Liebe Silvia Pistotnig, Dein neuer Roman „Die Wirtinnen“ erzählt die dramatischen Lebensgeschichten von drei Frauen im gnadenlosen Ausgesetztsein patriarchaler Gewalt in Familie, Gesellschaft, Politik im Bogen eines Jahrhunderts. Der Schauplatz ist Kärnten.
Wie kam es zu diesem Romanprojekt und wie gestaltete sich der Entstehungsprozess?
Die Grundidee waren drei Frauen in drei Generationen: Großmutter, Mutter und Tochter. Ich wollte, dass die drei sich füreinander verantwortlich fühlen, gleichzeitig nichts voneinander wissen. So bemerken sie gar nicht, wie viel Ähnlichkeiten sie haben.
Für einen Roman war das allerdings zu wenig. Also habe ich nachtedacht und bin irgendwann auf den Ort der Handlung – das Gasthaus – und die Geschichte mit den Talenten gekommen. Irgendwie kamen dann immer weitere Dinge auf: das „Tschapperl“, das weggenommene Kind usw. Das hat sich beim Schreiben entwickelt.
Dass es in Kärnten spielt hat den einfachen Grund, dass ich aus Kärnten komme. Der Schauplatz Kärnten wird gern thematisiert. Dabei spielt er absolut keine Rolle. Die Geschichte könnte auch in Gramatneusiedl spielen. Schreibt man das so?


Wien, Verlag Elster & Salis, 2023.
Du warst im April des Jahres auch auf Lesungsstationen in Kärnten. Wie wurde Dein Roman am „Schauplatz“ aufgenommen?
Gut! Ich hatte bis jetzt nur einen Lesungstermin in Kärnten. Der war in der Stadt, da ging ich zur Schule. Es kamen Schulkolleg*innen, Lehrer*innen und Bekannte von früher. Schön war das. „Daham“ halt.
Für die literarischen Prototypen „Oma Johanna, Tochter Marianne und Enkelin Gertrud“, die „Wirtinnen“ in Generationenfolge, gibt es kein Entkommen aus Lebensenge und Gewalt. Wie siehst Du Gegenwart und Zukunft der Urenkelin? Was braucht es für ein selbstbestimmtes Leben als Frau heute und morgen?
Bei der Frage kommen mir gleich zehn andere in den Kopf. Was ist ein selbstbestimmtes Leben? Gibt es das? Inwieweit kann man ein selbstbestimmtes Leben führen?
Im Fall der drei Frauen in meiner Geschichte würde es wohl bedeuten, dass sie ihr Talent ausleben können und es ihr Leben bestimmt.
Dazu hätten sie wissen müssen, dass es so etwas wie ein selbstbestimmtes Leben gibt und es möglich ist. Ein*e Mentor*in wäre vielleicht eine Hilfe gewesen. Eine Person, die die Frauen fördert, ihnen zeigt, dass ihr Talent eine Chance beinhaltet, die sich sogar finanziell lohnen kann. Das ist etwas, das für Johanna eine Rolle spielt. Aber für sie ist klar: Kunst und Musik ist nichts für arme Leute.
Vielleicht hätten Johanna und Marianne trotzdem ausbrechen und das Bekannte und Gewohnte verlassen können. Bekanntes und Gewohntes bieten aber – selbst wenn sie Gewalt und Enge beinhalten – Sicherheit. Und wer gibt die gern auf?
Ich glaube, dass das nach wie vor so ist. Wenn ich in einem Umfeld aufwachse, in dem ich die Möglichkeiten nicht er-kenne, wie soll ich wissen, wie ich es erreiche?
Aber vielleicht ist es gar nicht so und die meine drei Frauen führen ein absolut selbstbestimmtes Leben. Sie betreiben ein Gasthaus und sind ihre eigenen Chefinnen. Ist das nicht selbstbestimmt?
Wie ich die Gegenwart und die Zukunft der Urenkelin sehe – ich weiß es nicht. Das ist die Generation meiner Kinder. Ich versuche mir nicht zuviele Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Das macht mir Angst.
Was ist Dir im Schreiben wichtig?
Ich will nicht langweilen, weder die Leser*innen noch mich.

Österreich ist Gastland auf der Buchmesse in Leipzig. Was zeichnet für Dich österreichische Literatur aus?
Ich ziehe keine Grenzen, wenn ich ein Buch lese, gefällt es mir oder nicht. Ich entscheide nicht danach, ob die/der Autor*in aus New York, Payerbach oder Guatemala City kommt. Entweder interessiert mich die Geschichte oder Text – oder eben nicht. Ich finde es seltsam, dass wir gerade in der Literatur diese Grenzen einziehen. Als wäre die österreichische Literatur mehr wert als … keine Ahnung, die nigerianische. Und drei Meter über der Grenze ist alles anders? Wo sonst gibt es eine bessere Chance grenzenlos zu sein als in der Kunst und Literatur?
Am Ende ist das Marketing, natürlich will sich das Gastland Österreich in Leipzig vorstellen und gut darstellen und auch ich profitiere ja davon. Trotzdem: Ich finde, wir sind nicht besser, anders, größer, besonders. Wir sind „@meaoiswiamia“. In dem Sinn ist das Motto gut gewählt.
Wer sind Deine drei Lieblingsautorinnen und -autoren aus Österreich?
Ich habe nicht nur drei Lieblingsautor*innen. Ich habe so viele liebenswerte Autor*innen kennengelernt und mit einigen von ihnen verbindet mich mittlerweile eine Freundschaft.
So gesehen hat sich meine Arbeit voll ausgezahlt.

Dein erster Roman erschien 2010: Nachricht von Niemand, Skarabaeus, Innsbruck/Bozen/Wien; Haymon Verlag, 2014; 2017 folgte Tschulie, Roman, Milena Verlag; 2021: Teresa hört auf, Roman, Milena Verlag und aktuell 2023: Die Wirtinnen, Roman, Elster & Salis, Wien.
Wie hast Du in diesen Jahren als Schriftstellerin Literatur in den Komponenten von Verlagswesen, Literaturkritik, Kollegen:innen und Leser:innen erlebt? Was wünscht Du Dir für die Gegenwart und Zukunft darin?
Ich wünsche mir Bestseller, Buchpreise und ausgebuchte Lesungen. Die Reihenfolge kann variieren.
Nein, aber im Ernst: Klar will ich was erreichen mit meinen Büchern. Da bin ich durchaus eitel. Ich schreib nicht für mich und ja, ich möchte Erfolg haben! Es tut weh, wenn andere es „schaffen“ (wobei auch immer die Frage ist, was „schaffen“ heißt) und man selbst hat das Gefühl, nicht weiterzukommen. Und ich glaub, das geht vielen so, auch wenn es wahrscheinlich wenige öffentlich zugeben. Als müsste man innerlich soviel aus dem Schreiben schöpfen, dass einem das Außen egal ist. Ich sags gleich: Bei mir ist das nicht so, ich find das Außen wichtig.
Als Autor*in ist es gut, eine dicke Haut zu haben. Es steckt so viel Herzblut drinnen. Leider habe ich keine dicke Haut. Dann bekomme ich Frust-Anfälle und möchte nie wieder schreiben! Ich weiß auch nicht, warum ich es dann doch wieder mache. Zwischendurch versuche ich es nicht so ernst zu nehmen. Ich mein, wen juckts ob ich das jetzt mach oder nicht, was spielt das im Gesamten für eine Rolle?
Zwei Gedankenspiele zum Bachmannpreis bitte noch: Du bist eingeladen. Wen wünscht Dir als Mitlesende und in der Jury?
Christopher Wurmdobler, Barbara Kadletz, Peter Waldeck, Katharina Tiwald, Gudrun Seidenauer und Felix Kucher als Mitlesende, Susanne Kristek und Stefanie Jaksch als Jury. Wir würden weniger lesen, aber viel lachen.

Du gewinnst. Welches Kärntner Lied würdest Du als Dankesrede anstimmen?
Ich würde das bekannte Kärntner Lied ‚one moment in time‘ singen.
Mit welchen drei Kärntner:innen würdest Du gerne gemeinsam ein Kärnten-Buch schreiben?
Mit keiner/keinem. Mir reicht, wenn ich eins schreibe.
Welche kommenden Projekte planst Du?
Ein Buch mit Müttern, Vätern und Kindern.
In Anlehnung an ein Bachmann Zitat: was ist der Literatur zumutbar?
Keine Grenzen.
Vielen Dank für das Interview, liebe Silvia Pistotnig, viel Freude und Erfolg weiterhin!

Zur Person: Silvia Pistotnig, 1977 in Kärnten geboren, ist Autorin und Redakteurin. Sie hat Kommunikations- und Politikwissenschaften in Wien studiert, wo sie heute mit ihrer Familie lebt.
»Die Wirtinnen« ist ihr vierter Roman. Zuvor veröffentlichte sie »Teresa hört auf« (2021) und »Tschulie« (2017, beide im Milena Verlag). 2010 erschien ihr Debüt »Nachricht von Niemand« (Skarabaeus Verlag).
Pistotnig wurde u. a. mit dem Projektstipendium des Bundes und dem Literaturförderpreis des Landes Kärnten ausgezeichnet.
https://elstersalis.com/autoren/silvia-pistotnig/
Aktueller Roman_ Silvia Pistotnig: Die Wirtinnen _ Wien: Elster & Salis, 2023.
360 Seiten, Hardcover, € 24,70.
ISBN 978-3-03930-046-4.
Fotos_Walter Pobaschnig 6/21 _ Wien/Kreuzgasse
Interview_Walter Pobaschnig 4_23