frühstück machen. Den Sohn in die Notbetreuung bringen. Die Tochter in den Online-Unterricht schicken. Die Frau in den Rundfunk verabschieden. Einen Grüntee kochen. Selbst an den Schreibtisch. Unzufrieden mit dem Erreichten vor dem Rechner herumdümpeln. Mathe-/Deutschaufgaben Korrektur lesen. Eine kleine Hofpause anordnen. Zwischenspeichern. Waschmaschine anstellen. Kohlsuppe kochen. Eine Einkaufsliste schreiben. Nochmal an den Schreibtisch. Lesen. Ein Nickerchen machen. Mit dem großen Kind das kleine abholen. Einkaufen. Spielplatz. Kaffeetrinken. Gleise verlegen. Weichen stellen. Dampflok sein. Vergessene Wäsche aufhängen. Sauerkraut aus dem Keller holen. Die zurückgekehrte Frau ebenda vorfinden und umarmen. Gemeinsam das Abendbrot einnehmen. Mit dem Kleinen die Zähne putzen. Sandmann schauen. Vorlesen. Ein Gebet sprechen. Licht ausschalten. Dabei selbst einschlafen. Aufwachen. Die Küche putzen. Über der Zeitung einschlafen. Ins Bett gehen.

Jonathan Böhm , Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ausgiebige Spaziergänge an der frischen Luft und regelmäßig und idealerweise zweimal am Tag: Sauerkraut. Bier in Maßen. Und wenn wir nicht nach draußen können, ist es immer noch wichtig, dass wir uns in unseren schönsten Kleidern vor den Spiegel stellen und uns hemmungslos schön finden. Dabei versuchen, uns in die Augen zu schauen, bis uns die Tränen kommen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Die Rolle, die ihr immer schon zugekommen ist: zu hinterfragen, wer wir eigentlich sind und sein wollen. Einzeln oder in Gemeinschaft. Dabei muss die Literatur das Leben nehmen wie ein Kellner das Tischtuch, auf dem eine Festgesellschaft Teller mit abgenagten Knochen, eine nach Flieder duftende Grußkarte, fettige Servietten mit Abdrücken soßenbekleckerter Münder, Aschenbecher mit Zigarettenstummeln darin, Blumensträuße und Tassen mit Kafferändern hinterlassen hat und sie muss es zuknoten, und mitnehmen. Und in dem Aneinandegeschmiegtsein dieser groben Gegensätze kann sie dann Schönheit und Anmut finden.

Was liest Du derzeit?

Vítěslav Nezval:  Sexuelles Nocturno, Sajath-Nova: Thamam ašchar – Die ganze Welt, Stepahnie Haerdle: Spritzen eine Geschichte der weiblichen Ejakulation. Milena Jesenská: Prager Hinterhöfe im Frühling – Feuilletons und Reportagen von 1919-1939, sowie: Das Noma-Handbuch Fermentation: Wie man Koji, Kombucha, Shoyu, Miso, Essig, Garum, milchsauer eingelegte und schwarze Früchte und Gemüse herstellt und damit kocht.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Aus dem Roman Nadja von André Breton: „Und ich werde auch weiterhin in einem gläsernen Haus wohnen, wo alles aus Glas ist, wo ich jeden sehen werde, der über die gläsernen Stufen zu mir kommt, dort, wo ich auf einem gläsernen Bett schlafen werde, und mich mit einem gläsernen Laken zudecken werde, auf dem früher oder später die mit einem Diamanten eingeritzte Inschrift erscheint… Wer bin ich?“

Vielen Dank für das Interview lieber Jonathan viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Jonathan Böhm, Schriftsteller

Foto_Sven Mersiowski

28.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Die Kunst wird sich verändern“ Olivia Altmann, Künstlerin_Wien 22.2.2021

Liebe Olivia, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Momentan sieht mein Tagesablauf so aus, dass ich als Erstes nach dem Aufstehen mir meinen Kaffee mache und meinen Tag sowie Todos durchgehe.

In Zeiten wie Lockdown bin ich sehr an mein Macbook gebunden und auch künstlerisch sehr inspiriert durch die mediale Welt. Dann begebe ich mich in mein Studio und wandere gedanklich von einem Bild zum anderen. Und dann geht`s los.

Olivia Altmann, Künstlerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Corona hat uns als Künstler sehr getroffen, da wir vom persönlichen Austausch mit anderen Kollegen, Gallerien, sowie Ausstellungseröffnungen leben. Da reicht die digitale Kommunikation nicht aus. Ein Bild zum Beispiel wird vom Betrachter ganz anders aufgenommen, wenn dieser/diese vor dem Kunstwerk steht. Auch wird sich unsere Zukunft sehr verändern, weil wir Künstler gezwungen wurden mit dieser „neuen Welt“ umzugehen und neue Wege für unseren Austausch finden werden.


Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt
dabei der Kunst an sich zu?

Die Kunst wird sich verändern. Wir werden meiner Meinung nach eine neue Ruhe finden, denn am Beispiel Lockdown haben wir alle gesehen wie unwichtig vieles eigentlich ist. Das Konzentrieren aufs Wesentliche wird eine springende Rolle spielen.

Was liest Du derzeit?

Momentan lese ich von C.G. Jung „Archetypen“.


Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Get movin.

Vielen Dank für das Interview liebe Olivia, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Olivia Altmann, Künstlerin

Olivia Altmann – akad. Künstlerin mit Ausstellungen in Wien und Moskau (olivia-altmann.at)

Foto _ privat

27.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Dieser große Stopp, den die ganze Welt gerade erfährt, war die einzig logische Entwicklung “ Michaela Khom, Sängerin_Wien 21.2.2021

Liebe Michaela, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

…sehr dicht! Ich versuche immer sehr früh aufzustehen, Sport zu machen und mir dann ausreichend Zeit zum Frühstücken zu nehmen, bevor ich in die Arbeit fahre. Derzeit bin ich nämlich halbtags als Musik- und Chorlehrerin in einem Gymnasium tätig. Ich bin dann meistens schon gegen Mittag wieder zuhause und widme mich an den Nachmittagen allen künstlerischen Belangen. Momentan male ich sehr viel, aber wenn es wieder mit Konzerten losgeht, nutze ich die Zeit um neue Lieder einzustudieren, etc. Außerdem bin ich gerade dabei neue Songs zu schreiben (Ich habe im Herbst 2019 mit meiner Band „Die Duetten“ unser Debütalbum herausgebracht und es ist einfach Zeit an was Neuem zu arbeiten).

Michaela Khom, Sängerin, Schauspielerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Geduld. Man mag an das Schicksal glauben oder auch nicht, aber ich glaube dieser große Stopp, den die ganze Welt gerade erfährt, war die einzig logische Entwicklung aus diesem ständigen „höher, weiter, schneller“, das in den letzten Jahren wirklich an die Spitze getrieben wurde und ich hatte immer das Gefühl, dass es nicht ewig so weitergehen kann. In welcher Form die Menschheit jetzt zum Einhalt gezwungen wird, damit hat wohl niemand gerechnet, aber meist passieren die Dinge ja sowieso ganz anders als geplant und trotzdem machen sie hinterher total Sinn. Aber ja, ich glaube Geduld ist das Stichwort, ich steh ja selbst auch die Hufe scharrend in den Startlöchern, möchte endlich wieder auf die Bühne, singen, tanzen, meine Leidenschaft leben. Aber wenn ich sehe, dass viele Menschen gerade ihre Liebsten an diese Krankheit verlieren, oder selbst mit den Folgen zu kämpfen haben, dann muss ich einfach mal meine eigenen Bedürfnisse zurückstecken.

Also: abwarten, beten und die Zeit anders nutzen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Das frage ich mich jeden Tag. An schlechten Tagen habe ich Angst, dass das Bedürfnis nach Theater nach der Krise nicht mehr da sein wird, dass Netflix und Co. die Leute an ihre Couches fesseln und sich niemand mehr aufraffen wird, abends ins Theater zu gehen. An guten Tagen denk ich mir, wir haben schon Schlimmeres überwunden. Ich glaube wir sind uns alle einig, dass sich die Gesellschaft gerade wandelt. Aber, vielen ist vermutlich nicht bewusst, dass wir uns ständig im Wandel befinden, vielleicht nicht so deutlich, aber Stillstand per se gibt es nicht. Jetzt krampfhaft an alten Mustern, Gesellschaftsformen, Kunstformen etc. festzuhalten wäre glaube ich nicht förderlich, höchstens frustrierend. Es wird schon alles kommen wie es kommen soll und es wird gut sein.

Was liest Du derzeit?

Also angefangen liegen auf meinem Nachttisch „On Being Human“ von Jennifer Pastiloff  und „City of Girls“ von Elizabeth Gilbert. Aber momentan komm ich nicht so viel zum „Vergnügungslesen“, sondern lese viel für Uni und Arbeit, z.B schreibe ich gerade eine Arbeit über den Topos des verrückten Künstlers und lese dafür E.T.A Hoffmanns „Kreisleriana“.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Gerade geht alles drunter und drüber…ich lehne mich zurück, denk mir lächelnd „S‘Leben“. Wenn man über das Außen keine Kontrolle mehr hat, kann so eine staunend beobachtende und nicht urteilende Haltung helfen nicht durchzudrehen. Und da passt ganz gut ein Gedicht von Rainer Maria Rilke (übrigens auch ein Zitat aus „Wie ist es möglich da zu sein?“, ein Stück in dem ich mitwirke, das hoffentlich bald in der Theater Arche aufgeführt werden kann).

„Du musst das Leben nicht verstehen,

dann wird es werden wie ein Fest.

Und lass dir jeden Tag geschehen

so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen

sich viele Blüten schenken lässt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,

das kommt dem Kind nicht in den Sinn.

Es löst sie leise aus den Haaren,

drin sie so gern gefangen waren,

und hält den lieben jungen Jahren

nach neuen seine Hände hin.“

Rainer Maria Rilke, 8.1.1898, Berlin-Wilmersdorf

Vielen Dank für das Interview liebe Michaela, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Musik-, Theaterprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

Michaela Khom, Sängerin, Schauspielerin

5 Fragen an KünstlerInnen:

Michaela Khom, Sängerin, Schauspielerin

Michaela Khom (michaela-khom.at)

Fotos_1 und 6 Jennifer Pöll; 2-5: Birgit Machtinger

13.2.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Ohne Kunst findet Demokratie nicht statt!“ Karin Prucha, Schriftstellerin_ Klagenfurt 21.2.2021

Liebe Karin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Als Künstlerin, die viel zuhause arbeitet, hat sich der Tagesablauf nicht verändert. Schreiben ist immer eine Art Klausur, in der ich in andere Welten abtauche, genauso wie die künstlerischen Prozesse, in denen ich Neues entwickle. So wie jetzt, ich schreibe am neuen Roman, bereite eine Installation für eine Fotoausstellung vor, konzipiere das nächste Literatur-Projekt im Öffentlichen Raum, plane ein über die österreichischen Grenzen hinausgehendes künstlerisches Projekt mit einer zeitgenössischen Tänzerin/ Choreographin und einer Jazz-Sängerin/ Komponistin, und bin mittendrin in einer künstlerischen Zusammenarbeit mit einer Kärntner bildenden Künstlerin. Meine Gedanken sind frei, ich schreibe, plane, telefoniere von zu Hause aus. Das Schreiben vorwiegend am Abend und in der Nacht.

Karin Prucha, Schriftstellerin, Künstlerin

Was aber gänzlich anders geworden ist, komplett aufgehört hat, ist meine Arbeit am Theater, das Tanzen, die Lesungen und der Kontakt zum Publikum. Das findet nicht statt, das gibt es einfach nicht mehr. Eine Theater-Produktion wurde zum xten Mal verschoben, neue Aufträge gibt es nicht. Das ist hart, auch für das Einkommen. Die Präsentation meines neuen Buches „Anderland. druga dežela“ (mit wunderbaren Übersetzungen ins Slowenische von Ivana Kampuš) steht in den Corona-Sternen. Das ist schon eigenartig, ein Buch veröffentlicht zu haben und es nicht mit Publikum einweihen zu können. Kunst ist nicht für’s stille Kämmerchen gedacht, sondern für die Menschen, für die Gesellschaft! Die Auseinandersetzung, der Diskurs, der direkte Kontakt fehlen, und sie sind nicht ersetzbar!

Hoffnung machen die bereits fixierten Einladungen zu Lese-Terminen im Sommer. Aber auch die sind natürlich corona-abhängig.

Also arbeite ich schreibend und hoffend zu Hause, gehe oft in die Natur, auf Berge, in den Wald, wandernd, fotografierend, nachdenkend Gedanken sammelnd. Es sind die Augenblicke im Selbst mit dem in der Stille entstehenden Glück, die Kraft geben für die Zukunft.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Mut, Zuversicht, Freude am Leben! Nicht in Agonie zu verfallen! Und dennoch genau zu beobachten, zu hinterfragen und gegenzuhalten, was da in der Gesellschaft geschieht, was von der Regierung kommuniziert wird und in der medialen Berichterstattung, welche Ängste damit auf den Teller gehoben werden, welche der Corona-Massnahmen widersprüchlich sind und welche Werte diese Massnahmen vermitteln. Zulassen, dass man möglicherweise auf brennende Fragen keine Antworten nach dem Warum hat. Es geht mir selber so, ich nehme Worte, Zustände, Werthaltungen wahr, die der Demokratie höchst abträglich sind, aber nicht auf alles, was ich beunruhigend finde, habe ich eine Antwort zum Dahinter. Und dennoch: wichtig ist, nicht in Angst zu fallen oder in Aggression, wenn das Gegenüber eine andere Meinung vertritt! Ich habe das Gefühl, die Gesellschaft wird zunehmend polarisierter, unsolidarischer und aggressiver. Auf beiden Seiten der Polarisierung Angst. Angst vor dem Corona-Virus und Angst vor den Corona-Massnahmen. Beides verbunden mit den Vorstellungen von qualvollem Sterben oder der Aufgabe des eigenen Selbst. Begegnungen mit Menschen werden wie zu einem russischen Roulette mit Todesfolge umgewertet. Eine unglaubliche entsetzliche Vorstellung, die Angst macht und lähmt! Genau das ist der falsche Weg.

Daher: Nicht die Lust am Leben verlieren! Mit allen Sinnen wahrnehmen, leben, genießen! Die Natur, mit Freunden, lieben Menschen. Und auf die Mitmenschen schauen!

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ohne Kunst findet Demokratie nicht statt! Ohne Kunst findet Gesellschaft nicht statt! Für Demokratie ist Kunst, Kultur, Literatur so wichtig wie ein Bissen Brot! Dass die kulturellen Veranstaltungen so an den Schluss von Lockerungen gesetzt werden, stimmt mich sehr bedenklich. Aber auch in Vor-Corona-Zeiten hatte es die Kultur schwer. Die freie Szene ganz besonders. Hier wäre ein Umdenken längst angebracht, eine höherdotierte Förderung für die freischaffenden Künstler*innen, Literat*innen und Kulturinitiativen dringend notwendig, die Einnahmen, Arbeitsbedingungen und Strukturen sehr deutlich verbessern.

Ein Aufbruch in eine längst fällige Änderung unseres ausbeuterischen ungleichen kapitalistischen Systems wäre so notwendig und jetzt wäre eine Chance dazu. Wir sehen doch alle, dass unser Planet das Ausnutzen und Missbrauchen nicht ewig tragen kann. Die Menschen auch nicht. Wir brauchen eine solidarische Gemeinschaft, eine lustvolle Gemeinschaft, die sich für das demokratische, ökologische und ökonomische Wohl unserer Gesellschaft einsetzt und es lebt! Ein Aufbruch in eine andere Gesellschaftsordnung, weg vom gewinn- und leistungsorientierten Konkurrenzdenken auf Kosten anderer hin zu Kooperation, weg von Abwertungen anderer hin zu Gleichberechtigung und Frieden. Den Finger auf die offenen Wunden zu legen und die Ungerechtigkeiten zu thematisieren, immer wieder, ist eine der Aufgaben von Kunst, Kultur, Literatur.

Was liest Du derzeit?

„Zorn und Stille“ von Sandra Gugić. Ihre Themen sind Freiheit und Verantwortung, Liebe und Verlust, Herkunft und Selbstbestimmung.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Wahrscheinlich sind wir alle ebenso verbunden, wie wir voneinander getrennt sind, ob wir es nun anerkennen oder nicht.“ Und ich füge hinzu: Die Verbundenheit bezieht sich auf die Menschen wie auf alle Wesen dieses Planeten. Das Sein im eigenen Selbst ist eine hohe Kunst, ohne das Eigene zu kennen, erkennen wir nicht das Gemeinsame.

Vielen Dank für das Interview liebe Karin, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Karin Prucha, Schriftstellerin, Künstlerin

Literaturhaus Wien: Prucha Karin

Foto_Karin Prucha

26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Die Realität ist ein sehr fragiles Konstrukt, das immer auch Fiktion ist“ Alem Grabovac, Schriftsteller_ Berlin 21.2.2021

Lieber Alem, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mein Roman „Das Achte Kind“ ist vor drei Wochen erschienen. Das mediale Interesse ist groß, ich gebe gerade viele Interviews.

Alem Grabovac_Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Keep Calm and Carry On.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Die Realität ist ein sehr fragiles Konstrukt, das immer auch Fiktion ist. Und die Fiktion, die Kunst ist und bleibt die Essenz von Realität.

Was liest Du derzeit?

Die Erzählungen von Juan Carlos Onetti. Bei ihm ist alles so wunderschön düster.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Und der beste, wenn er eins tut, tut er alles, oder, um weniger paradox zu sein, in dem einen, was er recht tut, sieht er das Gleichnis von allem, was recht getan wird.“ Johann Wolfgang Goethe. Wilhelm Meisters Wanderjahre

Vielen Dank für das Interview lieber Alem, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte – besonders auch für Deinen neuen Roman „Das achte Kind“ , der aktuell bei hanserblau erschienen ist – und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Alem Grabovac, Schriftsteller

Das achte Kind – Bücher – Hanser Literaturverlage (hanser-literaturverlage.de)

Foto_Paula Winkler

9.2.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Das Überleben ist jetzt unser Thema“ Augusta Laar, Schriftstellerin_ München 20.2.2021

Liebe Augusta, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Gedichte lesen, Texte überarbeiten, Online Unterrichten (Klavier), mich um drei alte Damen kümmern, Abrechnungen machen (Schamrock-Festival der Dichterinnen 2020), neue Anträge stellen, schreiben, Musik machen, Schallplatten hören und kaufen, Video-Formate ausdenken, Mikro-Installationen entwerfen, einen Kunstverein gründen, Konzepte für hybride Veranstaltungen machen, die Vögel füttern – klingt alles ganz normal für ein Künstler*innen-und Veranstalter*innen-Leben, ist es aber nicht, es fehlt das Reisen und der persönliche Austausch, es fehlen Berlin, Wien, Italien und New York. Zeitungen lesen, weiterdenken, weitermachen – aufstehen und weitermachen.

Augusta Laar, Schriftstellerin, Musikerin, Künstlerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Den Kontakt untereinander nicht zu verlieren, sich einbinden in gemeinsame Projekte (z.B. digital), kleine Gespräche führen mit Nachbarn und Freunden, Telefonieren, Skypen, Mails schreiben, Postkarten schreiben, sich verabreden zu Spaziergängen an der frischen Luft. Einige von uns haben in der Pandemie festgestellt: wer keine Termine mehr hat, hat Raum für Ideen …  

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Wir sehen ja was wichtig ist – in Bayern ist das die Hochkultur, für uns Künstler*nnen das Überleben – Wesentlich wird sein: weitermachen, die Verfassung nicht über Bord werfen, auf die Impfung warten –

Wir können uns klar darüber werden wie außergewöhnlich dieses riesige Angebot an kulturellen Ereignissen bisher war, und was wir davon hatten und haben wollen in der Zukunft. Es wurde wenig Kritik geübt, es wurde viel nach Preisen, Bestsellern und Auktionserfolgen geschielt, jetzt wäre Unterscheidung angesagt, was ist wichtig und was nicht. Wo gibt es Kunst, die wirklich zu mir spricht? Wo fühle ich mich als Mensch unter Menschen? Was kann uns als Gesellschaft weiterbringen?

Die Kunst hat immer die gleiche Rolle, ob Virus oder nicht: sie fokussiert, sie fordert und beglückt, sie ist das Material das uns zusammenhält, das uns differenzieren lässt, sie gibt uns Kraft und Hoffnung, gegen Gewalt und Verzweiflung, gegen die Panik. Die Einsamkeit tut ihr nicht schlecht, Isolation führt zu Konzentration (Bazon Brock). Um die Kunst mache ich mir wenig Sorgen, aber um die Künstler*innen doch sehr. Das Überleben ist jetzt unser Thema. Wer keinen guten Verlag hat und keine Preise und Stipendien, und dennoch Kunst macht, ist für uns alle systemrelevant.

Was liest Du derzeit?

Ich lese (eigentlich schon immer) mindestens zehn Bücher gleichzeitig, quer durch alle meine Gedichtbände im Bücherregal und auf den Stapeln neben dem Bett, Sachbücher über Klang, Musik, das Weltall usw.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Bücher sind ja irgendwie Menschenreste“ – Arno Schmidt

Friederike Mayröcker: „Ich brauche die vielen Bücher, die ich mir jeden zweiten Tag kaufe, um jedes ein wenig anzusaugen.“

Vielen Dank für das Interview liebe Augusta, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Lyrik-, Musik-, Kunstprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Augusta Laar_Schriftstellerin, Musikerin, Künstlerin

Augusta Laar (poeticarts.de)

Foto_Alan Grund

13.2.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Ene men muh, draußt bist du!“ Leo Bauer, Regisseur, Wien 20.2.2021

Lieber Leo, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

So wie immer. Aufwachen. Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Snack, Snack, Snack. Schlafen gehen. Dazwischen Facebook. Oder Netflix. Oder beides. Oder Essen.

Leo Bauer, Regisseur, Autor

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

„Bitte bewahren sie Ruhe!“ „Gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!“ „Der Notausgang befindet sich auf der linken Seite!“

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Schauspiel, dem Theater, Film, der Kunst an sich zu?

Die Wahrheit zeigen. Verdeckt, offen, ironisch, ernst, malerisch, spielerisch. Jedenfalls facettenreich.

Was liest Du derzeit?

Die Fragen hier! (Okay nicht die originellste Antwort)

Im Ernst? Hauptsächlich Antragsformulare für Härtefonds.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Ene men muh, draußt bist du!“ Ein Zitat das jedes Leben ganz gut zusammenfasst.

Vielen Dank für das Interview lieber Leo, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Film-, Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Leo Bauer, Regisseur, Autor

Leo Maria Bauer – Unterhaltungshandwerker (wpcomstaging.com)

Foto_privat

26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Aufstieg durch Arbeit, gerechte Verteilung, Wohlstand für alle – das müsste eigentlich nur mehr zynisch wirken“ Romina Pleschko, Schriftstellerin_Wien 20.2.2021

Liebe Romina, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Verloren. Ich hangle mich von Woche zu Woche und bin immer misstrauischer, was die Zukunft angeht. In der Früh versorge ich die Kinder mit Homeschoolingaufgaben, dann sperre ich mich ins Schlafzimmer ein und schreibe auf dem Bett, als “Schreibtisch” nutze ich ein Frühstückstablett. Wenn die Kinder etwas brauchen, müssen sie sich an meinen Mann wenden, der sich auch seit Monaten im Homeoffice befindet. Wir mögen uns gottseidank noch, aber es ist streckenweise wirklich ein freudloses Leben momentan, das Korsett der Arbeit ist übriggeblieben, der Rest verpufft.

Romina Pleschko_Schriftstellerin, Schauspielerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Sich nicht davonreißen zu lassen von den eigenen Gefühlen. Zumindest mir gelingt das nicht immer, die Nerven werden eindeutig dünner.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Die Frage ist, ob diese Pandemie wirklich einen Umbruch einläutet, ob verstanden wird, dass die Freuden des Kapitalismus nur ein gut gepflegter Mythos sind. Aufstieg durch Arbeit, gerechte Verteilung, Wohlstand für alle- das müsste eigentlich nur mehr zynisch wirken, aber es gibt leider so viele Menschen, die noch darauf hoffen, irgendwann teilhaben zu können am elitären Lebensstil der wenigen Profiteure.

Die Kunst kann diese Mythen entzaubern, aber das ist nur eine Facette ihrer unendlichen Möglichkeiten. Sie kann die Menschen durch Umbruchszeiten begleiten, die Seelen aufrauen, damit die Oberflächen poröser werden für die unvermeidlichen Veränderungen.

Was liest Du derzeit?

“Dicht” von Stefanie Sargnagel, das habe ich mir zu Weihnachten gewünscht. Als gebürtiges Landei lese ich mich begeistert durch eine Stadtkindjugend vom Feinsten.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Passend zur Pandemie:

Bruscon zu Frau Bruscon, die die ganze Zeit gehustet hat:

“Der einzige Reiz an dir ist der Hustenreiz”

(aus Thomas Bernhards “Der Theatermacher”)

Vielen Dank für das Interview liebe Romina, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literatur-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Romina Pleschko, Schriftstellerin, Schauspielerin

Aktueller Roman:

Ameisenmonarchie – Kremayr & Scheriau (kremayr-scheriau.at)

Foto_Nadine Studeny

10.2.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Ich wünsche mir eine differenzierte und respektvolle Gesprächskultur, ja auch und gerade eine Streitkultur.“ Christiane Spatt, Künstlerin_ Wien 19.2.2021

Liebe Christiane, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich lasse mir mehr Zeit bzw. habe ich gerade mehr Zeit, die ich mir frei einteile. So gibt es nun auch unter der Woche Tage, an denen ich ausschlafen kann, ohne dass der Wecker läutet, was ich sehr genieße! Ich träume zur Zeit intensiv und schreibe mir die Träume auf, während ich meinen Frühstückskaffee trinke, ohne Kaffee geht erst mal gar nix. Dann lese ich online Zeitung (wahrscheinlich wäre es schöner, wieder „analog“ Zeitung zu lesen..mein Vorsatz, das Rascheln und der Geruch des Papieres fehlt am Computer sehr), beantworte mails und schau auch mal einfach nur in die Luft.

Christiane Spatt_ „Wen die Götter lieben“ 2015

Da ich in meinem Homeatelier arbeite, hab ich es nicht weit zum Arbeitsplatz, genau genommen 30 Schritte (ich hab sie gerade gezählt) und ich bleibe durchaus bis Nachmittag ungekämmt und im Pyjama (außer ich hab ein online meeting, da sollte ich zumindest oberhalb der Gürtellinie ansehnlich sein).

Mein Atelier ist auch mein Fotostudio, das ich im 1.Lockdown dank der Förderungen für KünstlerInnen besser ausstatten konnte mit Fotoleuchten und Hintergrundstativen. Profifotografin bin ich dennoch keine, ich verwende die Fotografie als Medium, um meine Inszenierungen festzuhalten und hätte am liebsten eine Kamera, die alles von selber macht. Auch wenn ich sonst gerne Menschen um mich habe, möchte ich bei der Arbeit alleine sein, und so entstehen meine Selbstportraits mit 10 Sekunden Selbstauslöser.

Mein Luxus zur Zeit ist es, nicht nur auf Ausstellungen und Termine hinzuarbeiten, ich habe mehr Zeit und Muse, etwas zu entwickeln, auszuprobieren, zu spinnen, zu spielen und eventuell auch wieder zu verwerfen. Die Kehrseite der Flexibilität ist die Unberechenbarkeit, ob Ausstellungen und Präsentationen stattfinden können. Seit März 2020 lebe ich, wie die meisten,  mit Absagen und Verschiebungen, die Motivation bezüglich Planung sinkt. Dennoch arbeite ich gerade an Ausstellungskonzepten und Einreichungen, daher sitze ich neben dem Fotografieren, Zeichnen, Malen auch viel am Computer.

Christiane Spatt „dear darling“ 2014
Christiane Spatt_“als ob“ 2020

Mein Yogakurs bei Sabine Müller-Funk (eine wunderbare Yogalehrerin und tolle Künstlerin) findet als Höryoga statt. Seit über 4 Jahren singe ich mit dem einzigartigen Wiener Beschwerdechor (unter der Leitung von Oliver Hangl und Stefan Foidl). Zur Zeit proben wir online, d.h. wir schalten uns alle stumm und hören nur unseren Chorleiter, den ein miteinander klingt verzerrt. Aber immerhin proben wir!

Täglich Frischluft und Bewegung verdanke ich meinem Herrn Hund. Im Frühling habe ich das Radfahren wiederentdeckt, aber ich bin eindeutig eine Frühling/Sommer/Herbst Radlerin, den Winter lasse ich aus. Schmerzlich vermisse ich die Kontakte „in echt“, meine FreundInnen, KollegInnen, die Vernissagen, Kaffeehäuser, Bars, Museen..auch die Malgruppen mit Menschen mit psychischen Erkrankungen, die ich leite können nicht stattfinden. Letztens beim Buchteln holen in der Vollpension mit dem fröhlichen Team kamen mir unvermutet die Tränen, zwischen Freude und Traurigkeit.

Grundsätzlich mag ich Menschen um mich, ich arbeite gerne in Teams, Kooperationen, Netzwerken. Umso mehr schätze ich die „kleinen“ Begegnungen im Alltag, trotz Maske – meinen Schneider ums Eck, die italienische Pasticceria, ein kurzer Plausch mit Nachbarinnen.. Und mein Anker ist meine Familie (inklusive Haustiere). Den Rest erlebe ich in meinen Träumen, wenn ich dann weit nach Mitternacht schlafen gehe.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Den Humor nicht zu verlieren. Und sich nicht vereinnahmen lassen von der Angst, die uns lähmt. Wir sollten es uns möglichst fein machen.

Am meisten bedrückt mich die Spaltung der Gesellschaft und die Abwertung der jeweils anderen Position, das ist an sich keine neue Entwicklung, die aber in Krisen deutlicher wird. Als gäbe es nur schwarz oder weiß und einer hat recht. Ich wünsche mir eine differenzierte und respektvolle Gesprächskultur, ja auch und gerade eine Streitkultur.  Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld zwischen Individualismus und Kollektivismus, Selbstbestimmung und sozialem Handeln. Und dieses System scheint gerade aus dem Gleichgewicht.

Christiane Spatt_“alles besser“ 2015

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?

Ich habe keine Ahnung, wie sich die Situation noch weiterentwickeln wird. Viele stehen jetzt schon vor einem Scherbenhaufen, andere blühen auf, da sie nun viel Zeit haben und weniger Druck. Wir leben in Parallelwelten. Ich wünschte, es fände ein breites Umdenken statt – und wir leben umwelt – und ressourcenbewusst, tolerant, inklusiv und sozial. Davon werde ich heute träumen.

Tatsächlich wäre nun der ideale Zeitpunkt, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu etablieren.

Die Kunst betreffend ist das der Weg, diese ein Stück zu befreien aus der Abhängigkeit vom Kunstmarkt und Marktwert. Denn Kunst ist der Seismograph und Spiegel einer Gesellschaft. Und wenn ich mir noch etwas wünschen könnte, dann dass wir uns endlich von dem Schönheitsbegriff verabschieden, der immer noch als Kriterium für Kunst herumspukt. In diesem Sinne ist mir auch das Vermitteln von Kunst und Öffnen neuer Räume im weitern Sinne ein Anliegen.

Gerade jetzt, wo wir großteils vereinzelt leben und arbeiten, sehe ich die Notwendigkeit, eine individualistisches Weltbild zu überdenken und Chancen in der Hinwendung zu kollektiven und sozialen Handeln. Das gilt auch und gerade im Bereich der Kunst, die auch hier exemplarisch fungieren kann.

Christiane Spatt_“dies alles“ 2017

Was liest Du derzeit?

Ich gestehe – ich bin eine Sonntags-und Urlaubsleserin. Ich lese ausgesprochen gerne Biografisches und Bücher, die mich in bezug zu meiner künstlerischen Arbeit interessieren.

Zur Zeit lese ich „Sechs Lebensgeschichten von Frauen“, Hg Toni Distelberger. Außerdem und immer wieder lese und blättere ich im „Insektenbuch“ von Maria Sybilla Merian. Zur Erheiterung liegt der Katalog „Viral“ mit Zeichnungen von Aldo Gianotti bereit. Joachim Meyerhoff „Hamster im hinteren Stromgebiet“ ist noch in der Warteschleife.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Gut, dass ich auch etwas tun kann, nicht nur wünschen und träumen.

In diesem Sinne das Zitat von Louise Bourgeois :

I did everything I could every day of my life!

Christiane Spatt, Künstlerin

Vielen Dank für das Interview liebe Christiane, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Christiane Spatt, Künstlerin

Christiane Spatt

Foto_Porträt_Alexandra Hager

Kunstobjekte_Fotos_Christiane Spatt

26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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