Leipziger Buchmesse: „das Literaturland Austria ist ein Archipel, der aus lauter Inselbegabungen besteht.“ Franzobel, Schriftsteller _ Wien 27.4.2023

Österreich_Gastland Leipziger Buchmesse 2023

Interview _ Franzobel, Schriftsteller _ Bachmannpreisträger 1995_ Wien

Franzobel, Schriftsteller _ Bachmannpreisträger 1995_ Wien

Ist Österreich als Gastland die Revanche für den deutschen Gast?

Der deutsche Gast hat nur einen Nachteil, er kommt in Masse, aber eigentlich ist er der angenehmste. Russen verwüsten Hotelzimmer, Italiener und Chinesen sind laut, Araber geldverdorben, Amerikaner enervierend. Für den vorauseilenden Gehorsam der österreichischen Gastronomen, die Pfannkuchenstreifen, Lendchen, Rührei und Aprikosen auf Speisekarten setzen, kann er ja nichts.   

Was macht einen österreichischen Gast aus?

Der ist misstrauisch, vergleicht alles mit daheim und neigt zur Rudelbildung. Der Österreicher ist immer etwas schlampig und nur selten elegant. Er kann nicht gehen, weil seine Füße dafür gemacht sind, auf Bergwiesen Kuhfladen auszuweichen. Meist ist er schüchtern, betrinkt sich, um die Fremde auszuhalten, und wird dann ausfällig. Der Österreicher im Ausland bindet jedem ungefragt auf die Nase, dass er kein Deutscher ist, und identifiziert sich mit Mozart, Lipizzaner und Schwarzenegger. Ein Widerling.    

Wird Leipzig das Literatur-Cordoba für Österreich?

Literarisch ist Österreich wie Indonesien, das Literaturland Austria ist ein Archipel, der aus lauter Inselbegabungen besteht. Hunderte Monolithen mit einem völlig eigenen Stil, damit sind wir dem politisch korrekten Einheitsbrei der Germanen natürlich turmhoch überlegen.

In Österreich gibt es eine Tradition, die sich vom Wiener Volksstück, den Kabarettisten der Zwischenkriegszeit und dem Austropop nährt, die ihresgleichen im deutschen Sprachraum sucht. Wir haben kein Bürgertum, sondern sind allesamt Abkömmlinge von illegitimen Pfarrerseitensprüngen, degenerierten Adeligen, Bauern, Proletariern oder Gesinde, das macht uns so stark.   

Ist „Meaoiswiamia“ als majestetischer Plural gemeint mit dem Wir geschickt Deutschland narzisstisch überlisten?

Sagen wir so, der Schmäh der Österreicher ist für Deutsche unbegreiflich und in andere Sprachen nicht zu übersetzen.

Ein Beispiel gefällig?

Vor kurzem hat mir ein Freund erzählt, dass er das Bressehuhn von Bocuse nachkochen wollte. Das kommt in einen großen Topf voller Meeressalz. Zufällig sieht er in der Auslage eines Feinkostladens drei Kilo von diesem Salz. Also geht er hinein und fragt, ob sie etwas mehr haben. Daraufhin der Verkäufer: „Was is mit ihnen, wollns a Meer eröffnen?“

…oder ist „Meaoiswiamia“ auf den Literaturbetrieb bezogen?

Ich weiß nicht, was sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben, hoffe aber, der Titel ist bei ein paar Flaschen Wein entstanden und man hatte eine Mordsgaudi. Vielleicht hat ja irgendwann zu nächtlicher Stunde jemand gefragt, ob es jemand gibt, der mehr verträgt? Meaoiswiamia? Oder man wollte auch ein Meer eröffnen? 

Wer kann besser lesen – Deutschland oder Österreich?

Machen wir uns nichts vor, jedes Volksschulkind in Hannover spricht ein besseres Deutsch als die meisten österreichischen Literaten, dafür ist bei uns jeder Hackler lustiger als der deutsche Durchschnittskabarettist.

Lesen ist wieder etwas anderes, das ist wie die Genialität oder das Bewusstsein, da wissen Hirnforscher auch nicht, wie sie das fassen sollen. Oder war Vorlesen gemeint? Da sind die Österreicher schlechter, aber amüsanter. Aber das sind natürlich lauter Klischees.    

Herzlichen Dank!

Franzobel, Schriftsteller _ Bachmannpreisträger 1995_ Wien

Zur Person_Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, erhielt u. a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas-Born-Preis (2017). Bei Zsolnay erschienen zuletzt der Krimi Rechtswalzer (2019) sowie die in zahlreiche Sprachen übersetzten historischen Romane „Das Floß der Medusa“ (2017), „Die Eroberung Amerikas“ (2021) und Einsteins Hirn (2023).

https://www.hanser-literaturverlage.de/autor/franzobel/

Aktueller Roman: „Einsteins Hirn“ Franzobel. Paul Zsolnay Verlag. 2023.

„Einsteins Hirn“ Franzobel. Roman. Paul Zsolnay Verlag. 2023.

Roman, Erscheinungsdatum: 23.01.2023

544 Seiten, Zsolnay

Fester Einband

ISBN 978-3-552-07334-0

Deutschland: 28,00 €

Österreich: 28,80 €

ePUB-Format

E-Book ISBN 978-3-552-07351-7

E-Book Deutschland: 20,99 €

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/einsteins-hirn/978-3-552-07334-0/

Fotos _Walter Pobaschnig _ Prater Wien 5/22

Interview_Walter Pobaschnig 26.4.2023

https://literaturoutdoors.com

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