„Kunst zeigt immer auf wunde Punkte unserer Gesellschaft – sofern es uns noch geben wird“ Markus Achatz, Schauspieler, Regisseur_Klagenfurt, 6.5.2020

Lieber Markus, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich versuche jeden Tag mit Yoga zu beginnen. Am Vormittag ist Homeschooling mit meinem Sohn (12) angesagt. Danach wird das „Homeoffice“ eröffnet, um in punkto Spielzeitplanung und Unterstützungsmöglichkeiten für Künstler und Vereine etc. auf dem Laufenden zu bleiben. Um nicht zu viel am Schreibtisch zu grübeln, gehe ich jeden Tag in die Natur. Ansonsten Homepages pflegen, Spielplanvorbereitungen, Fotografieren und neue Ideen kommen lassen.

 

Markus Achatz _ Foto_DominicKAchatz

 

 Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Schwer zu sagen. Auf der einen Seite wünsche ich mir wieder Normalität, auf der anderen Seite möchte ich nicht, dass es global so weiter geht, wie vor Corona.

Vielleicht Geduld und Genuss beim Innehalten. Und auf keinen Fall vergessen über den Tellerrand zu schauen. Uns geht`s noch ziemlich gut…

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater, der Kunst zu?

Die Kunst hat ja immer schon auf wunde Punkte in unserer Gesellschaft gezeigt. Sofern es uns (Theater WalTzwerk) noch geben wird, werden wir dies auch weiterhin tun.

 

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 Was liest Du derzeit?

Die Bücherdiebin von Markus Zusak

Die Terranauten von T.C. Boyle

Der Wal und das Ende der Welt

Die Regentrude von Theodor Storm

Die große Fotoschule von Christian Westphalen

Podcast hören: Fest und Flauschig

Viele WordPress-Tutorials

 

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Die Kunst ist zwar nicht das Brot, wohl aber der Wein des Lebens. (Jean Paul)

 

Vielen Dank für das Interview lieber Markus, viel Freude und Erfolg für alle Ideen, Projekte und auf ein baldiges Wiedersehen im großartigen TheaterWalTzwerk http://waltzwerk.at/   und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Markus Achatz, Schauspieler, Sprecher, Theaterdirektor Theater WalTzwerk

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23.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

Fotos:

Porträtfoto_Dominik Achatz

Szenenfoto_“Jedermann stirbt“ Theater WalTzwerk, Maria Saal/Thonhof 2019

 

„Vielleicht ist die größere Herausforderung jene, die soziale Krise solidarisch zu bewältigen“ Daniel Zipfel, Schriftsteller, Wien 5.5.2020

Lieber Daniel, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich befinde mich derzeit in Heimarbeit, teile mir gemeinsam mit meiner Frau die Kinderbetreuung auf, verbringe viel Zeit mit den Kindern im Wald und lese wieder meine alten Hemingway-Bücher. Gleichzeitig bin ich als pflegender Angehöriger momentan auch mit anderen Realitäten konfrontiert, mit dem Notbetrieb in Krankenhäusern, mit dem Bewusstsein, dass es neben der Verbreitung des Corona-Virus auch andere existentielle Themen gibt. Letzteres nehme ich gerade auch durch meine Arbeit im Flüchtlingsbereich wahr, insbesondere das Ausmaß der sozialen Krise bei vielen, die im Niedriglohnbereich beschäftigt sind. Momentan erlebe ich meinen Alltag daher gerade als ein Nebeneinander vieler Welten und ich frage mich, welche Perspektiven später dominant sein werden, wenn wir von der Corona-Krise erzählen.

 
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Auf einer persönlichen Ebene würde ich sagen, es ist für den Einzelnen auch in einer Krisenzeit dasselbe wichtig wie zuvor, nur wird einem das Wichtige in besonderen Umständen besser bewusst. Schließlich formt sich die Bedeutung einer Sache auch nicht plötzlich, sondern bildet sich immer mit der Zeit heraus.
Auf einer gesellschaftlichen Ebene ist es wohl wichtig, sich vor Augen zu halten, dass es immer mehr Welten gibt als die eigene, in der man gerade gezwungenermaßen viel Zeit verbringt. So wird ein frisch verliebtes Pärchen anders von der Corona-Krise erzählen als eine Alleinerzieherin, der das familiäre Netzwerk wegbricht, ein Rettungssanitäter oder eine Angestellte im Gastronomiebereich, die ihren Job verliert. Vielleicht liegt die größere Herausforderung für die Gesellschaft weniger darin, Abstand zu halten und zuhause zu bleiben, als die soziale Krise solidarisch zu bewältigen.

 
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?

Wesentlich wird sein, dass in der Rezeption der Corona-Krise nicht eine Darstellung die Oberhand gewinnt und die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Folgen der Krise Geltung erfahren. Die Literatur kann dazu beitragen, indem sie Wirklichkeiten zugänglich macht, mit denen man sonst nicht in Berührung kommt und auf diese Weise Einblicke gewährt und Verständnis schafft.

 

Daniel Zipfel _ Manfred Weis
Was liest Du derzeit?

Meine alten Hemingway-Bücher. Vor allem Kurzgeschichten.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ganz klassisch aus dem derzeit viel gelesenen Camus (Die Pest): „Mais qu’est-ce que ça veut dire, la peste ? C’est la vie, voilà tout.“ ( „Aber was soll das denn bedeuten, die Pest? Es ist das Leben, das ist alles.“)

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ganz klassisch aus dem derzeit viel gelesenen Camus (Die Pest): Mais qu’est-ce que ça veut dire, la peste ? C’est la vie, voilà tout.“ ( Aber was soll das denn bedeuten, die Pest? Es ist das Leben, das ist alles.“)

 

Vielen Dank für das Interview lieber Daniel, viel Freude und Erfolg für Deinen großartigen aktuellen Roman „Die Wahrheit der Anderen“ und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Daniel Zipfel, Schriftsteller

Aktueller Roman: „Die Wahrheit der Anderen“  Kremayr&Scheriau Verlag, 2020

 

23.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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Foto_Manfred Weis.

„Dass wir jetzt erst recht strukturelle Ungleichheiten nicht hinnehmen.“ Jana Volkmann, Schriftstellerin, Wien 3.5.2020

Liebe Jana, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich habe noch nicht viel verloren, aber die Fähigkeit, Zeit als Kontinuum zu begreifen, ist mir komplett abhanden gekommen. Die Tage sind hermetisch geschlossene Einheiten geworden, die keinem speziellen Schema folgen, geschweige denn einem Plan. Aber ich lese und schreibe viel, arbeite an anderen Dingen, und schaue aus dem Fenster. Die Krähen haben sich noch nicht anfüttern lassen. Ein Zitronenküchlein, das ich ihnen auf die Fensterbank gelegt habe, lag am nächsten Tag noch immer da. Jetzt ist nur noch eine gelbe Aureole übrig, aber vielleicht ist das Küchlein einfach heruntergefallen. Ich kann mit Natur leider nicht viel anfangen, aber das kommt mir jetzt, wo sie eh so weit weg ist, zupass. Ich schminke mich jeden Tag, als hätte ich was vor, und lackiere mir die Nägel. Meine Freundin sagte am Telefon, die Soldaten, die aufhören sich zu rasieren, sind am nächsten Tag tot. Zum Glück sieht man keine Bärte unter den Mund- und Nasenmasken.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Das Gleiche, was auch vorher wichtig war, nur haben wir es wohl weniger stark gemerkt: dass wir aufeinander aufpassen. Uns bewusst werden, dass das, was wir tun, nicht nur uns allein betrifft, sondern dass unser Verhalten Auswirkungen auf die Menschen um uns herum hat. Umsichtig sein, zugewandt sein. Natürlich wünsche ich mir, dass davon niemand ausgenommen wird: keine Erntehelferinnen, keine 24-Stunden-Pfleger, keine Menschen ohne festen Wohnsitz oder mit dem falschen Pass. Wenn das, was jetzt gerade in den kleinsten sozialen Gefügen – zum Beispiel unter Nachbarn – schon halbwegs klappt, auch im großen Rahmen ginge, wäre viel gewonnen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Wichtig ist also auch, dass wir jetzt erst recht strukturelle Ungleichheiten nicht hinnehmen.

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Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ich mag das doppelte Futur: dieses wir werden werden. Wenn man sich die Geschichte anschaut, sind tatsächliche Aufbrüche, im Sinne von Neuanfängen, sehr selten. (Zufällig schreibe ich diese Zeilen am 150. Geburtstag von Lenin, der dazu wahrscheinlich sehr viel zu sagen hätte.)

Mein Vater hatte eine Anstecknadel am Sakko, auf der stand: kan kunst de wereld redden? Man muss kein Holländisch verstehen, um leise Zweifel an der Kompetenz der Künstlerin als alleiniger Retterin der Welt zu hegen. Wenn Literatur – und Kunst – allerdings eins kann, dann zeigen, wie andere Leben und andere Formen des Zusammenlebens aussehen können. Andere Arten, mit der Welt zu interagieren und sie wahrzunehmen. Das sind keine unwesentlichen Fähigkeiten, wenn es darum geht, sich eine Wirklichkeit nach einem solchen Ereignis, wie wir es gerade erleben, vorzustellen.

Ich bewundere übrigens immer, wie schnell und fundiert gerade das Theater auf gesellschaftliche Eruptionen reagiert. Da könnten sich andere Sparten viel abschauen.

 

Was liest Du derzeit?

Relativ viel Theorie, die in Buchhandlungen wahrscheinlich unter „politisches Sachbuch“ einsortiert werden würde. In ruhelosen Zuständen, immer wieder: Sarah Kanes gesammelte Stücke. Zunehmend zwanghaft: alles von Walter Benjamin, die vielen Briefe von Samuel Beckett.
Beendet habe ich zuletzt den neuen Roman von Monika Helfer, „Die Bagage“.

Welchen literarischen Impuls möchtest Du uns mitgeben?

„Das Kunstwerk hat Wert nur insofern, als es von Reflexen der Zukunft durchzittert ist.“ – André Breton, zitiert nach Walter Benjamin.

Vielen Dank für das Interview liebe Jana, viel Freude und Erfolg für Deinen kommenden Roman „Auwald“, der im Herbst des Jahres erscheinen wird https://www.verbrecherverlag.de/ , und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Jana Volkmann, Schriftstellerin, Journalistin, Literaturwissenschaftlerin

http://www.janavolkmann.de/

23.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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Foto_Walter Pobaschnig _ „Toter Grund“ Wien_Lobau_2020

 

„Raffael – Glaube, Liebe, Ruhm“ Ulrich Pfisterer. Beck Verlag.

Die Wende zum 16.Jahrhunderts ist jene einer neuen Zeit. Und diese ist wesentlich von Persönlichkeiten geprägt, die in Anspruch, Konsequenz und Wirkung Denken, Wahrnehmen und Gestalten einer Epoche ihr bleibendes Gesicht geben. Dies trifft in Politik, Wissenschaft, Religion und Kunst zu. Gedanken finden Gestalt und Weg. Etwas Neues beginnt, etwas Unvorstellbares…

1483. Es ist das Geburtsjahr von Martin Luther, welcher wesentlich die Reformation in Impuls und tragender Rolle bestimmen wird. Und es ist das Geburtsjahr von Raffael, eines Künstlers, der schon in seiner Zeit als unumstrittener Star verehrt wird und neue Maßstäbe in der Kunst setzt.

 

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Der in Florenz geborene Sohn eines Goldschmieds und Malers verliert schon mit acht Jahren die Mutter. Mit elf Jahren ist er bereits Vollwaise. Doch der Junge ist talentiert wie ehrgeizig und tritt schon in jungen Jahren in die Kunstwerkstatt von Pietro Vanucci in Perugia ein. Bald schon übernimmt er wesentliche Aufträge der Kirche. Und schließlich führt sein Weg nach Florenz und den Wirkungsstätten von Kunstgrößen der Zeit wie Michelangelo oder Leonardo Da Vinci. 1508 ruft ihn Papst Julius II nach Rom und Raffael findet zu ungeahnter Meisterschaft des Stils und Ausdrucks und wird gleichsam der „König“ einer Stadt und einer Epoche. Ein mitreißendes kurzes Leben zwischen Kunst, Macht und Leidenschaft….

 

Der Kunsthistoriker Ulrich Pfisterer legt mit „Raffael“ eine fulminante sprach- wie bildgewaltige Lebens- und Zeitbeschreibung vor, die unvergleichlich in Epoche und Mensch eintauchen lässt. Der Autor versteht es einmalig Kunstwerk und Leben in einen Dialog zu bringen und so Entstehungs- wie Wirkungsprozesse zu öffnen. Leserin und Leser begeben sich so auf eine faszinierende Reise in Staunen, Erkenntnis wie Begeisterung. Ein kunsthistorisches, biografisches, sprachliches und vor allem auch bibliophiles Geschenk erster Güte.

 

„Eine faszinierende Biographie und ein fulminantes Zeitbild in Staunen, Erkenntnis und Begeisterung“

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„Wir alle sollten zittern vor der Rache des Kapitalismus“ Martin Amanshauser, Schriftsteller, Wien 3.5.2020

Lieber Martin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

ich habe 50% der zeit zwei kinder bei mir (beide buben, 9 und 11), und wenn sie da sind, mache ich mit ihnen das schreckliche homeschooling. ich habe sie immer für 24 stunden, das heißt wir machen frühstück, mittag und abendessen – das alles koche ich für sie, eh klar – und manchmal fahren wir mit dem auto auf den wilhelminenberg kicken, oder wir gehen auf den yppenplatz, oder ich laufe 1x rund um die brauerei (25 min) und sie begleiten mich mit ihren rollern. in den anderen 50% der zeit bin ich alleine, manchmal treffe ich allerdings auch jemanden, wobei ich auf die nicht-ansteckungs-sicherheit achte, was aber nicht immer total gelingt. bisher bin ich ganz gut durchgekommen damit. ich mache mir sorgen um die alten leute, die ich kenne. meine mutter ist über 80, und sie wohnt mit meiner tante in einem haus in salzburg, die noch ein bisschen älter ist. beide sind zum glück sehr fit. ich ruf manchmal an, ich telefoniere viel. ich will arbeiten, aber meistens lese ich news, oder ich chatte oder gehe auf fb und twitter, obwohl ich twitter hasse. in der nacht liege ich oft wach.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

dass wir uns bewusst machen, eine historische zeit mitzuerleben, und dass wir uns vorbereiten auf die weltwirtschaftskrise, die nun kommen wird. im positivsten fall könnte man sagen, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, was da abläuft, vielleicht kann sich der kapitalismus ein bisschen erholen. wenn ich das aufschreibe, kommt mir vor, dass der gedanke vielleicht naiv ist. die, die geld haben, werden sich die verlorenen profite vermutlich VON UNS wiederholen, die sind doch alle längst stinksauer, dass sie sich mitopfern müssen für ein paar alte leute, die eh bald sterben. ich spüre diesen gedanken, der mir verhasst ist, in der luft hängen. ich möchte ihn bekämpfen. wichtig für uns alle ist, solidarisch mit den schwachen zu sein. der kapitalismus war das in diesem fall auch – zum glück, ich rechne es ihm hoch an – aber wir alle sollten zittern vor seiner rache. von den krisenzeiten werden die rechtspopulisten, die jetzt erschreckend leise sind, profitieren, das ist ihr kerngeschäft.

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?

wesentlich ist eh das, was ich bei der letzten frage erwähnt habe. dass wir es überall aufzeigen, wenn sich die herrschenden das zurückholen, was sie jetzt eingebüßt haben. dass wir aufmerksam sind, es soll nämlich nicht alles sein. wir sollten den sozialstaat und das gesundheitssystem wesentlicher finden als die kurzfristigen wachstumszahlen und gewinne. die literatur kann u.a. auch darüber berichten, es wird ihr nichts anderes übrig bleiben.

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Was liest Du derzeit?

mein eigenes buch „es ist unangenehm im sonnensystem“, manchmal blättere ich gerne drin, und ich finde stellen, die ich gestern super fand,. plötzlich sehr schlecht, und – im idealfall – umgekehrt. aber was ich wirklich lese, hab ich jüngst bei einer freundin auf fb kommentiert: den großen liechtenstein-roman von benjamin quaderer, „für immer die alpen“, dazu von jasmin ramadan „kapitalismus und hautkrankheiten“ und von michela murgia „chirú“, nachdem ich ihr super sachbuch „faschist werden, eine anleitung“ gelesen habe, da ein guter freund von mir irrsinnigerweise so halb ins identitäre milieu abrutscht und ich nicht weiß, wie ich dem begegnen soll

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

aus einem buch von adorno, das ich parallel zu michela murgia las, zum thema rechtspopulismus und dessen argumentationstechniken, einem thema, das uns in der kommenden weltwirtschaftskrise sicher beschäftigen wird müssen, leider: “eine sehr erhebliche rolle spielt der antiamerikanismus, der ja auch in dem wort von den ´plutokratischen´ nationen und in diesen dingen in der nazizeit vorgebildet war. was hinter dem antiamerikanismus steht, ist schwer zu sagen. wahrscheinlich ist es zum teil das anknüpfen an etwas real empfundenes, nämlich daran, dass man auch unter der formalen demokratie, eben durch das blocksystem, die volle freiheit der politischen entscheidung sich vorenthalten glaubt. ich möchte (…) darauf hinweisen, dass keineswegs alle elemente dieser ideologie einfach unwahr sind, sondern dass auch das wahre in den dienst einer unwahren ideologie tritt, und dass das kunststück der gegenwehr wesentlich ist, sich gegen den missbrauch der wahrheit für die unwahrheit zu wehren. die wichtigste technik, durch die die wahrheit in den dienst der unwahrheit gestellt wird, ist die, dass an sich wahre oder richtige beobachtungen aus ihrem zusammenhang hinausgeschnitten, isoliert werden (…), ungeheuer wirksam, so dass die menschen das gefühl hatten, nun gerade mit dieser bewegung, die die freiheit abschaffen will, gleichsam wieder in den besitz der freiheit zu gelangen.

Vielen Dank für das Interview lieber Martin, viel Freude und Erfolg für Dein neues  großartiges Buch „Es ist unangenehm im Sonnensystem“ wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Martin Amanshauser, Schriftsteller

Aktuelles Buch des Autors: „Es ist unangenehm im Sonnensystem“  Kremayr&Scheriau Verlag 2019

Weitere Informationen:

http://www.amanshauser.at/

19.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online/per Mail  geführt und der Schnelltipptext in durchgehender Kleinschreibung so übernommen.

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„Der Mensch braucht Perspektiven auf die er hinarbeiten kann“ Jakub Kavin, Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor_Wien 2.5.2020

Lieber Jakub, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mein Tagesablauf hat sich klarerweise radikal verändert. War ich früher täglich im Theater, so habe ich jetzt viel mehr Zeit für homeoffice. Das war zwar zuvor auch schon ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit, aber natürlich nicht so stark gewichtet wie jetzt.
Es stehen einige Einreichfristen für öffentliche Fördergelder an, die gilt es einzuhalten, Konzepte zu schreiben etc.
Ansonsten ist mein Tagesablauf sehr dadurch bestimmt für die Herausforderungen, die auf uns zukommen, gewappnet zu sein. Da geht es ums Netzwerken, ums Ideensammeln, um Projektentwicklung.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Nun was sicher besonders wichtig ist, ist die Existenzsicherung.
Die muss durch den Staat erfolgen, das ist seine Aufgabe. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass der Staat auch dafür mitverantwortlich ist, was gerade passiert. Hätten die Länder der EU die Situation – die sich im Jänner 2020 in China angebahnt hat – ernst genommen, ja dann würden wir heute wohl weltweit mit weniger Einschränkungen leben müssen. Wir hätten deutlich weniger Arbeitslose und der Tourismus und die Kultur wären nicht komplett heruntergefahren. Und vor allem hätten wir auch weniger Tote zu beklagen.

Aber ich weiß, im Nachhinein ist man immer gescheiter. Ich will also mit meinen Worten gar nicht anklagen, nur möchte ich ins Bewusstsein rufen, die Politik ist nicht der Heilsbringer, sondern die Politik ist verantwortlich und muss dieser Verantwortung auch nachkommen.

Abgesehen von der Existenzsicherung aller Bürger – und das wird wohl nur mit Umverteilungsmaßnahmen gehen – ist eines besonders wichtig:
Perspektive.

Der Mensch braucht Perspektiven auf die er hinarbeiten kann. Perspektivlosigkeit ist etwas Grauenvolles. Hier steht die Politik ebenfalls in der Bringschuld.

 

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Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater, der Kunst zu?

Bei einem Aufbruch und Neubeginn sind denke ich zwei Faktoren wesentlich:

Flexibilität und Kreativität.
Das betrifft aber natürlich alle Branchen und nicht nur die Kunstszene.


Wenn wir uns das Theater im Speziellen anschauen, dann erkenne ich keine homogene Rolle, bzw. mehrere Rollen und Funktionen.
Einerseits übernimmt das Theater einen ganz wichtigen Faktor in unserer Gesellschaft: den der Unterhaltung. Ich denke, dass diese Rolle vielleicht sogar wieder wichtiger wird, weil die Menschen Orte brauchen werden, an denen sie gemeinsam lachen können …
Dann gibt es die Künstler*innen, die ihre Aufgabe und ihre Kompetenz eher dort sehen wo es gilt die Gesellschaft zu reflektieren und auf mehr oder weniger metaphorische Weise die brennenden Themen der Zeit aufzuarbeiten.

In manchen Stücken treffen sich die Unterhaltung und die Gesellschaftskritik im Rahmen eines Abends – siehe Nestroy und viele andere …. Heutzutage übernehmen oft Kabarettisten diese Funktion.
Eine Kunstgattung, die für die nächsten Monate der eingeschränkten Veranstaltungsmöglichkeiten wie maßgeschneidert scheint.

Grundsätzlich – unabhängig der Theatergattung – wird das kollektive Erlebnis am Theater, der Grund sein, warum die Wichtigkeit des Theaters wieder zunimmt. Die Katharsis beim gemeinsamen Erleben wird vielleicht wieder möglich sein, weil die Einzigartigkeit des Moments wieder bewusster wahrgenommen wird.

Doch bei diesen Gedankengängen sind wir schon in der Zukunft angelangt, in einer Zeit wo die Menschen einander wieder näher sein dürfen …
Im Moment ist die Theater- und Kunstszene dazu verdammt wahrzunehmen, dass sie nicht der Nabel der Welt ist, das tut sicher da und dort weh, ist aber vielleicht auch ein ganz guter Prozess der erzwungenen Selbstreflektion. Ich hoffe also darauf, dass uns die jetzige Zeit des Stillstands in der Zukunft umso intensivere Theater- und Kunsterlebnisse bescheren wird.

 

Was liest Du derzeit?

ULYSSES von James Joyce

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„…also was sich da so alles tun muss in den Theatern im Gedränge in der Dunkelheit die versuchen doch in einer Tour sich an einen ranzumachen …“ James Joyce. Ulysses S.962 …


In der Hoffnung, dass wir bald wieder ein Gedränge im Theater erleben werden können …

 

 

 

Vielen Dank für das Interview lieber Jakub, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Theater- und künstlerischen Projekte im „TheaterArche“ Wien und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Jakub Kavin, Geschäftsführer, Künstlerischer Leiter, Schauspieler, Regisseur, Produzent _“TheaterArche“ Wien

https://www.theaterarche.at/aktuell/

 

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https://literaturoutdoors.com

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„Die bessere Geschichte“ Anselm Neft. Roman. Rowohlt Verlag.

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Mit zwei Jahren steht er am Grab der Mutter. Es bleiben Fotos und das Aufsteigen von starken inneren Bildern, die an Berührung und den Duft der Nähe erinnern in der Kraft des Verlustes, der Abwesenheit.

Der Vater war immer schon alt, ganz ohne Frohsinn. Die Emotion des Kindes überfordert ihn und das Kind stellt sich darauf ein. Der Schritt in die Welt draußen wird dann zur Überforderung. Alles zu laut und auch zu hinterhältig. Das Kindermädchen und der Vater bleiben die Bezugspunkte zur Welt. Die Schule wird zum ständigen Ringen, äußerlich und innerlich. Albträume bleiben davon…

Eines Tages sagt der Vater, die Mutter sei eine Nixe gewesen. Ein überirdisches Wesen ohne Seele – „Du hast ihr Blut in dir“.

Dann das Internat. Die Seele des Jungen blickt um sich. Zart, neugierig und zerbrechlich. Zum Gegenüber, zum Daneben, zum Oben. Zu Mitschülerinnen und dem Schulleiterpaar. Schwimmen, treiben. Keine Nixe und kein Wassermann. Seelenlos. Nur Tiefe und Macht. Ungeheuer. Tag für Tag. Nacht um Nacht…

Bis nach vielen Jahren diese verschlossenen Türen der Seele wieder geöffnet werden. Und im Gespräch kehrt die Gewalt, der Schmerz, die Hilflosigkeit zurück…und wie stark ist nun die Seele?  Und welchen Weg wird sie gehen? 

 

Der in Hamburg lebende Autor Anselm Neft, Studien der Religionswissenschaft, Ethnologie, Vor- und Frühgeschichte und Philosophie, legt mit seinem Roman „Die bessere Geschichte“ ein sprachlich wie inhaltlich fulminantes Drama im Kontext von institutionellem Missbrauch, Schuld und persönlicher Ohnmacht und Verdrängung vor. Neft versteht es einmalig fesselnd zu erzählen aber auch Leserin und Leser zu eigenem Nachdenken anzuregen. Spannung, Erschütterung und Reflexion. Das im Wort zu verbinden ist eine narrative Balance, die in diesem Roman meisterhaft gelingt. Der Autor zeigt was Literatur zu leisten vermag. Und das ist gewaltig viel. Es ist eine gute Geschichte.

„Es geht um Weg und Kraft des Lebens und die stumme Hölle darin. Einmalig erzählt“

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„Braucht es nicht ein Grundeinkommen für unsere Gesellschaft und andere (humanistischere) Prioritätenlisten?“ Michael Stavaric, Schriftsteller, Wien_1.5.2020

 

Lieber Michael, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

 4 Uhr: Wieder einschlafen wollen

7 Uhr: Aufstehen, Kaffee und Tee trinken

8-12 Uhr: Einkaufen, Kochen, Fernsehen, Mails beantworten, aus dem Fenster schauen

12- 18 Uhr: Spaziergang (meistens Zentralfriedhof), Schattenboxen (mir ein paar Politiker vorstellend), Lesen, Schachspielen (online)

18-20 Uhr: Abendbrot, ev. das Abendrot über dem Wiener Wald bestaunen

20-24 Uhr: Fernsehen (meistens Dokumentationen), danach: Licht aus!

 

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich lese immer wieder, dass Krisen zugleich Chancen darstellen – ich sehe das längst in einem größeren Maßstab. Wichtig ist, dass wir uns alle jetzt gesellschaftspolitische Fragen stellen; wir sollten uns etwa fragen, ob und in welchem politischen System wir künftig leben wollen? Wollen wir weiter diese kapitalistischen Irrwege, in denen alles um Profit und immerwährendes Wachstum kreist? Wollen wir wirklich internationalen Großkonzernen weiter die Möglichkeit einräumen, keine adäquaten Abgaben in unserem Land zu entrichten, während in den nächsten Jahren eine unglaubliche Steuerlast auf uns zukommt? Wollen wir Waren am anderen Ende der Welt produzieren lassen (u.A. Medikamente), wollen wir folglich diese absurden Lieferketten? Wollen wir die Natur weiter in diesem unerträglichen Maßstab ausbeuten (und den Klimawandel befeuern)? Brauchen wir z.B. zusätzliche Liftanlagen in den Bergen? Braucht es noch mehr Bodenversiegelung, Großbaustellen, Autobahnen, Tunnels und Co? Braucht es überhaupt diese gegenwärtigen bürokratischen Strukturen, braucht es noch diese Parteiapparate (und etwa ihre Art der Bildungspolitik)? Braucht irgendwer von uns ernsthaft Börsen mit Leergeschäften? Braucht es Immobilienspekulation und damit verbundenen Mietwucher? Braucht es nicht vielmehr endlich eine gerechte Vermögensverteilung? Braucht es nicht ein Grundeinkommen für unsere Gesellschaft und andere (humanistischere) Prioritätenlisten? Wollen wir Jobs im mittleren Management in irgendeinem 0815-Finanzbüro weiter mit 4000-6000 EUR entlohnen, während Pflegekräfte mit 1000 brutto und weniger abgespeist werden? Wollen wir das 1 % der Bevölkerung 50 % der Immobilien besitzt? Wollen wir wirklich, dass unsere reale Arbeitskraft am höchsten besteuert wird, während Spekulationsgeschäfte fein raus sind? Wollen wir 50 und mehr Prozent unseres Monatseinkommens für Mieten ausgeben? Etc. etc.

Wir alle sollten für eine gerechtere und sozialere Gesellschaft eintreten, für ein geeintes Europa und u.A. realisieren, dass Altruismus die klügere Form der Interessenswahrung ist.

Michael Stavaric

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?

Es sollte eine viel größere Solidarität geben, KünstlerInnen, Kreative und EPU´s aller Art sollten sich zu einem schlagkräftigen europäischen Verband zusammenschließen, damit ihre Rolle in der Gesellschaft und ihr Beitrag (auch zum Wirtschaftsstandort Österreich) endlich eine adäquate Beachtung findet. Ein Grundeinkommen (für alle) wäre hierbei wie gesagt Pflicht.

 

Was liest Du derzeit?

Wenedikt Jerofejew: Die Reise nach Petuschki

Neil Gaiman: Wölfe in den Wänden

Sonja Harter: katzenpornos in der timeline

 

 Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Als ich vor einiger Zeit für das Literaturhaus Graz an einer weiteren Folge der Corona-Tagebücher saß, kam mir folgender Gedanke: Auf meinem Schreibtisch ist die Welt noch wunderbar in Unordnung. Bücher wetteifern mit diversem Zettelwerk, Schreibgeräten und Krimskrams um die besten Plätze, alles scheint unstrukturiert (es ist unstrukturiert!) und setzt regelmäßig Staub an. Wie alles im Universum folgt auch mein Schreibtisch einer grundlegenden Gesetzmäßigkeit, jener der Entropie. Als solches wird physikalisch die Unordnung im Kosmos bezeichnet; die Entropie wird von sich allein stetig größer, was in den eigenen vier Wänden rasch überprüft werden kann: Alle Dinge in unseren Zimmern werden sich nach und nach gleichmäßig „unordentlich“ verteilen. Ein weiteres Faktum bleibt unbestritten, dass alles mit möglichst geringem Energieaufwand geschieht; sprich, die Unordnung wird sich vorwiegend am Fußboden verteilen.

Ein Hoch auf die Unordnung in den heimischen vier Wänden (und im Universum), quasi

 

Vielen Dank für das Interview lieber Michael und viel Erfolg für Deinen aktuellen großartigen Roman „Fremdes Licht“ und persönlich alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Michael Stavaric, Schriftsteller

Aktueller Roman: Michael Stavaric, Fremdes Licht, Luchterhand Verlag, 2020

https://www.randomhouse.de/Buch/Fremdes-Licht/Michael-Stavaric/Luchterhand-Literaturverlag/e515684.rhd

 

20.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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