Liebe Andrea, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Meine Tage sind stiller geworden, im Innen und Außen.
Ich verbringe die Tage im Homeoffice und habe durch die entfallende Wegstrecke zur Arbeit mehr Zeit für meine Texte und Spaziergänge im Wald. Dort erfahre ich absolute Freiheit fernab vom Lärm draußen. Ich gehe abseits der Wege, querfeldein und mitten hindurch, alleine auf mich gestellt. Es ist ein anderes Erleben als auf einem Pfad zu gehen. Barfuß stehe ich dann manchmal dort, und die Ideen für mein Schreiben kommen dort ganz automatisch.
Die Stille ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit. Da es in meinem Kopf permanent lärmt, suche ich wohl deshalb die Stille; aktuell im außen im Wald.
Wenn ich so darüber nachdenke, ist die Situation bis auf wenige Dinge, die nicht möglich sind, aktuell genau das, was mir zusagt: nämlich der Rückzug von außen und der Versuch, mich selbst aushalten zu können.
Und wenn ich mich aushalte, dann ist das schon ein großer Gewinn.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Wir dürfen nicht den Mut verlieren und nicht das Vertrauen – und zwar in uns selbst. Der Mensch hält mehr aus als er sich vorstellen kann, und wichtig ist die Verbundenheit zu uns selber. Das sich selbst spüren können und das Aushalten der Situation wie sie eben nun mal ist.
Einsamkeit ist ein weiterer Aspekt meiner Texte. Die Menschen wollen gesehen und geliebt werden, und in Zeiten wie diesen erfahren gerade die Social Media Kanäle auch eine andere Tragweite als noch vor einem Jahr. Das ist Fluch und Segen zugleich, entsteht doch nur eine scheinbare Nähe und ein scheinbares Gesehenwerden. Aber es ist wichtig, das Gemeinschaftsgefühl nicht zu verlieren. Keiner muss alleine sein – auch wenn es nur die scheinbare Nähe ist, auch sie kann tröstlich sein.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich denke, unser Leben wird nach dieser Zeit ein anderes sein. Selbst, wenn wir zur „gewohnten Normalität“ zurückkehren. Was ist diese Normalität und wer sagt, dass wir „normal“ gelebt haben? Vielleicht haben die Menschen sich jahrelang auch verrannt und der jetzige Zustand kommt dem einer Normalität nahe?
Die Situation ist in unserem Kopf: Nur wir haben sie erlebt, vielleicht finanzielle Einbußen erlitten oder einen geliebten Menschen durch die Krankheit verloren. Es ist ein Neubeginn, und diese Chance sollten wir nutzen, uns selbst wieder nahe zu kommen.
Es ist meiner Meinung nach an der Zeit, endlich umzudenken und aufzuwachen. Welches Leben wollen wir führen? Welche Werte können wir den Kindern vermitteln? Literatur und Kunst an sich kann hier helfen. Viele Menschen haben das Lesen für sich entdeckt und es ist doch wunderbar, wenn wir diese kleinen Veränderungen in den Neubeginn integrieren.
Höher, schneller, weiter. Ich denke dieses Kapitel ist zu Ende. Gescheitert an uns selbst und es ist an der Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, auch wenn es schmerzlich ist.
Wir können aktuell von der Literatur nur lernen. Sie hat die dunkelsten Kapitel der Menschheit über Jahrhunderte hinweg überstanden und das gedruckte Wort ist geblieben.
Was liest Du derzeit?
Aktuell ist es wieder einmal „Die Infantin trägt den Scheitel links“ von Helena Adler, ich lese es bereits das dritte Mal beziehungsweise es lohnt sich immer, darin mal zu blättern und zu lesen.
Clarice Lispector und Ludwig Fels sind auch wunderbare Wegbegleiter.
All diese Texte berühren mich sehr und bestärken mich in meinem Tun.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Es ist kein Zitat, vielmehr das, worum es mir geht beim Schreiben.
Ich will alles auf Papier bringen …
All das Unerhörte, Obszöne, Liebliche, Traurige, Freudige, Erregende, Versöhnliche, Dankbare, Hässliche, Mutige, Bigotte, Verstörende, Grausame, Entsetzliche… also alle Facetten, die das Leben uns vor die Füße wirft.
Das versuche ich beim Schreiben auszudrücken.

Vielen Dank für das Interview liebe Andrea, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Textprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Andrea Wecke, Autorin
Fotos_Regina Ziegler
17.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.