„Die Welt muss fairer werden“ Lorena Emmi Mayer, Schauspielerin_Wien 19.2.2021

Liebe Lorena Emmi, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Bis vor kurzem noch proben, proben, proben.

Jetzt habe ich gerade frei, deshalb schlafen, schlafen, schlafen.

Lorena Emmi Mayer_Schauspielerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Durchhaltevermögen. Zusammenhalt. Gesunder Menschenverstand. Kunst und Kultur.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Schauspiel/Theater, der Kunst an sich zu?

Ich denke wesentlich wird sein, dass man nach neuen Wegen sucht.

Das bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel halte ich für eine sehr gute Idee.

Die Schere zwischen Reich und Arm wird immer größer, das muss sich ändern. Die Welt muss fairer werden.

Das Theater wird für viele Menschen wieder ein Ort der Reflexion, Phantasie, Stimulation und Freude sein.

Was liest Du derzeit?

Mein Lieblingsbuch 2020: Miroloi von Karen Köhler.

Gerade am Nachtkasterl: die Sommer von Ronya Othmann.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Meinungen bestehen aus Gedanken, und nichts ist flüchtiger.

Nichts wiederum zeichnet eine Inflexibilität des Geistes so stark, wie auf seiner angeblichen Meinung zu beharren.

Eine Meinung zu haben und sie nicht zu verändern heißt, sich nicht weiterzubilden. Sibylle Berg in einem Faz Interview

Vielen Dank für das Interview liebe Lorena Emmi, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Lorena Emmi Mayer, Schauspielerin

Alle Fotos_Walter Pobaschnig _ Hotel Regina _ Wien 15.2.2021

2.2.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Vielleicht endlich einmal die Weichen in die richtige Richtung stellen“ Manfred Bruckner, Schriftsteller_Wien 19.2.2021

Lieber Manfred, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Nachdem ich ja auch einen Brotjob hab‘, nicht wesentlich anders als früher. Nur, dass ich halt selbigem jetzt großteils im Home Office nachkomme. Interessant ist natürlich der Wegfall beinahe aller sozialer Aktivitäten, ganz so asozial war ich dann vor dem ganzen Pandemieding doch nicht. Aber es ist bestimmt so, dass ich mit dem Alleinsein immer schon recht gut zurecht komm‘.

Was das Schreiben angeht, gewinn‘ ich auf Grund der Beschränkungen Zeit dafür, weil viel mehr Zuhause. Was aber nicht unbedingt heißt, dass ich deswegen mehr schreibe, weil zu faul und abgelenkt und zu wenig diszipliniert. Aber ich wage zu behaupten, dass ich in Sachen Disziplinierung mit jedem Lockdown besser werde. Möglicherweise schaffe ich dann im übernächsten eine ganze Erzählung, wer weiß.

Manfred Bruckner, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich weiß ja nicht, wer dieses uns sein könnt‘, deshalb sag‘ ich vielleicht besser was ich wichtig find‘. Ich denk‘, was man sehr schön miterleben kann, während der Pandemie, ist der Widerstreit zwischen Priorisierung der Ökonomie versus Priorisierung der Gesundheit – und also des Menschen an sich. Wie dabei verschiedene Kulturen und Gesellschaften unterschiedlich vorgehen und unterschiedlich gut performen – falls man das so sagen kann. Was jetzt wichtig wäre? Vielleicht endlich einmal die Weichen in die richtige Richtung stellen. Also nicht dem Primat der Ökonomie folgen… aber angesichts des Rumors in der Gesellschaft bin ich wiederum nicht so sicher, ob das die Menschen wirklich wollen.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ich befürchte ja, dass versucht werden wird, nach der Pandemie (falls dieses Nachher tatsächlich eintreten sollte) möglichst schnell wieder in die Spur des Vor-der-Pandemie zu kommen. So als wäre nichts passiert. Man sehnt sich nach der Normalität. Alles soll wieder so sein wie früher, wir hatten schließlich – en gros – ein schönes Leben. Das heißt, alles was an Möglichkeitsräumen während der Pandemie aufgegangen ist und mitunter nachhaltige Verbesserungen für die Allgemeinheit verheißen hätte können, sehr schnell wieder vergessen sein wird. Zur Rolle der Literatur dabei… Raymond Carver hat mal geschrieben: „The days are gone, if they were ever with us, when a novel or a play or a book of poems could change people’s ideas about the world they live in or even about themselves.“ Wenn ich etwas schreibe, dann mache ich das primär, weil ich ein Gefühl transportieren möchte. Und dafür denke ich mir Geschichten aus. Und wenn die Leser:innen dann auch etwas fühlen, dann ist das schon sehr viel.

Was liest Du derzeit?

Die Philosophie des Jazz.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Es gibt ja diese Geschichte von Coleridges Blume, die geht irgendwie so: Wenn ein Mensch im Traum das Paradies durchwandert hätte, und man gäbe ihm eine Blume als Beweis, dass er dort war, und er fände beim Aufwachen diese Blume in seiner Hand – was dann?

Ich denke, es wäre hoch an der Zeit, zu versuchen, nicht mehr zurück ins Paradies zu gelangen.

Vielen Dank für das Interview lieber Manfred, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Manfred Bruckner, Schriftsteller

bruckner (manfredbruckner.blogspot.com)

Foto_privat.

26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Noch wissen wir nicht, wie die neue Normalität aussehen wird“ Timo Kölling, Schriftsteller_ Deesbach/D 18.2.2021

Lieber Timo, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Einen festen Tagesablauf habe ich nicht, auch wenn ich ihn mir gelegentlich wünsche. Ich bin indes ein ziemlich anarchischer Arbeiter. Oft gelingt wochenlang außer Nachdenken und der inneren Vorbereitung und Planung gar nichts – dann wieder ist die Schreibphase da, und ich lasse alles andere stehen und liegen, vermeide jede unnötige Unterbrechung. Die Coronakrise macht sich in meinem Alltag im Grunde nicht bemerkbar, da ich schon immer eher zurückgezogen gelebt habe. Seit bald einem Jahr wohne ich in einem recht abseits gelegenen Dorf im Thüringer Wald. Ich verbringe viel Zeit mit Gehen und Wandern, zum einen, weil ich das schon immer getan habe, zum anderen, weil ich kein Auto besitze und natürlich ständig etwas zu besorgen ist. Hinzu kommt, daß immer etwas im Haus getan werden muß, und daß ich meine Bücher seit ein paar Jahren ausschließlich im Eigenverlag veröffentliche, so daß ich nicht nur mit Schreiben, sondern auch mit Werbung, Verkauf und Versand beschäftigt bin. Auf diese Weise fühle ich mich trotz der Freiheit des Schriftstellers immer sehr eingebunden, wünsche es mir aber auch nicht anders. Was sich täglich sehr einprägt, ist die ruhige Begleitung der Natur. Seit Weihnachten herrscht hier im Bergdorf tiefer Winter, und die manchmal auch bedrückenden Seiten der gewählten Abgeschiedenheit lassen sich kaum von den glücklichen Aspekten unterscheiden. Es ist das normale, gute Leben. Natürlich lese ich täglich die Nachrichten, und dem Grübeln über den Ernst der Lage entkommt man auch hier im ländlichen Abseits nicht.

Timo Kölling, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Für die Seinen da zu sein. Ansonsten tue ich mir immer sehr schwer damit, etwas zu sagen, das für alle gelten soll.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Noch wissen wir nicht, wie die neue Normalität aussehen wird. Ich bin davon überzeugt, dass die Literatur und die Kunst sich am tiefsten einprägen und am bereicherndsten wirken, wenn sie, ohne das Zeitgeschehen zu ignorieren, ihren ruhigen Gang weitergehen und sich, um das Wort von Adalbert Stifter hier anzuwenden, ihrem sanften Gesetz überlassen.

Was liest Du derzeit?

Ich habe gerade den »Abu Telfan« von Wilhelm Raabe zuende gelesen und fange jetzt mit dem neuen Roman von Martin Mosebach an. Außerdem lese ich gerade die Hegel-Biographie von Klaus Vieweg und nebenher recht viel Naturkundliches.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Es gibt ein Wort von Leibniz, an das ich nahezu täglich denke. Ich habe es meinem Buch »Romanische Halle« als Motto vorangestellt. Es lautet:

»Wenn nun die Seele in ihr selbst eine große Zusammenstimmung, Ordnung, Freiheit, Kraft oder Vollkommenheit fühlet und folglich daran Lust empfindet, so verursachet solches eine Freude […]. Allein es kann in uns eine unzeitige und unmäßige Freude sein, wenn unsre Lust und Kraft sich erzeiget bei solchen Wirkungen, dadurch folglich andere höhere Kräfte und Wirkungen geschwächt werden […]. Derowegen ist nötig, daß man zwar Freude, aber in solchen Dingen suche, dadurch wir zu beständiger Freude gelangen. Und weil jede Freude nichts anderes ist als die Vergnügung, so die Seele an ihr selbst hat, so müssen wir solche Freudenmittel suchen, dadurch die Seele nicht anderwärts folglich verschlimmert und geschwächt, sondern durchaus verbessert und in ihrem ganzen Wesen erhöhet werde.«

Vielen Dank für das Interview lieber Timo, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Buchprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

Ebenfalls vielen Dank fürs Fragen!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Timo Kölling, Schriftsteller

Timo Kölling – Offizielle Website des Autors (timokoelling.com)

26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Mein Buch ist ein Gedankenverarbeitungsbuch, das in Wien passiert ist“ Georg Rauber, Schriftsteller _ Station bei Bachmann 18.2.2021

Georg Rauber_Schriftsteller_Wien

Ha.Ha.Ha.

„Haben sie frischen Fisch?“ fragte Johann den Blumenverkäufer und ging.

(aus: Georg Rauber, Das Herz ist ein dummer Bastard, aber es weiß was es will. Kampenwand Verlag 2021_ebenso alle weiteren Gedichte)

Interview_Georg Rauber: Ich begann 2017 an diesem Buchprojekt zu schreiben, einmal ein Gedicht, dann eine Geschichte oder ein absurdes Sprachexperiment und dies immer wo ich gerade in Wien unterwegs war, in der U-Bahn, in Bars, in Parks und diese Texte sammelten sich und stapelten sich am Schreibtisch.

Dann dachte ich, ich könnte dies als Manuskript zusammenfassen und begann die Texte zu sortieren. Ich habe es dann bei Verlagen eingereicht und es kamen nur Absagen – „Du bist unbekannt und es ist kein Roman“ waren die Antworten. „Leute, die keinen Roman schreiben, veröffentlichen wir nur, wenn sie bekannt sind, und Lyrik bringt finanziell nichts.“ . 

Alles was kein Roman ist, gilt quasi nicht als Buch. Das ist natürlich Unfug.

Kitschig, aber wahr

„“Ich glaub schon, dass Liebe ein Ablaufdatum hat“, sagte er und liebte sie für immer.“

Vor einem halben Jahr kam dann doch ein Anruf vom Kampenwand Verlag mit Interesse an einer Veröffentlichung. Daraus entstand dieses schöne Buch, das Gedichte, Geschichten, „Wortzusammenkünfte“ verbindet. Es ist eine sehr spannende Zusammenarbeit.

Mein Buch ist ein Gedankenverarbeitungsbuch, das in Wien passiert ist. Gedanken auf Wegen durch Wien. Wien erlaubte mir, es zu schreiben.

Ich war viel zu Fuß in Wien unterwegs und mit öffentlichen Verkehrsmittel. Zuhause denkt man anders als in der U-Bahn.

Ich wollte so viele Einflüsse wie möglich sammeln. Menschen beobachten. Nicht vom Turm mit Ausblick sondern mitten im Lebensumfeld. Ich bin mit Intention weggegangen, ca. ab 10% des Buches. Es waren Stationen, auch Nachtwanderungen mit ungefilterten Gedanken, die stark bearbeitet werden mussten.

Der Großteil des Buches ist im Bewegungsradius meines Lebensortes entstanden, mit Abweichungen. Ich hatte immer ein Notizbuch mit.

Regen #2

„Der Regen fällt draußen auf die Straße/Er steht wieder auf und tut so als ob nichts passiert wäre.“

Das Schöne an diesem Buchformat ist, dass es Gedanken zu jeder Tageszeit auffängt. Etwa nach dem Aufstehen, dem Träumen.

Wenn ich jetzt wieder die Wege der Gedanken nachgehe, kommen mir auch Erinnerungen, vielleicht 10 Prozent. Ah, da ist dieser Tisch, da schrieb ich es. Das kommt dann ungeplant. Diese geographische Nostalgie packt einen schon manchmal, aber immer überraschend. Zu 90 Prozent ist aber alles gleich wie immer am Weg.

Lektion eines Spaziergangs

„Gehe beim Beschnuppern einer Blume so nah, als würdest Du eine geliebte Person küssen“

Bewusstes Losgehen war jenes am Abend. Die Nachtwanderung – die Intention: jetzt bringe ich das Buch weiter.

Das Schönste am Schreiben ist der erste Inspirationsfunke. Dann am Besten ein paar Tage warten. Denn am Anfang findet man alles geil was man schreibt. Dann beginnt die Editionsarbeit. Auswählen, einen Rhythmus finden. Es sind also immer zwei Phasen. Von zehn Geschichten bleiben dann zwei, oder eine.

Der effizienteste Mann der Welt

„Mit 2 Jahren schloss er die Schule, mit 3 Jahren die Uni ab. Er arbeitete bis Ende 7 und war mit 8 in Pension. Er fing an Tomaten zu züchten und die Violine zu spielen. Er verliebte sich mit 11 und traute sich mit 13, dies zuzugeben. Er lebte glücklich bis 17, schob ein obligatorisches Jahr der Depression ein und hatte die Vernunft, mit 18 zu sterben.“

Das Schreiben nimmt das Knäuel im Hirn und macht einen Faden daraus. Es ist auch eine Art Therapie, ein Anfang von Verarbeitung von Emotionen.

Jeder Faden kann reißen. Jedes Wollknäuel ist anders. Einfach weitermachen.

Manche Knäuel werden einen Kilometer lang, manche einen Zentimeter.

Wesentlich ist, das Knäuel zu entwirren.

Kunst hilft Positives wie Negatives konkreter zu fassen.

Ein gedrucktes Buch war ein Ziel. Ich würde das gerne weitermachen.

Ich lese gerne und viel und habe es noch nie bereut ein Buch gelesen zu haben.

Ingeborg Bachmann ging von einer rohen Emotion beim Schreiben aus. Da ist nichts gekünstelt. Und dann diese schöne Sprache. Da ist jemand begnadet für die Sprache.

Roher Schmerz, rohe Liebe, wie aus dem Herz gespien, wie gefühlt obwohl es in einer so schönen Sprache ist. Das macht die Ehrlichkeit und Authentizität.

Bachmann fällt mit der emotionalen Tür ins Haus und das respektiere ich sehr.

Das Darstellen von Wahrheit, ich sehe dies als Verbindung zu Ingeborg Bachmann.

Seltsamer Tag

Dann war da der seltsame Tag, an dem ich anfing, deine Stimme wie Graffiti auf Wänden und frei schwebend in der Luft zu sehen.

Ich habe hier im 3.Beziek als Programmierer gearbeitet. Ich habe immer schon nebenbei geschrieben und Schauspiel gemacht, bis ich sagte, ich kündige. Als ich kündigte, wurde am selben Tag mein erstes Gedicht veröffentlicht. Ich ging wie auf Wolken nachhause. Dann gab es harte Jahre, aber ich konnte jeden Tag schreiben, gehen, Eindrücke sammeln. Ich hatte 10 Euro die Woche, aber es war Leben, Schreiben.

Hier im 3.Bezirk sagte ich „ganz oder gar nicht“ zum Schreiben.

Der Kuss

„Und dann war`s plötzlich so und es gab kein Zurück mehr.“

Georg Rauber_Schriftsteller

Georg Rauber, Schriftsteller, Schauspieler _Station bei Ingeborg Bachmann_Wien 1030 _ 2_2021

Alle Gedichte_ Interview_Georg Rauber _ Alle Fotos_Interview_Walter Pobaschnig _2/2021.

Georg Rauber — Georg Rauber

Buchneuerscheinung: Georg Rauber, Das Herz ist ein dummer Bastard, aber es weiß was es will. Kampenwand Verlag 2021.

Georg Rauber, Das Herz ist ein dummer Bastard, aber es weiß was es will. Kampenwand Verlag 2021

Besprechung:

Es ist ein selbstbewusster variantenreicher Sprachweg, den der Wiener Schriftsteller und Schauspieler Georg Rauber in seinem ersten Buch wählt. Die in einem Zeitraum von mehreren Jahren entstandenen Gedankenzugänge zu Welt, Sinn, Sprache und Liebe nehmen in Form von Gedichten, Geschichten und Textexperimenten große Traditionen der Literatur- und Philosophiegeschichte auf und katapultieren diese gleichsam in das 21.Jahrhundert.

Das Augenblick-Phänomen der Erfahrung und Erinnerung, das Gedankenkarussell des Lebens, treten in den Prozess der Reflexion. Und dieses Begegnen und Nachdenken über Ereignis und Geschehen wird in Sprache destilliert, die nicht mehr Treibstoff zulässt als es am Weg braucht. Am täglichen Riesenrad und der Geisterbahn von Welt und Liebe.

Der moderne Mensch stellt sich dem Leben, der Liebe als Kunst, die es zu erlernen, pflegen gilt. Im Gelingen und Scheitern. In Glück und Absurdität. Im Weitermachen. Es ist gleichsam ein aufmerksames Mitgehen, Zeitgeben von Welt und Liebe. Ein Erwarten, Erleiden von Spannung und Wiedersprüchen und Ausschauhalten nach dem Sonnenaufgang, wenn Gedanken ihre Form finden. Die Wirkkraft von Sprache ist dabei zentrale Mitte. Gedankenräume – Sprachräume – Lebensräume. Diese literarische Dreiecksbeziehung trifft bei Georg Rauber punktgenau und fasziniert im lesenden Mitgehen zu überraschenden wie packenden Sprach- und Denkräumen.

Der Schreibtisch von Georg Rauber ist eine faszinierende Raketenstation in Sprache und Experiment und der Wiener Schriftsteller ist ohne Zweifel eine der literarischen Entdeckungen des Jahres.

Walter Pobaschnig 2_2021

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„Das Theater wird gefordert sein, die Menschen wieder abzuholen“ Stefan Moser, Schauspieler_Graz 18.2.2021

Lieber Stefan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mein Tag beginnt auch im „Lockdownbetrieb“ spätestens um 8 Uhr morgens mit einem brotfreien Frühstück und der Tageszeitungslektüre. Dann wechsle ich zwischen Büro- und Studiotisch hin und her. Nach einem ausgedehnten Spaziergang wird gekocht und in der Abendgestaltung bin ich flexibel. Meist wird wieder zwischen den beiden Tischen gewechselt.

Stefan Moser, Schauspieler

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Der solidarische Gedanke an eine baldige Normalität, inklusive einem dementsprechenden Verhalten. Wichtig ist auch, dass wir nicht vergessen, dass es nicht sehr weit weg Menschen gibt, denen es immer noch um Welten schlechter geht als uns.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Das Theater wird gefordert sein, die Menschen wieder abzuholen und ihnen einen unbeschwerten Abend, auch abseits des Themas Nummer eins, zuzusagen.

Was liest Du derzeit?

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horvath.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Man muss, wenn was feststeckt, sich was Neues überlegen.“ („Wieder a Sommer“, Gert Steinbäcker)

Vielen Dank für das Interview lieber Stefan, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Schauspiel-, Musikprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Stefan Moser, Schauspieler, Musiker

Home – Moser (stefanmoser.com)

Foto_Lukas Moser

26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Was brauchen wir von der Gesellschaft für gutes Theater?“ Ingala Fortagne, Schauspielerin_Wien 17.2.2021

Liebe Ingala, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich stehe zwischen 7.00 und 8.00 Uhr auf, je nachdem wann der Online Unterricht der Kinder beginnt oder ich selbst Termine habe. Das ist eine gute Stunde später als wenn die Kinder zur Schule müssten. Ich bereite Frühstück, schau, was im Haushalt zu tun ist, verabrede mich mit den Kindern, wann wir essen, wer was wann den Tag über zu tun hat…. Letztendlich ähnelt mein Tagesablauf dem vor der Pandemie, wenn ich als freischaffende Sängerin nicht unterwegs sondern zu Hause war. Das Außergewöhnliche für mich ist, meine fast erwachsenen Kinder so viel um mich zu haben, da sie ihrer Lebensphase entsprechend eigentlich viel weniger da sein „sollten“. Das genieße ich, ehrlich gesagt, auch wenn es mir um ihre unbeschwerte Jugend leidtut.

Ich versuche wenigstens einmal am Tage draußen in der Natur zu sein und habe Kundalini-Yoga für mich entdeckt. Durch die fehlende Abwechslung „unterwegs“ zu sein, die Unsicherheit, ob geplante Projekte stattfinden oder abgesagt werden, bin ich noch mehr gefordert, mich jeden Tag auf das zu besinnen, was ich will, wie ich mein Leben gestalten möchte. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit, dass ich mir überhaupt solche Fragen stellen kann und versuche zu erkennen, dass nichts selbstverständlich, jeder meiner Atemzüge ein Geschenk ist.

Ingala Fortagne _ Schauspielerin, Sopranistin, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich mag nicht für alle Menschen sprechen. Jeder steht vor anderen Herausforderungen. Ich merke nur für mich, dass ich das Leben genießen will und niemand etwas davon hat, wenn ich vor mich hin leide, weil durch die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung live Konzerte und Theater gerade unmöglich sind. Ich möchte meinen Geist dehnen, mich öffnen für die Möglichkeiten, die ich als Künstler und Mensch trotz allem habe. Vieles, was ich über unsere Situation, unser Wirken in der Welt lese und höre, verwirrt und ängstigt mich. Ich lasse mich berühren, ohne dass ich eine Lösung weiß. Ich will nicht wegschauen. Dieses Nichtwissen und die Angst, die damit verbunden ist, gilt es auszuhalten. Ich brauche mehr Empathie für mich selbst – wie auch für andere. Mich zwischendurch kurz bewusst hinstellen, die Erde und die Luft spüren, zu guter Musik tanzen, über mich und alles lachen, das schafft Abstand von der Verwirrung und Raum für neue Ideen. Ich brauche den Mut, mich und meine Konzepte zu hinterfragen und mich nicht getrennt von meinen Mitmenschen, der Natur zu erleben.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und
persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt
dabei dem Schauspiel, der Musik, der Kunst an sich zu?

Zu der Frage kann ich nur meinen letzten Gedanken aufgreifen und weiterführen: wir können aufhören, uns getrennt voneinander zu fühlen. Wie ich denke, fühle und agiere hat einen Einfluss auf den gesamten Organismus. Einerseits gilt es unsere Arroganz der Umwelt, unseren Mitmenschen gegenüber und gleichzeitig unsere unendlichen Möglichkeiten, die in uns allen stecken, zu erkennen. Man kann mit jedem Lebensbereich anfangen. Sehr deutlich ist es für mich bei der Nahrung. Weiß ich überhaupt, wo sie herkommt, wie sie hergestellt ist, welche Prozesse nötig waren, bis sie in meinen Mund gelangt? Ich habe eine Verantwortung. Jeder Mensch darf sich dafür sensibilisieren. Ich denke, für diesen Sensibilisierungsprozess u.a. ist Musik und Theater, die Kunst an sich wunderbar und wesentlich. „Von einem guten Theater geht eine Heilkraft für die gesamte Gesellschaft aus“ (sagt Peter Brook, gerade gelesen bei Markus Kupferblum s.u.) Aber was ist gutes Theater? Wo findet gutes Theater statt, was braucht es dafür? Das sind Fragen, die wir uns als Theaterschaffende immer stellen müssen und in der heutigen Krise umso mehr. Dienen die Theaterstrukturen uns noch, was brauchen wir von der Gesellschaft für gutes Theater? Das sind letztendlich Fragen, die jeder in der Gesellschaft in seinem eigenen Wirkungsbereich zu stellen hat: die geschaffenen Strukturen, die eine Zeitlang nützlich waren, zu hinterfragen. Dazu fällt mir die Frage meines Konfirmationslehrers ein: „Eine Verkehrsampel kann eine lebensrettende Einrichtung sein. Aber wenn ich mitten in der Nacht vor einer Ampel stehe, kein Auto weit und breit zu sehen ist, ich dennoch
stehen bleibe, dient mir dann die Ampel oder diene ich ihr?“ Die Sehnsucht nach der archaischen Kraft einer Melodie, nach der lebendigen Darstellung einer Situation auf der Bühne wird es immer geben. Es ist für den Menschen die Möglichkeit, sich berühren zu lassen, sich selber zuzuschauen, sich zu erkennen und über sich zu lachen. Ich habe mich nun einmal dieser Verführung zu berühren, zu sensibilisieren verschrieben und werde weiter mein Leben danach ausrichten.

Was liest Du derzeit?

Verschiedenes, ich lese selten nur ein Buch. Je nach Laune, Stimmung und Muse greife ich nach dem oder dem. Insgesamt komme ich gerade mehr zum Lesen als vor der Pandemie: „Die Menschheit in Erstaunen versetzen“ Hilma af ; Klingt von Julia Voss, M. Dietrich “Nachtgedanken“ und „Sag mir, dass Du mich liebst“ Briefe zwischen E. M. Remarque und M. Dietrich, A. Polgar „M.- Bild einer berühmten Zeitgenossin“ (alles als Vorbereitung für ein „Marlene“ Programm), „Die Geburt der Neugier…“ von M. Kupferblum, „Im Westen nichts neues“ von E. M. Remarque, „Dying to be me“ von A. Moorjani

Ingala Fortagne _ Schauspielerin, Sopranistin, Schriftstellerin

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Musik aber macht das Herz weich; sie ordnet seine Verworrenheit, löst seine Verkrampftheit und schafft so eine Voraussetzung für das Wirken des Geistes in der Seele, der vorher an ihren hart und verschlossenen Pforte vergeblich geklopft hat. Ja, ganz still und ohne Gewalt macht die Musik die Türen der Seele auf. Nun sind sie offen! Nun ist sie bereit, aufzunehmen. Dieses ist die letzte Wirkung, die Musik auf mich ausübt, die sie mir notwendig macht in diesem Leben. Und so wenig ich mich wasche um des Wassers willen, das ich dazu benötige, so wenig höre ich Musik um der Musik willen.
(Sophie Scholl, Januar 1942)

Vielen Dank für das Interview liebe Ingala, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspiel-, Musikprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Ingala Fortagne_Schauspielerin, Sopranistin

Ingala Fortagne – Sopranistin & Schauspielerin (ingala-fortagne.com)

Fotos_privat.

26.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Viele werden Scherben einsammeln. Ihre Hoffnungen und kleinen Unternehmen zu Grabe tragen.“ Sandra Blume, Schriftstellerin_Eisenach 17.2.2021

Liebe Sandra, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Die letzten Wochen waren tatsächlich von einer gewissen Einsamkeit geprägt. Ich sah mein Kind, meinen Mann an den Wochenenden, und ganz gelegentlich meine Freundin. Ich war viel im Homeoffice. Zunächst hatte ich das noch begrüßt. Herrlich, zwischendurch mal aufzustehen, die Wildvögel zu füttern oder mal kurz auf einen der Hügel, die das Dorf umrahmen zu klettern und dann später weiter zu arbeiten. Nach fünf Wochen hatte ich jedoch das deutliche Gefühl, langsam tiefe Furchen in alle Wege getreten zu haben. Ich hatte Sehnsucht danach, mich ordentlich statt notdürftig zu schminken, mich statt in Bequemleggins büroschick zu kleiden und mit meinen Kollegen im Büro Landrat zwischen Terminen und dem üblichen Stress kurz zu plaudern.

Sandra Blume, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Das ist eine knifflige Frage, auf die ich lange keine gute Antwort finden konnte. Es wird so viel gesagt und geschrieben, was wir tun sollten und was geschehen müsste, dass es mir zum Hals heraus hängt. Ich glaube, was wir jetzt vor allem brauchen, ist Geduld. Und Hoffnung. Und den unbedingten Willen daran zu glauben, dass diese schwierige Zeit endet. Und dass dann etwas Neues kommt, das wir gestalten können. Im Moment sind unserer Gestaltungskraft Grenzen gesetzt. Grenzen, die ich akzeptiere, weil auch ich keinen besseren Weg weiß. Ich sehe die vielen Toten, die ich jeden Tag für unseren Landkreis zähle und den Medien mitteile. Und ich denke, dass es angesichts dessen kein großes Opfer ist, wenn ich die Wege um mein Dorf eben noch etwas länger austrete.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Stehen wir vor einem Aufbruch? Ich bin mir nicht sicher. Wir werden unsere Freiheiten intensiver wahrnehmen für eine Weile. Wir werden die Friseure, die Kinos, die Restaurants und hoffentlich auch die Theater und Galerien einrennen – für eine Weile, weil wir wertschätzen, dass wir all dies haben und nutzen können. Viele werden Scherben einsammeln. Ihre Hoffnungen und kleinen Unternehmen zu Grabe tragen. Andere werden kommen und neue Hoffnungen und Ideen zum Leben erwecken. Wir werden sein, wie Menschen immer sind: die einen vergessen und verdrängen, halten sich am Gewohnten fest und die anderen fangen etwas Neues an.

Was liest Du derzeit?

Ich habe mir eine wunderschöne illustrierte Ausgabe des Herrn der Ringe zugelegt. Und genieße es, das Buch mit seiner herrlichen poetischen Sprache nach Jahren wieder zu lesen. Wenn es draußen stürmt und schneit und drinnen ein Feuer prasselt, lässt sich selbst Corona vergessen. Für eine Weile.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„This storm is making me tired,“ said the boy. „Storms are getting tired too,“ said the horse, „so hold on.“

Charlie Mackesy

Vielen Dank für das Interview liebe Sandra, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Sandra Blume, Schriftstellerin

Herzhüpfen – Texte & Fotos von Sandra Blume (herzhuepfen.com)

Fotos_Annett Jünemann.

24.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Klar ist: Wir brauchen Menschen in Machtpositionen, die den Wert der Kunst erkennen“ Karsten Redmann, Schriftsteller_ St.Gallen/CH 16.2.2021

Lieber Karsten, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Für mich hat sich nicht viel geändert. Ich kann zurzeit, wie schon vor der Pandemie, sehr zeitsouverän leben. Für mich als Schriftsteller fühlt sich das gut an, so kann ich frei arbeiten, mir Wege suchen. Obwohl ich schon recht lange schreibe, und bereits vieles ausprobiert habe, bin ich stets auf der Suche nach der besten Tagesstruktur, einer Struktur, in der ich produktiv sein kann. Früher dachte ich, dass ich möglichst viele Sozialkontakte, das heißt den direkten Austausch mit anderen, unbedingt bräuchte, dass ich ohne diese persönlichen Kontakte nicht glücklich sein könnte, aber das hat sich mit der Zeit verändert. Mittlerweile kann ich recht gut mit mir selbst allein sein. Da ich ein visueller Mensch bin und meine Umwelt gerne beobachte, fehlen mir jetzt aber zunehmend Szenen, Ereignisse sowie Blicke und Gepflogenheiten der Menschen. Es fühlt sich alles etwas enger an. Auch das Denken.

Karsten Redmann, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Antwort 1: Sich mit Geschichten zu versorgen, sich Geschichten zu erzählen, um den Alltag erträglich zu machen. Allgemein formuliert: Sich den Künsten zuwenden, um dort nach Antworten zu suchen. Die Kunst bzw. die Beschäftigung mit ihr, kann uns lehren, uns leiten. Wenn wir uns schon nicht im Außen bewegen können, dann doch wenigstens im Innen. 

Antwort 2: Sich bei Laune halten, sage ich mal so lapidar. Aber auch immer wieder zu versuchen die sich ständig wandelnden Umstände zu begreifen, neue Informationen zu ordnen, zu gewichten, Risiken (für sich und die anderen) abzuwägen, und an eine mögliche und offene Zukunft zu denken.   

Antwort 3: Ich spreche nicht gerne für ein WIR. Wer ist denn dieses UNS ALLE? Grundsätzlich glaube ich, dass jeder für sich am besten weiß oder es zumindest herausfinden sollte was zu tun ist. Wobei ich natürlich auch verstehe, wenn Leute ängstlich werden, unruhig werden, sich nicht mehr wohlfühlen ob der akuten Probleme unserer Zeit. Wenn ich eine naheliegende Empfehlung aussprechen darf – dann, dass ich uns allen ans Herz lege, sich bestmöglich auszutauschen, um besser mit etwaigen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten umgehen zu können.

Antwort 4: Eine gefühlte Nähe in der Distanz herstellen.    

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ich bin eher skeptisch was den angesprochenen Aufbruch und Neubeginn angeht. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Gesellschaft neu erfindet. Dafür sind die etablierten Institutionen und die sehr tief reichenden Werteinstellungen innerhalb der Gesellschaft zu wirkmächtig. Viele Institutionen verfolgen weitestgehend Eigeninteressen. Warum sollten sich diese Interessen plötzlich verschieben? Außerdem bräuchte ein Um- und Neudenken Möglichkeitsräume – dafür müssten Ressourcen freigesetzt werden. Klar ist: Eine Gesellschaft muss den Wandel schon wollen. Diesen Willen sehe ich nicht. Zumindest bisher nicht. Die wirkmächtigen Diskurse verlaufen in alten Bahnen. Welche Rolle der Kunst/der Literatur zukommen? Die Kunst kann sich nur schwerlich durchsetzen. Das zeigt sich immer wieder und leider überall. Wer sollte ihr größeres Gewicht verleihen? Der Kunstmarkt? Die Künstlerinnen und Künstler selbst? Oft ist sie nur Beiwerk. Ich persönlich würde der Kunst innerhalb der Gesellschaft gerne mehr Gewicht und Einfluss geben wollen, denn ich sehe sie als wesentliches Element geistiger Entwicklung und Menschwerdung – auch wenn sich das ein wenig pathetisch anhört. Klar ist: Wir brauchen Menschen in Machtpositionen, die den Wert der Kunst erkennen, diesen Wert dann auch fördern, nur dann wird sich etwas ändern.           

Was liest Du derzeit?

Habe „Kindeswohl“, den schmalen Roman von Ian McEwan, neben meinem Bett liegen, lese hin und wieder, aber ich werde nicht so ganz warm damit. Ganz anders erging es mir mit dem kürzlich zu Ende gelesenen Roman „In Transit“ von Rachel Cusk. Dieser Text hat mich schon sehr beeindruckt. Auch darf ich ab und an, und zwischendurch, die Texte meiner Freundin kritisch gegenlesen, das mache ich gerne und mit großer Leidenschaft. Es trifft sich gut, dass wir beide schreiben. Ein anderer (auch fremder) Blick auf das Eigene kann nicht falsch sein. Was das Ureigene angeht: Selbstverständlich lese ich mein in Arbeit befindliches Romanmanuskript wieder und wieder. Streiche Absätze, ergänze Passagen. Hoffe, im Frühsommer den Roman abschließen zu können. Es wird aber auch Zeit.        

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Vor nicht allzu langer Zeit bin ich auf folgendes Zitat gestoßen: „Wenn ich von Poesie spreche, betrachte ich sie nicht als ein Genre. Poesie ist ein Bewusstsein für die Welt, eine besondere Art, sich auf die Realität zu beziehen. Poesie wird also zu einer Philosophie, die einen Menschen durch sein Leben führt.“ Das Zitat stammt vom Sowjet-Regisseur Andrei Tarkowski, dessen Arbeiten ich sehr schätze. Seine Bildsprache ist außergewöhnlich. Mit Ingmar Bergman gehört er zu meinen Heroen einer eigenen Bildsprache. Ein kurzer Einblick in die besondere Sprache der beiden Filmemacher findet sich hier – in diesem wunderschön gemachten visuellen Essay: https://www.youtube.com/watch?v=Wfbkn21yvr4

Schon sehr früh dachte ich, die Welt ist mehr als nur das rein Sichtbare, rein Hörbare. Es war mir, als wäre da immer noch etwas anderes da, ein Schwingen, ein Öffnen, ein Raum hinter dem Raum, ein Dahinter. Und ja – dieser besondere Blick auf die Welt, die Poesie als Philosophie, geben alldem was ist, und womöglich sein wird, ein Gewicht. Ohne diese Schwere, ohne dieses Ziehen im Leib, würde mir etwas Wesentliches fehlen.

Ich wünsche jedem Menschen die Möglichkeit einer solchen Kunst- und Welt-Betrachtung. Für mich liegt darin, in dieser Erfahrung, ein außerordentlicher Wert. Es ist der eigentliche Impuls zu schreiben, das Leben einzufangen, es greifbar, nahbar und fühlbar zu machen.

Vielen Dank für das Interview lieber Karsten, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Karsten Redmann, Schriftsteller

Karsten Redmann

Foto__Kilian Schreier.

21.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

       

„sinne offenhalten. lächeln auffädeln. gemeinsam.“ Andrea Karimé_ Schriftstellerin_Köln 16.2.2021

Liebe Andrea, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?

landmarkensuche im alleintag. wie immer. prospektiere die tageslandschaft. buchstabengeländer zum festhalten. texte entstehen langsamer. eine zoomkonferenz. eine einladung zum storytelling. online. ein spaziergang in gesellschaft. büro. telefon und skype.

Andrea Karimé  _ Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

ich denke wieder, ich kann nicht mehr. aber es ist ja ein westliches privileg, dass ich das jetzt erst denke und nicht schon mein ganzes leben. im libanon können viele schon viel länger nicht mehr und machen weiter und in syrien, und moria und an den anderen unglücksorten der welt die weit weg sind von uns. also #leavenoonebehind. ich stelle mich ein auf größeres teilen und lerne brückensprachen und schnüre die schuhe. es gibt was stand-halten lässt. sinne offenhalten. lächeln auffädeln. gemeinsam. immer und zb gegen rechts. für menschlichkeiten. „nicht müde werden/ sondern dem wunder/ leise …“

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

poesie bringt sinne zum klingen. kann zursprachebringen  sichtbarmachen. künstlerische sprachen und geschichten tragen. literatur sammelt und öffnet welten. dokumentiert komponiert neue zusammenhänge. schichtet dichtet wahrnehmungen. kann aufrütteln irritieren. etwas zusammenbrechen lassen. kleingeistiges aus dem gebüsch locken. zum lachen bringen.

trösten. „ein wort ist ein mond. es leuchtet“ (Aya, 9).

Was liest Du derzeit?

maya angelous autobiografie: „Ich weiß warum der gefangene Vogel singt.“ dieser stolz eines schwarzen mädchens in schwierigstem leben, der das ganze buch durchstrahlt. außerdem ihre gedichte: „Phänomenale Frauen“ in der zweisprachigen ausgabe. wenn ich mehrl zeit habe: „Das Meer der Libellen“ von Yvonne Adhiambo Owour. die das Meer aufbaut, sollten das jetzt lesen.

 „… blasse Lichtrahlen, …, die Hoffnung gaben, man könne darauf bauen, dass die Zeit selbst die größten Katastrophen in ferne Echos zu verwandeln vermochte.“

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„alone/ all alone/ nobody/ but nobody/ can make it out here alone“

(maya angelou)

Vielen Dank für das Interview liebe Andrea, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Andrea Karimé, Schriftstellerin

Andrea Karimé | Willkommen | Kinderbuchautorin und Geschichtenerzählerin aus Köln (andreakarime.de)

Foto__privat

21.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Reigen Reloaded“ Barbara Rieger (Hg.). Kremayr&Scheriau Verlag

Die Uraufführung von der „Reigen“ in Berlin/Wien wurde 1921 zu einem der größten Theaterskandale der Geschichte. Die gesellschaftlichen Spielformen der Sehnsucht und Liebe, das Wiener „Pantscherl“ (Affäre, Verhältnis), vom Grafen bis zum Stubenmädchen querbeet, wird zum gerichtlichen „öffentlichen Ärgernis“. Der Instanzenweg endete schließlich auf Seiten der Kunst und des Wiener Autors, Arztes und Schriftstellers Arthur Schnitzler (1862 – 1931). Schnitzler selbst ersuchte jedoch 1922 seinen Verlag von weiteren Aufführungen Abstand zu nehmen (1982 aufgehoben). Die Spannung von Kunst und Zeit lässt Schnitzler, der das verdeckte, verdrängte Innere einer doppelbödigen Gesellschaft ins Bühnenlicht stellte wie kein anderer, hier zurückziehen.

100 Jahre später kommt es nun zu einem außergewöhnlichen literarischen Transferprojekt der österreichischen Schriftstellerin Barbara Rieger, welche Schnitzlers Bühnendialog aufnimmt und zehn österreichische SchriftstellerInnen – Gertraud Klemm ∙ Gustav Ernst ∙ Daniel Wisser ∙ Bettina Balàka ∙ Michael Stavarič ∙ Angela Lehner ∙ Martin Peichl ∙ Barbara Rieger ∙ Thomas Stangl ∙ Petra Ganglbauer – einlädt, diesen im 21.Jahrhundert ankommen zu lassen. „Es war ein Experiment, ein Weiterschreiben, ein Reagieren auf den Text des Vorgängers/der Vorgängerin, ein Übernehmen der Figuren, ein Bezugnehmen auf Schnitzler“, umreißt die Herausgeberin Barbara Rieger dieses bemerkenswerte interaktive Literaturprojekt. Literarischer Impuls und Dialog geben nun den Blick frei auf Sehnsucht, Bedürfnis, Drama der Gegenwart. Nehmen im genialen Sprachlicht mit auf die Hochschaubahn, das Riesenrad von Gefühl und Einsamkeit im Tanzen und Stolpern der Liebe. Die literarischen Variationen und Ideen begeistern in ihrem bunten Menschen-, Emotionenfächer.

Der Originaltext Schnitzlers wie ein Vorwort der Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl runden dieses geniale „Darf/kann ich lieben?“.

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Walter Pobaschnig 2_21