Bachmannpreis _ Rückblickinterview:
Ines Birkhan, Schriftstellerin, Performerin _ Wien _ Bachmannpreisteilnehmerin 2019

Klagenfurt _ Lesung _ Bachmannpreis 2019
Liebe Ines Birkhan, Du hast 2019 am Bachmannpreis in Klagenfurt teilgenommen. Wie kam es zu Deiner Teilnahme und wie gestaltete sich Deine Vorbereitung?
Ich wurde von Nora Gomringer eingeladen. Meine Vorbereitung lag im Erarbeiten eines Videos, das als eine Art entfernter Ableger des Texts gedacht war. Ich wollte kein vom ORF gedrehtes Video-Portrait zu meiner Person.




Lesereihenfolge 2019
Die Lesereihenfolge wird immer vom Los entschieden.


Donnerstag, 27. Juni:
- 10.00 Uhr Katharina Schultens
- 11.00 Uhr Sarah Wipauer
- 12.00 Uhr Silvia Tschui
- 13.30 Uhr Julia Jost
- 14.30 Uhr Andrea Gerster
Freitag, 28. Juni:
- 10.00 Uhr Yannic Han Biao Federer
- 11.00 Uhr Ronya Othmann
- 12.00 Uhr Birgit Birnbacher
- 13.30 Uhr Daniel Heitzler
- 14.30 Uhr Tom Kummer
Samstag, 29. Juni:
- 10.00 Uhr Ines Birkhan
- 11.00 Uhr Leander Fischer
- 12.30 Uhr Lukas Meschik
- 13.30 Uhr Martin Beyer

Links _ Hubert Winkels (Juryvorsitzender)


links sitzend Sarah Wipauer (Schriftstellerin, Bachmannpreisteilnehmerin 2019)
Welche Erwartungen hattest Du?
Als Nora Gomringer bei unserem Gespräch vor dem ersten Lesetag meinte, ich solle mich darauf gefasst machen, dass mein Text einen schweren Stand haben wird, war ich ganz von den Socken. Warum? – dachte ich. Ich bin da sehr naiv. Erstens durchschaue ich gewisse doch vorhandene Machtspiele nicht und zweitens hatte ich nicht damit gerechnet, dass einzelne Jurymitglieder vielleicht mit Scheuklappen ausgestattet sind und, wie mir schien, recht unbewandert in bestimmten Einflüssen, die von anderen Kunstfeldern in die Literatur hineinreichen. Ich meine hier inhaltlich für meinen Text relevante Einflüsse wie – die Aufweichung von Grenzziehungen zwischen Mensch/Tier, Innen/Außen, halluzinativ-surrealistische/reale Welt. In anderen Medien sind diese Trennlinien eine offene Spielwiese. Vor allem in der visuellen Kunst oder im Tanz. Was in TV-Serien punkto Komposition oder Genre-Transgression längst etabliert ist, gilt in der Literatur des Öfteren als zu schwierig oder unverständlich.
Gab es im Vorfeld der Veranstaltung Kontakte zu den Mitlesenden und der Jury und wie war der Kontakt (Kontaktmöglichkeiten) vor Ort?
Ich kannte weder Mitlesende noch Jurymitglieder zuvor. Der Kontakt vor Ort zu den anderen Autor*innen war sehr gut, sehr locker, ohne Ellbogen etc… Es ergaben sich interessante Gespräche. Bezüglich Jury: Nora Gomringer hat tatsächlich die eingesandten Texte gelesen und daraus ausgewählt. Das rechne ich ihr hoch an.



Welchen Text hast Du in Klagenfurt vorgestellt?
Ich habe einen Auszug aus meinem inzwischen veröffentlichten Roman abspenstig (2022, Verlag TEXT/RAHMEN) gelesen.
Wann hast Du gelesen und wie hast Du Dich unmittelbar auf Deine Lesung vorbereitet?
Ich habe am letzten Tag als erste gelesen. Keine speziellen Vorbereitungen.

Wie hast Du Deine Lesung und die Jurydiskussion erlebt?
Gleich zu Beginn trat eine Erwartungshaltung einiger Jurymitglieder hervor, nämlich, dass ich bei der Lesung performativ(er) agieren würde. (Ich nehme an wegen meines Hintergrunds als Tänzerin/Choreografin). Ich fand das ganz unverständlich, denn der Textauszug war ja offensichtlich für eine Wasserglas-Lesung gedacht. Hätte ich stimmlich/körperlich „performen“ wollen, wäre der Text anders strukturiert gewesen. Die anschließenden Interpretationen des Auszugs gingen für mich zum Teil ins Leere. Was mich geärgert hat, war die Unterstellung, der Text sei sprachlich nicht durchgearbeitet. Ich glaube, die Juryleute hatten da einen Text vor sich liegen, den sie einfach nicht einordnen konnten. Etwas überspitzt gesagt und vielleicht nicht auf alle Jurymitglieder zutreffend: Die formal/inhaltlichen Aspekte waren ihnen so fremd, dass sie nur den Kopf schütteln konnten. Ich empfand das als Schwäche seitens der Jury, denn der Text steht nicht im luftleeren Raum und zeigt durchaus Querverbindungen zu künstlerischen, philosophischen und eben auch literarischen Strömungen. Als ich von Hildegard Keller aufgefordert wurde, etwas zur Diskussion beizusteuern, war ich froh. Das gab mir die Möglichkeit, kurz über meine kompositorische Herangehensweise zu sprechen.
Mit welchem Feedback und persönlichen Emotionen hast Du den Lesungsort danach verlassen?
Einer der Mitlesenden hat nachher im Bezug auf meine Antwort bei der Jurydiskussion gesagt: „Wow, du hast für uns alle ein Korsett gesprengt!“ Ich weiß nicht, ob für alle, aber für mich – ja. Hätte ich auf die, wie mir damals vorkam, feindselige Haltung meinem Text gegenüber nichts antworten können, wäre ich unglücklich gewesen.



Wie gestalteten sich für Dich die weiteren Lesungstage und die Preisverleihung?
Preise sind natürlich ein Ding für sich. Aber, wenn man an so einer Veranstaltung teilnimmt, finde ich es unehrlich so zu tun, als würde man nicht gerne eine Anerkennung für die Arbeit bekommen. Ich habe mich vor allem für Birgit Birnbacher und Ronya Othmann gefreut.


Wie bist Du als Schriftstellerin und persönlich von Klagenfurt abgereist und welche Erinnerung und Resümee hast Du in Abstand an den Bachmannpreis?
Einige persönliche Begegnungen habe ich als schön empfunden, die haben mich getragen. Es war richtig, dort gewesen zu sein. Ich habe etwas über den Literaturbetrieb gelernt.
Wie hat die Teilnahme am Bachmannpreis Deine weitere schriftstellerische, künstlerische Laufbahn beeinflusst?
Nach der Veröffentlichung von abspenstig wurde der Roman von der Literaturkritik kaum wahrgenommen. Ich fühle mich wie ein Outcast, das muss ich offen sagen. Das gibt mir allerdings auch große Freiheit. Ich schreibe wirklich ausschließlich, was ich will und muss mich keiner wie auch immer gearteten Erwartungshaltung beugen. Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit irgendwann in der Zukunft besser verstanden werden wird. In anderen Sprachräumen womöglich schon jetzt.
Gibt es noch Kontakt zu Mitlesenden, Jury, Journalisten*innen oder Bezugspersonen in Klagenfurt?
Kontakte zu Mitlesenden – ja.
Würdest Du noch einmal am Bachmannpreis teilnehmen?
Nein.
Was wünscht Du Dir für den Bachmannpreis?
Er soll weiter bestehen bleiben. Es muss aber klar sein, dass es ein Mainstream-Event ist und Experimentelles dort scheel angesehen wird.
Was möchtest Du den aktuellen Teilnehmer*innen mitgeben?
Schaut, ob ihr aus dem Feedback der Jury etwas Interessantes für euch herausholen könnt. Bei mir war’s leider nicht so.
Welche Erinnerung hast an den Lesungsort Klagenfurt und welche Aktivitäten hast Du in der Stadt unternommen?
Ich war baden! Es war nämlich extrem heiß.






Welche aktuellen Projekte gibt es derzeit für Dich?
Ich schreibe an meinem neuen Roman Kosmopony und an einem Hörspiel.
Vielen Dank für das Interview, liebe Ines Birkhan, und alles Gute!
Bachmannpreis _ Rückblick _Interview:
Ines Birkhan, Schriftstellerin, Performerin _ Wien _ Bachmannpreisteilnehmerin 2019

Station bei Bachmann _ Lebensort Ingeborg Bachmanns _ Wien 6_19
Zur Person_Ines Birkhan – Schriftstellerin und Performerin
studierte Bildhauerei bei Alfred Hrdlicka und Gerda Fassel an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien, später Tanz und Choreographie am SNDO (School for New Dance Development), Amsterdam. Ab 2001 war sie als freischaffende Choreographin, Tänzerin und Performerin in Europa tätig und Co-Leiterin der Tanzkompanie Real Dance Super Sentai.
Seit 2005 verfasst sie Texte. Romane, Erzählungen, Performance-, Video- und Hörspieltexte
Romane:
– Chrysalis, Präsens Verlag, Wien 2009
– Angel Meat. Verwerfungen, Neofelis Verlag, Berlin 2012
– Untot, du geteilte Welt, Verlag Bibliothek der Provinz 2017
– abspenstig, Verlag TEXT/RAHMEN, Wien 2022

Ines Birkhan
abspenstig
Roman
232 Seiten, 120x 180 mm
Klappenbroschur
Preis: €16,00
1.Auflage 16. Juni 2022
ISBN 978-3-903365-07-0
Besprechung: https://literaturoutdoors.com/2022/07/05/abspenstig-ines-birkhan-roman-text-rahmen-verlag/
kürzere Texte:
– den kreisrunden Todengwalzer tanzen, Reihe Persephone, Peter Lang Verlag 2007
– Gang durch den Wald (Lesespiel), edition fabrik transit, 2017
– in Literaturzeitschriften u.a.: Triëdere, LICHTUNGEN, entwürfe, Am Erker
Hörspiel:
– Mit der Fliehkraft, Ö1-Kunstradio, AutorInnen-Produktion 2020
Stipendien/Preise:
2009 /2010: Aufenthaltsstipendium an der Akademie Schloss Solitude /Literatur
2010: START- Stipendium, BMUKK, Wien
2011: Reisestipendium, BMUKK, Wien
2014: Theodor Körner Preis/Literatur
2015: Projektstipendium, BKA, Wien
2017: Projektstipendium, BKA, Wien
2019: Nominierung zum Bachmann-Wettbewerb
http://www.inesbirkhan.com/ 4_2
Walter Pobaschnig, Interview 19.4.2023
Alle Fotos_Walter Pobaschnig