Station bei Malina _ „Einerseits diese unheimliche Kraft und andererseits diese schonungslose Zerbrechlichkeit“ Mara Christine Koppitsch, Schauspielerin _ Wien 28.5.2023

Mara Christine Koppitsch_Schauspielerin _ Wien _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Liebe Mara Christine Koppitsch, herzlich willkommen im „Ungargassenland“! Wir sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien. Sind Dir die Orte hier vertraut?

Das Ungargassenland, wie es in Malina so schön genannt wird, und die umliegenden Orte hier im 3. Bezirk sind mir nicht vertraut. Der Stadtpark, welcher auch im Roman erwähnt wird, ist mir schon vielmehr Begriff. Ab und an drehe ich dort eine Runde, sehe den Enten im und am Teich zu oder setze mich ins Gras.

Fasziniert hat mich der Durchgang >Sünnhof<, also die kleine Gasse welche am Mercure Grand Hotel Biedermeier vorbeiführt und die Landstraßer Hauptstraße mit der Ungargasse verbindet. Ich fühle mich dort wie in einer anderen, einer kleineren Stadt und als wäre ich in eine frühere Zeit versetzt worden. Versetzt. Verreist. Ich hätte absolut nichts dagegen in diesem Biedermeier-Hotel ein paar Tage zu nächtigen um Ivan, Malina und der Erzählerin auf die Spur zu kommen.

Welche Bezüge und Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und dem Roman Malina?

Ehrlich gestanden, habe ich erst im Laufe des letzten Jahres begonnen mich vermehrt mit Ingeborg Bachmann zu beschäftigen. Davor waren mir nur einige ihrer Gedichte bekannt. Außerdem hatte ich gehört, dass der Briefwechsel zwischen Bachmann und Celan etwas Besonderes wäre.


In unserer Performance „Vollempfänger“ (Champagnerperlen, 2019) hatten wir ein Gedicht Bachmanns thematisiert:

Auf der obersten Terrasse

Von der obersten Terrasse

habe ich springen wollen,

zu Fuß bin ich Hintertreppe

hinaufgegangen, für die

Dienstboten und habe an der Tür

gehorcht, auf das Lachen in

meinen Zimmern, das hat mich ent-

mutigt, Einen Leichnam, gleich

nach dem Frühstück, hättest du

schlecht ertragen

Spannenderweise hatten wir in derselben Produktion einen Auszug aus Schönbergs Pierrot Lunaire Op. 21 dabei. Dieses Werk ist nun auch in Malina Thema.

Malina stand schon auf meiner ‚imaginären Leseliste‘ und ich hatte es bereits mehrmals begonnen zu lesen, aber mir erst die letzten Wochen aufgrund dieses Fotoprojekts wirklich die Zeit dafür eingeräumt. Das Werk hat mich in mehreren Bereichen und Ebenen angesprochen. Einerseits die unheimliche Kraft und andererseits die Zerbrechlichkeit der Erzählerin machen den Roman so fein und dicht. Alles präzise verwoben. Doch auch Platz für Löcher. Die dürfen sein, sie sind gesetzt. Gegensätze. Der innere Kampf mit sich selbst, mit der Umgebung, der Welt. Die vielen Stimmen außen und im Innern, die flüstern oder dröhnen. Sich selbst befragen ob man ‚richtig‘ ist. Der Zugang zu sich selbst und zu den Mitmenschen, der oftmals ‚entwischt‘… Durch viele Fragen. Durch Ängste. Durch Träume. Die so plötzlich kommen und starr machen können.

Welche Eindrücke hast Du von den Schauplätzen in der Ungargasse, die wir besucht haben?

„Noch nie hat jemand behauptet die Ungargasse sei schön, oder die Kreuzung Invalidenstraße-Ungargasse habe ihn bezaubert oder sprachlos gemacht.“ (S.12*) *Dieses und alle weiteren Zitate mit Seitenangabe stammen aus dem Roman Malina von I. Bachmann, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1971

Die Ungargasse ist im Grunde keine Gasse, sondern eine breite Straße mit immerhin wenig Verkehr. Wie schon in Malina beschrieben kann man hier auf den ersten Blick wenig ‚Aufregendes‘ entdecken.

„Ich gehe am besten nach Hause, ich stehe um drei Uhr früh an der Ungargasse 9 gelehnt, mit den Löwenköpfen zu beiden Seiten“ (S. 178)

Hinter dem Tor mit den Löwenköpfen der Ungargasse 9 verbirgt sich jedoch ein schöner Innenhof mit einem Brunnen und dahinter erreicht man über ein Treppchen eine kleine Grünfläche mit einem Meer aus Efeu. Dieser Ort spiegelt   Bachmanns Roman wider – Schönheit, Stille, Romantik, auch Tristesse, Einsamkeit und Wildheit. Ein auffälliger Spalt in der Mauer „lockt an“ um durch ihn zu verschwinden.


Im Hof kann man sich Ivans Kinder Béla und András beim Spielen vorstellen… Der Brunnen – Wasserspiele sind vorprogrammiert. Ein lauer Sommerabend, Geräusche spielender Kinder, ein angenehmes Lüftchen weht, ein Fenster im obersten Stock ist geöffnet, man vernimmt das Klingeln eines Telefons…
 „Hallo. Hallo? Wie es mir? Und dir?“  (S. 36)

Über die Stiege im obersten Stock des Hauses angekommen, steht man vermutlich vor Ivans Tür. Man kann den Zigarettenrauch riechen der durch die Ritzen der Türe zieht. Da – eine höhere und eine tiefere Stimme, die sich angeregt über die besten Schachzüge unterhalten (– nur im Spiel oder auch im echten Leben?).

Wie siehst Du den Aufbau und das Konzept des Romans?

Da ich weder Literaturwissenschafterin noch Germanistin noch Schriftstellerin (…) bin, kann ich keine tiefgreifende Analyse dazu geben. Außerdem sind bereits zahlreiche Abhandlungen und Kommentare zu diesem Roman verfasst worden. Deswegen werde ich mich höflich zurückziehen und nur wenige kurze eigene Gedanken schreiben: Die kurze Personenbeschreibung zu Beginn verleiht dem Werk eine theatrale Note. Schon ist man Vorort und die Bühne wird bespielt. Mittendrin statt nur dabei.
Kapitel eins, die Erzählerin stellt Ivan in den Mittelpunkt. Es schwingt der Frühling mit, zumindest Anfangs.
Das Kapitel zwei rückt vom Leben außerhalb der Vierwände ab und zieht sich in die Welt der Alpträume zurück. Mit einer Vaterfigur, die diverse Arten von Gewalt ausübt. Das lesen der meisten Passagen (zumindest für mich) eine Qual.
Kapitel drei mit Schwerpunkt auf Malina lässt die Erzählerin nach und nach verschwinden. Der Spalt.
„Es war Mord.“ (S. 355)

Was sind für Dich zentrale Themen und Aussagen des Romans?

Zwei der vielen Passagen die mich berühren und schon einiges über die Erzählerin aussagen:

„Es sollte dir immer gutgehen.
Aber doch nicht mir, warum denn mir!“ (S.45)
—–
„Ich bin die erste vollkommene Vergeudung, ekstatisch und unfähig, einen Gebrauch von der Welt zu machen, und auf dem Maskenball der Gesellschaft kann ich auftauchen, aber ich kann auch wegbleiben, wie jemand, der verhindert ist oder vergessen hat, sich eine Maske zu machen, aus Nachlässigkeit sein Kostüm nicht mehr finden kann und darum eines Tags nicht mehr aufgefordert wird.“ (S.264)

Die Themen die in diesem Roman behandelt werden, erstrecken sich vom Frausein und dem Frauenbild der Nachkriegszeit (z.B. das Definieren einer Frau über den Mann/die Männer) über die Figur des gewalttätigen Vaters der seine Familie beherrscht, die Dynamiken einer Gesellschaft, Kategorien die so schnell eingeführt sind und schwer wieder aufgelöst werden bis hin zur Sprachlosigkeit. Sprachlosigkeit der eigenen Person aber auch Sprachlosigkeit in der Gesellschaft. Gewalt – psychisch und physisch – wird stark thematisiert.
Gewalt wird doch oftmals durch gewisse Sprachlosigkeit hervor g e r u f e n. Alpträume und Traumata gesellen sich dazu.

Außerdem: Angst und Unsicherheit. Zweifel an sich selbst. Sich fremd fühlen… Abhängig von der eigenen (psychischen) Verfassung mal mehr mal weniger – alles schwankt.

Trotz alledem -die Erzählerin besitzt eine irrsinnige Kraft und einen starken Willen (der gern belächelt wird). Sie hat das Verlangen gehört und angehört zu werden. Man kann oftmals ein Augenzwinkern herauslesen. Der Sarkasmus kommt nicht zu kurz.
Die Erzählerin versprüht Hingabe, Leidenschaft, Mut.

Welchen Einfluss hatte und hat der Roman auf die Entwicklung von Literatur, Kunst und Emanzipation und Gesellschaft?

Einen großen denke ich. Gerade auch von Personen aus der Generation meiner Mutter habe ich über den wichtigen Einfluss dieses Romans bezüglich Emanzipation und Frauenbild gehört.
Ich bin wirklich froh, dass viele mutige und wunderbare Frauen, wie Ingeborg Bachmann, uns Nachgekommenen – sei es im Privaten, in der Gesellschaft oder in der Kunst- schon so viel erleichtert und ermöglicht haben.

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

Das nächste eigene Projekt ist eine Performance – Schauspiel, Musik, Visuals, Choreo mit einem Freund und Kollegen der MDW außerdem einer tollen Kostümbildnerin. „Ecce Homo“. Angelehnt an Nietzsche. Ingeborg Bachmann erwähnt diesen Titel auch in ihrem Roman, da musste ich beim Lesen schmunzeln.

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?

Natürlich hätte ich sie gerne getroffen. Wäre anfangs bestimmt nervös gewesen und mir ein bisschen dumm vorgekommen. Aber nachdem wir uns hoffentlich gut ‚eingegrooved‘ hätten, hätte ich sie gebeten mit ihren Lieblingsort in Wien zu zeigen – ob drinnen oder draußen egal. Dann vielleicht in ein Museum, nach Absprache. Zum Abschluss ins Café um über Gott und die Welt zu reden und einen Buch-/Lesetipp zu bekommen.

Darf ich Dich abschließend zu einem Malina Akrostichon bitten?

M ut                                                                                                                                

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L (i)eben

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Mara Christine Koppitsch_Schauspielerin _ Wien _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971

im Interview und szenischem Fotoportrait_

Mara Christine Koppitsch_Schauspielerin _ Wien _

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Interview und alle Fotos_Romanschauplatz _ Malina_Wien _ Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig, 5_23

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