Ich bin mit sechs Jahren nach Wien gekommen und hier aufgewachsen. Ich liebe diese Stadt, sie hat so viele schöne Facetten und kombiniert sehr viel Tradition mit Moderne.

Die Menschen haben ihre Eigenheiten aber diese sind sehr liebenswert. Sie regen sich sehr gerne über ein Thema auf aber belassen es dann doch schlussendlich in Gelassenheit dabei. Das ist eine typische Wiener Eigenart (lacht).
Die Herzlichkeit ist auch etwas Typisches dieser Stadt. Freunde sagen mir oft, dass die Begrüßung hier herzlicher ist.

Mein Weg zur Kunst war weniger ein Weg als eine Entscheidung, eine Erkenntnis der Kindheit. Ich überlegte als Kind was ich werden will – Polizistin? Feuerwehrfrau? Musikerin? Läuferin? Schauspielerin schien mir dabei am Interessantesten und Aufregendsten, weil man in mehrere Rollen schlüpfen kann. Das war dann mein Ziel. Niemand sagte mir jedoch, dass es so ein harter Weg sein wird (lacht). Ich gehe jetzt diesen Weg und möchte ihn weitergehen.

Ich habe dann zunächst eine Tourismusschule besucht, da eine Schauspielausbildung finanziell nicht möglich war. In der Schule blieb die bildnerische Kunst ein Schwerpunkt. Ich male, zeichne auch sehr gerne. Ich arbeitete dann bei einem Musicalprojekt mit. Da spürte ich, dass mein Feuer für das Schauspiel nach wie vor nicht erloschen ist und brennt. Dieser Flamme folgte und folge ich.

Wien ist für mich Heimat und Kulturstadt. Das Theater hat dabei einen ganz besonderen Stellenwert. Eine Heimatstadt als Arbeitsplatz ist immer eine Balance. Einerseits spannend und wunderbar aufgrund der vielen Möglichkeiten, andererseits muss ich aufmerksam sein, um nicht zu viel in der besonderen Lebensqualität und Vertrautheit der Stadt zu chillen. Ich darf mich nicht zu viel im Sessel ausruhen (lacht). Aber es kann sehr gut verbunden werden. Auch eine große Qualität der Stadt.

Das Schauspiel ist auch ein Weg zu mir selbst. Schauspiel öffnet viele Türen. Nach Innen und Außen. Es ist so vielseitig.

Das Schauspiel klopft an eigene Türen. Warum habe ich diese verschlossen?

In jeder Rolle ist immer das eigene Ich präsent. Das ist die Voraussetzung, um auf der Bühne zu agieren, um eine Rolle an- und einzunehmen. Herauszufinden wer man selbst ist, ist die Grundlage des Schauspiels.
Eine Rolle kann im Erarbeitungsprozess vorgestellt oder innerlich gefühlt werden. Wir haben in uns triggers, Emotionspunkte – was macht mich traurig? Was macht mich glücklich oder wütend? Daran kann angeknüpft werden. Das ist für jeden anders. Und da verbindet sich das Selbst mit dem Bühnenselbst. So entsteht eine Rolle.

Manche Emotionen einer Rolle sind sehr präsent. Andere erfordern Zugänge in Recherche, Blickwinkel, Möglichkeiten der Darstellung. Ich muss dann entscheiden wie weit ich mich da herantasten kann und wie weit ich es schaffen kann, darf. Schauspiel lässt Grenzen erfahren, erkennen und auch überwinden.

Theater ist keine Therapie. Aber es ist ein Nachgehen von Emotionen, Erfahrungen, ein Weg, um sich besser kennenzulernen, im besten Fall eine Selbsterkenntnis. Im Bühnen- wie Zuschauerraum.

Dieses Selbst-Kennenlernen in einer Rolle wie im Theater an sich ist sehr nachhaltig. Du vergisst nicht, wer Du bist, wenn Du es im Moment erfährst, herausfindest. Es ist ein Bewusstseinsmoment. Ein Schärfen der Sinne. So bin, so reagiere ich, so ticke ich. Das ist dann fast so wie Fahrradfahren (lacht). Du weißt wie es geht und verlernst es nicht. Auch wenn die Straße immer anders sein kann.

Ingeborg Bachmnann ist eine sehr starke, toughe Frau. Das schließt alles ein, auch in den Spiegel zu blicken und sich sich selbst zu stellen, der Liebe zu stellen. Schonungslos. Darum geht es in Malina.

Es ist für Frauen ganz wichtig herauszufinden was man will. Und auch die Kraft zu haben, dafür einzustehen. Keine Angst davor zu haben, dies zu sagen.

Zur Entstehungszeit des Romans Malina war es für Frauen gesellschaftlich besonders schwer. Ingeborg Bachmann war da eine Ikone. Es ist nach wie vor sehr viel von ihr zu lernen.
Dieses Bewusstsein bei Ingeborg Bachmann – ich möchte selbst Verantwortung übernehmen, ich möchte meine eigenen Regeln aufstellen. Das ist sehr ident mit mir.

Ich bin mit diesem Bewusstseinskampf aufgewachsen. Als Asiatin, Ausländerin war es oft schwer und ich war vor die Wahl gestellt, mich anders zu präsentieren oder dafür einzustehen, wer ich wirklich bin und lass` die Leute, die etwas dagegen haben, einfach reden. Schlussendlich ist es etwas Tolles, wenn man diesen eigenen Weg gehen und dies machen kann. Bei Malina wie in der persönlichen Lebenswelt.

Ich bin in meinem bisherigen Leben oft gescheitert. Es gilt dann nicht ganz zu verzweifeln, Scheitern ist wichtig, weil es auch zeigt, dass es kein Stehenbleiben war.
Scheitern ist wichtig für die eigene Entwicklung. Es ist für die Menschheit wichtig.
Scheitern ist kein Weltuntergang. Das Leben geht weiter, auch im Scheitern. Ein Revuepassierenlassen ist dann wichtig. Was kann ich daraus lernen? Was kann ich mit der Erkenntnis machen? Scheitern ist dann nichts Schlimmes.

Liebe auf den ersten Blick? Eine schwierige Frage (lacht). Früher dachte ich, dass es dies gibt, mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich denke, es gibt eine Verliebtheit auf den ersten Blick. Das kann der Anfang von Liebe sein, natürlich mit rosaroter Brille (lacht). Es kann etwas Gutes entstehen. Oder auch nicht, wie im Roman.

Liebe auf den ersten Blick ist ein Anfang. Ein Gesehenwerden. Das ist viel. Vielleicht alles.
Das Äußere ist wie eine Haube auf den inneren Werten. Die Haube muss passen. Wenn die Haube nicht passt, ist es kalt.

Liebe auf den ersten Blick – der erste Blick auf das Äußere oder auf das erste Gespräch. Das macht einen Unterschied.
Als Gedanke finde ich Liebe auf den ersten Blick sehr schön.

Wenn zwei Menschen Liebe spüren, Wertschätzung und Respekt leben, dann kann Liebe dauern. Das ist meine Sicht.
Das Bewusstsein was Liebe ist, entwickelt sich von Generation zu Generation weiter.

Dauernde Liebe, bis zum Tod, ist eine sehr schöne Idee.
Liebe kann auch Glück auf Zeit sein und wieder neu gefunden werden.

Was ist Liebe? Nur einen Mensch zu lieben oder die Freiheit haben jeden Menschen zu lieben?

Wir sind in einem Zeitalter in dem offen geliebt und auf Wiedersehen gesagt wird.

Liebe ist eine Frage der eigenen Wertschätzung. Ordne ich mich unter oder sage ich meine Meinung? Dies gilt für Frauen wie Männer.

Damit Liebe funktioniert, ist es wichtig, dass Vertrauen zugesprochen wird. Vertrauen ist Freiheit. Wenn ich weiß, dass ich Liebe erfahre, kann ich mich öffnen und frei sein.

Gebrochenes Vertrauen ist Schmerz. Aber auch Klarheit.

Zur Zeit Malinas war Liebe Heirat und Haushalt. Affären gab es zu jeder Zeit.


Heutzutage ist es ein Kennenlernen und Trennen. Es ist ein Probieren, ein auf „stand by“, aber kein gemeinsames Aufbauen.

Liebe geht heute langsamer voran. Da ist viel Herantasten. Das ist auch eine Frage der Kommunikation.

Heutzutage ist das „connecting“ im Verliebtsein, der Liebe viel fordernder. Da gibt es kein Warten, Akzeptieren wie früher bei einem verpassten Anruf. Alles muss unmittelbar, schnell sein in den sozialen Medien. Das kann auch belasten. Da die Akzeptanz niedriger ist, dass man auch anderes zu tun hat als auf das Handy zu schauen. Da kann auch vieles scheitern.

Männer hatten früher viel Macht in der Partnerschaft. Heute, was den deutschsprachigen Raum betrifft, ist es eine Balance zwischen Frau und Mann.

Feminismus ist kein Machtwechsel sondern Freiheit.


50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch:
Xiting Shan _ Schauspielerin _Wien.
Xiting Shan – Schauspielerin | Theapolis
Station bei Ingeborg Bachmann- alle Fotos/Interview_Walter Pobaschnig _Hotel Regina_Wien_3_2021
Walter Pobaschnig _ 5_2021