„Es ist noch gar nicht annähernd absehbar, was da noch alles auf uns zukommt“ Gudrun Liemberger, Musikerin, Wien 16.1.2021

Liebe Gudrun, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Derzeit geh´ ich spät schlafen und stehe spät auf. Ich trinke am Morgen Kaffee, mache möglichst täglich 30 Minuten Yoga. Checke meine Mails und Social Media Plattformen. Arbeite an meinen neuen Songs, die hauptsächlich im vergangenen Jahr entstanden sind und erstmals zahlreich in deutscher Sprache. Einmal am Tag koche ich. Wenn ich Pause brauche spiele ich mit meinem Freund – der in München lebt und eben zu Besuch ist – Kniffel oder auch was anderes. Erledige wenn nötig Einkäufe oder gehe auch mal kurz spazieren. Zwischendurch setze ich mich mit Corona und Politik auseinander, schreibe oder telefoniere mit Familie und Freunden.

Gudrun Liemberger, Musikerin, Schauspielerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Psycho-Hygiene. In der Selbstliebe bleiben.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, der Kunst an sich zu?

Das Wichtigste ist glaube ich, dass wir möglichst zusammenhalten. Es ist noch gar nicht annähernd absehbar, was da noch alles auf uns zukommt. Da fürchte ich, sind wir noch am Anfang. Auch zu unterscheiden „was uns erzählt wird“ und wie unsere persönliche Wahrheit aussieht. Das sind ganz wichtige Themen, mit denen wir Musik- und Kulturschaffenden uns auseinandersetzen können und sollten. Kunstschaffende waren immer wesentlich beteiligt als Transporteure und Transformatoren von Emotionen, Bildern einer bestimmten Zeit und haben auch „aufgezeigt“. In einigen meiner neuen Lieder setze ich mich mit dem Zeitgeist auseinander und werde noch Mut brauchen, die rauszubringen. Ich sehe jetzt schon anhand div. Posts wie sehr viele Menschen sich – einfach nur durch eine andere Sicht der Dinge – angegriffen fühlen. Aber es ist enorm wichtig, sich eine freie Meinung bilden zu dürfen und das auch hoch zu halten. Den Umgang damit müssen wir als Gesellschaft offensichtlich noch üben…

Was liest Du derzeit?

„Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“ – wie sich dein Leben verbessert, wenn du dich endlich locker machst, von Alexandra Reinwarth. Hat mir meine Tochter zu Weihnachten geschenkt 🙂

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Normen am Arsch vorbei“

Vielen Dank für das Interview liebe Gudrun, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Musik-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Gudrun Liemberger_Musikerin, songwriter, Schauspielerin

https://www.gudrunliemberger.com

Foto_Timo Hormtientong

2.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Die Kunst und das Theater müssen näher an die Leute“ Beatrix Brunschko, Schauspielerin_Graz 16.1.2021

Liebe Beatrix, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich schlafe ein bißchen länger als sonst und dann verbringe ich die meiste Zeit im Internet. Entweder unterrichte ich online (ich bin Lehrbeauftragte der Kunstuni Graz auf der Abt. Schauspiel) meine Schauspielstudierenden Online, nehme an Lehrendenbesprechungen teil oder an Planungsbesprechungen im Theater, entwickle Lehrkonzepte oder Showkonzepte am Computer, ich probe online und Performer online. In den Zeiten wo Präsenzunterricht oder Proben im Theater möglich sind, verlasse ich die Wohnung.

Ich versuche täglich spazieren zu gehen, manchmal im Abstand mit FreundInnen und/oder KollegInnen. Privatgespräche und Arbeitsgespräche werden da geführt.

Ich arbeite eigentlich ganz „normal“ weiter und mache das, was ich sonst auch tue. Unterrichten, proben, spielen, improvisieren – aber wie ich das alles gerade tue ist völlig neu. Ich betrete jeden Tag Neuland und improvisiere meinen Beruf und mein Leben. ich lebe von Moment zu Moment, planen ist sinnlos, Kontrolle über Termine und Inhalte gibt es nicht. Impro eben – nur halt nicht auf der Improbühne sondern in real life most of the time in the world wide web.

Und ich gehe täglich Einkaufen (Lebensmittel) und ich koche täglich und ich esse zuviel. Die Abende sind bis auf die online Shows frei. Das ist ungewohnt, aber auch nicht unangenehm. Ich dachte nicht, dass ich das jemals sagen werde, aber ich hab gerne am Abend frei und ich verbringe gerne meinen Abend mit meiner Familie und vorm Fernseher.

Beatrix Brunschko, Schauspielerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Dass wir solidarisch bleiben, dass wir neue künstlerische Formen finden, dass wir das Theater jenseits des angestammten Bühnenraums und der gewohnten Bühne/Publikumssituation neu erfinden.

Dass wir dafür ehrliches Interesse und Lust entwickeln und es nicht nur tun, weil uns ja nix anderes übrig bleibt und darauf warten, bis wir wieder so weitermachen können wie wir es gewohnt sind. Weil – und das ist meine feste Überzeugung – so wie es war wird es nie mehr wieder werden. Wegen COVID und den Rattenschwanz, den dieser Virus gesundheitlich nach sich zieht. Wegen den für immer geänderten Arbeits- und Lebensbedingungen, die an dieses Virus angepassen werden müssen. Wegen der veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen, mit denen wir in Zukunft alle konfrontiert sein werden.

Dass wir uns weiterhin Gehör verschaffen und auf unsere Arbeitsbedingungen aufmerksam machen. Dass wir da nicht leise werden. Dass wir da lästig bleiben und laut.

Dass wir unsere Netzwerke nutzen und ausbauen und stärken.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Theater ist permanentes Reflektieren der Gesellschaft, Theater ist permanente Veränderung und Neuorientierung. Theater ist immer suchend und nie zufrieden.

Das war so und wird sich nicht ändern.

Die Frage ist vielmehr, welche Bedeutung wir uns KünstlerInnen endlich gegeben, denn ohne uns ginge es hier im Lockdown ebensowenig wie ohne die SupermarktmitarbeiterInnen und PflegerInnen und Ärztinnen und Lehrenden etc, die als systemrelevant an vorderster front ständig wertschätzend genannt werden.

Die Kunst und das Theater müssen näher an die Leute. Es muss den Leuten klar gemacht werden, dass wir nicht nur auf den Bühnen und Museen existieren als Zeitvertreib für einen elitären Zirkel von kunstinterssierten Menschen.

Auf allen Bildschirmen, im Radio, in jedem Buch auf und in allen Medien (von Netflix, Ö3, Antenne Steiermark über Playstationspiele etc.) das ist alles von KünstlerInnen produziert, das sind alles SchauspielerInnen, MusikerInnen, SynchronsprecherInnen, RegieseurInnen, BühnenbilderInnen, AutorInnen etc.etc.etc. Ohne alle für diese Medien arbeitenden KünstlerInnen wäre ein Lockdown gar nicht möglich. Die Menschen wären längst auf den Straßen oder im Irrenhaus, wenn sie nicht mit Hilfe der Kunst in allen Formen am Leben gehalten worden wären in den letzten Monaten.

Die Kunst ist überlebensnotwendig und systemrelevant.

Das muss ENDLICH klargestellt werden von der Politik und der Wirtschaft. Denn ganz nebenbei ist die Kunst ja auch noch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeberin.

Was liest Du derzeit?

Stephanie Sargnagel: Dicht

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Ach, da fällt mir gerade gar nix gescheites ein. Ich schlag einfach die Sargnagel auf, weil die passt sehr oft zum Leben oder zumindest so wie ich das Leben oft wahrnehme.

 „Ich will was gewinnen, einfach irgendwas, irgendwann, irgendwo!“

Vielen Dank für das Interview liebe Beatrix, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Theater-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Beatrix Brunschko _ Schauspielerin _Gründungsmitglied _Ensemble Theater im Bahnhof _ Graz

Theater im Bahnhof (theater-im-bahnhof.com)

Foto__Marija Kanizaj

14.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Aber ich glaube, jeder braucht eine Geschichte, aus der er Kraft zieht“ Annett Groh, Autorin, Dresden_16.1.2021

Liebe Annett, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich beneide alle ein wenig, die sagen, an ihrem Tagesablauf habe sich faktisch nichts geändert. Für mich ist alles anders: ich habe erst ab dem späteren Nachmittag einen Arbeitsplatz, vorher gibt es Homelearning für einen Sechst- und einen Viertklässler. Anfangs habe ich versucht, parallel mit den Kindern zu arbeiten. Das hat nicht funktioniert und am Schluss waren wir alle frustriert. Wenn die Kinder lernen, muss ich geistig für sie da sein und ihnen nicht nur zu Mittag ein schnelles Essen hinstellen. Ich muss mich mit ihnen durch das Chaos der schlecht programmierten Online-Plattformen kämpfen, ich muss Antworten finden, wenn sie Fragen haben – und wenn sie einen Durchhänger haben, muss ich das auch irgendwie abfangen. Wenn ich mich dann an den Rechner setzen kann, bin ich oft schon ziemlich erledigt.

Annett Groh, Autorin und Redakteurin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Vielleicht sind es die Tugenden, die auch sonst wichtig sind und die wir jetzt in besonderem Maße (1) benötigen und (2) zu geben kaum imstande sind: Geduld und Langmut mit anderen Menschen. Sowas fällt mir immer nur dann ein, wenn ich mit mir selbst halbwegs im Reinen bin. Das macht es nicht ungültig, aber fakt ist: In Momenten, wo ich Hilfe bräuchte, bin ich oft gar nicht in der Lage, Ratschläge anzuhören oder den Sinn solcher Vokabeln zu erfassen. Wenn ich Glück habe, erinnere ich mich in solchen Augenblicken an meine Großeltern, die nach dem Krieg aus Ungarn ausgesiedelt wurden und hier mit nichts in den Händen neu beginnen mussten: in einem Land, mit dem sie nicht einmal die Sprache wirklich gemeinsam hatten. Dagegen nehmen sich meine derzeitigen Probleme sehr klein aus. Natürlich hilft diese Geschichte niemandem außer mir selbst. Aber ich glaube, jeder braucht so eine Geschichte, aus der er Kraft zieht. Sie muss keine Rückschau sein: bei anderen ist es vielleicht ein Blick in die Zukunft, ein Ziel, das sie erreichen wollen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ich kann darüber nur aus der Position des Rezipienten sprechen – über das, was ich in der Arbeit anderer finde. Kunst vermag heute das, was sie immer vermag: Horizonte zu öffnen. Das Leben fühlt sich gerade an wie damals Anfang der 90er auf dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin. Man verhungert nicht gerade, aber alles, was man außerhalb der Wohnung machen kann, ist, sich Wege zu suchen, auf denen man möglichst niemandem begegnet. (Das war auf dem Dorf leichter.) Wenn in eine solche Wüste dann ein Funke fällt, kann er alles entzünden. Ich glaube, Heranwachsende sind am aufnahmefähigsten für solche Erschütterungen durch eine Musik, einen Text, ein Bild. Ich glaube auch, dass wir durch diese kulturelle Fastenzeit wieder aufmerksamer werden und den Wert von live gespielter Musik, von Theater, von Lesungen höher schätzen.

Was liest Du derzeit?

„Die Eroberung Amerikas“ von Franzobel wartet auf mich, ebenso wie „Schwitters“ von Ulrike Draesner.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Wenn es möglich ist, dann würde ich gern Musik sprechen lassen.

Vielen Dank für das Interview liebe Annett, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Textprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Annett Groh, Autorin und Redakteurin

Ellipsen […] – Lines of Escape – (annettgroh.de)

Foto_K. Neitzel

10.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Kunst schafft einen Raum für emotionale und intellektuelle Auseinandersetzung und Begegnungen“ Anna Starzinger, Cellistin_Wien 15.1.2021

Liebe Anna, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Das ist eigentlich recht unterschiedlich – je nachdem was gerade zu tun ist – aber 4 Fixpunkte gibt es:
1. Frühmorgens weckt mich (mit einer ähnlich hohen Wahrscheinlichkeit, wie die Sonne täglich aufgeht) meine Katze. 
2. Zitronen-Ingwer-Wasser und/oder Kaffee
3. Versuche ich unterzubringen, dass ich täglich mind. 1-2 Stunden an der frischen Luft bin – die Spaziergänge oder (bei wärmeren Temperaturen) kleinen Radtouren sind zusätzlich eine gute Unterstützung der künstlerischen Inspiration, da die Gedanken und Ideen hierbei freien Lauf haben. Und die Natur ist eine gute Lehrmeisterin…
4. Üben, Texte lernen/lesen/reflektieren, Kontakt (zumindest virtuell oder telefonisch) mit Familie & FreundInnen, Organisation, Kochen, Meditation, Weiterbildung…

Bei den anderen Punkten meines Tagesablaufs kommt es darauf an, ob es ein Unterrichtstag (Musikschule) ist, oder nicht – ob ich derzeit Recordingsessions oder Kompositions-/Arrangement-Aufträge habe oder E-Castings… fad wird mir trotz Lockdowns nie.

Anna Starzinger _ Cellistin, Komponistin, Schauspielerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich denke Mitgefühl, Werte und Herzensbildung wären für uns wichtig.
Sich individuell und gesellschaftlich vom ständigen, ängstlichen egozentrischen Kreisen um sich selbst zu befreien, den eigenen Kern zu finden und sich so – angstfrei und seiner selbst bewusst – dem „Du“ hinzuwenden und gemeinsam zu wachsen. „Die Anderen“ „das Fremde“ oder „das Flüchtlingskind auf Lesbos“ nicht als Feind zu sehen, sondern als Möglichkeit zur (gemeinsamen) Entwicklung.
Besonders wichtig wäre es die jeweiligen Fluchtursachen zu bekämpfen, anstatt nur oberflächliche Kosmetik à la „aus den Augen aus dem Sinn“ zu betreiben und weiterhin Menschen(kinder) auf europäischem Boden unwürdig vegetieren und sterben zu lassen.
Dieser Thematik müssen wir uns als Menschheit gewissenhaft annehmen.

Weiters bin ich eine Freundin von Klarheit. Klarheit schafft eine gewisse Sicherheit, die besonders in herausfordernden Zeiten wichtig wäre. Klarheit fungiert in stürmischen Zeiten als Fels in der Brandung.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, dem Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Die Lockdowns, die globale Situation wirft den Menschen hart und plötzlich auf sich selbst und seine eigenen individuellen Themen zurück. Es gibt kaum Gelegenheit den eigenen Gedanken, Gefühlen oder der Situation zu entfliehen – das kann unangenehm oder gar hart sein – aber genau das bietet jedem eine individuelle Chance zu wachsen. Ich denke Mut ist wesentlich – Mut sich der eigenen Themen anzunehmen und diese Chance zu wachsen zu ergreifen. Mut …mit einem gesunden Hauch Humor und Optimismus.

Kunst und Kultur gehören, wie wir mittlerweile seit Jahrtausenden Menschheitsgeschichte wissen, zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Kunst kann ein notwendiger Ausdruck der Seele oder des Strebens des Menschen nach „dem Wahren, Schönen und Guten“ sein.
Kunst schafft einen Raum für emotionale und intellektuelle Auseinandersetzung und Begegnungen –  ein gemeinsames Erleben, einen Austausch von Menschen und ihren Gedankenwelten –  und bietet so wertvolle Gelegenheiten zur Selbstreflexion und Weiterbildung.

Was liest Du derzeit?

„Loriot´s kleiner Ratgeber“ liegt im Moment links neben mir. Man kann ja nie wissen…
Rainer Maria Rilkes Gedichte sind ebenfalls ständige Begleiter von mir – zu Weihnachten habe ich deswegen von meiner Mutter eine spannende Rilke Biographie von Fritz J. Raddatz bekommen, die ich heute zu lesen begonnen habe.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt. Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Aus der „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller

Anna Starzinger _ Cellistin, Komponistin, Schauspielerin

Vielen Dank für das Interview liebe Anna, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Musik-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Anna Starzinger_Cellistin, Komponistin, Schauspielerin,

https://www.facebook.com/anna.starzinger

Alle Fotos_Walter Pobaschnig_Cafè Prückel Wien, 1030_11.1.2021.

4.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Und die Literatur? Sie wird kämpfen müssen“ Heinz Kröpfl, Schriftsteller_ St.Michael/Stm. 15.1.2021

Lieber Heinz, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Lieber Walter, wie oft und gerne im Winter: Ich bin sehr vertieft in literarische Tätigkeiten im engeren und weiteren Sinn. Damit beginne ich unmittelbar nach dem Frühstück und an manchen Tagen geht das mit nur wenigen kurzen Pausen bis zum Ende des Tages durch. Im Dezember habe ich meinem neue(ste)n Romanmanuskript den – hoffentlich – letzten Feinschliff verpasst, nicht ohne mir jetzt freilich gewohnt selbstquälerisch Fragen zu stellen: Ist es gut genug? Taugt es überhaupt etwas? Hat es Hand und Fuß – und auch ein überzeugendes Hirn? 😉

Heinz Kröpfl, Schriftsteller _ Foto_Anuradha Sarup

Als Nächstes werde ich die Verlagssuche vorbereiten. Daneben beteilige ich mich an Ausschreibungen, von Literaturzeitschriften etwa, korrespondiere (darunter mit interessierten Leseveranstaltern), und es gibt den einen oder anderen kürzeren oder längeren Text, der auch noch einer Überarbeitung harrt.

Neuerdings habe ich zudem begonnen, mich in Mail Art zu verwirklichen. Auf diese Kunstform aufmerksam gemacht wurde ich erst vor wenigen Wochen von einem lieben Künstlerfreund, Resul Jusufi. Mein erstes kleines Kunstwerk – es ist naturgemäß von textlichem Gewicht, verbunden mit entsprechendem Bildmaterial als Hintergrund – wird im April und Mai bei der International Mail Art Exhibition 2021 zum Thema „Network Society“ in Istanbul ausgestellt und publiziert werden. Das freut mich momentan sehr. Mein zweites Werk ist soeben in die Niederlande unterwegs. Die entsprechenden Texte – Gedichte – habe ich dafür ins Englische übersetzt oder vielmehr gleich auf Englisch verfasst. Auch wenn meine entsprechenden Sprachkenntnisse, mangels Praxis, doch leicht eingerostet waren: Ich finde diese Kunstform anregend und für mich nicht nur interessant, sondern auch sehr passend – ich habe schon früher ein paarmal (und ohne weitere Ambitionen) mit Bild-Text-Montagen gearbeitet und denke, diese Verbindung liegt mir. Neben meiner schriftstellerischen Tätigkeit habe ich mich erstmals ja schon für meinen Lyrik-Foto-Band „Mondgebete und Stoßgedichte“, der im Februar 2019 im Arovell Verlag erschienen ist, auch als künstlerischer Fotograf betätigt. Diese – im Grunde ungeplanten und zufällig entstandenen – Erweiterungen meines Schaffens erachte ich als eine durchaus spannende Komponente, da sie mit meiner eigentlichen Tätigkeit perfekt korrespondiert und harmoniert.

Heinz Kröpfl _ Lesung in Trofaiach am 13.10.2020, bereits unter strengen Sicherheitsmaßnahmen – (c) Toni Steger

Die derzeitige, noch größer Stille als gewöhnlich im Winter tut mir gut. Gleich wie die lange Dunkelheit: Schreiben, kreative Beschäftigung und alles damit in Zusammenhang Stehende erfordern Zeit und (innere wie äußere) Ruhe. Dann gelingt die Besinnung und Konzentration auf das Wesentliche ohne kraft- und zeitraubende Umwege am besten.

Ansonsten: lange Spaziergänge, auch Wanderungen zwischendurch. Besorgungen, sowie sie nötig sind. Lesen. Kontakt mit guten Freunden – per Telefon, E-Mail und dergleichen. Der Haushalt.

Und zwischendurch tut sich Gott sei Dank auch immer wieder Überraschendes, was einen Stillstand verhindert, mich erfreut und zugleich auf positive Weise fordert. So wie etwa deine Interviewanfrage, lieber Walter – danke dafür!

Einzig (positive) persönliche menschliche Gesellschaft, was zurzeit durch die Bundesregierung abermals unterbunden ist, fehlt bisweilen sehr schmerzlich. Und dass es bis zu den nächsten Leseterminen noch ein paar Monate dauern wird. Aber immerhin – es sind bereits wieder ein paar Termine geplant.

Heinz Kröpfl _ letzte öffentliche Lesung am 2.11.2020, nur wenige Stunden vor dem zweiten Lockdown – (c) Luis Stabauer

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Nicht die Nerven zu verlieren.

Sich weder vom Virus noch von der der Politik verrückt machen zu lassen.

Die bereits längst eingetretene, verordnete Spaltung der Gesellschaft nicht ohne Widerspruch hinzunehmen, auch nicht die Zerschlagung der Kultur, was ja sogar bis in die untersten Ebenen reicht, etwa die zwangsweise Schließung von noch so kleinen Büchereien, in denen ganz gewiss kein Massenandrang herrscht.

Milo Dor hat auf dem „Ersten österreichischen Schriftstellerkongress“ 1981 postuliert: „Wenn man nicht untergehen will, muss man Widerstand leisten.“ Ein Satz, der für das ganze Dasein zutrifft, wie ich meine.

Ich befürchte eine Zweiklassengesellschaft auf uns zukommen, tatsächlich hat sie ja bereits begonnen einzutreten: Die Geimpften oder (Frei-)Getesteten auf der einen Seite – und die davon aus verschiedensten Gründen Abstand Nehmenden auf der anderen. Was für mich die Frage erhebt: Wenn ich mich auf dieser, der anderen Seite befinden sollte – werde ich dann zwangsweise sogar von meinen eigenen Lesungen ausgeschlossen und kann sie somit nicht halten? So viel zur vielzitierten Freiwilligkeit: In diesem Fall ermöglichte sie keine Freiheit, sondern sie sperrte diese ein.

Der Virus wird uns voraussichtlich noch länger begleiten. Damit bestmöglich leben zu lernen, wäre ein Auftrag an uns alle.

Am wichtigsten, jetzt und überhaupt, ist Achtsamkeit. Gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen, unserer Umwelt. Und aus dieser Achtsamkeit heraus ein verantwortungsbewusstes Handeln und rücksichtsvolles Miteinander zu leben. Im Sinne des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant etwa. Oder im Sinne der Bergpredigt von Jesus Christus.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Aufbruch und Neubeginn – können wir derzeit davon überhaupt sprechen, Walter, und das für uns alle?

Es wäre gewiss sehr wünschenswert. Doch spurlos werden die einschneidenden Veränderungen nicht an uns vorübergehen. Misstrauen, Angst, Unsicherheit: Das hat sich längst in unsere Seelen gefressen.

Schlagworte wie Zusammenhalt müssten jedenfalls zu einer gelebten Praxis werden. Doch ich bin eher skeptisch: Die Menschheit bzw. unsere Gesellschaft ist wohl eher wenig lernfähig und nur bedingt solidarisch: Viele, allzu viele werden, nach Möglichkeit, überwiegend weiterhin dem Egoismus und Hedonismus frönen. Dass wir eine Ellbogengesellschaft sind, das hat sich – mit einem Augenzwinkern formuliert – ja auch manifestiert: Begrüßungen per Ellbogen gehören inzwischen zum gelebten Alltag.

Und die Literatur, die Kunst? Sie gilt leider allzu oft nicht als Grundlage, sondern als überflüssiger und vernachlässigbarer Faktor unserer Gesellschaft, wird als Erstes eingespart und totgeschwiegen. Und so wird sie kämpfen müssen, gerade die Sparten- und Nischenkultur, die bereits von jeher ums Überleben zu kämpfen hatte. Sie wird das weiter tun – und ihr Stellenwert wird, ganz allgemein, nicht größer werden. Womöglich könnte man bereits von einem Erfolg sprechen, wenn sie nicht gänzlich verschwindet.

Was ich allerdings auf der anderen Seite bereits im Spätsommer und Herbst festgestellt habe: Gar nicht so wenige Menschen sind mittlerweile hungrig auf Live-Kultur – und das gibt mir doch einiges an Hoffnung.

Der erste Lockdown im Frühling hat mich selbst ja sehr hart getroffen – durch die Absage einiger Lesetermine. Auch zuletzt gab es wieder Verschiebungen, doch von September bis Anfang November konnten doch einige Buchpräsentation stattfinden, was insofern äußerst wichtig, ja in gewissem Sinne tatsächlich überlebenswichtig war, als ich eine Neuerscheinung am Start hatte. Derzeit ist bei mir geplant, dass es ab April weitergeht mit den Buchpräsentationen. Und auch das internationale zeilen.lauf-Finale 2020 in Baden bei Wien, in das ich es mit meinem Lyrikbeitrag geschafft habe, ist von November auf kommenden April verlegt worden. Wenn diese Perspektiven wie vorgesehen zur Realisierung gelangen, könnte ich für mich also in der Tat von einem Aufbruch sprechen. Auch daran halte ich mich zurzeit fest.

Was liest Du derzeit?

Eben habe ich von Peter Reutterer „Der Filmgänger“ ausgelesen – ein sehr dichtes und inhaltlich wie sprachlich wuchtiges Buch. Als Nächstes lese ich den neuen Roman von Luis Stabauer, „Brüchige Zeiten“. Sowohl Peter als auch Luis (mit dem ich übrigens wenige Stunden vor dem zweiten Lockdown am Abend des 2. November 2020 auf Einladung von BUCH13 im Eboardmuseum in Klagenfurt gelesen habe) sind Autoren, die ich nicht nur literarisch sehr schätze, sondern mit denen mich seit heuer auch eine aufrichtige Freundschaft verbindet. Unter Schriftstellern ist das, aus meinem Erleben, leider nicht selbstverständlich. Umso mehr freut es mich.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Unwillkürlich fällt mir da etwas aus dem Evangelium nach Matthäus ein:

„Sofort nach den Tagen der großen Not wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.“ (Mt 24,29)

Diese Zeilen habe ich auch gegen Ende meines aktuellen Buches, der Erzählung „Die Leere des Himmels und der Erde“ (Arovell Verlag 2020), erwähnt … und wusste spätestens beim Erscheinen im September, dass dies, während der Arbeit an dem Werk völlig ungeahnt, unsere Tage geradezu erschreckend widerspiegelt.

In die Zukunft kann ich naturgemäß nicht blicken, und so kann ich auch nicht sagen, ob bereits dies die Tage der großen Not sind oder ob die Not nicht noch größer werden wird bzw. wann dies eintreten mag. Umso wichtiger finde ich dafür nun einen anderen, zweiten Impuls, den ich jetzt entschieden vorbringen möchte:

„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“ (Václav Havel)

In diesem Sinne will ich und sollen wir von Hoffnung erfüllt sein …

Vielen Dank für das Interview lieber Heinz, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

Diesen Dank gebe ich herzlich zurück, lieber Walter. Ich wünsche dir das Beste!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Heinz Kröpfl Schriftsteller

Startseite – Heinz Kröpfl, Schriftsteller (jimdofree.com)

https://www.facebook.com/heinz.kroepfl.schriftsteller

28.12.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

„Die Frage wäre also: Wie kann solch ein solidarisches Schreiben in der Zukunft aussehen?“ Lene Albrecht, Schriftstellerin _ Berlin 14.1.2021

Liebe Lene, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ganz ähnlich wie sonst auch, nur dass mein Kind zuhause ist und betreut werden will. Glücklicherweise können mein Partner und ich die Zeit ziemlich flexibel und fair aufteilen. Ein guter Tag startet ohne Ablenkung mit dem Schreiben, aber das passiert zugegeben gerade sehr, sehr selten. Daneben mache ich außerdem die Arbeit für den Rundfunk, mit dem ich die Miete zahle.

Lene Albrecht, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Alle denkbaren Formen solidarischen Handelns wiederentdecken und neue erfinden. Das letzte Jahr hat sehr deutlich die Risse in der Gesellschaft offengelegt. Und mit Solidarität meine ich nicht nur „Maske auf“ (selbstverständlich), sondern auch beispielsweise mit Menschen, die rechter Gewalt ausgesetzt sind, in Deutschland und weltweit, Menschen, die unterbezahlte Care Arbeit leisten oder sich für die Umwelt einsetzen. Generell: wach sein und informiert bleiben, sich austauschen und in Empathie üben.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Auch im Schreiben denke ich gerade viel über Solidarität nach. Wir sind an einem Punkt, an dem es– aus absolut nachvollziehbaren Gründen – immer wichtiger wird, wer über wen schreibt und was verlegt wird. Die Frage der Repräsentation ist damit in der Gegenwartsliteratur angekommen und das ist toll, gleichzeitig frage ich mich, wie man vermeiden kann, dass alle nur noch „autistisch“ von sich selbst sprechen. Die Frage wäre also: Wie kann solch ein solidarisches Schreiben in der Zukunft aussehen?

Was liest Du derzeit?

Die Tagebücher von Susan Sontag (Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke, 1964 -1980) und „Funny Weather. Art in an Emergency“ von Olivia Laing – vor allem, weil mir gerade der Atem für einen längeren Text fehlt.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Hope doesn’t mean being blind to the state things are in, or uninterested in how they got that way.

O. Laing

Vielen Dank für das Interview liebe Lene, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Lene Albrecht_Schriftstellerin

Wir, im Fenster (aufbau-verlag.de)

Foto__Stefanie Kulisch

4.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Wir müssen unabhängige Räume erhalten, verteidigen und neue schaffen“ Tillmann Severin, Schriftsteller_Berlin 14.1.2021

Lieber Tillmann, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich würde gerne behaupten, dass der Tag von meiner Partnerin Lea Schneider und mir genauso startet wie bei Chris Kraus und Sylvère Lothringer in I Love Dick: »No matter how many times they tried to change it, so long as he and Chris slept together their days rarely started before noon.«  Wir stehen zwar früher auf, dafür ähnelt das Kaffee-im-Bett-Ritual aber dem aus Kraus‘ Erzählung. Lea und ich führen unsere ersten, meist sehr persönlichen Unterhaltungen mit Kaffee im Bett, dann geht es weiter wie bei Kraus: »As the caffein hit, the conversation shifted, became more general, ranging over everything and everyone they knew.«

Nach dem ersten Kaffee geht es unterschiedlich weiter: Die Tage vergehen oft wie vor der Pandemie auch. Wenn keine Aufträge oder dringende Verlagssachen [www.verlagshaus-berlin.de] mich unterbrechen, schreibe ich morgens meist – an Gedichten oder meinem Roman. Oder ich gehe zum Rudern. Danach bin ich immer müde, habe aber neue Ideen. An ein bis zwei Tagen in der Woche arbeite ich mit den anderen Verleger*innen im Verlag.

Sehr verändert haben sich hingegen die Abende; vor allem fallen die vielen Literaturveranstaltungen weg. Mir fehlt es dabei nicht nur, neue Texte, Stimmen und Menschen kennenzulernen, sondern mir fehlen auch die vielen Menschen, die ich eigentlich regelmäßig sehe, aber selten außerhalb von Literaturveranstaltungen.

Tillmann Severin, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Andere Menschen zu sehen, in unbekannte Räume zu gehen, auf andere zuzugehen, beweglich zu bleiben, empathisch und solidarisch. Ich merke, dass ich sozial erstarre: Auch wenn vieles noch möglich ist – man könnte ja permanent Menschen zum Spazieren treffen – tue ich das immer weniger.

Ich richte mich weniger an meinem Begehren aus, richte mein Begehren vielmehr von vornherein an einem Rahmen aus, der teilweise sogar enger ist als der reale. Andere zu treffen, Räume zu teilen, zu gestalten, sich gegenseitig herauszufordern, zu verunsichern, sich aber auch Halt zu geben, ist aber elementar für Kunst, Literatur und auch darüber hinaus. Wir dürfen nicht vergessen, wie wichtig das für uns ist.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

2020 hat für mich mit Demonstrationen begonnen: Nach den Anschlägen von Hanau und nach einem ersten bürgerlich-rechtsextremen Bündnis bei den Wahlen in Thüringen. Und 2021, gerade in dem Moment, in dem ich das hier schreibe, dringen Trump-Anhänger*innen in den USA ins Kapitol ein. Nur sind jetzt keine Gegendemonstrationen möglich.

Nachdem 2020 bekannt wurde, dass die deutschen Liberalen in Thüringen sich nicht von den rechten Stimmen, die sie bekommen hatten, distanzieren, war ich mit vielen anderen Demonstrant*innen vor der Berliner Zentrale der FDP. Danach fand eine Lesung im Hopscotch Reading-Room [https://hopscotch.page/] statt – einem unabhängigen Literaturraum. Ich las Übersetzungen der russischen Lyrikerin und Aktivistin Galina Rymbu, und ihre Art zu schreiben schien mir in direktem Zusammenhang mit dem Geschehen zu stehen. Es war ein sehr starker Moment, sich nach dieser gespannten Situation mit Menschen zu treffen und Texte zu hören, zu lesen und zu diskutieren.

Nach der Pandemie wird es entscheidend sein, trotz aller sozialen Müdigkeit, die sich breitgemacht hat, wieder rauszugehen, sich in unabhängigen Räumen wie dem Hopscotch zu treffen und sie mit maximal pluralen Stimmen zu erfüllen. Wir müssen diese Räume erhalten, verteidigen und neue schaffen – das wird die Rolle von Kunst und Literatur sein.

Was liest Du derzeit?

Eula Biss: Having and Being Had (Riverhead Books, 2020). [https://www.eulabiss.net/books.html#having-and-being-had]

Rosemarie Waldrop (aus dem Englischen von Thomas Schestag): Hölderlin Hybride (roughbooks, 2019). [http://engeler.de/hoelderlin_hybride.html]

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Dieses Gedicht von Rosemarie Waldrop könnte gerade über allem stehen, was mich beschäftigt:

»Maybe the past is enough for the past and all its inhabitants. They need not be drawn out of retirement. But if I repeat without knowing I repeat? Am I in my own body?«

Aus: Rosemarie Waldrop: Hölderlin Hybride (roughbooks, 2019).

Vielen Dank für das Interview lieber Tillmann, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Tillmann Severin, Schriftsteller

Tillmann Severin (tillmann-severin.de)

Foto_Stephan Pramme

10.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Kunst kann aufzeigen was Kultur abseits von Hüttengaudi und Großveranstaltungen ist, was uns ausmacht“ Birgit Schweiger_ Neulichtenberg/Linz 13.1.2021

Liebe Birgit, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Eigentlich wie immer. Ich stehe früh, auf ca. 6.30. Lese am Ipad die Zeitung. Dann arbeite ich für diverse Prüfungen an der Uni. Anthropologie, Ethik, Kunstgeschichte, Videokunst, etcs… dann gehts ins Atelier – derzeit arbeite ich an meiner Bilddatenbank – ein sehr umfangreiches Unternehmen. Am Vormittag Hundespaziergang – Familie – kochen usw. Am Nachmittag arbeite ich an meinem Zyklus REFLEXION weiter, dazwischen wird gezeichnet. Am Abend wieder Bilddatenbankarbeiten, dazwischen ein kleines körperliches Training.

Birgit Schweiger, Künstlerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich weiß nicht, was JETZT für uns alle wichtig ist. Für mich ist wichtig, weiterzuarbeiten, sichtbar zu bleiben. Gesund bleiben. In Kontakt bleiben mit KollegInnen, FreundInnen, Familie. Ich will mich nicht allzusehr irritieren lassen von den Medien, versuche, meinen Verstand für ein halbwegs normales Zusammenleben einzusetzen. Das erwarte ich auch von den Anderen.

Birgit Schweiger _ digitale Arbeiten, auf Alu-Dibond gedruckt, 50 x 50 cm _ Auflage jeweils 1

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Ich denke die Kunst hatte und hat weiter die Aufgabe, Fragen zu stellen, Dinge zu hinterfragen, andere Sichtweisen ans Tageslicht zu bringen. Auch den Menschen eine Alternative zum Trott des Alltags zu bieten. Ich bin nicht sicher, ob die Gesellschaft wirklich vor einem Aufbruch steht. Das wäre wünschenswert, ich bin hier aber nicht sehr optimistisch. Zu lange und zu bequem war dieses Leben, das Streben nach immer mehr und – zumindest in Mitteleuropa – von allem genug zu haben. Das will man nicht so schnell aufgeben. Hier kann die Kunst ansetzen und aufzeigen, auch aufzeigen, was wir sind, was Kultur abseits von Hüttengaudi und Großveranstaltungen ist, was uns ausmacht.

Was liest Du derzeit?

Derzeit lese ich wieder mal Simone de Beauvoir „Das andere Geschlecht“. Daneben von Uwe Schneede „Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert“.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Denken, Das Andere ohne zu werten sein lassen, mit Respekt vor dem Leben und der Natur weitermachen.

Vielen Dank für das Interview liebe Birgit, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Birgit Schweiger, Künstlerin

Birgit Schweiger Aktuelles/Vorschau

Foto_Porträt_Gregor Hartl Alle weitere Fotos_Kunstwerke_Birgit Schweiger

5.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

„Dass Kunst das ganz Andere bleibt; ein geistiger und ästhetischer Ort, der hilft, Eindrücke, Gedanken und Einstellungen zu erweitern, herauszufordern“ Birgit Kreipe, Schriftstellerin _ Berlin 13.1.2021

Liebe Birgit, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Unspektakulär. Ich stehe so früh auf, wie es geht; in letzter Zeit habe ich ein paarmal verschlafen – na sowas. Ich meditiere jeden Tag, gehe meist auch joggen – in der Pandemie habe ich den Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf, gleich um die Ecke, wirklich zu schätzen gelernt. Dann geht es an den Schreibtisch. So etwa.

Zur Zeit arbeite ich am Manuskript für meinen Gedichtband, der im Frühjahr bei kookbooks erscheinen soll, bin auch schon etwas angespannt wegen der nahenden Abgabe – es scheint noch soviel zu tun!

Meine Arbeit in einer Berliner Beratungsstelle setze ich fort, mit wechselnden Vorgaben, was den Umgang mit der Pandemiesituation betrifft. Die Klemme, in der der Bezirk steckt, ist zu spüren: Man möchte das Beratungsangebot aufrechterhalten, gleichzeitig aber die MitarbeiterInnen schützen, mit dem Ergebnis, dass die Verantwortung für viele Situationen in Form etwas widersprüchlicher Hinweise an die einzelnen ArbeitnehmerInnen weitergegeben wird. Ein Mikrokosmos, sozusagen, der die politische Unentschlossenheit, die sich auf Länder-und Bundesebene in den vergangenen Monaten gezeigt hat, sehr plausibel im Nahbereich vorführt. Ich kann und will das nicht groß verurteilen, auch weil ich mitbekomme, wie groß die Herausforderungen für meine KollegInnen im Gesundheitsamt sind und auf wie viele Unwägbarkeiten sie sich einstellen mussten. Außerdem bin ich ganz froh, meine Arbeit überhaupt fortsetzen zu können, ein kompletter Lockdown im Frühjahr hat gereicht; ich hoffe, es wird nicht Anfang 2021 wieder zu einem solchen kommen. Bisher ist auch nicht bekannt geworden, dass sich KollegInnen oder KlientInnen infiziert hätten.

Ein alter Freund-Feind hat mir mal gesagt, ich sei so nervös; ihm würde Kochen helfen, sich zu beruhigen. Das ist ewig her und ich habe damals die Augen verdreht, jetzt merke ich: er hatte recht. Mich entspannt und beruhigt es, Zutaten auszuwählen, Gemüse zu schnippeln und in der Suppe zu rühren, etwas, wozu ich sonst selten Zeit habe.

Birgit Kreipe, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Gesund zu bleiben, auch wenn die Isolation nervt …  sich klar zu machen, dass es in anderen Ländern deutlich gefährlicher und schlimmer ist als in Deutschland und Österreich. Klar gibt es hier riesige Unterschiede, ich habe wirklich Angst um die vielen, die ihre wirtschaftlichen Grundlagen bedroht sehen oder verlieren; auch sehe ich, dass es für viele eine extreme Herausforderung ist, ihre Tagesstruktur oder die ihrer Kids zu verlieren, von der sozialen Einbindung ganz zu schweigen. In der Zwangs-Entschleunigung und dem Rückzug liegt vielleicht auch genau diese Chance … sich zu fragen, wo man eigentlich steht und was man überhaupt tun kann, in dieser Zeit. Ich merke, dass ich sehr oft Nachrichten lese, das tue ich immer, aber bemerke ich auch immer, wie aufgewühlt und ohnmächtig mich das lässt? Das beobachte ich sehr deutlich. Doomsurfing nennen das, glaube ich, die Amis. Ich versuche tatsächlich, zu meditieren, die Stille zu erforschen, darüber ein bisschen zu schreiben; recherchiere dazu, was sie mit einem macht. Das klingt jetzt vielleicht euphorischer, esoterischer, als es ist, ich habe als Psychologin ein eher analytisches Verhältnis dazu.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich  zu?

Die gleiche wie immer? Ich hoffe, gerade angesichts des tribalistischen Drinnen und Draußen, der teilweisen Regression, der Verschwörungstheorien und Lust an der Denunzierung, dass Kunst das ganz Andere bleibt; ein geistiger und ästhetischer Ort, der hilft, Eindrücke, Gedanken und Einstellungen zu erweitern, herauszufordern, manchmal neu zu organisieren und zu transformieren, auf eine einzigartig subtile und individuelle Weise; und ich hoffe dementsprechend, alles Mögliche zu sehen und zu lesen, nur erschrecke ich darüber, dass ich mich innerlich bereits auf eine Reihe noch rasch kuratierter aktivistischer Pandemie-Formate einstelle, welche die vorgestellte Kunst schon in der Konzeption so festlegen, dass ich von vornherein das Gefühl haben werde, ich sollte irgendwie geführt oder zum jeweiligen aktuellen Geschehen agitiert werden. Meist ist es zwar so, dass es sich lohnt, hinzugehen, weil die Kunst viel differenzierter und offener ist, als solche Reiz – Formate nahelegen. Es gibt viele gute Gründe, auf aktuelle Entwicklungen zeitnah deutlich reagieren zu wollen; meine instinktive Unlust hängt sicher mit meiner Arbeitsweise zusammen, die ich als unsicher/explorativ bezeichnen möchte. Ich bin oft regelrecht verstört, wenn Leute genau wissen, wer sie sind, wie die Welt funktioniert und was sie zeigen wollen.

Was liest Du derzeit?

„Irdischer Durst,“ von Anne Carson, noch unentschieden; „Findings“, Essays der tollen schottischen Dichterin Kathleen Jamie, ihr genderbewusstes nature writing; und „Gefangene der Zeit“ von Christopher Clark, dankbar für seinen ebenso amüsanten wie beunruhigenden Vergleich von Donald Trump mit Wilhelm II.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„We have never concealed so much, but we do so under pretense of of the constraint of total that is the political form of „obscenity“. But gentleness cannot occur under this rule of exhibitionism. Penumbra is its native land. There is a gentleness within trouble, within ambiguity, in what is born, in what emerges and claims this nascent and suspended space. The crude light of confession is not suitable for it.“

Anne Dufourmantelle, The power of gentleness.

Vielen Dank für das Interview liebe Birgit, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Birgit Kreipe_Schriftstellerin

Birgit Kreipe – Lyrikerin

Foto: Renate von Mangoldt

4.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Informationen aus seriösen Quellen einholen, damit man nicht Verschwörungstheorien auf den Leim geht“ Sascha Wittmann, Schriftstellerin_Wien 13.1.2021

Liebe Sascha, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mein Tagesablauf hat sich nicht besonders verändert, weil ich in meinem Brotberuf – bis zu den Weihnachtsfeiertagen – fast durchgehend im Einsatz war.

Was mir aber sehr zu schaffen macht, ist die Einschränkung meiner persönlichen Freiheit, die Vorschrift, wann ich wen treffen darf, wann ich wohin gehen darf. Und natürlich fehlt es mir, reisen zu können. Es ist nicht schlimm, am Abend zu Hause zu bleiben, nicht ins Ausland zu fahren. Aber allein die fehlende Möglichkeit, die Tatsache, dass nicht ich entscheiden kann, was ich wann mache, ist für mich schwer zu ertragen.

Sascha Wittmann, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Nicht verzweifeln. Es wird wieder besser! Informationen aus seriösen Quellen einholen, damit man nicht Verschwörungstheorien auf den Leim geht. Und vor allem: Die Krankheit als Krankheit behandeln und nicht als moralisches Problem.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Wenn der Spuk vorbei ist, nicht sofort wieder in alte Gewohnheiten zu verfallen, sondern achtsam miteinander umgehen und darüber nachdenken, was wichtig für jede einzelne und jeden einzelnen und für uns als Gemeinschaft ist.

Was liest Du derzeit?

Ich habe gerade ein Buch fertig gelesen und beginne heute oder morgen mit „Omama“ von Lisa Eckhart. Bin schon sehr gespannt, weil in letzter Zeit ja viel über die Person oder die Kunstfigur Lisa Eckhart diskutiert wurde; der Text ist dabei auf der Strecke geblieben.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ich lass mich von euch nicht mehr tyrannisieren. Jetzt bricht der Sklave seine Fessel – da! (Marianne in Ödon von Horvath: Geschichten aus dem Wiener Wald)

Mit der Hoffnung, dass die Freiheit Besseres bringt als für Marianne

Vielen Dank für das Interview liebe Sascha, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Sascha Wittmann, Schriftstellerin

Septime | Sascha Wittmann: Alles Alltag (septime-verlag.at)

Foto_privat.

25.12.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com