„Alles was jetzt aus Hirn und Herz kommt, hat eine ganz große Bedeutung für uns alle“ Erzsebet Nagy Saar, Künstlerin _ 5 Fragen _ 21.3.2020

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Liebe Erzsebet, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Wenn ich male, suche ich die Stille, es ist also in gewisser Weise wie gewohnt. Aber das Gefühl ist jetzt natürlich anders. Im künstlerischen Prozess von Reflexion und Aktion ist es jetzt noch intensiver, bewegender als je zuvor.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Für uns alle ist jetzt enorm wichtig, dass wir aufeinander aufpassen, zuhause bleiben, gesund bleiben und für die, welche es brauchen, Hilfe anbieten. Die Situation ist sehr ernst zu nehmen und als Künstler gilt es jetzt auch wahrzunehmen und zu arbeiten, zu schaffen.

 

Welche Bezüge von Deinen Werken nimmst Du jetzt in die Bewältigung der aktuellen Situation mit?

Meine aktuellen Arbeiten sind von Menschen der Generationen des 20.Jahrhunderts und ihren Erfahrungen, Erzählungen auch ihren bleibenden Ängsten inspiriert. „Diese Zeiten kommen nie wieder“ habe ich dabei oft gehört. Das stimmt natürlich, aber es ist ein dystopischer Gedanke, der mich auch angesichts der aktuellen Situation bewegt und mich dazu motiviert zu malen, zu schaffen – beinahe atemlos.

 

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Dieses Foto meiner Werke in meinem Atelier symbolisiert jetzt meine Wahrnehmung wie Arbeit am Ausdrucksvollsten. Zwischen Licht und Schatten findet eine Trennung statt. Eine Trennung von Vergangenheit und dem Jetzt. Daran denke ich, das fühle ich und daran arbeite ich.

 

Hast Du Empfehlungen für virtuelle Kunstzugänge?

Für mich ist Kunst und Kunstbetrachtung immer etwas sehr Direktes, Anschauliches. Virtuelle Präsentationen sind daher nicht mein Zugang, um Kunst zu betrachten aber ich finde es gut und wichtig, dass diese Möglichkeit virtuell Ausstellungen ansehen zu können, besteht.

Spätestens wenn meine kommende geplante Ausstellung in Wien ausfällt, wird das bestimmt auch für mich ein Thema sein bzw werden.

 

Welchen Impuls aus Deinen Kunstprojekten möchtest Du uns mitgeben?

Mein Impuls bzw Wunsch für unsere Gesellschaft ist in diesen Zeiten globaler Pandemie noch tiefer, kritischer wie visionärer, in sich zu gehen und sich Zeit zu geben, um etwas Neues zu beginnen, zu erschaffen. Alles was jetzt aus dem Kopf, dem Hirn wie dem Herzen kommt, auch wenn es vielleicht zunächst Angst macht, hat eine ganz große Bedeutung für uns alle – in Leben und Kunst für unsere Zukunft.

 

Vielen Dank für das Interview liebe Erzsebet und viel Erfolg für Deine kommenden Ausstellungsprojekte und persönlich alles Gute!

 

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5 Fragen an KünstlerInnen:

Erzsebet Nagy Saar, contemporary Artist painter

https://www.erzsebetnagysaar.com/

 

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„Ich an meiner Seite“ Birgit Birnbacher. Roman. Zsolnay Verlag.

 

„Ich an meiner Seite“ Birgit Birnbacher. Roman. Zsolnay Verlag.

 Das Licht fällt in den fahrenden Zug. Blitzlichtern gleich streift es die namenlosen Gesichter, die kleinen Gepäcksstücke, Schiebetüren und den schmalen Gang zwischen den Sitzreihen. Arthur ist still und nachdenklich. Jede Wahrnehmung und Bewegung ist noch keine Selbstverständlichkeit. Wird es vielleicht nie mehr sein. Er ist am Weg ins Freie. Dorthin. Aber wo und wie…

Der Therapeut hat bei der Haftentlassung Arthur das „Schwarzsprechen“ nahegelegt. Der Augenblick, die Emotion, das Bewegende auf Band sprechen. Gleichsam in eine Leere. Eine Leere am Weg zum Licht, das täglich noch so fordert und überfordert…

Leere und Licht so hat auch sein Leben begonnen. Freude und Einsamkeit. Stille an der Hand der Mutter am Weg. Und so geht es weiter bis ins Dunkel. Und jetzt wieder heraus. Ein Anderer werden, jetzt an einem ganz Anderen orientieren, sagt der Therapeut. Doch, war es für Arthur nicht schon immer so? Eben diese Leere im Anderen?

Und Arthur macht sich auf den Weg. Zu Begegnungen mit anderen und seinem Anderen. Ein Weg zu Wahrheit und Welt oder was alle dafür halten…

 

Birgit Birnbacher, Bachmannpreisträgerin 2019, stellt in Ihrem Roman „Ich an meiner Seite“ die eminent aktuelle Frage nach Sinn, Wahrheit und Wert des Menschen in einer beeindruckend tiefgründigen wie innovativen Textform. Die Sprache wird zur feinen Waage des modernen Menschenbildes, auf das die Autorin in ganz außergewöhnlicher Situationsraffinesse Tragik und Komik unseres Lebensalltages legt. Wenn Birgit Birnbacher erzählt, liest der Mensch von Kopf bis Fuß mit, erkennt sich selbst, wird erschüttert, lacht, weint und stellt sich wieder neu auf die Beine – danke!

 

Ein Roman, der in Inhalt und Form alles wagt und alles gewinnt. Zweifellos ein Geschenk und Meilenstein moderner Literatur.

 

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„Traurigerweise hält das Leben keinerlei Belohnung bereit“ Corinna T.Sievers, Schriftstellerin _ 5 Fragen_19.3.2020

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Liebe Corinna, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Im Moment gibt es fast nur meine Praxis. Sie ist trotz COVID-19 für schwerere Fälle geöffnet, das Gesundheitsamt will es so. Es gelten aber die schärfsten Hygienevorschriften, und das ist sehr anstrengend zu überwachen, zumal ich vorwiegend Kinder behandele. Am neuen Roman schaffe ich abends nur ein paar Sätze. Ich schreibe ihn aus der Perspektive eines politisch sehr unkorrekten älteren Arztes.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Schönheit wahrzunehmen, wie immer. Davon gibt es ja nicht plötzlich weniger.

 

In Deinem neuen Roman „Vor der Flut“ geht es um menschliche Sehnsüchte, Bedürfnisse, Entscheidungen angesichts einer Flutkatastrophe. Wie verhalten sich die Charaktere in Deinem Roman dazu und was können wir für die gegenwärtige Situation daraus mitnehmen?

Oh. Lieber nichts. Das sind ja lauter Egomanen, und zudem unglückliche. Die einzigen Glücklichen sind zwei Tote.

 

Was liest Du derzeit?

Mehreres auf einmal: Christoph Höhtker, Schlachthof und Ordnung. Boccacio, Decameron. Houellebecq, Unterwerfung. Martin Walser, Mädchenleben.

Ich sehe gerade: keine Frau dabei.

 

Welches Zitat, welche Textstelle aus Deinem Roman/Texten möchtest Du uns mitgeben?

 

Aus dem neuen Manuskript (es spricht die Hauptfigur, der Arzt):

„Traurigerweise hält das Leben keinerlei Belohnung bereit, weder im Allgemeinen für dich als Mann, noch im Besonderen für den Arzt und Lebensretter, außer du erachtest die Dankesbezeugungen der Patienten oder ihrer Angehörigen als Lohn, doch auch wenn sie eine gewisse Genugtuung auslösen, stellen sie nicht den Kick dar, den du brauchst, um runterzukommen nach einem Trip wie der Verpflanzung eines nussschalengroßen Herzens aus dem einen (kalten) Kinderkörper in den anderen (warmen).

Alkohol bringt es auch nicht, ebensowenig wie Sex, und auch nicht Alkohol mit Sex, es muss etwas Schärferes her, Kokain wäre ideal, kommt aber aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, der körperliche Schaden ist enorm, und es lässt sich im Haar noch nach mehreren Monaten nachweisen, im Falle eines Kunstfehlers ein gefundenes Fressen für die Forensik, und nicht zuletzt kann die Beschaffung nur illegal erfolgen …

 

Er findet dann noch den richtigen Stoff, aber der bringt ihm auch kein Glück.“

 

Vielen Dank für das Interview liebe Corinna, viel Freude und Erfolg für Dein neues Romanprojekt wie Deinem großartigen aktuellen Roman und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Corinna T.Sievers, Schriftstellerin

Aktueller Roman von Corinna T. Sievers: Vor der Flut, Frankfurter Verlagsanstalt 2019

 

18.3.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

Fotos_Walter Pobaschnig 2018, Bachmannpreis.

 

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„Niemand zwingt uns dazu, egoistische Nutzenmaximierer zu sein“ Birgit Birnbacher, Bachmannpreisträgerin 2019 _ 5 Fragen an SchriftstellerInnen_ 19.3.2020

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Liebe Birgit, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Wir sind betroffen von den geschlossenen Kindergärten, alle sind zuhause. In meinem zweiten Beruf als Sozialarbeiterin gehe ich zweimal pro Woche normal in die Arbeit. Normalerweise wäre ich jetzt gerade sehr viel mit meinem Buch unterwegs gewesen. Jetzt fügt sich alles gut, denn nun werde ich gebraucht, wo ich gerade bin. Ich mag außerdem nicht mit Tatsachen hadern, die nicht zu ändern sind und herumjammern, dass mir Lesungen ausfallen, wenn die Welt in einem solchen Zustand ist. Man muss das Ganze schon auch im Verhältnis sehen.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Da fragen Sie mich was! Dass wir vor Angst um unsere Kinder und Familien nicht augenblicklich zu Tieren werden. Dass wir verdammt noch mal tun, was man uns sagt: Drinnen bleiben, sich einschränken, Kontakt vermeiden. Ab und zu einmal einen gscherten Schmäh machen, das hilft auch.

 

In Deinem neuen Roman „Ich an meiner Seite“ geht es um Herausforderungen am Weg zurück „ins Leben“. Der Kontext ist dabei eine Haftentlassung. Grundsätzlich ist es aber ein Neubeginn, von dem wir ja auch jetzt gesellschaftlich stehen bzw stehen werden. Welche inneren und äußeren Prozesse sind für einen Neubeginn ganz wesentlich?

Wir kennen das doch alle: Man wird ja nicht gefragt. Es gibt diesen Effekt, den wir von ernsten Diagnosen kennen oder schlimmen Beinaheunfällen: Über einen gewissen Zeitraum hinweg wollen wir vieles wirklich anders machen. Je nachdem, wie einschneidend unsere Erlebnisse sind, gelingt das ja auch ab und zu.

 

Was liest Du derzeit?

Ich habe mich noch rechtzeitig mit Frühjahrsneuerscheinungen von Karin Peschka, Nava Ebrahimi, Valerie Fritsch und Helena Adler eingedeckt. Jedes dieser Bücher ist auf seine Weise herausragend. Jedes werde ich noch öfter verschenken.

 

Welches Zitat, welche Textstelle aus Deinem neuen Roman möchtest Du uns mitgeben?

Weil ich mich nicht so gerne selbst zitiere, vielleicht lieber ein Gedanke, von dem das Buch getragen ist: Niemand zwingt uns dazu, egoistische Nutzenmaximierer zu sein. Weil im Moment Vieles auseinanderfällt, was wir gerade noch für selbstverständlich gehalten haben, haben wir vielleicht auch gute Chancen, uns zivilgesellschaftlich weiter zu entwickeln.

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Vielen Dank für das Interview liebe Birgit und viel Erfolg für Deinen großartigen neuen Roman und persönlich alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Birgit Birnbacher, Schriftstellerin, Bachmannpreisträgerin 2019

Aktuelle Romanneuerscheinung:  Birgit Birnbacher, Ich an meiner Seite, Zsolnay Verlag

 

18.3.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Freundlich bleiben, zueinander, zu sich selbst und den Blick auf die existentielle Hilfe für Menschen hier und dort nicht vergessen“ Karin Peschka, Schriftstellerin_5 Fragen zur Gegenwart 18.3.2020

 

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Liebe Karin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich versuche, einen zwanglosen Rhythmus zu finden und arbeite vieles auf, was in den letzten Wochen liegengeblieben ist. Das gilt für die Schreibarbeit genauso wie für den Haushalt. Belege ein- und Gewand aussortieren, Posteingang auf- und Kleiderschrank umräumen. So ungefähr. Wir wechseln uns mit dem Kochen ab. Und in den stillen Stunden sitze ich oft am Fenster und schau, was sich draußen abspielt. Dann wird geschrieben.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Freundlich bleiben, zueinander, zu sich selbst. Geduldig sein und wach: Vielen geht es äußerst schlecht. Die sind gestrandet irgendwo, können nicht heim oder haben kein Heim, sind arm oder sehr gefährdet, es zu werden, verlieren ihre Existenz, haben Angst, müssen diese Zeit der Isolierung unter extrem schlechten Voraussetzungen verbringen.

Die darf man nicht aus den Augen verlieren, wir nicht und die politischen Entscheidungsträger/innen erst recht nicht.

 

In Deinem neuen Roman „Putzt euch, tanzt, lacht“ geht es wesentlich um das Thema Aufbruch, Reflexion und auch Entscheidung. Inwieweit ist dies auch jetzt in der aktuellen gesellschaftlichen Situation gefordert?

Solidarität ist sicher jener Aspekt des Romans, der am ehesten auf die aktuelle Situation passt. Oder, schlichter gesagt: zusammenhalten. Das geht auch auf Distanz.

 

Was liest Du derzeit?

Meša Selimović, „Der Derwisch und der Tod“, Otto Müller Verlag

 

Welches Zitat, welche Textstelle aus Deinem neuen Roman möchtest Du uns mitgeben?

Das ist schwer. Ich hab gleich an drei Passagen gedacht, such Dir eine aus. An die erste glaube ich tief und fest. Auf Momente, wie in der zweiten beschrieben, freue ich mich, denn sie kommen bestimmt. Und das dritte Zitat aus dem Roman passt wahrscheinlich doch sehr gut auf unsere Gegenwart.

Kräuter, legale und immer noch nicht legale, bauen wir im Garten an, der, von einem Holzzaun eingefasst, zwischen Hütte und Waldrand liegt, Schatten gibt es dort, Häuplsalat, Zwiebeln, Heidelbeerstauden und ein verdrehtes, halbtotes, nicht produktives Nussbäumchen, das Ernst ausreißen wollte, es aber nicht konnte. Weil? Weil auch das in den Statuten stehen soll: Der Wert des Lebens ermisst sich nicht am Maß der Produktivität eines Menschen. (Somit ist die Walnuss ein Mensch?, fragte ich. Sei still, sagte Ernst.)

Manchmal ist diese Stunde. An Nachmittagen oft, und oft ist es keine Stunde, eher ein Gleiten der Zeit, wenn sich etwas Weiches in die Hitze legt, wenn der Tag diesen langen Sinkflug hin zur Nacht einleitet, so wie er es nur im Sommer tut, an Augusttagen. (Hilf mir, sei lebendig.) Das ist Glück, denke ich, schlüpfe aus Hose und Unterwäsche, ich bin ein Sonnenkollektor, ein Meer wogender Zellentierchen, Bartgeierchen, Silberfischchen, ein Amöbenheer mit flimmernden Beinchen.

Darin: In die Ferienwohnung auf dem Hof, in Barrierefreiheit, und über allem dann natürlich Ernst, der kurz mit der Faust auf den Tisch klopfte und es still wurde und er sagte: „Ihr seid zu schnell. Das Schnelle geht nicht.“

 

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Vielen Dank für das Interview liebe Karin, viel Freude und Erfolg für Deinen großartigen neuen Roman und alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Karin Peschka, Schriftstellerin

Aktuelle Romanneuerscheinung:  Karin Peschka „Putzt euch, tanzt, lacht“ Otto Müller Verlag

https://peschka.at/

 

17.3.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Das Bewusstsein gesellschaftlicher Fragilität und eine neue Wertschätzung realer Sozialkontakte könnte uns bleiben“ Felix Kucher_Schriftsteller_ 5 Fragen an KünstlerInnen _17.3.20

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Lieber Felix, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Da ich im Brotberuf Schulleiter bin, verbringe ich die Vormittage derzeit in der Schule und im Homeoffice, von wo aus ich auf alle wichtigen Systeme zugreifen kann. Das E-Learning funktioniert sehr gut, den Umstieg haben alle Beteiligten reibungslos geschafft.
Dann koche ich! Für mich sehr ungewohnt, da ich sonst jeden Tag irgendwo mittagesse.
Der Nachmittag ist dem Lesen, der Hausarbeit und dem Spazierengehen gewidmet.
Nach wie vor schreibe ich am liebsten, wenn es dunkel ist.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich denke, die sozialen Kontakte über die verschiedenen Netzwerke weiter zu pflegen. Vernachlässigte Kontakte wiederbeleben. Die Zeit zu nutzen fürs Lesen und Musik hören. Und natürlich in jeder Form respektvoll gegenüber den Mitmenschen zu leben.

 

In Deinem aktuellen Roman „Kamnik“ geht es um Lebenskatastrophen und Lebenswege im Kontext des Krieges. Es geht dabei um die Herausforderungen und belastenden Prozesse eines Neubeginns. Auch jetzt wird es ein Neubeginn sein, von dem wir gesellschaftlich und persönlich stehen bzw. stehen werden. Was ist dabei wesentlich?

Wenn man derzeit die Visionen für die Zeit „danach“ liest, so fallen einem die vielen optimistischen Entwürfe auf (z.B. bei Matthias Horx), die von einer „Kaskade von sozialen Innovationen“ und Paradigmenwechseln beim Thema Klimaschutz (Stichworte: Blauer Himmel in Tokio, Delfine in Triest) reden, die uns bevorstehen sollen.

Ich bin da eher skeptisch und fürchte, dass sich in Wirtschaft und Gesellschaft sehr schnell alte Muster wieder durchsetzen werden. Bleiben könnte am ehesten das Bewusstsein der Fragilität unserer globalisierten und wachstumsorientierten Gesellschaft und eine neue Wertschätzung realer sozialer Kontakte.

 

Was liest Du derzeit?

Karin Peschka: Putzt euch, tanzt, lacht!
Tonio Schachinger: Nicht wie ihr
Drago Jančar: Wenn die Liebe ruht
Haruki Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki (Hörbuch)

 

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Welches Zitat, welche Textstelle aus Deinem aktuellen Romanprojekt möchtest Du uns mitgeben?

„Es geht ja nicht nur um die Frauen, es geht um Gleichberechtigung für alle! Und dafür haben wir unterschrieben. Das Ziel bleibt eine klassenlose Gesellschaft ohne Herren und Diener. Und in einer solchen Gesellschaft ist die Frau selbstbestimmt, ob dir das passt oder nicht, Kichi.“

(Die Szene spielt im Jahr 1920, angesprochen ist Carl Sadakichi Hartmann)

 

Vielen Dank für das Interview lieber Felix, viel Freude und Erfolg beim Schreiben Deines Romans und alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Felix Kucher, Schriftsteller

Aktueller Roman: Kamnik, 2018, Picus Verlag

http://felix.kucher.at/

 

 

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„Ich sehe Angst immer als Potential für Mut. “ Cornelia Travnicek _ Schriftstellerin_Interview _Station bei Hansi Lang_Wien.

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Grundsätzlich betritt jeder Mensch mit seinen Möglichkeiten, Interessen eine Stadt anders. Eine Stadt ist viele Städte und hat einfach viele Ebenen.

 

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Die Jungs in meinem neuen  Roman „Feenstaube“ stehen außerhalb sichtbarer Stadträume. Anknüpfungspunkte von Ihnen im gesellschaftlichen Leben sind nicht gewünscht. Sie sollen möglichst unauffällig und mit der Stadt nicht verwachsen sein. In Städten gibt es ja grundsätzlich ein Parallelleben, Parallelräume. Je nach gesellschaftlicher Position werden mehr und sichtbarere Räume besetzt.

 

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Die Jugendlichen in „Feenstaub“ haben Sehnsüchte. Sie sprechen über die Möglichkeiten „wie es wäre“.

Verlorene, ausgebeutete, missbrauchte Jugend, das ist ein Phänomen weltweit.

 

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Die Topographie der Insel im Roman lässt ja viele Zugänge zu. Ist der Nebel real, metaphorisch, imaginiert oder suggeriert? Ist es der Nebel im Kopf von den Jungs oder das Schweigen einer Gesellschaft, welche diese Insel nicht sehen will? Ich schätze es, wenn im Schreiben diese offenen Möglichkeiten des Lesens geschaffen werden.

 

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Jede Stadt hat „Inseln“. Räume und Möglichkeiten von Sozietät, Individualität und Kreativität, Freiheit. Wenn ich in ein Kaffeehaus ein Buch mitnehme, kann das meine Insel sein. Eine Insel ist immer das was wir daraus machen.

 

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Es ist wichtig in einer Stadt viele und unterschiedliche Inseln für alle zu haben. Ob dies FreundInnen, Vereine oder einfach öffentliche Raummöglichkeiten sind.

 

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Menschen sollen sich auch von ihren eigenen Inseln aus bewegen, nicht bloß darauf sitzenbleiben – im Nebel.

 

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Städte haben Risiken. Die individuelle Erwartungshaltung ist dabei auch wesentlich.

 

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Der Mensch ist auch ein „Angsttier“ und speichert Erfahrungen, Erzählungen anderer. Das kann eine Stadt dunkler, unsicherer machen.

 

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Jeder bewegt sich in Wahrheit durch seine eigene Stadt.

 

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Kunst kann die verschiedenen Inseln in unserer Gesellschaft sichtbar machen. Kunst kann Brücken-Bauen zwischen den unterschiedlichen Inseln.

 

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Das Spiel ist unerlässlich zur Selbst-, Körpererfahrung und der eigenen Grenzen.

 

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Kunst kann die verschiedenen Inseln in unserer Gesellschaft sichtbar machen. Kunst kann Brücken-Bauen zwischen den unterschiedlichen Inseln.

 

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Kunst, etwa Literatur, Film, gibt die Möglichkeit Fenster zu öffnen, authentische Erfahrungen im Blick auf anderes, andere zu machen.

 

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Der Austausch im künstlerischen Raum ist ganz wichtig. Kunstfiguren können Emotionen auslagern und Diskussionen ermöglichen.

 

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Ein Ort kann Sehnsuchts- oder Verlustort sein. Verbunden oder gebunden.

 

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Orte sind Momente in der Zeit wie im Raum. Orte verändern sich.

Orte hängen sehr mit individueller Erfahrung zusammen. Persönliche Erinnerungen, die sich auf einen Ort drauflegen und für andere nicht sichtbar sind.

 

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Die Topographien im Roman sind Schlaglichter auf verschiedene Städte, die ich bereist habe oder die ich mir in der Phantasie erdacht habe.

Die Stadt im Roman ist eine, die überall und nirgends sein kann oder überall gleichzeitig ist.

 

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Das „Keine Angst!“ hier an der Gedenksäule vor dem Wohnhaus von Hansi Lang erinnert mich an einen Asterix Band, in dem sich die Normannen auf den Weg machen, um die Angst kennenzulernen. Sie haben gehört, dass die Angst Flügel verleiht und sie wollen Fliegen lernen. Am Ende stellt sich heraus, nur wer die Angst kennt, kann auch wirklich mutig sein. Ich sehe Angst immer als Potential für Mut.

 

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Jeder meiner Romane funktioniert anders von Struktur, Atmosphäre. In diesem Roman war viel Bedarf an Weißraum. Es geht darum Platz zu machen für die Poesie und Phantasie- Reflexionsräume an sich.

 Mein Schreiben ist organisch. Ein natürlicher Prozess. Ein Wachsen.

 

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Ich bin ein großer Fan des Nicht-Erzählens. Ich muss nicht alles in ein Buch reinschreiben.

Worte, Texte brauchen auch Hallraum, ein Echo, die eigenen Gedanken von Leserin und Leser.

 

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Literatur ist ganz direkt. Da gibt es kein Rausnehmen aus den eigenen Gedanken, dem eigenen Kopf, eigenem Leben. Es ist eine sehr intime Kunstform.

 Literatur ist auch immer Selbsterfahrung.

Geschichten sind neben der Höhlenmalerei die älteste Kunstform, Unterhaltung des Menschen. Geschichten wird es immer geben.

 

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Ich denke Leserin und Leser beim Schreiben immer mit. Es muss da Platz sein für jemand anders. Inspiration ist dabei der Gedanke im Kopf, von dem Du nicht weißt, woher er kommt. Ich trage immer ein Notizbuch bei mir.

 Jedes meiner Bücher hat in seiner Entstehung auch mit Musik zu tun. Beim aktuellen Roman „Feenstaub“ war es Instrumentalmusik, sphärische Klänge.

Was wird gespielt? Was ist Wahrheit? Mein Roman stellt diese Fragen.

 

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Cornelia Travnicek, Schriftstellerin _ Romanneuerscheinung „Feenstaub“ 3_20.  

Vielen Dank liebe Cornelia für den Fotospaziergang durch Wien und das Interview!

 

Alle Fotos_Interview _ Walter Pobaschnig 28.2.2020_Wien.

 

„Verdrängtes Sehnen kommt zurück, irgendwann.“ Karin Peschka _Schriftstellerin. Interview station by station_ Wien

 

 

IMG_4273aIch treffe Karin Peschka, Schriftstellerin, Trägerin des ALPHA Literaturpreises (2015) und des Bachmann Publikumspreises (2017), an einem öffentlichen Verkehrsknotenpunkt Wiens, Urban Loritz Platz. Alles ist in Bewegung hier. Wie auch im neuen Roman „Putzt euch, tanzt, lacht“ der österreichischen Autorin, der Ende Februar dieses Jahres erschienen ist. Menschen machen sich darin auf die Suche nach Möglichkeiten und Modellen des Lebens und Zusammenlebens. Hinterfragen das Vorhandene, das Innen und Außen, und sind unterwegs. Zentral dabei Fanni, eine 57jährige Supermarktverkäuferin. Alles ist zunächst geordnet bei ihr, mit Ehemann, erwachsenen Kindern und Haus, die Pension in Sichtweite. Doch dann die Ausfahrt aus diesem Leben, plötzlich – „So hatte etwas Neues begonnen…“.

 

Ich mache mich nun mit Karin Peschka auf den Weg. Es geht mit der Straßenbahn 49 zur West_Ausfahrt Wien, dem Romanschauplatz zu Buchbeginn.

 

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Liebe Karin, heute ist Valentinstag, ich darf Dir im Namen Deiner begeisterten LeserInnen ein süßes Herz überreichen. Danke für Dein so spannendes, mitreißendes wie auch nachdenkliches Schreiben!

 

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Der Valentinstag führt auch zu meiner ersten Frage. Lebenswege mit Herz, Sinn und Mut im persönlichen Orientieren, Hinterfragen und Ankommen sind auch eine Mitte Deines neuen Romans. Was lässt Liebe dauern?

 

Karin Peschka: Geduld und Realismus. Was ich beobachte ist, dass der Übergang vom Verliebtsein zur Liebe oft nicht funktioniert. Es ist wie das Scheitern an einer Illusion. Was suche ich in einer Beziehung, was erwarte ich, wie ehrlich bin ich zu mir, zu meinem Partner – das sind wesentliche Fragen. Sich selbst nicht zu verleugnen ist vielleicht ein wesentlicher Schlüssel für Moment und Dauer in einer Partnerschaft.

 

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Im Roman bricht Fanni aus ihrer Ehe mit Bernhard, ihrem langjährigen Partner, aus. Mit ihm hat sie Kinder großgezogen, ein Haus gebaut. Sie steigt ins Auto und fährt davon. Wie wichtig ist es in der Liebe eine Reißleine zu ziehen und aufzubrechen?

Karin Peschka: Liebe kennt verschiedenste Formen. Fanni verlässt nicht ihre Familie, ihre „Liebe“, wenn man so will, sondern bricht vielmehr aus ihrem alten Leben aus. Sie hasst ihren Mann nicht, mit dem sie eine jener Kompromiss-Beziehungen führt, die auch gut funktionieren können. Fanni hat sich verloren und sucht einen Weg.

 

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Fanni und Bernhard führen ja ein sehr geordnetes Leben. Schließlich scheitert dies. Nicht laut und nicht im Rosenkrieg. Aber es geht zu Ende. Wie viel Ordnung und Unordnung braucht Liebe, um bestehen zu können?

Karin Peschka: Jede und jeder braucht Ordnung und Struktur in einem eigenen, individuellen Ausmaß, als Orientierung und Halt. Die einen mehr, die anderen weniger. Gewisse Gewohnheiten und Rituale etwa, die sich über die Jahre in der Partnerschaft mit meinem Lebensgefährten etabliert haben, schätze ich sehr. Und habe bemerkt, dass ich sie zum Teil auch dann beibehalte, wenn er nicht bei mir ist, wie etwa bei meinem StadtschreiberInnenaufenthalt in Klagenfurt (2018) oder letztes Jahr beim Schreibprojekt im Kosovo. Pedanterie mag ich nicht, aber Gewohntes mit einer gewissen Lässigkeit beizubehalten, habe ich zu schätzen gelernt.

 

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Fanni ist am Weg zum Erstgespräch mit einem Therapeuten. Aber Sie fährt einfach weiter und weg. Was lässt Fanni zum Punkt des Verlassens von Vertrautem und Gewohntem kommen?

Karin Peschka: Fanni erinnert sich an ihre Sehnsüchte, die sie als siebzehnjähriges Mädchen, als junge Frau hatte. An die Lebensentwürfe, von denen sie damals träumte. Ich denke, je konkreter Träume, Wünsche und Ideen sind, die man für sich entwirft, umso eher kommen diese zu einem zurück. Besonders an diesen Kreuzungen im Leben, die einen Richtungswechsel fast schon heraufbeschwören. In schwierigen Zeiten, meine ich. Dann kann die Frage schon mit Vehemenz vor einem stehen: Wie weit lässt sich eine Sehnsucht verwirklichen, was versuche ich, worauf bin ich bereit zu verzichten? Verdrängtes Sehnen holt einen irgendwann im Leben ein. Sich ihm zu stellen, ist eine Herausforderung.

 

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Holen Fanni also um Ihre Lebensmitte Ihre ungelebten Träume ein?

Es ist in ihrem Leben nicht zum ersten Mal so, vielleicht war es nur noch nie so deutlich.

Ich vermute, dass für Frauen oft eine typische Haltung gilt: Ich habe Verantwortung übernommen und jetzt muss ich mich kümmern, ohne mich bricht das System zusammen. Das Ich-habe-zu-funktionieren-Gen, das fordert, erst soll es allen anderen gut gehen, dann bin ich an der Reihe. Das Wohlergehen der Familie als Zentrum der Welt. Das ist per se nichts Verwerfliches, natürlich. Solange es einen nicht auffrisst. Und/oder in eine Krise stürzt, wenn zum Beispiel die Kinder eigene Wege gehen. Braucht es nicht spätestens dann eine neue Dynamik von Verantwortung, Freiheit und Sinnfindung? Dieser Perspektivenwechsel oder diese innere Fragestellung sind wichtig. Fanni geht diesen Weg, zwar sehr spontan und ohne anfangs groß darüber nachzudenken. Aber letztlich konsequent.

 

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Was lässt Fanni aufbrechen?

Karin Peschka: Sie weiß das selbst nicht genau und kommt erst nach und nach auf mögliche Gründe. Klar ist ihr von Beginn an nur, es geht nicht darum, Bernhard zu verlassen, sondern dem eigenen inneren Schwung zu folgen.

 

 

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Ist der neue Weg Fannis auch eine Selbstkritik an ihrer Rolle als Mutter, da ja Ihre Tochter dasselbe Modell von Liebe und Ordnung gewählt hat?

Karin Peschka: Nein, Fanni wählt ihren persönlichen Weg, ohne Modelle von Liebe und Partnerschaft grundsätzlich abzulehnen. Auch nicht jenen ihrer Tochter Ines, deren Entscheidung sie akzeptiert. Was hätte sie auch sonst tun sollen? In der Charakterisierung von Ines im Roman hinterfrage höchstens ich, als Autorin, etwas. Nachbetrachtet glaube ich, dass Ines als Figur tragischer ist, als ich es beim Schreiben erkannt habe.

 

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Bei Fanni und Bernhard ist Sex kein Thema (mehr). Welche Rolle kommt der Sexualität heute im Anspruch von Partnerschaft in verschiedenen Lebensphasen zu?

Karin Peschka: Ob Sexualität zwischen den beiden kein Thema mehr ist, wird im Buch nicht erwähnt, das ist eine Annahme, die man treffen kann, die aber nicht zutreffen muss. Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.

Dem einen Paar genügen drei Umarmungen im Monat, das andere will bis ins hohe Alter lustvolle Sexualität leben. Dazwischen gibt es hundertausend Schattierungen. Sex ist Sex, in diversen Formen und Intensitäten, nicht mehr und nicht weniger.

Die Vorgaben allerdings können zum Problem werden. Was man machen soll, kann, muss. Was zu einer Art Norm wird, erzeugt doch im Umkehrschluss immer Unsicherheit. Ständig auf die Körperform, auf Ausstrahlung, auf sexuelle Attraktivität zu achten, ist anstrengend.

Ich kenne viele „best ager“, die Singles sind und denen es gut damit geht. Menschen, Lebensentwürfe sind vielfältig.

 

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Fanni lebt auch Sexualität in ihrem Neubeginn wieder. Was bedeutet Sexualität für sie?

Karin Peschka: Fanni entdeckt sich wieder. Um es ganz profan zu sagen: Sie ist auf dem Weg zu sich selbst. Je besser ihr das gelingt, umso mehr ergibt sich alles andere ganz natürlich.

 

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Fanni bricht auf und kehrt zu früheren Lebensorten zurück. Erinnerungen kehren zurück, Begegnungen, Gespräche ereignen sind dort. Wie wichtig sind Lebensorte für uns?

Karin Peschka: Ist nicht der wesentliche Ort zuallererst immer in einem selbst? Eine Landschaft, die man in sich trägt. Die Frage ist, wie wohl man sich darin fühlt, wie neugierig man ist, das zu erkunden. Ich habe erlebt, dass ich mich so gut auf eine fremde Umgebung, auf andere Länder und Lebensumstände einlassen kann.

 

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Welche Anziehungskraft und Notwendigkeit haben Orte in verschiedenen Lebensphasen?

Karin Peschka: Die, die man ihnen zugesteht. Der Ort ist doch per se neutral. Ob ich dort bin oder nicht, ob ich eine Landschaft schön finde, mich darin wohlfühle, sie bewundere, ablehne, mich darin verliere, ist komplett nebensächlich. Der Ort ist, ob ich da bin oder nicht. Seine Bedeutung entsteht durch das, was ich erlebe – und hängt auch von den Menschen ab, die mir begegnen oder eben nicht begegnen. Sie haben wohl einen großen Anteil an der Bedeutung, die man Orten zumisst.

 

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Fanni kehrt zurück zu Träumen und Orten – ist das Leben immer eine Bewegung hin nach einem Sehnsuchtsort?

Karin Peschka: Fanni macht sehr vieles nicht aus bewusster Überlegung. Sie ist in einer Krise und lässt sich treiben. Das Treibenlassen führt zu Orten, die für sie überraschend sind, die sie nicht erwartet hat. Sicherlich spielt das Unbewusste eine große Rolle. Ob es immer eine Bewegung hin zu einem Sehnsuchtsort gibt? Das weiß ich nicht.

 

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Der Aufbruch von Fanni ist auch von einem biblischen Zitat begleitet „Haltet mich nicht auf, denn Gott hat Gnade zu meiner Reise gegeben“ (Mose 24,56). Warum hast Du diesen Bezug gewählt?

Karin Peschka: Ich habe in den Psalmen gestöbert, um ein gutes Zitat zu finden. Dabei bin ich auf diese Mose-Stelle gekommen, die genau zur Intention des konsequenten Aufbruches passte. Ich bin nicht bibelfest und war nur in meiner Jugend religiös. Damals, vor allem in der Kindheit, hatte das Römisch-Katholische logischerweise Einfluss auf mich.

 

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Konsequenz im Weg von Leben und Liebe drückt sich im biblischen Kontext aus. Isaak lernt seine spätere Frau Rebekka in einem fremden Land kennen und hält an ihr über Landesgrenzen hinweg fest. Ist Konsequenz im persönlichen Weg von Leben und Liebe auch ein Charakterzug von Fanni?

 

Karin Peschka: Ja, vielleicht. Sie lebt ja davor konsequent und bricht konsequent auf, als die innere Qual sehr groß wurde.

 

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Was hat Dich zur Themenwahl Deines neuen Roman geführt?

Karin Peschka: Ich wollte dieses Buch schreiben, wollte dabei auch ein Risiko eingehen und sehen, wohin es mich führt. Dass es eher freundlich geworden ist, hat mich zuerst überrascht, aber dann nicht mehr groß gewundert. Nach den dystopischen Bildern in „Autolyse Wien“ war es das Schreiben an „Putzt euch, tanzt, lacht“ vielleicht auch eine Art Konsequenz.

 

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Liebe Karin, herzlichen Dank für das Gespräch und viel Freude und Erfolg für Deinen neuen Roman!

Buch-Neuerscheinung: „Putzt euch, tanzt, lacht“ Karin Peschka. Roman. Otto Müller Verlag.

 

Interview_alle Fotos _ Walter Pobaschnig 14.2.2020. 

 

 

„Orte sind wie Musik“ Simone Rapp, Shiatsu-Praktikerin, KEM Trainerin, Model für_ Station bei Bachmann 13.3.20_Wien.

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Es sind schon beim ersten Betreten und Wahrnehmen hier sehr intensive Eindrücke. Für mich ist es gut nachvollziehbar diesen Ort als einen Romanschauplatz zu wählen.

 

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Das Erzählen wie Geschichte an sich ist hier zu spüren.

 

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Das Einlassen auf diesen Ort fällt leicht. Dieser lädt gleichsam ein zu sehen – nach Außen wie nach Innen.

 

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Ingeborg Bachmann thematisiert im Roman Malina die Zerrissenheit, die Fragen und auch die Ausweglosigkeiten des Menschen, der Frau zwischen der persönlichen Familiengeschichte und dem eigenen Weg in die Gesellschaft. Damit trifft Sie in das Herz der Zeit. Damals und auch über diesen gesellschaftshistorischen Kontext hinaus.

 

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Es geht im Roman um Loslösung aber auch um den Anspruch und die Schwierigkeiten neuer persönlicher Orientierung wie Konsequenz. Was ist das neue Bild von mir, wo soll ich hin? Da ist viel Mut aber auch Einsamkeit in diesem Prozess.

 

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Wir leben in einer Zeit, in der es auch wesentlich darum geht persönlich Weiblichkeit und Männlichkeit wahrzunehmen und zu leben – gesellschaftlich und individuell.

 

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Es geht um das Finden einer Balance des Selbst, auch um ein Ausbrechen von traditionellen Rollenbildern.

 

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Wir müssen uns selbst neu entdecken.

 

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Die Sichtbarkeit ist wesentlich für die Frau. Aktivität. Für Männer geht es darum, ihre Emotionen wahrzunehmen und damit umzugehen. Der Roman spricht ja von diesen Themen – offen und kritisch, das ist sehr wichtig, auch heute.

 

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Die Festigung der authentischen Persönlichkeit von Frau und Mann erfordert Vertrauen und Zutrauen.

 

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Gesellschaftliche Unsichtbarkeit ist etwas, das noch immer sehr präsent ist. Das Thema des Verschwindens am Romanende thematisiert das ja sehr drastisch.

 

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Auch ich kenne diese Erfahrungen, Prozesse von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit.

 

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Unsichtbarkeit ist ein Verlust von Bedürfnis und Ziel, auch eine Resignation, eine Kraftlosigkeit, ein Stehenbleiben – ein Verschwinden in einer Wand, die sich vor einem auftut, wie es ja auch Ingeborg Bachmann beschreibt.

 

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Ich habe sehr früh mit Shiatsu begonnen, dann auch die Ausbildung dazu gemacht. Jetzt gebe ich Wissen und Technik gerne in Seminaren weiter. Das ist auch ein spannender Weg des Dialoges und der Weiterentwicklung für mich.

 

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Shiatsu, das heißt aus der Kraft der Stille zur Sichtbarkeit, der Präsenz zu kommen – in allem. Es heißt auf Türen, Lebensräume  zugehen. 

 

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Stille lädt zur Selbstauseinandersetzung ein, das kann auch Angst auslösen. Aber das ist der Beginn des Weges, der schmerzliche Beginn, der wichtig ist.

Stille ist frisches Wasser.

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Leidenschaft ist ein Impuls und über den Moment hinaus eine Balance zwischen Verstand und Emotion, Kreativität. Davon erzählt der Roman.

 

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Partnerschaft ist einer der schönsten wie schlimmsten Spiegel unseres Selbst.

 

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Orte sind Ereignis und Geschichte. Orte leben und berühren. Sie sind wie Musik.

 

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Ich bin an einem Ort eine Zuhörende, eine Spürende, auch eine Vorsichtige. Es geht um ein Kennenlernen und um Lernen – was will mir der Ort sagen? Wie will er mich begleiten?

 

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Orte sind auch ein Speicher von Erfahrungen. Das ist zu spüren. Der Roman Malina, Geschichten an sich erzählen ja davon. Auch Geistergeschichten sind ja ein Ausdruck davon.

 

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Die Wendeltreppe hier im Haus steht auch für das Weitergehen, den Blick nach Vorne, für das Nicht-Stehenbleiben.

 

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Meine Vision, meine Ziele wandeln sich – mit jeder Erfahrung. Ich habe mich im letzten Jahr von der Starre strikter Ziele gelöst.

 

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Die Offenheit für die Zukunft ist sehr wichtig.

 

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Begegnung in Achtsamkeit und Aufmerksamkeit bedeutet Wachstum und damit auch Verstehen.

 

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Die Löwen hier an der Tür stehen für Leidenschaft und Mut. Je mehr wir darauf zugehen, umso mehr nähern wir uns der vergessenen Kraft unserer vielen Persönlichkeitsanteile.

 

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Schreiben und Lesen sind immer auch Prozesse des Loslassens und des Neu-Orientierens, Findens. Jedes Buch ist ein Impuls dazu, ein wesentlicher.

 

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Simone Rapp, Shiatsu-Praktikerin, KEM Trainerin _ am Romanschauplatz „Malina“_Wien_

Vielen Dank liebe Simone für Dein großartiges Bemühen in der Vorbereitung in Kostüm, Requisite wie Textzugängen und das beeindruckende Einlassen auf die Romanszenerie und das interessante Gespräch!

 

Station bei Bachmann _ 13.3.2020.

Idee, Regie, alle Fotos_Walter Pobaschnig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Feenstaub“ Cornelia Travnicek. Roman. Neuerscheinung Picus Verlag.

 

„Feenstaub“ Cornelia Travnicek. Roman. Neuerscheinung Picus Verlag.

Der Fluss und die Stadt. Dazwischen der Nebel. Die Brücke. Das Unwägbare und Unvermeidbare. Wenn die Schatztruhe da ist, heißt es liefern. Bis er zufrieden ist. Der Krakadzil. Dann wird der Nebel wieder leichter und alles heller. Töne kommen. Es scheint weit zu sein – „In mir wohnt eine wiederkehrende Melodie. Und manchmal würde ich sie gerne singen…“.

Und da ist das Gold der Feen. Der Staub. Die Sehnsucht und die Flucht. Das Niemandsland. Das Laufen. Irgendwohin. Noch weiter in die Kindheit. Oder schon längst aus ihr heraus?…

Begegnungen. Hin und wieder. Die Nixe. Dann das Mädchen Marja. Ein wenig miteinander. Lachen. Gehen. Hin und zurück. Wer weiß das schon…

Doch wohin werden jetzt Wege und Wunder führen? Fort von hier oder tiefer hinein? In Fluss, Nebel und dunkler Geheimnisse Ziel…

 

Die vielfach ausgezeichnete österreichische Schriftstellerin Cornelia Travnicek legt mit „Feenstaub“ einen Roman vor, der in Sprache und Handlungsfolge selbstbewusst experimentiert und Leserin und Leser zu einer poetischen Reise einlädt, die voller Überraschungen und Spannung ist.

Es ist ein ganz außergewöhnliches Stück moderner Literatur, welches die Autorin hier öffnet. Leserin und Leserin werden zu einem assoziativen Dialog mit dem Text eingeladen. Die Sprache wird zum Transferimpuls, die zu Gedankenräumen einlädt und so wechselseitig Text und Phantasie betreten lässt. Ein ganz besonderer literarischer Kunstgriff.

„Feenstaub“, das ist ein wunderbarer Roman mit Abenteuern in alle Richtungen – Sprache, Phantasie und Sinn.

 

Walter Pobaschnig 3_20

https://literaturoutdoors.com/

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