Lieber Peter, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Gar nicht so anders als sonst, da ich als (mehr oder wenig freiwillig) Selbstständiger ohnehin zumeist von zu Hause aus arbeite. Allerdings ist zeitlich alles wesentlich enger gedrängt als sonst. Ich bin ja nicht allein Schriftsteller sondern auch Literaturwissenschaftler und als solcher gerade als Karenzvertretung einer ÖAD-Lektor_innenstelle in Bratislava tätig. Das hieß in den letzten Monaten online-Lehre für sieben Kurse (plus einen in Wien), das heißt Vorbereitungen für 13 (!) Lehrveranstaltungen im kommenden Semester. Was natürlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Nebenbei arbeite ich – typisch für uns Prekäre – an Anträgen, (unbezahlt) an zwei Herausgeberschaften etc. Da bleibt leider nicht viel Zeit um konzentriert literarisch zu arbeiten.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Eigentlich nichts, was nicht sonst auch wichtig wäre, vor allem (wie immer) Solidarität. Und zwar mit allen, mit den Älteren wie mit den Jüngeren, mit den Österreicher_innen wie mit den ‚Ausländer_innen‘, mit den Künstler_innen wie mit den Verkäufer_innen und und und. Aber wie im ‚normalen Leben‘ scheint mir auch in Corona-Zeiten diese Solidarität begrenzt zu sein. Wie sonst kann man es sich erklären, dass in Griechenland die Flüchtlingslager immer noch geöffnet haben oder immer noch diskutiert werden muss, ob die EU gemeinsam Schulden aufnimmt, um einander gegenseitig zu helfen, oder – im Kleinen – dass immer noch Menschen ohne Maske in die öffentlichen Verkehrsmittel einsteigen?
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Da bin ich schon bei Deiner Fragestellung skeptisch. Für mich deutet sich nicht unbedingt ein Neubeginn an. Klar, momentan sind alle geschockt und sprechen davon, dass man gelernt hätte, was des Wesentliche sei, dass man gar nicht so viel brauche (nicht so viel Konsum, nicht so viel Reisen etc.). Aber zugleich sind viele Entscheidungen, ob das nun die Grenzöffnungen betrifft, die Lokalöffnungszeiten, die Öffnung der Fußballstadien etc., deutlich von finanziellen Interessen mitgeprägt (warum sonst durften Konzerne – und was anderes sind die nicht – wie Bayern München, Red Bull Salzburg, Rapid Wien etc. Fußball spielen als der Schulsport noch verboten war?). Es zeigt sich jetzt schon, dass die Maxime „Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut“, deren Unrichtigkeit allen, die halbwegs gesellschaftspolitisch interessiert sind bewusst ist, und die nicht zuletzt für die momentane Krise mitverantwortlich ist weiterhin die ist, an die sich die Politik hält (auch weil viele Menschen die Politiker_innen die diese Politik vertreten wählen – das muss schon auch gesagt werden).
Was liest Du derzeit?
Frank Rudkoffskys Dezemberfieber (eine für mich etwas ungewöhnliche Lektüre, gefällt mir aber ganz gut),
Roland Barthes Fragmente einer Sprache der Liebe (weil ich dieses wunderbare Buch immer wieder hernehme und reinlese – und weil ich mit einer Kollegin an einem Buch dazu arbeite)
und sonst viel Lyrik, Sophie Reyer, Astrid Nischkauer, Fabjan Hafner.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Die absolute Gastfreundschaft erfordert, dass ich mein Zuhause (chez-moi) öffne, und nicht nur dem Fremden […] sondern auch dem unbekannten, absolut Anderen (eine) Statt gebe (donne lieu), dass ich ihn kommen lasse, ihn ankommen und an dem Ort (lieu), den ich ihm anbiete Statt haben (avoir lieu) lasse ohne von ihm eine Gegenseitigkeit zu verlangen (den Eintritt in einen Pakt) oder ihn nach seinem Namen zu fragen. (Jacques Derrida: Von der Gastfreundschaft, S. 27)
Vielen Dank für das Interview lieber Peter, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen vielfältigen Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Peter Clar, freier Schriftsteller und Literaturwissenschaftler
25.7.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.