„Literatur ist Mahnerin, Aufrührerin und Mediatorin“ Daniela Meisel, Schriftstellerin_4.4.2020

 

Liebe Daniela, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich bin kein Morgenmensch und der Alltag ohne Schule verleitet natürlich dazu, länger im Bett zu bleiben. Ich versuche aber für meine Kinder konsequent zu sein und unter der Woche um eine feste Uhrzeit aufzustehen, damit hier mit der Zeit nicht alles völlig aus dem Ruder läuft (heute habe ich ein bisschen geschummelt, aber nur um eine viertel Stunde! Ehrlich!). Nach dem gemeinsamen Frühstück beginnen die Kinder mit ihren Aufgaben und ich laufe von einem zum anderen (immer wenn ich beim einen bin, hat der andere eine überaus dringende Frage – ganz klar!) und helfe bei Mathe und Deutsch oder lausche den Leseversuchen. Meine Große (16) erledigt ihre Schulgeschichten zum Glück lieber alleine. Nach den Aufgaben scheuche ich die Kids ein bisschen in den Garten, oder sie sind eh schon so outdoorhungrig, dass sie nach dem Fallenlassen des Stifts, von selbst hinausstürmen. Ich spazier dann auch dort herum, sehe nach dem Gewächshaus und freue mich über Salatsprösslinge, Schnittlauchspitzen und Korianderkeime. Nachmittags fungiere ich als Fußball- und Judotrainerin, da meine Söhne von ihren Verbänden umfangreiche Heimprogramme erhalten haben – das Wachstum meiner Expertise in diesen Sportarten weist bereits den berüchtigten exponentiellen Kurvenverlauf auf! Wenn die Kinder dann das Handy oder die Switch auspacken dürfen, setze ich mich an den Schreibtisch und tauche in andere Welten ab. Aktuell bin ich auch an der Organisation von zwei Literaturwettbewerben für SchülerInnen beteiligt, die wir im Team, der momentanen Lage entsprechend, auf digital umstellen. Da ich sonst ja weniger mit Telekonferenzen zu tun habe, fand ich das Meeting per Laptop eigentlich ganz lustig.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Es ist natürlich leicht zu sagen, schaut auf die guten Seiten, wenn die eigene Existenz nicht bedroht ist, man nicht im überlasteten Gesundheitssystem arbeitet oder an keiner einschlägigen Vorerkrankung leidet. Für alle anderen halte ich das aber für durchaus wichtig. Was ist positiv an der momentanen Situation? Wie sieht der Alltag im Vergleich zu meinem Leben davor aus und was nehme ich mir daraus für die Zukunft mit? Vielleicht kann ich meine Terminlast in der Zeit nach der Krise reduzieren, mehr Qualitytime mit meinen Liebsten verbringen oder die Natur wieder bewusster genießen und ehren – ein altmodisches Wort, aber ich denke dabei an den Umgang traditionell lebender Inuit (in diesem Zusammenhang möchte ich auch ein gleichermaßen ergreifendes wie verstörendes Lieblingsbuch empfehlen: Anatomie einer Nacht von Anna Kim) oder anderer Naturvölker mit ihren Ressourcen. Außerdem tut es unglaublich gut, zu erleben, wie viel Hilfsbereitschaft in unserer Gesellschaft gebündelt ist und jetzt durch das Virus entfesselt wird. Dieser Zusammenhalt ist schon eine Macht, die man dem Angreifer entgegenstellt.

 

 

Es wird jetzt ein Neubeginn sein, von dem wir gesellschaftlich und persönlich stehen werden. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt der Literatur dabei zu?

Was den generellen Neubeginn betrifft, bin ich noch ein wenig skeptisch. Ich stelle mir das vor, wie bei einer persönlichen Erkrankung. Solange man leidet, ist einem nichts wichtiger als gesund zu werden, man nimmt sich einen Haufen Verbesserungen für die Zukunft vor – gesünder zu essen, mehr Bewegung zu machen, öfter nach draußen zu gehen – und dann, wenn man fit ist, läuft nach kurzer Zeit alles wieder genau wie davor. Ich fürchte, das liegt in der Natur des Menschen, aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren! Die Literatur hat die Aufgabe, uns einen Spiegel vorzuhalten, den Finger in die Wunde zu legen, uns die Augen eines anderen zu öffnen. Sie ist Mahnerin, Aufrührerin und Mediatorin. Wenn wir beim Lesen mit dem Verstand und dem Herzen dabei sind, wird sie uns immer eine bereitwillige Orientierungshilfe sein.

 

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Was liest Du derzeit?

Der Steppenwolf von Hermann Hesse

Wir müssen über Kevin reden von Lionel Shriver

 

Welches Zitat, welche Textstelle aus Deinem aktuellen Roman möchtest Du uns mitgeben?

 Gegen zwei verlässt der letzte Gast den Jagerwirten. Die Großmutter klappt das Kassabuch zu, streicht über den Einband aus Leinen und legt die Feder weg. Tinte tropft auf die Schank – der Fleck eine winzige Sonne in Schwarz.

„Acht haben wieder anschreiben lassen!“

Der Großvater brummt und schaut aus dem Fenster, der Punkt in der Ferne scheint zu wachsen und er wischt sich den Bratensaft vom Schnauzbart – das Klebrige bleibt. Die Großmutter betrachtet das Kassabuch. „Wir sind auf unserem Sonntagsspaziergang!“, ruft sie und tätschelt Fredas Locken, nimmt den Filzhut von der Ofenbank und legt ihn vor ihrem Mann auf den Tisch. Eingehakt verlassen die Großeltern die Gastwirtschaft und Freda beobachtet das Paar Richtung Wald und auf den Mittagshügel stapfen. Zuerst drückt Gewicht auf die Schultern der Alten, dann wird ihr Gang aufrechter. An der Kuppe des Hügels verschwimmen ihre Umrisse ins Licht.

 

Vielen Dank für das Interview liebe Daniela, viel Freude und Erfolg für Deinen großartigen aktuellen Roman und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Daniela Meisel, Schriftstellerin

Aktueller Roman von Daniela Meisel: Wovon Schwalben träumen_ Picus Verlag, 2018

http://www.danielameisel.com/

 

4.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Populisten braucht dann kein Mensch mehr“ Martin Beyer, Schriftsteller, Bamberg _3.4.2020.

Lieber Martin wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Wenn man mir als Student gesagt hätte, ich würde mit Anfang 40 einmal viel Zeit damit verbringen, zu puzzeln, dann hätte ich vermutlich verächtlich geschnaubt. Aber das ist es, was ich gerade tue, und kneten und malen und Lego-Drachenkämpfe verlieren und bei der Sendung mit der Maus selig einschlafen. Davor, dazwischen und danach versuche ich, mich nicht von Sorgen überwältigen zu lassen, dann schreibe ich, träume ich, meditiere ich, suche den digitalen Kontakt mit möglichst vielen Menschen. Und Brot erwerben muss ich auch noch irgendwann, es sind glücklicherweise noch nicht alle Aufträge weggebrochen.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Uff, ja, das ist schwierig. Auf die Wissenschaft hören, das ist ein Anfang; darauf vertrauen, dass es sicher ist, jetzt auch einen guten Teil der Kontrolle und Selbstwirksamkeit abzugeben – auf Zeit! Weil das bedeutet, solidarisch zu sein. Bei aller Einkapselung nicht vergessen, dass es da auch noch ein „draußen“ gibt und andere Problemlagen, die einer Lösung bedürfen, jetzt aber kaum noch eine Rolle spielen. Und für mich ist immer wichtig: mich mit möglichst viel Kunst zu umgeben. Das darf auch mal eskapistisch sein. Lange nicht mehr gespielte Platten anhören, die Lieblingsfilme rauskramen, die Aktionen im Netz verfolgen, Streaming-Lesungen und Konzerte … es ist eben doch ein Grundnahrungsmittel, das man ohne schlechtes Gewissen hamstern darf.

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was ist dabei wesentlich und welche Bedeutung hat Literatur und Kunst dabei?

Ich würde ja zu gerne jenen Zukunftsforscher folgen, die da sagen, wenn das alles durchgestanden ist mit Corona, dann werden wir merken, dass sich vieles auch zum Positiven verändert haben wird. Populisten braucht dann kein Mensch mehr (denn was haben sie in der Krise schon bewirkt); die Globalisierung wird nicht aufgegeben, aber es wird wieder lokaler gedacht und agiert; was das Digitale kann und nicht kann, wissen wir dann sehr genau (und können es auch besser bedienen); Klimaschutz haben wir dann unfreiwillig praktiziert und haben gemerkt, dass das gar nicht so schlimm ist, auf die zehnte Dienstreise zu verzichten; das Lesen ist wieder „Kult“; wir alle sind uns wieder näher, sind freundlicher, glauben lieber wieder den vertrauenswürdigen Quellen. Das, was sich sowieso entwickeln wollte und vielleicht musste, wird sich dann entwickelt haben. Nun, das würde ich gerne glauben, aber der Zyniker in mir plappert immer dazwischen. Und dann sind wir auch bei der Kunst und ihrer Bedeutung. Klar, wenn wir sie ernst nähmen, würden wir viele große und kleine Gedankenspiele, neue Rollenmuster, Szenarien, Modelle und vermutlich auch viel Liebe darin finden – und wir haben vielleicht schmerzlich gespürt, wie das ist, wenn sie aus dem analogen öffentlichen Leben verbannt wird (nicht, dass das in anderen Ländern nicht auch ohne Corona passiert). Aber nehmen wir sie jetzt wirklich ernst? Und wenn ja, wie lange? „Die Literatur wird leisten müssen, was sie immer und überall leisten muss, sie wird die blinden Flecken in unserer Vergangenheit erkunden müssen und die Menschen in den neuen Verhältnissen begleiten.“ Das sagte Christa Wolf, und das erscheint mir realistisch(er) (wenn auch das schon sehr viel ist, was Literatur und Kunst da leisten sollen).

 

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Was liest Du derzeit?

Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. Hannes Köhler: Ein mögliches Leben.

 

Welches Zitat, welche Textstelle aus Deinem aktuellen Romanprojekt möchtest Du uns mitgeben?

Wie Birgit Birnbacher tue ich mir sehr schwer, mit Selbstzitaten zu arbeiten. Und der neue Roman „Und ich war da“ erkundet dann ja auch eher die blinden Flecken der Vergangenheit. Vielleicht ein Satz aus dem Manuskript, an dem ich momentan arbeite, weil das dann eher noch Werkstattcharakter hat: „Wer von uns stellt die vernünftigen Fragen, dachte sie. Wer die richtigen.“

 

Vielen Dank für das Interview lieber Martin, viel Freude und Erfolg für Deine Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute und auch viel Spaß beim Puzzeln noch!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Martin Beyer, Schriftsteller

Aktueller Roman von Martin Beyer: Und ich war da, Ullstein Verlag, 2019

 

3.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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„Nicht auf die vergessen, die jetzt nicht einmal die Möglichkeit haben, sich regelmäßig die Hände zu waschen“ Ines Birkhan, Schriftstellerin_Wien 2.4.2020

Liebe Ines, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Gerade bin ich brotjobmäßig kurzfristig arbeitslos und viel mit meinen zwei Kindern zusammen. Das ist schön. Für das Schreiben bleibt auch jetzt wenig Zeit, aber daran ist mein Organismus gewöhnt und spinnt die Narrative wie ein Hintergrundrauschen weiter. An das lässt sich immer andocken.

Der Stresspegel ist, seit Covid-19 in Italien gelandet ist, hoch. Ich mache mir Sorgen um geliebte gefährdete Personen, mit einer solchen lebe ich unter einem Dach. Düstere Vorahnungen/Einbildungen plagen mich. Ich versuche mit Humor gegenzusteuern, das gelingt nur punktuell.

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Genau beobachten. Vielleicht setzt dieser Virus einen Prozess in Gang, der das Diktat des Neoliberalismus aufweicht. Es könnten Pisten sichtbar werden. – Wahrscheinlich nur ein Wunschgedanke.

Ganz wichtig ist sicher, die Relativität der Miserie in Österreich im Auge zu behalten und nicht auf die zu vergessen, die jetzt nicht einmal die Möglichkeit haben, sich regelmäßig die Hände zu waschen oder Abstand zu halten, weil sie Geflüchtete sind und rechtlos eingepfercht verharren müssen. Stichwort Lesbos.

Auf persönlicher Ebene ist es wichtig, andere bei den eigenen emotionalen Talfahrten möglichst nicht mitzureißen und Rationalität walten zu lassen.

 

Welche Bezüge aus Deinen Literatur- und Kunstprojekten nimmst Du jetzt in die Bewältigung der aktuellen Situation mit und welche Rolle kommt der Literatur/Kunst in diesen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu?

 

Ich denke über den Tod nach. Über den Umgang unserer Kultur mit Tod.

Kunst ist immer wichtig! Aber es ist schön, wenn jetzt mehr Leute Zeit zum Lesen haben.

 

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Was liest Du derzeit?

 

Bruce Sterling – the caryatids

 

Welchen Textimpuls aus Deinen Literaturprojekten möchtest Du uns mitgeben?

 

Es gab eine Tür, aber nicht immer war sie sichtbar. Um zu eruieren, ob jemand von draußen zurückgekommen war oder nicht, musste diese Tür außer Acht gelassen werden. Ihr Öffnen und Schließen zu beobachten, erschien unmöglich, außer man trat selbst durch die Tür.

aus „abspenstig“ – aktuelles Romanmanuskript

 

 

 

Vielen Dank für das Interview liebe Ines, viel Freude und Erfolg für Deine Literatur- und Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Ines Birkhan, Schriftstellerin, Tänzerin, Choreografin

Aktueller Roman von Ines Birkhan: „Untot, du geteilte Welt“ Roman, Bibliothek der Provinz, 2017

Website

http://www.inesbirkhan.com/

 

 

2.4.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

Foto_Walter Pobaschnig _2019_Station bei Ingeborg Bachmann, 1030 Wien.

 

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„Angst darf auch artikuliert werden“ Martin Gruber, Regisseur_Wien 1.4.2020

Lieber Martin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Neben im Zimmer auf und ab gehen, kochen, putzen, lesen, chatten, fernsehen, beobachte ich Vögel auf meinem Balkon. Eine einst gelebte Liebe hat mir mal ein Buch „Gartenvögel lebensgroß“ geschenkt, das macht sich jetzt bezahlt. Ich kann sie benennen, wenn ich will. Es ergibt sich auch sonst die Möglichkeit, die Natur zu beobachten. Die ersten Blüten sind zu sehen, die Hortensien auf meinem Balkon zeigen schon die ersten Blätter. Ein Sommer mit Freunden und Rotwein lässt sich also schon erahnen.

Martin Gruber_aktionstheater ensemble (c) Thomas Wunderlich (10)

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Wir erleben eine – zwar erzwungene, aber doch – Zeit des Innehaltens. Das Zurückgeworfensein auf sich selbst macht natürlich auch Angst. Und diese Angst darf auch artikuliert werden. Man sucht sich ein Gegenüber am anderen Ende der Leitung. Und ein anderes Gegenüber sucht, findet dich. Die gelebte Einsamkeit löst naturgemäß eine Sehnsucht nach Zweisamkeit (ok, vielleicht nicht bei Allen), nach Miteinander, aus. Es ist das Miteinander, das uns überleben lässt.

 

In Deinen aktuellen Theaterprojekten „Wie geht es weiter“ und „Heile mich“ mit dem aktionstheater ensemble geht es um Sehnsüchte und Sinnsuche, um die Herausforderungen, Wirrungen und Hoffnungen von Mensch und Gesellschaft. Beide Titel sind dabei jetzt auch beklemmend real geworden. Welche gesellschaftlichen „Heilungsprozesse“ kommen auf uns Im Tag-Danach der Pandemie in Neubeginn und Orientierung zu? Was ist jetzt und dann dabei wesentlich? Wie wird es weitergehen?

Wenn wir diese Wirrungen und Hoffnungen weiterdenken und das auf eine Gut–Böse Dichotomie reduzieren, hat entweder die Stunde der Kriegsgewinnler, also der Spekulanten, oder die Stunde eines, analog zum vorher Gesagten, einigermaßen, gerechten Miteinanders geschlagen. Wenn die Türen wieder aufgehen. Diese Situation lässt sich aber wohl nicht so einfach auf einen Kampf zwischen Mordor und Auenland herunterbrechen. Beim aktionstheater ensemble werden wir dieses Gegensatzpaar, befürchte ich, in uns selbst suchen müssen… Allgemein politisch sehe ich durchaus die Chance eines Paradigmenwechsels. Der Verteilungsdiskurs wird, glaube ich, ein anderer werden. Mit dümmlichen Floskeln wie: „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ wird es nicht mehr getan sein. Ich habe dieses Sprüchlein im Übrigen für unsere Kunst Lounge „Salon d´amour“ einmal umgedichtet, das geht nun so: „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s der Wirtschaft gut“.

Martin Gruber_aktionstheater ensemble (c) Thomas Wunderlich (7)

 

Was liest Du derzeit?

Gedichte. Hier eines von Gert Jonke, der, obwohl er nicht mehr lebt, heute nahe ist:

Oft gehe ich stundenlang pausenlos

in meinem Zimmer auf und ab ohne zu wissen warum

ich stundenlang pausenlos

in meinem Zimmer auf und ab gehe.

Und während ich wieder stundenlang pausenlos

in meinem Zimmer auf und ab gehe ohne zu wissen warum

ich stundenlang pausenlos

in meinem Zimmer auf und ab gehe

erkenne ich plötzlich dass mein ganzes Dasein

nie etwas anders gewesen ist als

ein einziges stundenlanges pausenloses

Aufundabgehen im Zimmer.

 

Welches Zitat aus Deinen aktuellen Theaterprojekten möchtest Du uns mitgeben?

„Um was geht es wirklich, um was geht es uns wirklich?“ aus „Kein Stück über Syrien“

Apropos: Nach der Premiere zu „Platzen Plötzlich“, eine Arbeit über das Paradoxon eines „ewigen Wirtschaftswachstums“, habe ich Gert Jonke einen Blumenstrauß mit Hortensien geschenkt. Er hat mich um drei Uhr nachts angerufen und gesagt, dass Hortensien seine Lieblingsblumen sind. Das war ihm wichtig. Er wird dabei sein, auf dem Balkon.

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Vielen Dank für das Interview lieber Martin, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theaterprojekte, die ja auch jetzt im „Streamen gegen die Einsamkeit“ bis Mo. 13. April auf www.aktionstheater.at als kostenloser Stream in fernsehtauglicher Qualität präsentiert werden und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

Ich möchte mich bedanken.

 

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Martin Gruber – Leitung & Regie aktionstheater ensemble

 

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Alle Fotos_Thomas Wunderlich

https://literaturoutdoors.com

 

 

Martin Gruber – Leitung & Regie aktionstheater ensemble

 

Geboren 1967 in Bregenz, studierte Schauspiel und gründete 1989 die Theaterformation aktionstheater ensemble, mit der er an zahlreichen Häusern in Österreich, Deutschland und der Schweiz gastierte und an diversen internationalen Festivals wie Bregenzer Festspiele, Kurt Weill Festival, Impuls-Festival, Bregenzer Frühling und den Wiener Festwochen teilnahm.

Gruber begann seine Regiearbeiten 1998 mit multimedialen Klassiker-bearbeitungen von Antigone und Elektra und wurde 1993/1994 mit seiner Georg Büchner-Trilogie bekannt.

 

Seit der Produktion „Welche Krise“ (2009) arbeitet Martin Gruber mit authentischem Textmaterial. In unzähligen Interviews mit SchauspielerInnen, aber auch mit anderen ordinary people werden Textflächen erarbeitet, die nicht zuletzt wegen ihrer Aktualität, Spontaneität und Dringlichkeit gesellschaftspolitische Prozesse besonders wirkmächtig widerspiegeln. Gruber reißt die Original-Interviews aus dem ursprünglichen Kontext und entwickelt, zusammen mit SchauspielerInnen, daraus verblüffende Performances aus Sprache, Musik und Choreografie. Ob der Aktualität der Arbeiten wird Grubers Compagnie vom Feuilleton das Attribut „Schnelle Eingreiftruppe des Theaters“ attestiert.

 

Gruber erarbeitete über 60 Regiearbeiten mit seinem aktionstheater ensemble und inszenierte auch für stehende Häuser u.a. Volkstheater Wien und Volksoper Wien. Er wurde mit mehreren Kulturpreisen ausgezeichnet darunter: NESTROY. Theaterpreis 2016, Heidelberger Theaterpreis, Auszeichnung „Vorarlberger des Jahres in Wien 2017“, Ehrengabe für Kultur des Landes Vorarlberg 2016 sowie die Nominierung für den NESTROY. Theaterpreis 2015.