Interview _ Franzobel, Schriftsteller _ Bachmannpreisträger 1995_ Wien
Franzobel, Schriftsteller _ Bachmannpreisträger 1995_ Wien
Ist Österreich als Gastland die Revanche für den deutschen Gast?
Der deutsche Gast hat nur einen Nachteil, er kommt in Masse, aber eigentlich ist er der angenehmste. Russen verwüsten Hotelzimmer, Italiener und Chinesen sind laut, Araber geldverdorben, Amerikaner enervierend. Für den vorauseilenden Gehorsam der österreichischen Gastronomen, die Pfannkuchenstreifen, Lendchen, Rührei und Aprikosen auf Speisekarten setzen, kann er ja nichts.
Was macht einen österreichischen Gast aus?
Der ist misstrauisch, vergleicht alles mit daheim und neigt zur Rudelbildung. Der Österreicher ist immer etwas schlampig und nur selten elegant. Er kann nicht gehen, weil seine Füße dafür gemacht sind, auf Bergwiesen Kuhfladen auszuweichen. Meist ist er schüchtern, betrinkt sich, um die Fremde auszuhalten, und wird dann ausfällig. Der Österreicher im Ausland bindet jedem ungefragt auf die Nase, dass er kein Deutscher ist, und identifiziert sich mit Mozart, Lipizzaner und Schwarzenegger. Ein Widerling.
Wird Leipzig das Literatur-Cordoba für Österreich?
Literarisch ist Österreich wie Indonesien, das Literaturland Austria ist ein Archipel, der aus lauter Inselbegabungen besteht. Hunderte Monolithen mit einem völlig eigenen Stil, damit sind wir dem politisch korrekten Einheitsbrei der Germanen natürlich turmhoch überlegen.
In Österreich gibt es eine Tradition, die sich vom Wiener Volksstück, den Kabarettisten der Zwischenkriegszeit und dem Austropop nährt, die ihresgleichen im deutschen Sprachraum sucht. Wir haben kein Bürgertum, sondern sind allesamt Abkömmlinge von illegitimen Pfarrerseitensprüngen, degenerierten Adeligen, Bauern, Proletariern oder Gesinde, das macht uns so stark.
Ist „Meaoiswiamia“ als majestetischer Plural gemeint mit dem Wir geschickt Deutschland narzisstisch überlisten?
Sagen wir so, der Schmäh der Österreicher ist für Deutsche unbegreiflich und in andere Sprachen nicht zu übersetzen.
Ein Beispiel gefällig?
Vor kurzem hat mir ein Freund erzählt, dass er das Bressehuhn von Bocuse nachkochen wollte. Das kommt in einen großen Topf voller Meeressalz. Zufällig sieht er in der Auslage eines Feinkostladens drei Kilo von diesem Salz. Also geht er hinein und fragt, ob sie etwas mehr haben. Daraufhin der Verkäufer: „Was is mit ihnen, wollns a Meer eröffnen?“
…oder ist „Meaoiswiamia“ auf den Literaturbetrieb bezogen?
Ich weiß nicht, was sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben, hoffe aber, der Titel ist bei ein paar Flaschen Wein entstanden und man hatte eine Mordsgaudi. Vielleicht hat ja irgendwann zu nächtlicher Stunde jemand gefragt, ob es jemand gibt, der mehr verträgt? Meaoiswiamia? Oder man wollte auch ein Meer eröffnen?
Wer kann besser lesen – Deutschland oder Österreich?
Machen wir uns nichts vor, jedes Volksschulkind in Hannover spricht ein besseres Deutsch als die meisten österreichischen Literaten, dafür ist bei uns jeder Hackler lustiger als der deutsche Durchschnittskabarettist.
Lesen ist wieder etwas anderes, das ist wie die Genialität oder das Bewusstsein, da wissen Hirnforscher auch nicht, wie sie das fassen sollen. Oder war Vorlesen gemeint? Da sind die Österreicher schlechter, aber amüsanter. Aber das sind natürlich lauter Klischees.
Herzlichen Dank!
Franzobel, Schriftsteller _ Bachmannpreisträger 1995_ Wien
Zur Person_Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, erhielt u. a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas-Born-Preis (2017). Bei Zsolnay erschienen zuletzt der Krimi Rechtswalzer (2019) sowie die in zahlreiche Sprachen übersetzten historischen Romane „Das Floß der Medusa“ (2017), „Die Eroberung Amerikas“ (2021) und Einsteins Hirn (2023).
Liebe Ines Birkhan, Du hast 2019 am Bachmannpreis in Klagenfurt teilgenommen. Wie kam es zu Deiner Teilnahme und wie gestaltete sich Deine Vorbereitung?
Ich wurde von Nora Gomringer eingeladen. Meine Vorbereitung lag im Erarbeiten eines Videos, das als eine Art entfernter Ableger des Texts gedacht war. Ich wollte kein vom ORF gedrehtes Video-Portrait zu meiner Person.
Eröffnung Bachmannpreis 2019 _ Mittwoch 26.Juni _ Eintreffen der Teilnehmer:innen _ Ines Birkhan _ zweite von links
Lesereihenfolge 2019
Die Lesereihenfolge wird immer vom Los entschieden.
Ziehung Lesereihenfolge _ Ines Birkhan _ Moderation: Christian Ankowitsch _ Jury (Teil) sitzendHubert Winkels (Vorsitzender, Klaus Kastberger, Nora Gomringer (Einladende von Ines Birkhan), Stefan Gmünder
Donnerstag, 27. Juni:
10.00 Uhr Katharina Schultens
11.00 Uhr Sarah Wipauer
12.00 Uhr Silvia Tschui
13.30 Uhr Julia Jost
14.30 Uhr Andrea Gerster
Freitag, 28. Juni:
10.00 Uhr Yannic Han Biao Federer
11.00 Uhr Ronya Othmann
12.00 Uhr Birgit Birnbacher
13.30 Uhr Daniel Heitzler
14.30 Uhr Tom Kummer
Samstag, 29. Juni:
10.00 Uhr Ines Birkhan
11.00 Uhr Leander Fischer
12.30 Uhr Lukas Meschik
13.30 Uhr Martin Beyer
Moderation BACHMANNPREIS 2019: Zita Bereuter und Christian Ankowitsch. Links _ Hubert Winkels (Juryvorsitzender) Clemens J. Setz _ Rede zur Literatur am Eröffnungsabend _ „KAYFABE UND LITERATUR“ https://bachmannpreis.orf.at/v3/stories/2987078/index.html.Live Interview Clemens J.Setz _ ORF _ links sitzend Sarah Wipauer (Schriftstellerin, Bachmannpreisteilnehmerin 2019)
Welche Erwartungen hattest Du?
Als Nora Gomringer bei unserem Gespräch vor dem ersten Lesetag meinte, ich solle mich darauf gefasst machen, dass mein Text einen schweren Stand haben wird, war ich ganz von den Socken. Warum? – dachte ich. Ich bin da sehr naiv. Erstens durchschaue ich gewisse doch vorhandene Machtspiele nicht und zweitens hatte ich nicht damit gerechnet, dass einzelne Jurymitglieder vielleicht mit Scheuklappen ausgestattet sind und, wie mir schien, recht unbewandert in bestimmten Einflüssen, die von anderen Kunstfeldern in die Literatur hineinreichen. Ich meine hier inhaltlich für meinen Text relevante Einflüsse wie – die Aufweichung von Grenzziehungen zwischen Mensch/Tier, Innen/Außen, halluzinativ-surrealistische/reale Welt. In anderen Medien sind diese Trennlinien eine offene Spielwiese. Vor allem in der visuellen Kunst oder im Tanz. Was in TV-Serien punkto Komposition oder Genre-Transgression längst etabliert ist, gilt in der Literatur des Öfteren als zu schwierig oder unverständlich.
Gab es im Vorfeld der Veranstaltung Kontakte zu den Mitlesenden und der Jury und wie war der Kontakt (Kontaktmöglichkeiten) vor Ort?
Ich kannte weder Mitlesende noch Jurymitglieder zuvor. Der Kontakt vor Ort zu den anderen Autor*innen war sehr gut, sehr locker, ohne Ellbogen etc… Es ergaben sich interessante Gespräche. Bezüglich Jury: Nora Gomringer hat tatsächlich die eingesandten Texte gelesen und daraus ausgewählt. Das rechne ich ihr hoch an.
Ines Birkhan _ am Weg zur Lesung
Welchen Text hast Du in Klagenfurt vorgestellt?
Ich habe einen Auszug aus meinem inzwischen veröffentlichten Roman abspenstig (2022, Verlag TEXT/RAHMEN) gelesen.
Wann hast Du gelesen und wie hast Du Dich unmittelbar auf Deine Lesung vorbereitet?
Ich habe am letzten Tag als erste gelesen. Keine speziellen Vorbereitungen.
Wie hast Du Deine Lesung und die Jurydiskussion erlebt?
Gleich zu Beginn trat eine Erwartungshaltung einiger Jurymitglieder hervor, nämlich, dass ich bei der Lesung performativ(er) agieren würde. (Ich nehme an wegen meines Hintergrunds als Tänzerin/Choreografin). Ich fand das ganz unverständlich, denn der Textauszug war ja offensichtlich für eine Wasserglas-Lesung gedacht. Hätte ich stimmlich/körperlich „performen“ wollen, wäre der Text anders strukturiert gewesen. Die anschließenden Interpretationen des Auszugs gingen für mich zum Teil ins Leere. Was mich geärgert hat, war die Unterstellung, der Text sei sprachlich nicht durchgearbeitet. Ich glaube, die Juryleute hatten da einen Text vor sich liegen, den sie einfach nicht einordnen konnten. Etwas überspitzt gesagt und vielleicht nicht auf alle Jurymitglieder zutreffend: Die formal/inhaltlichen Aspekte waren ihnen so fremd, dass sie nur den Kopf schütteln konnten. Ich empfand das als Schwäche seitens der Jury, denn der Text steht nicht im luftleeren Raum und zeigt durchaus Querverbindungen zu künstlerischen, philosophischen und eben auch literarischen Strömungen. Als ich von Hildegard Keller aufgefordert wurde, etwas zur Diskussion beizusteuern, war ich froh. Das gab mir die Möglichkeit, kurz über meine kompositorische Herangehensweise zu sprechen.
Mit welchem Feedback und persönlichen Emotionen hast Du den Lesungsort danach verlassen?
Einer der Mitlesenden hat nachher im Bezug auf meine Antwort bei der Jurydiskussion gesagt: „Wow, du hast für uns alle ein Korsett gesprengt!“ Ich weiß nicht, ob für alle, aber für mich – ja. Hätte ich auf die, wie mir damals vorkam, feindselige Haltung meinem Text gegenüber nichts antworten können, wäre ich unglücklich gewesen.
Nach der Lesung
Wie gestalteten sich für Dich die weiteren Lesungstage und die Preisverleihung?
Preise sind natürlich ein Ding für sich. Aber, wenn man an so einer Veranstaltung teilnimmt, finde ich es unehrlich so zu tun, als würde man nicht gerne eine Anerkennung für die Arbeit bekommen. Ich habe mich vor allem für Birgit Birnbacher und Ronya Othmann gefreut.
gespannte Erwartung bei den Lesenden vor der Preisverleihung am Sonntag _ 29.6. Birgit Birnbacher (Bachmannpreis 2019, Mitte); Leander Fischer (Deutschlandfunkpreis, links); Julia Jost (KELAG-Preis, zweite von rechts); Yannic Han Biao Federer (3sat-Preis, rechts);Ronya Othmann (BKS-Bank-Publikum – Preis, zweite von links).
Wie bist Du als Schriftstellerin und persönlich von Klagenfurt abgereist und welche Erinnerung und Resümee hast Du in Abstand an den Bachmannpreis?
Einige persönliche Begegnungen habe ich als schön empfunden, die haben mich getragen. Es war richtig, dort gewesen zu sein. Ich habe etwas über den Literaturbetrieb gelernt.
Wie hat die Teilnahme am Bachmannpreis Deine weitere schriftstellerische, künstlerische Laufbahn beeinflusst?
Nach der Veröffentlichung von abspenstig wurde der Roman von der Literaturkritik kaum wahrgenommen. Ich fühle mich wie ein Outcast, das muss ich offen sagen. Das gibt mir allerdings auch große Freiheit. Ich schreibe wirklich ausschließlich, was ich will und muss mich keiner wie auch immer gearteten Erwartungshaltung beugen. Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit irgendwann in der Zukunft besser verstanden werden wird. In anderen Sprachräumen womöglich schon jetzt.
Gibt es noch Kontakt zu Mitlesenden, Jury, Journalisten*innen oder Bezugspersonen in Klagenfurt?
Kontakte zu Mitlesenden – ja.
Würdest Du noch einmal am Bachmannpreis teilnehmen?
Nein.
Was wünscht Du Dir für den Bachmannpreis?
Er soll weiter bestehen bleiben. Es muss aber klar sein, dass es ein Mainstream-Event ist und Experimentelles dort scheel angesehen wird.
Was möchtest Du den aktuellen Teilnehmer*innen mitgeben?
Schaut, ob ihr aus dem Feedback der Jury etwas Interessantes für euch herausholen könnt. Bei mir war’s leider nicht so.
Welche Erinnerung hast an den Lesungsort Klagenfurt und welche Aktivitäten hast Du in der Stadt unternommen?
Ich war baden! Es war nämlich extrem heiß.
Klagenfurt _ Wörthersee
Welche aktuellen Projekte gibt es derzeit für Dich?
Ich schreibe an meinem neuen Roman Kosmopony und an einem Hörspiel.
Vielen Dank für das Interview, liebe Ines Birkhan, und alles Gute!
Bachmannpreis _ Rückblick _Interview:
Ines Birkhan, Schriftstellerin, Performerin _ Wien _ Bachmannpreisteilnehmerin 2019
Ines Birkhan, Schriftstellerin, Performerin _ Station bei Bachmann _ Lebensort Ingeborg Bachmanns _ Wien 6_19
Zur Person_Ines Birkhan – Schriftstellerin und Performerin
studierte Bildhauerei bei Alfred Hrdlicka und Gerda Fassel an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien, später Tanz und Choreographie am SNDO (School for New Dance Development), Amsterdam. Ab 2001 war sie als freischaffende Choreographin, Tänzerin und Performerin in Europa tätig und Co-Leiterin der Tanzkompanie Real Dance Super Sentai.
Seit 2005 verfasst sie Texte. Romane, Erzählungen, Performance-, Video- und Hörspieltexte
Romane:
– Chrysalis, Präsens Verlag, Wien 2009 – Angel Meat. Verwerfungen, Neofelis Verlag, Berlin 2012
– Untot, du geteilte Welt, Verlag Bibliothek der Provinz 2017
– abspenstig, Verlag TEXT/RAHMEN, Wien 2022
Ines Birkhan abspenstig Roman 232 Seiten, 120x 180 mm Klappenbroschur Preis: €16,00
– den kreisrunden Todengwalzer tanzen, Reihe Persephone, Peter Lang Verlag 2007
– Gang durch den Wald (Lesespiel), edition fabrik transit,2017
– in Literaturzeitschriften u.a.: Triëdere, LICHTUNGEN, entwürfe, Am Erker
Hörspiel: – Mit der Fliehkraft, Ö1-Kunstradio, AutorInnen-Produktion 2020
Stipendien/Preise:
2009 /2010: Aufenthaltsstipendium an der Akademie Schloss Solitude /Literatur 2010: START- Stipendium, BMUKK, Wien 2011: Reisestipendium, BMUKK, Wien 2014: Theodor Körner Preis/Literatur
2015: Projektstipendium, BKA, Wien 2017: Projektstipendium, BKA, Wien 2019: Nominierung zum Bachmann-Wettbewerb
Liebe Ursula Kirchenmayer, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich wecke die Kinder, mache mir einen Kaffee, räume die Spülmaschine aus, schmiere Brotzeiten, packe Rucksäcke, die Kinder frühstücken und ziehen sich an. Irgendwann werden wir, die Erwachsenen, ungeduldig, wir denken an die Uhrzeit, wir flehen und werden laut, wir entschuldigen uns, wir werfen alle unsere montessorischen Grundsätze über Bord und ziehen den Kindern überstürzt Schuhe und Jacken an. Meistens bringt mein Partner die Kinder in den Kindergarten.
Ich räume die schmutzigen Teller in die Spülmaschine und setze mich an den Schreibtisch, der eigentlich unser Esstisch im Wohnzimmer ist, denn mein Arbeitszimmer wurde von den Kindern, die sich noch ein Zimmer teilen, schleichend in ein zweites Spielzimmer verwandelt. Das macht mir nichts aus, im Gegenteil, am Esstisch arbeite ich am liebsten. Die nächsten Stunden sind kostbar, da begrenzt, und weil ich das weiß, konzentriere ich mich.
Ursula Kirchenmayer, Autorin
Die Kinder geben meinen Tagen Struktur, Haushalt und Arbeit sind fast eine Einheit geworden; wenn ich nachdenken muss, hänge ich Wäsche auf. Manchmal gibt es E-Mails zu beantworten, oder Interviewfragen, so wie jetzt, und gelegentlich auch Deadlines abzuarbeiten – denn wie die meisten Autor*innen bin ich auf Stipendien finanziell angewiesen. Meistens aber schreibe ich einfach, oder überarbeite bestehenden Text. Das Mittagessen kommt dabei oft zu kurz.
Um 14 Uhr bin ich es, die die Kinder abholt. Der Nachmittag wird von den Kindern bestimmt, nur in dringenden Fällen versuche ich nebenher zu arbeiten. Das ist meist keine gute Idee: am Ende sind alle frustriert, Tränen fließen.
Dieser Winter war hart, weil wir viel krank waren, häufig war eines der Kinder zuhause, oder auch beide, und da mein Partner einen Job hat, der besser entlohnt wird als meiner, war ich es, die das abfangen musste, und es war meine Arbeit, die darunter gelitten hat.
Jetzt freue ich mich schon sehr auf den Sommer.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Wir müssen ernst nehmen, dass Teile der Bevölkerung gerade offenbar ihr Vertrauen in den Staat und in die Medien, auch in die Politik verlieren. Wir müssen raus aus unseren Blasen – nicht alle fühlen sich in den aktuellen Debatten gehört. Wenn man sich einmal Deutschland anschaut, da ist die Armutsquote zwischen 2010 und 2019 um 40 Prozent gestiegen! Das trifft zunehmend auch die Mittelschicht. Und Armut ist vererbbar. In Österreich gibt es einen ähnlichen Trend. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft unserer Kinder. Wir müssen uns mehr um die Welt kümmern, deren Ressourcen begrenzt sind, aber auch mehr umeinander. Wir müssen lernen uns wieder zuzuhören. Es ist doch verrückt: Das reichste 1 Prozent emittiert doppelt so viel wie ganze 50 Prozent der Ärmeren. Warum werden dann ausgerechnet die Reichsten so zaghaft besteuert? Wir müssen unser bestehendes System hinterfragen, vielleicht von Grund auf neu denken. Wir müssen langsamer werden, weniger und bewusster konsumieren, wir müssen lernen zu verzichten. Das geht uns alle etwas an. Aber gleichzeitig müssen wir endlich und ganz besonders auch diejenigen in die Verantwortung nehmen, die tatsächlich etwas bewegen könnten. Keine Privatjets mehr, keine Flüge zum Mars.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Literatur und Kunst können die Dinge in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit zeigen. In der Literatur ist Platz für Zwischentöne. Literatur bewegt, trifft, schmerzt – anders als eine rein theoretische Analyse. Ich glaube fest daran, dass Literatur deshalb auch eine im brecht’schen Sinne gesellschaftsdurchwirkende, eine heilende Kraft hat. Und Literatur ist nicht schnelllebig. Es kann Jahre dauern einen Roman zu schreiben, es kann Wochen dauern einen Roman zu lesen. Literatur ist damit auch ein Relikt aus einer anderen Zeit. Sie lädt uns ein stehen zu bleiben, uns umzuschauen. Beim Lesen dürfen wir langsam sein. Literatur ist, genau wie die Kunst, ein Wagnis, ein Experiment – und als solches muss sie es sich erlauben können auch mal zu scheitern. Die prekären Schaffensbedingungen von Künstler*innen lassen das aber kaum zu. Das trifft im Übrigen ganz besonders Menschen, die zusätzlich noch Care-Arbeit leisten. Die meisten ausgeschriebenen Stipendien sind Aufenthaltsstipendien, aber als Mutter zweier kleiner Kinder kann ich mich darauf nicht bewerben. Man muss es sich leisten können Künstler*in zu sein. Das ist ein großes Problem, denn: Wenn nur eine kleine Elite überhaupt dazu in der Lage ist Kunst und Literatur zu produzieren, wessen Geschichten erzählt sie dann noch?
Was liest Du derzeit?
Kindheit von Tove Ditlevsen. Und Motherhood von Sheila Heti. Ich fange endlich wieder an mehr zu lesen; meine kleine Tochter ist jetzt drei, sie verschwindet manchmal für längere Zeit im Kinderzimmer, und plötzlich ist die Zeit wieder da. Das ist schön.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Die Zeit der Dinge überrollte uns. Das Gleichgewicht, das lange zwischen dem Warten auf etwas Neues und seinem Besitz geherrscht hatte, zwischen Entbehrung und Erfüllung, war gestört. Mittlerweile riefen neue Produkte keine Abwehr oder Begeisterung mehr hervor, sie beschäftigten nicht mehr die Fantasie. (…) Unbegrenzte Möglichkeiten zeichneten sich ab. (…) Sechzigjährige bekamen Kinder. Durch das Lifting gefror die Zeit auf den Gesichtern.“
Annie Ernaux, Die Jahre
Ursula Kirchenmayer, Autorin
Vielen Dank für das Interview, liebe Ursula, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Ursula Kirchenmayer, Autorin
Zur Person_Ursula Kirchenmayer, geboren 1984 in Lugoj, Rumänien, lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München. Sie studierte Literarisches Schreiben in Leipzig und gewann zahlreiche Literaturwettbewerbe. Ihre Texte erschienen in Zeitschriften und Anthologien sowie im Rundfunk, u.a. in BELLA triste, poet, STILL und auf SWR2. ›Der Boden unter unseren Füßen‹ ist ihr erster Roman
Ursula Kirchenmayer, Der Boden unter unseren Füßen. Roman. dtv.
Eine junge Familie, eine Nachbarin und das Recht auf ein Zuhause Kurz vor der Geburt ihres Sohnes finden Laura und Nils die lang ersehnte Altbauwohnung, das Glück scheint perfekt. Wäre da nicht die psychisch kranke Nachbarin aus dem Erdgeschoss. Ungefragt legt sie ihre Hand auf Lauras Bauch – und alles verändert sich. Als sie eines Tages sogar die Wohnungstür eintritt, beginnt ein Kampf, auch um Gespenster der Vergangenheit und die eigenen Ideale. Wer hat die größere Daseinsberechtigung, wer mehr Anspruch auf Wohnraum in einem System, das nicht allen gerecht werden kann?
In ihrem Debütroman wirft Ursula Kirchenmayer drängende Fragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens auf und porträtiert ebenso einfühlsam wie schonungslos die Verletzlichkeit junger Eltern in der Großstadt. »Niemals zu klar und mit einem fesselnden Feingefühl für die Ängste und Ansprüche der jungen Mittelschicht legt Ursula Kirchenmayer mit diesem Roman den Finger in gleich mehrere Wunden.« Alina Herbing
Ursula Kirchenmayer, Der Boden unter den Füßen, dtv Verlag _ Originalausgabe 400 Seiten _ 2023
ISBN: 978-3-423-28313-7 EUR 23,00 [DE] – EUR 23,70 [AT] ET 12. Januar 2023 , 1. Auflage Format: 12,5 x 19,6 cm Sprache: Deutsch
Fotos_Sascha Kokot
3.4.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Er beschwert sich darüber, dass daheim alles besser ist.
Wird Leipzig das Literatur-Cordoba für Österreich?
Leider nicht, Hans Krankl ist mit seiner Autobiographie „Wie ich ihn ihnen einmal zweimal hintereinander hineingetan habe“ nicht rechtzeitig fertig geworden.
Ist „Meaoiswiamia“ ein majestetischer Plural, mit dem narzisstisch geschickt Deutschland (endlich) überlistet wird?
Nein, die Österreicher glauben, es handelt sich um einen Rechtschreibfehler, und die Deutschen wundern sich nicht, weil österreichisch für sie sowieso ein einziger Rechtschreibfehler ist.
…oder ist „Meaoiswiamia“ auf den Literaturbetrieb bezogen?
Es ist durchaus denkbar, dass es außer dem österreichischen noch einen gibt.
Wer kann besser lesen – Deutschland oder Österreich?
Die Deutschen, wenn die Sätze nicht zu lang und keine Austriazismen dabei sind.
Herzlichen Dank!
Zur Person_Harald Darer, Schriftsteller, geboren 1975 in Mürzzuschlag, Steiermark
begann nach der Lehre zum Elektroinstallateur und einschlägigen Weiterbildungen mit dreißig Jahren zu schreiben. Sein Debütroman »Wer mit Hunden schläft« erschien 2013 im Picus Verlag. 2015 folgte »Herzkörper«, im Jahr darauf »Schnitzeltragödie«, 2019 »Blaumann«
Interview _ Felix Kucher, Schriftsteller _ Klagenfurt
Felix Kucher, Schriftsteller _ Klagenfurt
Lieber Felix Kucher, was macht den österreichischen Gast aus?
Der wundert sich über das seltsame Motto, mit dem sich sprachlich wohl nur Österreicher nördlich des Alpenhauptkammes identifizieren.
Ist Österreich für Deutschland nicht immer (nur) ein Gastland?
Hm. Also ich lese das aktiv und passiv: Österreich ist eh immer Gast in Deutschland (Buchmessen, österreichische Autor*innen in deutschen Verlagen, Millionenshow), Deutschland ist eh immer Gast in Österreich (Uni-Professor*innen, FeWo-Besitzer am Wörthersee, nachmittägliche deutsche Reality-Soaps in österreichischen Wohnzimmern).
Wird Leipzig das Literatur-Cordoba für Österreich?
Zwischen Cordoba und Waterloo ist – gut österreichisch – alles möglich. Und nix fix.
Ist „Meaoiswiamia“ Ausdruck des österreichischen Minderwertigkeitskomplexes?
Soll das Gegenteil bedeuten, hab ich gehört: Weltoffenheit, Grenzüberschreitung. Aufgabe der Nabelschau und so. Könnte natürlich auf Minderwertigkeitskomplex basieren.
…oder auf den Literaturbetrieb selbst bezogen?
Literatur ist IMMER mehr. Fragt sich bloß, als was.
Was hat Österreich, was Deutschland nicht hat?
Eine gute Verlagsförderung. Schmäh haben die Deutschen eh auch.
Herzlichen Dank!
Felix Kucher, Schriftsteller _ Klagenfurt
Aktueller Roman:
„Vegetarianer“
Roman. 232 Seiten. Picus 2022
ISBN 978-3-7117-2120-4
„Mit so viel literarischer Raffinesse über Mensch und Zeit zu schreiben, ist einmalig!“
Zur Person_Felix Kucher, geboren 1965 in Klagenfurt, aufgewachsen in Völkermarkt. Studium der Klassischen Philologie, Theologie und Philosophie in Graz, Bologna und Klagenfurt.
Mag. et Dr. phil. Schulleiter. Lebt und arbeitet in Klagenfurt und Wien.
Liebe Silvia Pistotnig, Dein neuer Roman „Die Wirtinnen“ erzählt die dramatischen Lebensgeschichten von drei Frauen im gnadenlosen Ausgesetztsein patriarchaler Gewalt in Familie, Gesellschaft, Politik im Bogen eines Jahrhunderts. Der Schauplatz ist Kärnten.
Wie kam es zu diesem Romanprojekt und wie gestaltete sich der Entstehungsprozess?
Die Grundidee waren drei Frauen in drei Generationen: Großmutter, Mutter und Tochter. Ich wollte, dass die drei sich füreinander verantwortlich fühlen, gleichzeitig nichts voneinander wissen. So bemerken sie gar nicht, wie viel Ähnlichkeiten sie haben.
Für einen Roman war das allerdings zu wenig. Also habe ich nachtedacht und bin irgendwann auf den Ort der Handlung – das Gasthaus – und die Geschichte mit den Talenten gekommen. Irgendwie kamen dann immer weitere Dinge auf: das „Tschapperl“, das weggenommene Kind usw. Das hat sich beim Schreiben entwickelt.
Dass es in Kärnten spielt hat den einfachen Grund, dass ich aus Kärnten komme. Der Schauplatz Kärnten wird gern thematisiert. Dabei spielt er absolut keine Rolle. Die Geschichte könnte auch in Gramatneusiedl spielen. Schreibt man das so?
Du warst im April des Jahres auch auf Lesungsstationen in Kärnten. Wie wurde Dein Roman am „Schauplatz“ aufgenommen?
Gut! Ich hatte bis jetzt nur einen Lesungstermin in Kärnten. Der war in der Stadt, da ging ich zur Schule. Es kamen Schulkolleg*innen, Lehrer*innen und Bekannte von früher. Schön war das. „Daham“ halt.
Für die literarischen Prototypen „Oma Johanna, Tochter Marianne und Enkelin Gertrud“, die „Wirtinnen“ in Generationenfolge, gibt es kein Entkommen aus Lebensenge und Gewalt. Wie siehst Du Gegenwart und Zukunft der Urenkelin? Was braucht es für ein selbstbestimmtes Leben als Frau heute und morgen?
Bei der Frage kommen mir gleich zehn andere in den Kopf. Was ist ein selbstbestimmtes Leben? Gibt es das? Inwieweit kann man ein selbstbestimmtes Leben führen?
Im Fall der drei Frauen in meiner Geschichte würde es wohl bedeuten, dass sie ihr Talent ausleben können und es ihr Leben bestimmt.
Dazu hätten sie wissen müssen, dass es so etwas wie ein selbstbestimmtes Leben gibt und es möglich ist. Ein*e Mentor*in wäre vielleicht eine Hilfe gewesen. Eine Person, die die Frauen fördert, ihnen zeigt, dass ihr Talent eine Chance beinhaltet, die sich sogar finanziell lohnen kann. Das ist etwas, das für Johanna eine Rolle spielt. Aber für sie ist klar: Kunst und Musik ist nichts für arme Leute.
Vielleicht hätten Johanna und Marianne trotzdem ausbrechen und das Bekannte und Gewohnte verlassen können. Bekanntes und Gewohntes bieten aber – selbst wenn sie Gewalt und Enge beinhalten – Sicherheit. Und wer gibt die gern auf?
Ich glaube, dass das nach wie vor so ist. Wenn ich in einem Umfeld aufwachse, in dem ich die Möglichkeiten nicht er-kenne, wie soll ich wissen, wie ich es erreiche?
Aber vielleicht ist es gar nicht so und die meine drei Frauen führen ein absolut selbstbestimmtes Leben. Sie betreiben ein Gasthaus und sind ihre eigenen Chefinnen. Ist das nicht selbstbestimmt?
Wie ich die Gegenwart und die Zukunft der Urenkelin sehe – ich weiß es nicht. Das ist die Generation meiner Kinder. Ich versuche mir nicht zuviele Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Das macht mir Angst.
Was ist Dir im Schreiben wichtig?
Ich will nicht langweilen, weder die Leser*innen noch mich.
Österreich ist Gastland auf der Buchmesse in Leipzig. Was zeichnet für Dich österreichische Literatur aus?
Ich ziehe keine Grenzen, wenn ich ein Buch lese, gefällt es mir oder nicht. Ich entscheide nicht danach, ob die/der Autor*in aus New York, Payerbach oder Guatemala City kommt. Entweder interessiert mich die Geschichte oder Text – oder eben nicht. Ich finde es seltsam, dass wir gerade in der Literatur diese Grenzen einziehen. Als wäre die österreichische Literatur mehr wert als … keine Ahnung, die nigerianische. Und drei Meter über der Grenze ist alles anders? Wo sonst gibt es eine bessere Chance grenzenlos zu sein als in der Kunst und Literatur?
Am Ende ist das Marketing, natürlich will sich das Gastland Österreich in Leipzig vorstellen und gut darstellen und auch ich profitiere ja davon. Trotzdem: Ich finde, wir sind nicht besser, anders, größer, besonders. Wir sind „@meaoiswiamia“. In dem Sinn ist das Motto gut gewählt.
Wer sind Deine drei Lieblingsautorinnen und -autoren aus Österreich?
Ich habe nicht nur drei Lieblingsautor*innen. Ich habe so viele liebenswerte Autor*innen kennengelernt und mit einigen von ihnen verbindet mich mittlerweile eine Freundschaft.
So gesehen hat sich meine Arbeit voll ausgezahlt.
Dein erster Roman erschien 2010: Nachricht von Niemand, Skarabaeus, Innsbruck/Bozen/Wien; Haymon Verlag, 2014; 2017 folgte Tschulie, Roman, Milena Verlag; 2021: Teresa hört auf, Roman, Milena Verlag und aktuell 2023: Die Wirtinnen, Roman, Elster & Salis, Wien.
Wie hast Du in diesen Jahren als Schriftstellerin Literatur in den Komponenten von Verlagswesen, Literaturkritik, Kollegen:innen und Leser:innen erlebt? Was wünscht Du Dir für die Gegenwart und Zukunft darin?
Ich wünsche mir Bestseller, Buchpreise und ausgebuchte Lesungen. Die Reihenfolge kann variieren.
Nein, aber im Ernst: Klar will ich was erreichen mit meinen Büchern. Da bin ich durchaus eitel. Ich schreib nicht für mich und ja, ich möchte Erfolg haben! Es tut weh, wenn andere es „schaffen“ (wobei auch immer die Frage ist, was „schaffen“ heißt) und man selbst hat das Gefühl, nicht weiterzukommen. Und ich glaub, das geht vielen so, auch wenn es wahrscheinlich wenige öffentlich zugeben. Als müsste man innerlich soviel aus dem Schreiben schöpfen, dass einem das Außen egal ist. Ich sags gleich: Bei mir ist das nicht so, ich find das Außen wichtig.
Als Autor*in ist es gut, eine dicke Haut zu haben. Es steckt so viel Herzblut drinnen. Leider habe ich keine dicke Haut. Dann bekomme ich Frust-Anfälle und möchte nie wieder schreiben! Ich weiß auch nicht, warum ich es dann doch wieder mache. Zwischendurch versuche ich es nicht so ernst zu nehmen. Ich mein, wen juckts ob ich das jetzt mach oder nicht, was spielt das im Gesamten für eine Rolle?
Zwei Gedankenspiele zum Bachmannpreis bitte noch: Du bist eingeladen. Wen wünscht Dir als Mitlesende und in der Jury?
Christopher Wurmdobler, Barbara Kadletz, Peter Waldeck, Katharina Tiwald, Gudrun Seidenauer und Felix Kucher als Mitlesende, Susanne Kristek und Stefanie Jaksch als Jury. Wir würden weniger lesen, aber viel lachen.
Du gewinnst. Welches Kärntner Lied würdest Du als Dankesrede anstimmen?
Ich würde das bekannte Kärntner Lied ‚one moment in time‘ singen.
Mit welchen drei Kärntner:innen würdest Du gerne gemeinsam ein Kärnten-Buch schreiben?
Mit keiner/keinem. Mir reicht, wenn ich eins schreibe.
Welche kommenden Projekte planst Du?
Ein Buch mit Müttern, Vätern und Kindern.
In Anlehnung an ein Bachmann Zitat: was ist der Literatur zumutbar?
Keine Grenzen.
Vielen Dank für das Interview, liebe Silvia Pistotnig, viel Freude und Erfolg weiterhin!
Silvia Pistotnig, Schriftstellerin _ Wien
Zur Person: Silvia Pistotnig, 1977 in Kärnten geboren, ist Autorin und Redakteurin. Sie hat Kommunikations- und Politikwissenschaften in Wien studiert, wo sie heute mit ihrer Familie lebt.
»Die Wirtinnen« ist ihr vierter Roman. Zuvor veröffentlichte sie »Teresa hört auf« (2021) und »Tschulie« (2017, beide im Milena Verlag). 2010 erschien ihr Debüt »Nachricht von Niemand« (Skarabaeus Verlag).
Pistotnig wurde u. a. mit dem Projektstipendium des Bundes und dem Literaturförderpreis des Landes Kärnten ausgezeichnet.
Liebe Sarah Beicht, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tagesablauf ist auf schöne Weise geregelt ungeregelt. Meistens arbeite ich einen halben Tag für andere und einen halben Tag für mich. Die Baustellen sind zahlreich und wahnsinnig vielseitig, sodass immer Neues vor der Tür steht. Dazwischen lese ich, morgens, mittags, abends, mache mir Notizen, schaue aus dem Fenster und kraule die Katzen.
Sarah Beicht_Autorin, Moderatorin, Veranstalterin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Frieden und Ruhe, Gelassenheit, Trost und Zuversicht. Große Begriffe für große Krisen unserer Zeit. Was für den Einzelnen wichtig ist, muss jeder für sich allein beantworten. Dem Individuum steht die Gemeinschaft entgegen, die Stärkung des Zusammenhalts und Mitgefühls. Ambivalenzen auszuhalten ist dabei essenziell.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Literatur und die Künste waren schon immer zentral. Keine Disziplin ist so beständig, so wirkmächtig und nachhaltig wie das geschriebene Wort. Kritisch und kraftvoll muss sich die Literatur mit der Gegenwart auseinandersetzen und sie abbilden, muss ein safe space sein für PoC, für LGBTQIA+, muss Allianzen bilden, muss inklusiv sein, muss für alle da sein. Aufbruch und Neubeginn stehen nicht erst bevor.
Was liest Du derzeit?
Aktuell befinde ich mich in der Korrekturphase meiner Novelle „Weiße Kreidekreuze“, die bald im Verlag Brot&Kunst erscheint. Zum Vergnügen schmökere ich in dem Bildband „Astrologie“ aus der im TASCHEN Verlag erschienenen Library of Esoterica.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„I began to realize how important it was to be an enthusiast in life. He taught me that if you are interested in something, no matter what it is, go at it at full speed ahead. Embrace it with both arms, hug it, love it and above all become passionate about it. Lukewarm is no good. Hot is no good either. White hot and passionate is the only thing to be.” – aus Roald Dahl: My Uncle Oswald (1979)
Vielen Dank für das Interview liebe Sarah, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Sarah Beicht_Autorin, Moderatorin, Veranstalterin
Zur Person_Sarah Beicht, geboren 1993 in Mainz, ist freie Autorin, Moderatorin und Veranstalterin. 2021 erschien ihr erster Erzählband „Ein Kreis aus Salz“ im Rhein-Mosel-Verlag, 2023 folgt die Novelle „Weiße Kreidekreuze“ im Verlag Brot&Kunst. Ihre Texte wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie moderiert regelmäßig literarische Veranstaltungen im ganzen Rhein-Main-Gebiet. Gemeinsam mit Ingo Bartsch betreibt sie „die Leselampe – eine Lesebühne in Mainz“, für das Literaturhaus Wiesbaden kuratiert sie die Lesebühne „Textkontor“.
Propaganda und Rüstungsindustrie sind unsere besten Freunde,
Echter Frieden ist so unrealistisch und naiv,
Aber hey, solange wir unser eigenes Ding machen,
Chancen auf Gewinn und Macht sind immer gegeben.
Entspanne dich, und nimm es nicht so ernst,
Am Ende wird es immer jemanden geben, der verliert,
Chaos und Zerstörung sind einfach zu erreichende Ziele,
Hör auf, an Frieden zu glauben – das ist für Weicheier!
Nichts kann die Befriedigung eines Sieges übertreffen,
Toten? Zerstörung? Unwichtige Legoteile, so lange es nicht mit mir passiert,
Es ist das Recht des Stärkeren, zu herrschen und zu kontrollieren,
Also kämpft weiter, bis zum Sterben.
Dies ist der Nachsatz, den ich beinah verschluckt hätte
Der Autor übernimmt keinerlei Haftung für jegliche Schäden
oder Konsequenzen, die aus der Verwendung des Gedichts
für solche Zwecke resultieren könnten. Jegliche Verwendung
des Gedichts liegt allein im Verantwortungsbereich des Nutzers.
Zoltan Lesi, 16.4.2023
Zoltan Lesi, Schriftsteller
Give Peace A Chance_Akrostichon for peace:
Zoltan Lesi, Schriftsteller
Zur Person_Zoltán Lesi (geb. 1982 in Ungarn) veröffentlichte drei Gedichtbände und ein Kinderbuch auf Ungarisch. Als Abschluss seines Aufenthaltsstipendiums in Stuttgart erschien in Kooperation mit der Akademie Schloss Solitude 2019 sein erstes deutschsprachiges Buch ‚In Frauenkleidung‘ in der Übersetzung von Nóra Keszerice (edition mosaik). Das Buch erschien noch in polnischen, slowakischen, französischen Übersetzungen.
Karin Peschka, Schriftstellerin _ Wien _ BKS Publikumspreisträgerin _Bachmannpreisteilnehmerin 2017 _ Rückblickinterview _ 5. – 9.7.2017 Klagenfurt Karin Peschka, Zweite von rechts, BKS Publikumspreis; weiter von links – John Wray – Deutschlandfunkpreis; Gianna Molinari – 3sat Preis; Ferdinand Schmalz – Bachmannpreis 2017; Eckhart Nickel – Kelag Preis; Preisverleihung ORF Studio Klagenfurt 9.7.2017.
Liebe Karin Peschka, Du hast 2017 am Bachmannpreis in Klagenfurt teilgenommen und den BKS Publikumspreis gewonnen. Wie kam es zu Deiner Teilnahme und wie gestaltete sich Deine Vorbereitung?
Zur Teilnahme kam es ganz profan: Der Verlag hat eingereicht und ich wurde eingeladen. Ich weiß noch, dass ich die Nachricht in Luxemburg bekommen habe, auf dem Busbahnhof, von meinem Verleger per SMS: „Klagenfurt ruft.“ Das war unmittelbar vor der Leipziger Buchmesse 2017.
Zur Vorbereitung habe ich geübt, deutlicher zu lesen. Drei, vier Wochen vorher war ich sehr nervös. Bis mir bewusst wurde: Ich bin knapp fünfzig, die Jury ist plus/minus auch in meinem Alter. Ich kann mir anhören, was gesagt wird. Nichts davon wird mich überhöhen oder fertigmachen. Danach hatte ich das Nervöse recht gut im Griff.
Welche Erwartungen hattest Du?
Zu behaupten, ich hätte keine, wäre gelogen. Aber welche ich genau hatte, weiß ich heute nicht mehr. Wahrscheinlich habe ich mir eine bessere Jury-Bewertung erwartet. Aber dass die Teilnahme an den TddL einen großen Werbewert hat und sich gut im Lebenslauf macht, versteht sich von selbst und war für mich auch ein Grund, mich darauf einzulassen.
Gab es im Vorfeld der Veranstaltung Kontakte zu den Mitlesenden und der Jury und wie war der Kontakt (Kontaktmöglichkeiten) vor Ort?
Im Vorfeld nicht, aber direkt in Klagenfurt schon. Zur Jury habe ich keinen Kontakt gesucht, das wär mir eigenartig vorgekommen, aber mit den Kolleginnen und Kollegen gab es viele Gelegenheiten. Hab die Tage als sehr lässig und angenehm in Erinnerung.
Welchen Text hast Du in Klagenfurt vorgestellt?
„Wiener Kindl“, einen Text aus meinem Erzählband „Autolyse Wien“, der dann im Herbst 2017 bei Otto Müller erschienen ist.
Wann hast Du gelesen und wie hast Du Dich unmittelbar auf Deine Lesung vorbereitet?
Ich war die erste der Lesenden. Beim Warten auf meinen Auftritt hab ich backstage erzählt, dass meine Schwester mit dem Ingeborg-Flachmann (hatte mir der Eferdinger Freundeskreis im Vorfeld geschenkt) noch im Zug sitzt. Sie hatte gehofft, dass ich später lesen werde. Also kein Schnaps zur Aufmunterung vor der Lesung. Worauf mir ein Marillenschnaps serviert wurde. Um 9.50 Uhr vormittags. Um 10 Uhr hatte ich meinen Auftritt. Sehr aufmerksames Team.
Studiosetting _ ORF Studio _ Bachmannpreis 2017 _ vor Lesungsbeginn _ 6.7.2017Perspektive im Lesestuhl Eintreffen der Jury _ von links _ Sandra Kegel, Stefan Gmünder, Michael Wiederstein _ nicht am Foto – Meike Feßmann, Hildegard Elisabeth Keller, Klaus Kastberger, Hubert Winkels (Vorsitzender) _ davonin aktueller Jury 2023 _ Klaus Kastberger Moderation _ Christian Ankowitsch Reihenfolge und teilnehmende Lesende Karin Peschka nimmt zur Eröffnungslesung Platz _ Austeilen des Lesetextes für das Saalpublikumvor der Lesung
Wie hast Du die Jurydiskussion persönlich erlebt?
Wie durch einen Vorhang aus Kameras und einem nachträglich einsetzenden Adrenalinschub.
Jurydiskussion _ Lesung Karin Peschka
Mit welchem Feedback und persönlichen Emotionen hast Du den Lesungsort danach verlassen?
Ich habe mich über ein, zwei Jury-Aussagen geärgert. Oder waren es drei? Mein Lebensgefährte, der mich gut kennt, hat mich gleich in die Sonne gezogen, weg vom Gelände, dort hab ich mich ausgeschimpft, bin auf einem Stein gesessen, ein Marienkäfer taumelte durch die Luft und prallte von mir ab, ich hab gelacht: Damit war alles wieder gut.
Die Jurybegründung habe ich erst Wochen später in Ruhe nachgehört. War interessant und ok.
Stehplatz im gefüllten LesestudioLesepause……Treffpunkt im sonnigen ORF Garten
Wie gestalteten sich für Dich die weiteren Lesungstage und die Preisverleihung?
Schöne, sonnige Tage, nette Menschen. Immer radelte irgendwer zum See. Auf Bänken sitzen und Eis essen.
Klagenfurt _ Lendkanal _ Rizzibrücke Blick von Maria Loretto über den Wörthersee _ Traditioneller Abend-Empfang der Stadt KlagenfurtEntspannung in Loretto _ Michael Wiederstein (ganz links, Juror), Urs Mannhart (Lesender), Dr.Henriette Riener„Drei Wege zum See – Ingeborg Bachmann outdoors“ – szenische Wanderung (Wohnhaus Ingeborg Bachmann _ Kreuzbergl _ See) mit Schauspielerin Christina Wuga
Ich war bereits direkt nach meiner Lesung zu hundert Prozent sicher, dass ich keinen Preis gewinnen werde und hatte auch schon meine Familie darauf eingestimmt: Macht euch keine Hoffnungen, und es geht mir gut, keine Sorge. Falls ich noch eine Resthoffnung hatte, hab ich sie vor mir gut versteckt.
Bei der Preisverleihung hatte ich als Publikumspreisgewinnerin Barbi Marković am Schirm und mich auch schon zu ihr umgewandt. Als mein Name genannt wurde, war ich völlig überrascht. Große, große Freude.
Wie bist Du als Schriftstellerin und persönlich von Klagenfurt abgereist und welche Erinnerung und Resümee hast Du in Abstand an den Bachmannpreis?
Ich bin als die abgereist, als die ich gekommen bin, mit ein bisserl mehr Ego, einem Preis, einer Urkunde im Gepäck und dem guten Gefühl, dass ich finanziell profitieren werde und somit wieder eine Zeitlang unbeschwert arbeiten kann. Und der Aussicht auf ein Jahr Stadtschreiberei in Klagenfurt.
Resümee: Hat sich ausgezahlt. Empfehle ich weiter.
Wie hat die Teilnahme am Bachmannpreis Deine weitere schriftstellerische Laufbahn beeinflusst?
Mein Name ist bekannter geworden, die Teilnahme wird in vielen Lesungsankündigungen oder in Besprechungen immer wieder erwähnt. Zusätzlich war und ist der finanzielle Aspekt nicht zu unterschätzen: Jeder Preis ermöglicht ein freieres Schreiben, hilft bei der Konzentration auf das nächste Buch, den nächsten Text.
Gibt es noch Kontakt zu Mitlesenden, Jury, Journalisten*innen oder Bezugspersonen in Klagenfurt?
Ja, zum Teil schon. Zur damaligen Jury nicht, abgesehen von Begegnungen und zT durch soziale Medien. Klagenfurt und besonders das Team vom Musil-Museum ist mir vor allem durch die Stadtschreiberei ans Herz gewachsen.
Würdest Du noch einmal am Bachmannpreis teilnehmen?
In den nächsten Jahren habe ich es nicht vor. Aber vielleicht mit einem Spätwerk? 😉
Was wünscht Du Dir für den Bachmannpreis?
Das es ihn noch lange geben möge und er die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient.
Was möchtest Du den aktuellen Teilnehmer*innen mitgeben?
Keine Angst. Und gesunde Distanz, falls möglich. (Ist möglich, glaubt es mir.)
Welche Erinnerung hast an den Lesungsort Klagenfurt und welche Aktivitäten hast Du in der Stadt unternommen?
Gute Erinnerungen, viele Erfahrungen, einiges unternommen. Würde den Rahmen hier sprengen.
Abendstimmung am Wörthersee _ Loretto
Welche aktuellen Projekte gibt es derzeit für Dich?
Darüber möchte ich auch noch nicht viel erzählen. Neue Wege nach dem letzten Roman, mal sehen, was herauskommt.
Vielen Dank für das Interview, liebe Karin Peschka, und alles Gute!
Karin Peschka, Schriftstellerin _ Wien _ BKS Publikumspreisträgerin _ Bachmannpreisteilnehmerin 2017 _ Bachmannpreis_Rückblickinterview _ 5. – 9.7.2017 Klagenfurt
Bachmannpreis _Rückblickinterview_
Karin Peschka, Schriftstellerin _ Wien _ BKS Publikumspreisträgerin – Bachmannpreisteilnehmerin 2017 _5. – 9.7.2017 Klagenfurt
Zur Person_ Karin Peschka
Geboren 1967, aufgewachsen in Eferding, Oberösterreich, als Wirtstochter. Besuchte die Sozialakademie Linz und lebt seit 2000 in Wien. Arbeitete u. a. mit alkoholkranken Menschen und mit arbeitslosen Jugendlichen, aber auch mehrere Jahre im Bereich Onlineredaktion und Projektorganisation. Karin Peschka publizierte in diversen Anthologien und schrieb Kolumnen für oe1.ORF.at. 2008 erschien in der Edition Neuhauser Kunstmühle ihr Kunstbuch „Sterntaler“ (mit Michael Hedwig).
Ihr Debütroman „Watschenmann“ wurde 2019 für die Bühne adaptiert und im Wiener Volkstheater aufgeführt.
Auszeichnungen:
2013: Literaturpreis Wartholz für „Watschenmann“
2014: Floriana Literaturpreis für „Watschenmann“
2015: Literaturpreis Alpha für „Watschenmann“
2015: Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien für „FanniPold“
2016: Adalbert-Stifter-Stipendium und Elias-Canetti-Stipendium für „FanniPold“
2017: Ingeborg-Bachmann-Publikumspreis 2017 und Stadtschreiber-Stipendium 2018 der Stadt Klagenfurt für „Wiener Kindl“ (Auszug aus „Autolyse Wien“)
2017: Nominierung für den Österreichischen Buchpreis 2017 („Autolyse Wien“)
2019: Residenzstipendium Kosovo „Prishtina has no river“, September 2019
2019/20: Projektstipendium des Bundeskanzleramtes zur Förderung der Arbeit am nächsten großen Schreibprojekt
2020: Nominierung für den Österreichischen Buchpreis 2020 („Putzt euch, tanzt, lacht“)
2020-2023: Robert-Musil-Stipendium für die Arbeit am aktuellen Roman „Dschomba“