„Literatur bedeutet Dialog“ Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin _ Wien 23.4.2023

Liebe Sophia, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Der erste Blick nach dem Aufwachen geht durch mein Schlafzimmerfenster zum Innenhof. Ich habe keine Vorhänge und sehe sofort, wie das Licht ist, ob Wind weht oder der Buntspecht da ist. Dann braucht es schnell Kaffee und Zucker. Manchmal gibt es zum Frühstück Musik, vor einem Schreibtag aber nie Medienkonsum, kein Lesen, WhatsApp oder Telefonieren. So bleibe ich länger in einer Art bewusstem Schlummerzustand, den ich zum Schreiben brauche. Der verfliegt so um die Mittagszeit. Dann widme ich mich dem Antworten von Mails, Vorbereitungen für meine Lehrveranstaltungen an der Uni und Alltagsorganisationen. Am frühen Abend gehe ich im Idealfall Radfahren oder spazieren, ins Kino und treffe mich mit FreundInnen. Ich brauche jeden Tag einen Ausgleich zum radikalen Schweigen des Schreibens.

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich denke, die Stichwörter sind Reduktion und Gemeinschaftssinn. Wir bekommen ständig vermittelt, möglichst viel in möglichst wenig Zeit unterbringen zu müssen. Die Angst, etwas zu versäumen, wird über diverse Medien geschürt. Glücklichsein wird zum Wettbewerb. Auch die intimsten Lebensbereiche sind durchdrungen von einem Aneinanderreihen, einem Perfektionswahn und der Unfähigkeit, sich ohne Torschlusspanik für etwas oder jemanden zu entscheiden. Das spitzt sich gerade besonders zu, sicher auch aus Angst vor sehr verunsichernden Zukunftsperspektiven. Es dreht sich alles um die eigene Person, die eigenen Bedürfnisse. Diese Art von hochgehaltener Selbstverwirklichung ähnelt aber einem Monolog, der in einem weiteren Sinn auch Demokratieunfähigkeit bedeutet. Wenn sich eine Einzelperson über das Gemeinschaftliche hebt, wird es in jedem Bereich gefährlich.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Dialog in all seinen Facetten ist jetzt besonders wichtig. Dialog im engsten, privaten Umfeld und Dialog in einem politischen und wirtschaftlichen Sinn. Kompromissfähigkeit und sich vom Gedanken lösen, immer alles zur Verfügung haben zu müssen. Auch Literatur soll Dialog bedeuten. Eine Fähigkeit von Literatur ist es, auf die feinsten Zusammenhänge zwischen scheinbar individuellen Dynamiken und Weltgeschehen zu verweisen. Ich interessiere mich nicht für Texte, die mir das Gefühl geben, nur für sich selbst und die schreibende Person zu stehen. Das Persönliche ist dann interessant, wenn es mir Zugang zu Universellem bringt. Sonst sind wir wieder beim selbstbezogenen Monolog, der zu einem Desinteresse an anderen und anderem, das heißt letztendlich auch zu Plattheit, und zu einer gefährlichen Art von Isolierung führt.

Was liest Du derzeit?

Momentan liegt Mayröckers Die Abschiede neben mir. Das kann ich nur ganz langsam lesen, um mich in dieses „Geriesel von Sprache“ einzuschaukeln.  Mayröcker lesen bedeutet für mich, in einen hoch sensitiven Tagtraum, einen Rauschzustand aus Worten einzugleiten, die meine unmittelbare Wahrnehmung schärfen.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Da bleibe ich gleich bei Mayröckers Die Abschiede:

„So lassen Sie mich Ihre Erscheinung wiedersehen: Sie halten Ihren großen Fächer dicht an den Boden, das wasserfarbene Pfauenauge über den ganzen Körper verteilt, das Wechselköpfige unserer Gefühle, rufe ich, da kommt man hinaus in die neue Welt! “

Und dann wären da noch zwei Worte: „Mondperle“ und „Lindenblut“!

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin

Vielen Dank für das Interview liebe Sophia, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin

Zur Person_Sophia Lunra Schnack (*1990) lebt und schreibt überwiegend in Wien. Sie verfasst Lyrik und (lyrische) Prosa, die bisher u.a. in den Manuskripten, in der Poesiegalerie, in Das Gedicht oder in den Signaturen publiziert wurden. 

Ihre Texte rücken Materialität, Musikalität und Sensualität der Sprache ins Zentrum. 

Die Autorin schreibt sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch. Immer wieder sucht sie eine klanglich-atmosphärische Annäherung zwischen den beiden Sprachen.

2022 erhält sie den rotahorn-Förderpreis.

Im August 2023 erscheint im Otto Müller Verlag ihr Debütroman „feuchtes holz“.

Ab März 2023 leitet sie einen Lyrikblog für „Das Gedicht“ (Hg. Anton Leitner).

Derzeit arbeitet Schnack an ihren zweisprachigen  Gedichtbänden „getrocknete mohnblumen – coquelicots séchés“ sowie „wimpern piniengrün – cils verts de pins“.  

Jeden zweiten Freitag veröffentlicht sie außerdem ein Gedicht in ihrem Blog „Lyrik am Freitag“ auf Facebook und Instagram.

https://www.sophialunraschnack.com/

Fotos_Walter Pobaschnig 3/23

Walter Pobaschnig _ 11.4.2023

https://literaturoutdoors.com/

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