Lieber Petrus, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
ich arbeite zur zeit als fachkraft im dreischichtsystem in der vollstationären pflege. eine coronainfektion mit zahlreichen toten haben wir gerade hinter uns, auch ein großteil der mitarbeit*erinnen war in quarantäne. diese arbeit so nebenher. also meist kurz nach vier aufstehen, arbeiten, essen, kunst machen, pferd versorgen, essen, duschen, schlafen.
ich arbeite wie immer an vier bis fünf büchern. es sind ganz wunderbare projekte, wie ich finde. das alles verlangt eine gute zeiteinteilung. leider habe ich gerade meine zeitliche orientierung verloren. also die wochentage. alle sind gleich. nun, es gibt kalender.
Petrus Akkordeon, Künstler, Schriftsteller
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
hoffnung. einfach nicht aufhören.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
ohne eine zukunft macht weder ein neubeginn, aufbruch oder weiter keinen sinn. also muss die erde erhalten werden. als gesundes lebewesen. und wenn wir nicht lernen uns zu lieben, das meint die anderen und uns selbst, dann wird das nichts werden mit der menschheit.
die kunst gibt es nicht. aber es gibt lebewesen, deren sprache ist poesie. die sagt uns was wesentlich ist. der rest ist eventuell gar nicht so wichtig.
ganz persönlich hoffe das wir alle sehr viel sensibler werden. da können kunstwerke aller art helfen uns zu erschüttern oder zu berühren. mal mehr oder weniger sanft und in allen sprachen. gerne sanft.
Was liest Du derzeit?
all die manuskripte, die mich erreichen, weil sie nach bildern suchen.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„halt dich an deiner liebe fest“
ton steine scherben
Vielen Dank für das Interview lieber Petrus viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunst-, Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Petrus Akkordeon, Künstler, Schriftsteller
Foto__privat
21.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
„Jeanne d`Arc – Seherin, Kriegerin, Heilige“ Eine Biographie. Gerd Krumreich. Beck Verlag.
Es ist ein Jahrhundert des Krieges zwischen englischen und französischen Machtansprüchen, welche die Zeit von der Mitte des 14.Jahrhunderts bis zur Mitte des 15.Jahrhunderts im Westen Europas prägen. Konflikte um die Thronfolge, um die Rolle des Adels, um Macht und Territorium prägen diese Zeit, in der auch eine Pestepidemie wütet. Eine Zeit der Unsicherheiten in allem und einer herausfordernden gesellschaftlichen Zukunft…
Und es sind Persönlichkeiten, welche diese Epoche prägen. Könige, Feldherren aber auch eine junge Frau, deren Lebensweg und Rolle seit Jahrhunderten Gegenstand von Reflexion und Auseinandersetzung ist – Jeanne d`Arc.
Es ist eine junge Frau, die sich in einer Vision berufen sieht und sich an die Spitze französischer Soldaten stellt und in den Krieg zieht. Ihr Weg ist ein gefeierter wie tragischer. Der Blick auf Ihr Leben und Wirken wie Ihren grausamen Tod gibt bis auf den heutigen Tag verschiedenste Zugänge zu Mensch, Politik und Gesellschaft frei.
Gerd Krumreich, em.Professor für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,legt in der vorliegenden Biographie eine umfassende Darstellung von Leben und Wirken Jeanne d`Arcs wie der gesellschaftlichen Voraussetzungen und Entwicklungen vor. Beeindruckend sind die detaillierte historische Schilderung und Auffächerung der Lebensstationen im Kontext der politischen Wegmarken. Für Leserinnen und Leser entsteht so immer eine Zusammenschau, die erläutert und einordnet wie Impulse zur Reflexion liefert. Es ist gleichsam ein spannendes historisches Begleiten und faszinierendes Hinsehen auf Mensch und Zeit.
„Eine historische Darstellung, die im biographischen Detailwissen wie der gesellschaftlichen Gesamtschau begeistert.“
Liebe Franziska, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tagesablauf ist ein Kreislauf zwischen Tag und Nacht im Homeoffice; unter dem Motto „My Home is my Castle“ mit variablen Knotenpunkten und Entwicklungspotenzialen. Pandemiezeit-bedingt fliessen Minuten, Stunden und Wochentage ineinander, oft ohne erkennbare Grenzen und klaren Konturen.
Franziska Streun, Schriftstellerin
Trotzdem folgt der Tagesablauf gewissen Strukturen.
Nach dem Erwachen bleibe ich gerne für einen Moment im Bett liegen und gehe den Tag in Gedanken und bildlich durch. Einem inneren Justieren gleich. Danach Kraft- und Dehnungsübungen. Meinem Körper und meinem Geiste zuliebe. Manchmal hechte ich auch mit sprudelnden Ideen oder Erinnerungen an Pendenzen aus dem Bett und direkt an den Computer oder zum Notizblock.
Bei Kaffee und Müesli lese ich Zeitungen, notiere Dies und Das. Die Flut an Mails sichte ich je nach Möglichkeit erst zwei oder drei Stunden später. In meinem Atelier schreibe ich dem Zeitbudget entsprechend mehr oder weniger Stunden an meinem neuen Buch, oft auch noch oder wieder spät am Abend. Erstmals ein vollständiger Roman. Er ist mir gleichzeitig Inspiration, Herausforderung und innerer Dialog – ein Balanceakt zwischen Imagination und Ausdauer.
Zwischendurch lese ich in dosierten Mengen Corona-News, halte Ausschau nach überraschenden Zeitungsberichten oder lese in den Büchern weiter, die mich parallel begleiten. Belletristik, Recherchen, Biografien, Sachbücher, was immer. In müden Phasen pausiere ich mit einem Spaziergang am See, alleine oder mit einer Freundin, oder schaue einen Krimi. Mich faszinieren starke Figuren in psychologisch komplexen Geschichten. Dramaturgisch und szenisch gekonnte Regieumsetzungen zu studieren, liebe ich.
Mein Tagesablauf punkto Tätigkeit unterscheidet sich kaum von der Zeit vor „Corona“: Homeoffice als Autorin. Neu hinzugekommen ist dagegen das zusätzliche Homeoffice mit meiner 50-Prozent-Anstellung als Journalistin und Redaktorin mitsamt den unterschiedlichen Diensten. Zudem sind die sozialen Kontakte reduziert und verändern teilweise auch ihre Inhalte. Ich warte darauf, dass die verschobenen Lesungen und andere Anlässe stattfinden dürfen.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ein Rezept, das für alle stimmt, sehe ich keines. Zu unterschiedlich wirkt sich die Pandemiezeit aus, zu unterschiedlich ist die jeweilige Konstellation im beruflichen und privaten Umfeld, zu unterschiedlich sind wir Menschen im Umgang mit uns selbst und dem, was gerade ist.
Als wichtig empfinde ich jedoch zwei Elemente: Zum einen den Fokus verstärkt auf das zu lenken, was möglich ist und uns stärkt. Zum anderen in den unliebsamen Dingen einen Sinn oder Zweck finden, damit sie uns weniger belasten oder es uns leichter fällt, sie zu erledigen. Ein nützlicher Kompass für die Richtung ist mir dabei etwa der Grad meiner Freude.
Als Hilfsmittel wähle ich etwa die Distanz oder den Blickwinkel, mit dem ich das Geschehen beobachte. Die Pandemie erzeugt Gewinner und Verlierer, zeigt Schwächen und Stärken und das wahre Gesicht in ganz unterschiedlichen Themen. Richtig spannend wird es, sobald die vielschichtigen Veränderungen bei uns, im Umfeld und in der Welt fassbar werden und sich zeigen.
Reflektieren, hinschauen und erforschen, was ist, wie ich es mir wünschte und was ich wie optimieren kann, erachte ich als wesentlich. Neugierig bleiben, experimentieren, Ich-Zeit nutzen und in sich selbst und die eigene Entwicklung investieren. Sozusagen als Selbst- oder Überlebensstrategie, um optimistisch und voller Energie bleiben zu können. Und dies trotz zum Beispiel ständig verschobener Lesungen und sonstigen Anlässen, Social Distancing und verringerten Einnahmen, trotz der zunehmenden Ungewissheit, den Tragödien womöglich im eigenen Umfeld oder in der Welt und den ewigen Good-, Bad- und Fake-News rund um die Uhr.
Denn auf unsere aktive Rolle und persönliche Verantwortung für uns, unser Tun oder Nicht-Tun können wir in der Regel direkt Einfluss nehmen. Zwar wandelt die außergewöhnliche Zeit mehr als üblich zwischen Freud und Leid auf dem Grat des Handelns und Akzeptierens. Doch sie ist oder kann auch eine Chance sein – und diese zu sehen und zu nutzen, das können wir alle versuchen. Wenigstens in gewissen Bereichen.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Jeder Tag ist ein endloser Aufbruch. Das Wort Aufbruch trägt die Bewegung in sich. Weil sich alles ständig bewegt. Die Konstellation der Begegnungen, die Komposition der Situation, das Empfinden im Körper. In jeder Sekunde ist gleichzeitig Gegenwart und wird Zukunft gestaltet. Je mehr dabei Unveränderbares – wie zum Beispiel, dass aktuell Pandemie-Zeit ist – und Neues integriert werden kann, desto mehr ist möglich.
Die Natur und das Universum sind in ihrer Vollkommenheit und Vielfalt ein unermessliches, in seiner Gesamtheit unkopierbares Kunstwerk – und von Menschenhand gestaltete Kunst ist ein Ausdruck menschlicher Existenz. Alles, was ist, enthält Kunst; hohe Kunst, ausgedrückte, beeinflusste, improvisierte, wissenschaftliche, experimentelle – und Literatur ist eine von unzähligen Formen im Versuch, das Leben zu fassen. Worte sind Ausdruck von Gefühlen, Gedanken, Vorstellungen, Wünschen, Abenteuern, Tragödien. Poetisch, philosophisch, dramatisch, wissenschaftlich, kurz oder lang.
Kunst mag rechnerisch für viele Leute wenig bis alles andere als systemrelevant sein, sondern Luxus, Hobby oder Freizeit und in seltenen Fällen ein Investitionsfeld, mit dem sich Geld verdienen lässt. Doch Kunstformen geben Zeitgeist und Geschehen weiter. Als Zeugin und Gesicht von Gegenwart. Ohne menschliche Existenz gäbe es kein menschenkreiertes Wirken. Jeglicher Inspiration gehen Energie und Impulse von lebenden Menschen voraus. Jegliche von ihm gestaltete Form ist im Ursprung ein Ausdruck menschlicher Existenz.
Der Mensch ist ein Kunstwerk des Lebens auf dieser Welt. Alles Lebende ist in seiner gesamten Komplexität ein Wunder, das für andere und oft sogar auch für uns selbst lediglich in Facetten fassbar und ergründbar ist. Um sich zu entfalten, zu erkennen und zu inspirieren oder je nachdem sogar seine Zeit füllen oder innere Leere auffüllen zu können, braucht es Kunst.
Kunst als Folge und Ergebnis von Schaffen, Kreieren, Erzeugen, Erkennen, Mitteilen in unzähligen Varianten ist existenziell – und in diesem Kontext ist Literatur genauso systemrelevant wie jede Form der Kunst und viele andere Dinge.
Was liest Du derzeit?
„Der Apfelbaum“ von Christian Berkel, „Die Schlange im Wolfspelz“ von Michael Maar, „Männer in Kamelhaarmänteln“ von Elke Heidenreich, „Und was hat das mit mir zu tun?“ von Sacha Batthyani, „Das Gedächtnis des Körpers“ von Joachim Bauer und „Die Jahre“ von Annie Ernaux
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Wer zur Kunst keine naive Beziehung hat, das heisst, wer nur durch Edukation dazu gebracht worden ist, Kunst für eine ernste Sache zu halten, wir sich nie damit abfinden, dass das Kunstwerk mehr ist als ein Anlass zur Interpretation. Es ist eine Existenz per se.“ (Max Frisch)
Vielen Dank!
Vielen Dank für das Interview liebe Franziska, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Buchprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Vielen Dank lieber Walter Pobaschnig – für deine Arbeit und das Interview, die tolle Idee mit den fünf Fragen und dem Universum an Antworten und Gedanken, die dadurch innerhalb der Literaturszene und darüber hinaus ausgetauscht werden können.
PS: Heute ist für mich – rein zufällig am selben Tag, an dem ich dir die Antworten maile – ein Feiertag. Am Mittag sind die Belegexemplare von der 5. Auflage meiner Romanbiografie „Die Baronin im Tresor“, Zytglogge Verlag, eingetroffen.
Gratuliere, liebe Franziska, viel Erfolg weiterhin!
Liebe Maria, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?
Da mein Lebensweg bisher anders, vielfältiger und ungewisser verlief, als bei vielen anderen, hat das, finde ich, jetzt Vorteile. Ich finde mich dadurch in Krisenzeiten vielleicht besser zurecht, bin flexibler, wendiger, aber auch strukturierter – zumindest habe ich den Eindruck. …. Daher ein Plädoyer für eine kreativ-künstlerische Ausbildung an allen Schulen bereits von der Grundstufe weg, WIE ICH SIE HABEN DURFTE. Später das auch in den wirtschaftlichen und technischen Zweigen fortsetzen.
Maria Publig, Autorin, Journalistin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Grundoptimismus und eine positive Lebenshaltung sollten auch jetzt bei jeder/m erhalten bleiben. Das stärkt auf jeden Fall das Immunsystem. Ich habe bei manchen allerdings das Gefühl, dass ihnen ihr Leben regelrecht weggerutscht ist oder sie glauben, künftig keines mehr zu haben. Denn ohne sie geht halt nix. Warum bloß? Die Erde dreht sich weiter. Trotz allem. Wir sind da! Gewiss: in einer Ausnahmesituation. Keiner ungefährlichen sogar. In der Gesamtheit. Doch es gibt Social Media, Skype, Handy, finanzielle Hilfe, auch begrenzte Möglichkeiten der Begegnung mit Freunden und der Familie. Meist sind PartnerInnen und Kinder bei uns. Es ist möglich, Neues zu entdecken. Gemeinsam. Im Kleinen. Die ungewöhnliche Zeit gibt uns Aufgabe und Freiheit zugleich, das zu tun.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich hoffe, dass die Gesellschaft nicht mehr nur jenen, die höher, öfter, weiter als andere springen, applaudiert. Sondern auch jenen wie KünstlerInnen und LiteratInnen, die in ihren Werken innere Prozesse freilegen. Bewegen. Gesellschaft spiegeln. Kreative Langsamkeit wiederentdecken. Perspektiven eröffnen. Sich künstlerisch mit Ängsten beschäftigen, Betroffenheit zeigen, Zuversicht spenden, das Leben geistreich und fantasievoll abbilden. Da Konzerne durch die Pandemie immensen Reichtum anhäufen konnten, wäre dieser selbstverständlich mit der gesamten Welt zu teilen. Gerecht. Kunst sollte auch dafür passende Worte finden.
Was liest Du derzeit?
Stefan Zweig ist für mich immer ein Erlebnis. Seine „Schachnovelle“ nahm ich jetzt nach langem wieder zur Hand.
Orhan Pamuks türkisches Epos „Diese Fremdheit in mir“ habe ich kürzlich gelesen.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Gib das, was dir wichtig ist nicht auf, nur weil es nicht einfach ist.“ (Albert Einstein)
Maria Publig, Autorin, Journalistin
Vielen Dank für das Interview liebe Maria, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Textprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Liebe Svenja, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich ziehe mich kaum mehr an, ich gehe kaum mehr raus und wenn, dann in den Wald, ich schreibe wenig, schleife eher, lese viel, die Wohnung ist recht eng, wir sind zu viert und alle ziemlich groß, mir wächst langsam ein Bart.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
…zu fragen, wer und was bei dem „wir“ alles dabei ist. Literatur und Kunst sind im besten Fall selbst der Aufbruch.
Was liest Du derzeit?
Gedichte: Galal Alahmadi, Maren Kames, Thomas Kling, Schlussworte der Nebenkläger*innen im Halle-Prozess, Theweleit, Haraway, Preciado
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Du hast keine hängenden Schultern, verantwortlich ist / dieses eine heikle Wort.“ Galal Alahmadi, Die Leere der Vase, Secession Verlag Berlin, 2020
Vielen Dank für das Interview liebe Svenja, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Lieber Florian-Raphael, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Durch den ganzen Trubel, der uns seit letztem Jahr begleitet, schaue ich noch mehr auf mich und habe begonnen darauf zu hören, was mir gut tut. Also beginnt mein Tag mit einer guten Runde Yoga und Atemübungen. Dann geht’s, anders als den Großteil von 2020 wieder ans Proben, worüber ich mich glücklich schätze und endlich wieder meine kreativen Energien raus lassen kann. Organisieren und Planen kommt auch ganz oft vor, speziell wenn so wie jetzt wieder die Maßnahmen in geplante Projekte eingreifen. Nichts ist wirklich fix, also heißt es planen, warten, ob etwas angekündigt oder verordnet wird, um dann womöglich wieder umzuplanen. Was leider auch die Folge hat, dass man teilweise Projekte absagen muss, weil diese sich auf einmal überschneiden. Da hab ich letztes Jahr schon viel Geduld gelernt. In Nichtpandemiezeiten würde ich auch regelmäßig als Zuseher ins Theater gehen. Das fällt natürlich jetzt weg, genauso wie Freunde treffen, ins Kino gehen, Restaurants, und und und… Stattdessen bemühe ich mich durch Spaziergänge, Wanderungen und Sport genügend Bewegung zu bekommen, die für mich sehr wichtig ist. Mein Abend endet meistens gemütlich beim Film/Serie schauen, Lesen, Zocken oder mal bei ein bisschen Tai Chi, je nachdem worauf ich Lust habe.
Florian-Raphael Schwarz_Schauspieler
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Einerseits die Ruhe und das Vertrauen, dass diese ganze Situation besser wird, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt und Verantwortung übernimmt. Und da geht es nicht darum, irgendjemandem oder einer Seite Schuld hinzuschieben, sondern darum, gemeinsam dran zu bleiben und Geduld zu haben. Andererseits ist es nun auch wichtig, dass wir uns darüber Gedanken machen, wie wir weiter machen möchten.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ich würde mir wünschen, dass es vermehrt weggeht vom „Ich“, dem Ego, und mehr zu einem „Wir“, einem Miteinander. Das meine ich nicht nur untereinander, sondern auch in der Politik, in der Wirtschaft, zwischen den Ländern. Ich würde mir wünschen, dass wir realisieren, was wir Ungeheures gemeinsam schaffen können – viel mehr als alleine oder gegeneinander ankämpfend. Dass jeder Verantwortung trägt und einen Teil beitragen kann, damit alle ein schönes Leben auf diesem wundervollen Planeten haben. Und ja, ich weiß, das klingt vielleicht zu optimistisch, um wahr zu sein… aber nur vielleicht.
Die Kunst hat, genau wie jeder einzelne von uns, die Möglichkeit sich wieder neu zu finden, neu zu erfinden und mehr denn je, Dinge aufzuzeigen. Kunst schafft es auch zu unterhalten, Erfahrungen und Perspektiven zu liefern, egal in welcher Form auch immer.
Wir haben aber auch gesehen, wie selbstverständlich für viele die Kunst und das Theater war. Hier gilt es sich wieder seinen Platz zu erkämpfen und aufzuzeigen, wie wichtig unsere Arbeit als Schauspieler und das Ganze, das am Theater geschieht, eigentlich ist. Es ist ein Ort, wo man durch das Geschehen auf der Bühne Geschichten und Situationen live mit- und durcherleben kann. Es ist ein Ort, der eine einzigartige Verbindung zwischen den Schauspielern und dem Publikum entstehen lässt, welche von keinem Fernseher oder Stream abgelöst werden kann. Das Theater verleiht einem das Gefühl, an etwas teilzuhaben. Denn nach der Vorstellung tauscht man sich aus, hört anderen dabei zu oder behaltet das Erlebte für sich. Emotionen zu teilen und sich auszutauschen ist ein wichtiger Bestandteil von uns Menschen, der nicht ersetzt werden kann. Genau deswegen brauchen wir einen Ort wie das Theater, wo Verbindungen geschaffen, gesehen, besprochen und gefühlt werden können.
Was liest Du derzeit?
„Der arme Spielmann“ von Franz Grillparzer.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Auch das geht vorüber, oder die Nacht ist am dunkelsten vor dem Morgen.
Florian-Raphael Schwarz_Schauspieler
Vielen Dank für das Interview lieber Florian-Raphael, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Schauspielprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Florian-Raphael Schwarz, Schauspieler
Alle Fotos_Walter Pobaschnig_reenacting _ Malina_Roman_Ingeborg Bachmann_Wien 2_2021.
7.2.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Liebe Alexandra, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tagesablauf hat sich durch die aktuelle Situation nicht viel verändert, außer dass ich die Zeit nun bewusster wahrnehme und nutze. Durch unsere Tochter sind wir als Familie automatisch in einem gewissen Rhythmus, den wir versuchen, an die jeweilige Situation anzupassen. Das bringt natürlich Vor- und Nachteile für alle Beteiligten, ist aber vor allem eine große Bereicherung für jeden von uns. Außerdem habe ich das Glück, als Audiokommentatorin und Hörfilmautorin beim Fernsehen weiter beschäftigt zu sein. Das ist ein großes Geschenk, wofür ich unendlich dankbar bin.
Alexandra Kloiber-Karner, Schauspielerin
Was mir natürlich wahnsinnig fehlt, ist das Theater. So wie fast allen lieben KollegInnen, wurden mir beinahe alle Produktionen seit März 2020 abgesagt oder verschoben und wir wissen de facto nicht, wann wir endlich weiterarbeiten können. Mir persönlich fällt es schwer, permanent „on hold“ zu sein und dann doch immer wieder vertröstet zu werden. Das zehrt an meiner Ausdauer – daran arbeite ich. Gleichzeitig versuche ich, die Zeit für Fortbildung zu nutzen.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Wir leben in einer Zeit, in der das Wohl des Einzelnen und das Wohl der Gesellschaft in einem starken Spannungsverhältnis stehen. Dabei vergessen wir, dass beides unmittelbar miteinander korreliert. Wir müssen begreifen, dass wir als vollwertiges Individuum auch Teil des großen Ganzen sind und dass das große Ganze eben die Summe aller Individuen ist. Wenn wir die Welt als großen Körper betrachten und diesen mit unserem menschlichen Körper in Äquivalenz setzen, werden wir erkennen, dass es für einen „vollständigen“ Körper alle Facetten braucht. So wie wir an unseren menschlichen Körpern unterschiedliche Dinge „gut“ finden, gefällt uns auch am Körper „Welt“ manches mehr und manches weniger. In einer Zeit, in der man vermeintliche Schönheitsmakel einfach ausmerzt, nehmen wir uns die Freiheit heraus, diese Korrekturen auch am großen Ganzen vorzunehmen. Aber so, wie dem einen „muskulös“ und dem anderen „kurvig“ gefällt, differiert auch unsere Sicht auf die Welt. Das sollten wir berücksichtigen, wenn wir über andere urteilen und versuchen, unsere Mitmenschen von unseren persönlichen Ideologien zu überzeugen.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Als junges Mädchen wurde ich einmal gefragt, warum ich so gerne auf der Bühne stehe. Damals wie heute lautet die Antwort: Ich möchte die Menschen aus ihrem Alltag abholen und sie für einen Augenblick in eine andere Welt entführen.
Das ist wichtig, denn oft ist das Eintauchen in eine andere Welt unsere einzige Möglichkeit, vielseitige neue Impulse zu bekommen. Die brauchen wir aber, um zu wachsen.
Ich denke, wesentlich wird dabei sein, dass wir uns dem nicht verschließen. Wir sind an einem Punkt, wo uns lange genug eingetrichtert wurde, dass Kunst nicht systemrelevant sei. Die Folgen des „Kunstentzuges“ sind allerdings immer mehr spürbar. Es fällt immer schwerer, Zustände zu hinterfragen, wir verlieren unsere Offenheit gegenüber Neuem, konzentrieren uns noch mehr auf uns selbst und versteifen uns zu sehr auf unsere eigenen Ansichten. Das schmälert unseren Handlungsspielraum. Gerade jetzt wäre es wichtig, offen zu bleiben, um Veränderung geschmeidig und mit einem gesunden Maß kritischer Beobachtung annehmen zu können.
Was liest Du derzeit?
Ich habe kürzlich die „Trotzkopf“-Sammlung von Emmy von Rhoden ausgegraben und arbeite mich gerade durch die Entwicklung der Ilse Macket. Mich fasziniert das Frauenbild dieser Zeit – heute undenkbar und doch vielleicht, nebst der parallelen Entwicklung des Männerbildes, mitverantwortlich für die vielen scheiternden Beziehungen. Mir fehlt in unserer Zeit der „Selbstverwirklichung“ das Verantwortungsgefühl gegenüber unseren Mitmenschen. Das „Etwas-Füreinander-Tun-Wollen“, auch wenn man dabei selbst mal zurückstecken muss.
Außerdem liegen aktuell Shakespeares „Was ihr wollt“ und Joachim Meyerhoffs „Hamster im hinteren Stromgebiet“ auf meinem Nachttisch.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Die Liebe und das Mitgefühl sind die Grundlage für den Weltfrieden – auf allen Ebenen.
Dalai Lama
Alexandra Kloiber-Karner, Schauspielerin
Vielen Dank für das Interview liebe Alexandra, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Schauspielprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Danke!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Alexandra Kloiber-Karner, Schauspielerin
Alle Fotos_Walter Pobaschnig _Cafè Prückel_Wien_1_21
26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Liebe Volha, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mit dem Lockdown ist der Alltag nicht besonders vielfältig. Am Morgen checke ich meine Emails während ich Kaffee trinke. Dann arbeite ich an Texten, manchmal führe ich Gespräche mit meinem Verleger oder meiner Übersetzerin. Nach dem Mittagsessen arbeite ich wieder, und lese. Ab und zu gehe ich ein bisschen spazieren. Am Abend spreche ich mit meiner Mutter und meinem Lebenspartner, der leider zurzeit in Amerika arbeitet, oder auch mit Freunden, ich sehe mir ein paar Episoden von Serien an, nehme mein Abendessen ein und gehe schlaffen.
Volha Hapeyeva, Schriftstellerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Geistig und physisch gesund zu bleiben, daran müssen wir uns immer wieder erinnern, denn es ist jetzt eine ungewöhnliche Zeit. Man sollte lieber nicht zu streng mit sich und anderen sein, sondern versuchen die Schönheit im Alltag zu sehen und sich des Lebens bewusst zu sein.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Für mich persönlich sind Kunst und Poesie die Rettungsmittel. Ohne sie wäre mein Leben unmöglich. Selbst zu schaffen und zu sehen was die anderen schaffen – das gibt mir Freude und Kraft, um weiter zu leben. Aber das muss vielleicht nicht für jeden so sein. Wir sind alle verschieden und haben verschiedene Mechanismen, um mit schwierigen Situationen zurecht zu kommen. Was ich meine ist, dass Kunst und Literatur immer da sind, wenn jemand sie braucht, dieser ganze Vorrat an Menschlichkeit, es freut mich immer, dass er da ist, um zu helfen.
Einmal wurde ein Freund von mir verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, nur weil er Bücher verkaufte. Er war kein Poesieliebhaber, aber in seinem ersten Brief aus dem Gefängnis bat er mich, dass ich ihm meine Gedichte schicke, das half ihm, dort zu überleben. Für mich war das ein starkes Argument, weiterzumachen und nie wieder an der Bedeutung der Poesie und des poetischen Worts zu zweifeln.
Auf allen Ebenen unseres Lebens gibt es so viel unnötige Gewalt. Sie tötet Menschen nicht nur körperlich, Gewalt verstümmelt unsere Herzen und Seelen, sie macht Aggression, Wut und Angst zu normalen, fast routinemäßigen Elementen des Alltags. Deshalb ist Poesie und Kunst für mich ein Mittel, um Empathie auszudrücken und zu verbreiten.
Was liest Du derzeit?
Ich lese gerne mehrere Bücher parallel.
Zu Zeit lese ich:
„Colors for Your Every Mood: Discover Your True Decorating Colors” von Leatrice Eiseman, ein Buch über Farben mit spannenden und interessanten Einblicken in die Welt der Farben.
„Sumi-e: Japanische Tuschemalerei: Techniken und kultureller Hintergrund“ von Naomi Okamoto – noch ein Buch das mit Kunst und Malen verbunden ist, in dem die Autorin ganz poetisch die Feinheiten dieses Japanischen Genres erklärt, z.B. wenn sie über Grenzen und Umrisse schreibt. Nebel und Ungenauigkeit werden in Japan mehr geschätzt als im Westen, wo Genauigkeit und Klarheit der Kontur wichtig sind. Vielleicht wegen des feuchten Klimas. Neblige Landschaften sind ein beliebtes Motiv der japanischen Malerei, was auch eine besondere Sicht auf das Leben widerspiegelt: alles ist unbeständig. Im Gegensatz zum Westen – wo das Wichtigste der Logos ist, mit seinen klaren Grenzen.
Das Buch des dänischen Professors Svend Brinkmann „Pfeif drauf!: Schluss mit dem Selbstoptimierungswahn“. Ich wurde von Brinkmanns These angezogen: laut dessen die Extrapolation der Überlebenslogik auf das tägliche Leben für die Psyche des Einzelnen und für soziale Beziehungen im Allgemeinen schädlich ist. Das Leben ist nicht wie ein linearer Fortschritt von null bis zehn — eher wie ein ungleichmäßiges Kardiogramm. Die Orientierung an dieser Art von Erzählung ist humaner und ethischer, weil wir das Recht auf Versagen, auf Kümmernis, Schmerz anerkennen und dadurch dieses Recht auch für Andere anerkennen können.
Als Audiobuch höre ich das Buch des berühmten amerikanischen Psychoanalytikers und Schriftstellers Irvin Yalom „Denn alles ist vergänglich: Geschichten aus der Psychotherapie“ (Creatures of a Day: And Other Tales of Psychotherapy). Das ist keine einfache Lektüre, aber eine nützliche, die Themen sind Älterwerden, Ruhestand, Umgang mit dem Tod.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Heute habe ich nichts gemacht
Aber viele Dinge geschahen in mir
Roberto Juarroz, argentinischer Dichter
Für viele Menschen, die mit intellektueller Arbeit beschäftigt sind, verläuft der kreative Prozess unsichtbar, man muss viel nachdenken, sich etwas vorstellen, lesen und diskutieren, und oft entsteht nach einem ganzen Tag solcher Arbeit — eine Zeile oder gar keine. Aber das bedeutet nicht, dass es keine Arbeit gab, es gab sie, aber sie war vor den Augen verborgen und hatte keine materielle Verkörperung.
Vielen Dank für das Interview liebe Volha, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Volha Hapeyeva (Вольга Гапеева), geboren in Minsk (1982), ist eine belarussische Lyrikerin, Autorin, Übersetzerin und promovierte Linguistin. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen. In Deutschland war sie u. a. Stipendiatin der Stiftung Preußische Seehandlung (2009) und Gastautorin im Literarischen Colloquium Berlin (2018). In Österreich war sie 2013 Artist-in-Residence im Internationalen Haus der Autoren in Graz und 2014 Artist- in-Residence in Wien (KulturKontakt des Kultusministeriums).
Volha Hapeyeva schreibt Gedichte, Prosa und Dramen. Sie tritt ebenso als Kinderbuchautorin wie als Übersetzerin hervor. In Zusammenarbeit mit Künstlern der elektronischen Musik veranstaltet sie audiovisuelle Performances. Sie ist häufig Gast auf Internationalen Festivals. 2019/2020 ist Volha Hapeyeva für ein Jahr Stadtschreiberin von Graz. Volha Hapeyeva ist Mitglied des PEN-Zentrums Belarus und des unabhängigen Schriftstellerverbandes Belarus. Ihre Gedichte wurden in mehr als 10 Sprachen übertragen, sie wurden in den USA, Österreich, Deutschland, Polen, Russland, Georgien, Litauen und anderen Ländern veröffentlicht. Sie ist die Autorin von 11 Büchern auf Belarussisch, u. a. erschienen zuletzt die Gedichtbände „Die Grammatik des Schnees“, „Schwarzer Mohn“, „Die Worte die mir passierten“ und der Roman „Camel-Travel“. Auf Deutsch erschienen Lyrikband „Mutantengarten“ (Edition Thanhäuser, 2020), Roman „Camel-Travel“, Droschl Verlag, 2021 Hapeyeva forscht in den Bereichen vergleichende Linguistik, Sprachphilosophie, Körpersoziologie und Geschlechterfragen in Kultur und Literatur. Sie ist Autorin einer theoretischen Monographie über vergleichende Linguistik und eines zweisprachigen Sem-Wörterbuchs der optativen Semantik.
Liebe Erika, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Neubeginnen. Das denke ich mir oft, wenn ich morgens mit meiner Kaffeetasse am kleinen Schreibfenster sitze und zu den Fenstern am gegenüberliegenden Haus blicke oder auf den See. Jetzt gerade, da alles so ruhig unter der dicken Schneedecke liegt. Die Welt könnte doch einfach neu beginnen. Aber ich weiß, das ist ein utopischer Wunsch. Dabei wäre jetzt der beste Zeitpunkt. Vielleicht der einzige, einer der sich in einigen hundert Jahren erst wieder bietet.
Persönlich war ein gewisser Neubeginn im Jänner 2020, da ich beim AutorInnenverband Literatur Vorarlberg das Amt der Präsidentin übernommen habe. Mit einer nicht enden wollenden To-do-Liste. Ein Neubeginn neben meiner schriftstellerischen Arbeit, neben Workshops, Kunst und Familie. Mein Anspruch ist Partizipation, d.h. Teilhabe für alle, kein namedropping, sondern Möglichkeiten der Teilnahme zu eröffnen, Weiterentwicklung für KollegInnen der Literatur Vorarlberg und Vernetzung mit anderen AutorInnen anzuregen. Der erste Lockdown und die abgesagten Auftritts/Lesungsmöglichkeiten waren somit nicht die Zeit, in Agonie zu versinken, sondern Impetus, dem Coronavirus, das sich so allmächtig in den Gehirnen festgesetzt hatte, mit einem Gedichtvirus den Kampf anzusagen. Radio Vorarlberg hat die Idee umgesetzt und Gedichte von mehr als 40 AutorInnen als „Wohnzimmerliteratur“, wie diese radiophonen Einschübe dann genannt wurden, gesendet.
Dieses „Neu“ zog sich durch das ganze 2020: Wir ermuterten VeranstalterInnen, Videolesungen zu machen, ich lernte in diesem ersten Lockdown ein neues Videoschnittprogramm, erlernte Meetings per ZOOM einzuberufen, Online-Workshops und -Sitzungen durchzuführen (diese online-Workshops machten es möglich, dass Teilnehmende von Wien, Zürich und Mexiko an Schreibworkshops teilnehmen konnten, die live nie eine solch weite Reise für einen Workshop auf sich genommen hätten) und ich selbst habe online Theatervorstellungen und Diskussionen besucht, die ich sonst nie besuchen hätte können. Eine Aufführung in Wien, eine in Dresden, Theater in St. Pölten – ein Veranstaltungshopping an manchen Abenden.
Dadurch, dass es keine Möglichkeit gibt, abends zu Lesungen zu gehen und KollegInnen zu treffen, verschieben sich diese verlorenen Möglichkeiten auf lange Telefongespräche, gemeinsames Essen per Zoom und „Besuch“ von Online-Lesungen. Ich glaube, Online-Lesungen werden auch künftig eine gute Möglichkeit sein, eine größere Reichweite für SchriftstellerInnen zu erzielen. Dies habe ich auch beim Feldkircher Lyrikpreis festgestellt, welchen ich seit 2003 organisiere: Er sah 2020 zum ersten Mal die Preisvergabe des 3. Preises durch das Publikum vor. Gezwungen, ihre Gedichte online zu präsentieren, hatten somit die auf der Shortlist stehenden DichterInnen ein ungeahntes weites Welt-Feld, Votings für ihre Gedichte zu erhalten.
Erika Kronabitter, Schriftstellerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Den Gedanken, des Neubeginnens weiter zu denken: Wie oft sprachen wir schon vom Grundeinkommen? Jetzt wäre die beste Möglichkeit. Jetzt, da die Regierung sowieso viel Geld in die Hand nehmen muss, ich denke da an Ausfallsbonus, Covid-Gelder usw., könnten die Politiker aller Farben tatsächlich die Probe aufs Exempel machen.
Jetzt könnte umgedacht werden. Wir wissen doch, wer in dieser schwierigen Zeit, in welcher so viele Menschen von einem Minimum leben, die Gewinne einstreift. Hier muss eine Besteuerung/Höherbesteuerung ansetzen.
Jetzt, 2021 angesichts der Ausweitung der Pandemie und Virusmutation wünschte ich mir, es gäbe in der Presse und Berichterstattung ein klügeres, verantwortungsvolles Vorgehen, d.h. ein gezieltes Aufmerksammachen zu Besonnenheit und Solidarität. Was bringt ein ständiges Wiederholen von „Coronamüdigkeit“? So etwas ist einfach lächerlich. Wenn jemand Krebs hat, kann er auch nicht von einer „Krebsmüdigkeit“ sprechen. Dazu kommen noch VerschwörungstheoretikerInnen und Rechtsradikale, welche die Gunst der Stunde nutzen. Gratis-„Dumpf“-Zeitschriften, welche man bei der U-Bahn und den Bahnhöfen zur freien Entnahme vorfindet, dürfen von Parteien nicht mitfinanziert werden.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Aufbruch oder Neubeginn – dass diese Pandemie, die Lockdowns zu einer gewissen Veränderung führen, da bin ich mir nicht so sicher. Das Denken der Menschen, ihr Verhalten, Ellbogentechnik und die Gier nach Mehr und Mehr lässt sich nicht so leicht verändern. Das Gejammer, dies und jenes derzeit nicht tun zu dürfen, weil die Regierung nicht oder doch, weil die oder der… und immer noch die Masken oder schon wieder eine Virusmutation… Viele drängen ja gerade dazu, sofort wieder dort weiter zu machen, wo es am 13. März 2020 gestoppt hat.
Andererseits: Literatur hat immer schon eine tragende Rolle gespielt und Veränderungen bewirkt – ich denke hier an verschiedene Frauen wie Elfriede Jelinek, Virginia Woolf, Simone de Beauvoir, Judith Butler, Margaret Atwood, welche mit ihren Texten zur Diskussion und Denkveränderungen beigetragen haben.
Das wird Literatur auch weiterhin tun/tun müssen: Aufzeigen, den Finger in die Wunde, sodass es weh tut. Dazu gehört auch, Wehleidigkeiten aufzuzeigen. Literarische Streicheleinheiten sind ineffizient.
SchriftstellerInnen, SchauspielerInnen, MusikerInnen und KünstlerInnen müssen auch nach dem hoffentlich letzten Lockdown zusammenarbeiten und als große Konstante agieren. Und sie müssen von der Politik als wichtiger Part im Gesamtsystem gesehen, dementsprechend auch finanziell bedacht werden.
Was liest Du derzeit?
Ich versuche mich an Ulysses von James Joyce, allerdings nicht im Original, sondern in der Übertragung von Hans Wollschläger;
Weiters lese ich immer wieder in Die Jahre von Annie Ernaux und GRM von Sibylle Berg – drei Bücher von ungefähr zehn, die ich je nach Tag und Laune weiterlese und immer wieder Gedichte von Friederike Mayröcker.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ich halte es mit Friederike Mayröcker, die sagt, es ist eine Gnade, schreiben zu können.
Erika Kronabitter, Schriftstellerin
Vielen Dank für das Interview liebe Erika, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Liebe Andrea, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Meine Tage sind stiller geworden, im Innen und Außen.
Ich verbringe die Tage im Homeoffice und habe durch die entfallende Wegstrecke zur Arbeit mehr Zeit für meine Texte und Spaziergänge im Wald. Dort erfahre ich absolute Freiheit fernab vom Lärm draußen. Ich gehe abseits der Wege, querfeldein und mitten hindurch, alleine auf mich gestellt. Es ist ein anderes Erleben als auf einem Pfad zu gehen. Barfuß stehe ich dann manchmal dort, und die Ideen für mein Schreiben kommen dort ganz automatisch.
Die Stille ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit. Da es in meinem Kopf permanent lärmt, suche ich wohl deshalb die Stille; aktuell im außen im Wald.
Wenn ich so darüber nachdenke, ist die Situation bis auf wenige Dinge, die nicht möglich sind, aktuell genau das, was mir zusagt: nämlich der Rückzug von außen und der Versuch, mich selbst aushalten zu können.
Und wenn ich mich aushalte, dann ist das schon ein großer Gewinn.
Andrea Wecke, Schriftstellerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Wir dürfen nicht den Mut verlieren und nicht das Vertrauen – und zwar in uns selbst. Der Mensch hält mehr aus als er sich vorstellen kann, und wichtig ist die Verbundenheit zu uns selber. Das sich selbst spüren können und das Aushalten der Situation wie sie eben nun mal ist.
Einsamkeit ist ein weiterer Aspekt meiner Texte. Die Menschen wollen gesehen und geliebt werden, und in Zeiten wie diesen erfahren gerade die Social Media Kanäle auch eine andere Tragweite als noch vor einem Jahr. Das ist Fluch und Segen zugleich, entsteht doch nur eine scheinbare Nähe und ein scheinbares Gesehenwerden. Aber es ist wichtig, das Gemeinschaftsgefühl nicht zu verlieren. Keiner muss alleine sein – auch wenn es nur die scheinbare Nähe ist, auch sie kann tröstlich sein.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich denke, unser Leben wird nach dieser Zeit ein anderes sein. Selbst, wenn wir zur „gewohnten Normalität“ zurückkehren. Was ist diese Normalität und wer sagt, dass wir „normal“ gelebt haben? Vielleicht haben die Menschen sich jahrelang auch verrannt und der jetzige Zustand kommt dem einer Normalität nahe?
Die Situation ist in unserem Kopf: Nur wir haben sie erlebt, vielleicht finanzielle Einbußen erlitten oder einen geliebten Menschen durch die Krankheit verloren. Es ist ein Neubeginn, und diese Chance sollten wir nutzen, uns selbst wieder nahe zu kommen.
Es ist meiner Meinung nach an der Zeit, endlich umzudenken und aufzuwachen. Welches Leben wollen wir führen? Welche Werte können wir den Kindern vermitteln? Literatur und Kunst an sich kann hier helfen. Viele Menschen haben das Lesen für sich entdeckt und es ist doch wunderbar, wenn wir diese kleinen Veränderungen in den Neubeginn integrieren.
Höher, schneller, weiter. Ich denke dieses Kapitel ist zu Ende. Gescheitert an uns selbst und es ist an der Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, auch wenn es schmerzlich ist.
Wir können aktuell von der Literatur nur lernen. Sie hat die dunkelsten Kapitel der Menschheit über Jahrhunderte hinweg überstanden und das gedruckte Wort ist geblieben.
Was liest Du derzeit?
Aktuell ist es wieder einmal „Die Infantin trägt den Scheitel links“ von Helena Adler, ich lese es bereits das dritte Mal beziehungsweise es lohnt sich immer, darin mal zu blättern und zu lesen.
Clarice Lispector und Ludwig Fels sind auch wunderbare Wegbegleiter.
All diese Texte berühren mich sehr und bestärken mich in meinem Tun.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Es ist kein Zitat, vielmehr das, worum es mir geht beim Schreiben.
Ich will alles auf Papier bringen …
All das Unerhörte, Obszöne, Liebliche, Traurige, Freudige, Erregende, Versöhnliche, Dankbare, Hässliche, Mutige, Bigotte, Verstörende, Grausame, Entsetzliche… also alle Facetten, die das Leben uns vor die Füße wirft.
Das versuche ich beim Schreiben auszudrücken.
Andrea Wecke, Schriftstellerin
Vielen Dank für das Interview liebe Andrea, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Textprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Andrea Wecke, Autorin
Fotos_Regina Ziegler
17.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.