„Hier trifft sich beste hintergründige skandinavische Erzähltradition mit Sprachtiefe und-eleganz.“
„So wahr wie ich wirklich bin“ Hanne Orstavik. Neuerscheinung Rauch Verlag.
Am Morgen ist alles anders hier. Die Tür ist verschlossen und die Mutter fort. Ein Flugzeug taucht am Himmel auf. Sie sieht jetzt Ivar vor ihr. Eigentlich sollte sie ihn jetzt am Flughafen erwarten. Sie wollen fort. Ganz wo anders hin. Ganz ein anderes Leben. Es ist ein starkes Band, das auf dieser Begegnung liegt. Johanne ist bereit. Doch es ist ein großer Schritt und sie macht sich oft still Gedanken. Im Zwiegespräch mit Gott, im Gebet. Sie geht jetzt wieder zum Fenster. Streckt den Körper. Die Gedanken kommen wieder. Ihre Lebenswünsche. Und auch die Frage der Schuld. Ein neuer Weg könnte den Knoten lösen. Freiheit bringen. Es braucht einen Plan. Gelingt der Weg durch diese geschlossene Tür und alle geschlossenen Türen der Seele? Johanne greift nach ihrem Leben umgeben von stummen Mauern…
Die norwegische Erfolgsautorin Hanne Orstavik legt mit „So wahr wie ich wirklich bin“ eine vieldeutige und hintergründige Reflexion über Leben und Liebe vor, die in reduzierter wie fokussierter Spracheleganz beeindruckt. Die Autorin lässt Leserin und Leser beklemmend in das innere Ringen der jungen Studentin Johanne blicken, die zwischen Freiheit und überfordernden Zwängen im symbolisch wie real verschlossenen Lebensraum gefangen ist. Der Prozess des Erwachsenwerdens in schmerzhafter persönlicher Identitätsbildung in Überlegung, Entscheidung und Handlung wird von der Mutter zur verordneten „Tageshaft“ für die Tochter und so zum Ausdruck großer Beziehungsproblematik in Wortlosigkeit und Aggression. Die Bezüge zur moralischen und religiösen Sozialisation lassen den Roman zu einem Mystery-Psychothriller werden, der immer wieder neue Bedeutungs- und Spannungsebenen öffnet und keine völlige Auflösung zulässt.
Hanne Orstavik, So wahr wie ich wirklich bin. Rauch Verlag.
Walter Pobaschnig, Wien 10_2018