Bachmannpreis _ Rückblickinterview: „Als Autorin war die Teilnahme nichts weniger als ein Glücksfall.“ Romana Ganzoni, Schriftstellerin _ Bachmannpreisteilnehmerin 2014 _Celerina/CH 18.4.2023

Liebe Romana Ganzoni, Du hast 2014 am Bachmannpreis in Klagenfurt teilgenommen. Wie kam es zu Deiner Teilnahme und wie gestaltete sich Deine Vorbereitung? Welche Erwartungen hattest Du?

Eine befreundete Autorin wies mich auf den Bachmannpreis hin, das wäre doch etwas für dich, sagte sie, und ich dachte, ja, warum eigentlich nicht?, dann habe ich einen Text geschrieben – er kam als Eruption – und ihn an eine Jurorin geschickt, die mich daraufhin nach Klagenfurt eingeladen hat.

Als Vorbereitung traf ich einen befreundeten Schauspieler, der mir während einer Stunde beibrachte, wie ich den Text dramatisieren kann, was sich in Klagenfurt als Fehler erwies, die Jury hatte meinen Text offensichtlich gerne gelesen, mit meiner Lesung konnte sie aber nichts anfangen und ließ mich das wissen. Niemand setzte sich für den Text ein, und ich dachte, wow.

Meine Erwartung wurde trotzdem erfüllt, es war mir gelungen, einen ersten Schritt in die Welt der Autorinnen und Autoren zu machen. Ich war glücklich.

Romana Ganzoni, Schriftstellerin, Bachmannpreisteilnehmerin 2014 _
Fotos ORF Archiv (alle folgenden)

Im Verlauf der Bachmannpreisgeschichte gibt es immer wieder Veränderungen im Setting und des Ablaufes. Wie war es damals bei Dir und wie hast Du das Ankommen, die organisatorische und kollegiale Begleitung erlebt?

Ich kam am Bahnhof an, bezog das Hotel und begab mich zu einem kleinen Empfang, bei dem ich gleich von einer Person belästigt wurde, zum Glück kam kurz darauf der Autor aus der Schweiz dazu, in seiner Nähe fühlte ich mich sicher.

Gab es im Vorfeld der Veranstaltung Kontakte zu den Mitlesenden und der Jury und wie war der Kontakt (Kontaktmöglichkeiten) vor Ort?

Kontakt hatte ich in Form einer informellen Begrüßung der Jurorin, die mich eingeladen hatte und später, am See, leider abermals mit der Person, die mich (erneut) belästigte, aber vor allem und zum Glück gab es viele Gelegenheiten, mit den anderen Autorinnen und Autoren zu sprechen, wir spazierten miteinander durch die Stadt, saßen am Wasser, gingen aus, schauten uns gemeinsam Lesungen an, dabei lernte ich verschiedene Interessierte und Habitués kennen sowie Verlags- und Agenturleute.

In bester Erinnerung habe ich auch den eleganten Empfang auf Schloss Maria Loretto, es war ein Abend mit viel Austausch, dort sah ich erneut die jüngere Frau, von der ich erst Ende Woche erfahren sollte, dass sie in offizieller (Schweizer) Mission in Klagenfurt war, sie hatte mich konsequent gemieden, bestimmt weil sie davon ausgehen durfte, mich nie wieder zu sehen, ihre Einschätzung meines Marktwertes und meines baldigen Untergangs als Autorin war damals bestimmt realistisch, so hätte es tatsächlich gehen können, ich war schon älter (47 Jahre), eine Frau, aus einer Randregion, vielsprachig, ohne Buchpublikation, nicht in der Literatur-, Kultur- und Medienszene verankert, ohne Kontakte, mit anderen Worten: völlig unbedeutend.

Die jüngere Frau war mir bereits früh aufgefallen, wie sie begeistert mit den männlichen Autoren und Juroren sprach. Als ich erfuhr, um wen es sich handelt und sie – trotz hohen Peinlichkeitspotentials – auf ihr Verhalten ansprach, sagte sie nach einer (wie befürchtet: schrecklich peinlichen) Pause, falls Sie einmal ein Buch haben sollten, schicken Sie es mir, ich schaue, was ich für Sie tun kann.

In welchem Hotel und wie war die Unterbringung und an welche Begleitveranstaltungen erinnerst Du Dich?

Ich war im Hotel Goldener Brunnen untergebracht. Was für ein poetischer Name!

Wie gestaltete sich die Auswahl für die Lesungstermine und wann hast Du gelesen?

Ich habe am Freitagnachmittag gelesen, und das Timing hätte schlechter nicht sein können.

Wie hast Du Dich unmittelbar auf Deine Lesung vorbereitet? Gab es da eine organisatorische Begleitung?

Unmittelbar vor dem Auftritt habe ich etwas Wasser getrunken, kontrolliert, ob Taschentuch und Hustenbonbon griffbereit sind, einen Blick in den Spiegel geworfen, Frisur sitzt, Maskara nicht verschmiert, los!

Eine organisatorische Begleitung im engeren Sinne gab es nicht. Gerne erwähne ich jedoch an dieser Stelle den eben hart abservierten Moderator Christian Ankowitsch, der besonders freundlich und angenehm war.

Der Umgang mit ihm erinnert mich an denjenigen mit der wunderbaren Daniela Strigl im Anschluss an die Bachmanntage 2014, Strigl war bereits als Jury-Vorsitzende ernannt, als ihr unverhofft eine andere Person vor die Nase gesetzt wurde.

Welchen Text hast Du in Klagenfurt vorgestellt?

Mein Text hieß Ignis Cool. Das ist der reale Name eines Autos, der sich großartig widerspricht: kaltes Feuer. In diesem Auto sitzt eine Frau, sie kommt nicht mehr vom Fleck auf der verlassenen Passstraße, plötzlich erscheint ihre Mutter auf dem Rücksitz, packt ein Käsebrot aus und fordert die Tochter auf, sich in die Luft zu sprengen.

Ein klarer Fall von Auto-Aggression, wie eine Kritik festhielt.

Wie gestaltete sich die Jurydiskussion zu Deinem Text. Wie hast Du diese persönlich erlebt und wie beurteilst Du diese? Hast Du Dich auch in der Diskussion zu Wort gemeldet?

Ich wurde runtergemacht und habe dies wortlos über mich ergehen lassen. Es war ja keine Überraschung, dass so etwas passieren kann. Für mich war es nicht angenehm, aber auch keine Katastrophe, denn die Diskussion hatte mit der Qualität des Textes wenig zu tun. Der Truppe missfiel vor allem, wie ich vorgelesen hatte. Das ist ihr Recht.

Mit welchem Feedback und persönlichen Emotionen hast Du den Lesungsort danach verlassen?

Das Feedback lautete vielleicht: Vergrab dich!

Ich aber war zufrieden und hungrig. Der Blick in den Spiegel zeigte, die Frisur war bulletproof, sie hätte noch eine weitere Runde mitgemacht, aber ich wurde nicht mehr gerufen.

Natürlich hatte ich mir eine positive Jury-Diskussion gewünscht, gleichzeitig war mit allem zu rechnen, das wusste ich, das wissen alle, die lesen, es spielen so viele Faktoren in die Wertungen hinein, Taktik, Selbstdarstellung und Gesichtswahrung, manchmal eine kleine Rache, viel Persönliches halt, wie überall, wo es zur Sache geht und so richtig unterhaltsam wird für das Publikum, auch Hick-Hack unter den Jury-Leuten, eine unübersichtliche, aber immerhin nicht langweilige Situation.

Wie hast Du die Zeit unmittelbar nach der Lesung verbracht und was war für Dich da wichtig? Gab es Gespräche danach mit Jury, Mitlesenden?

Es gab sofort viel Aufmunterung, Witze und ein paar lustige, aber auch ernsthafte Gespräche, an die ich mich gerne erinnere. Danach wurde ich zu einem Radio-Interview gebeten, das ich mir vor Kurzem wieder angehört habe, ich staunte über meine gute Laune, der Tenor ist genau gleich wie in diesem neusten Interview, dazwischen liegen neun Jahre.

Im Anschluss hatte ich einen erhellenden Email-Verkehr mit zwei Jury-Mitgliedern und anderen Beteiligten, der nicht unwesentlich zu der abschließenden Beurteilung der Abläufe beitrug.

Welche Reaktionen gab es nach Deiner Lesung und wie gestalteten sich für Dich die weiteren Lesungstage und die Preisverleihung?

Meine Familie war irritiert, weil meine Lesung am heimischen Bildschirm mittendrin unterbrochen wurde, was dem Timing des Senders geschuldet war, um 16.30h war Schluss mit der Übertragung. Unsre Kinder waren damals 16, 13 und 8 Jahre alt, sie sahen nur das Schlimmste, deshalb rief mein Mann früher als vereinbart an, er wollte wissen, ob ich noch lebe. Ich konnte ihn beruhigen.

Den Rest der Veranstaltungen habe ich als entspannte Zuschauerin verfolgt.

Eine gute Lektion war die mediale Berichterstattung zu den Lesungen, die ich in ihrer Breite erst wahrnahm, als ich wieder zu Hause war. Streckenweise harsch, gerne hämisch und mit einigen Sachfehlern versehen zeigte sie auf, was Leute, die sich der Öffentlichkeit stellen, unter Umständen erwartet. Seither habe ich mehr Sinn und Mitgefühl für alle, die auftreten, sich exponieren, etwas wagen oder sich kontrovers äußern. Mit schnellem Verurteilen bin ich deshalb oft zurückhaltend.

Berührend waren die Reaktionen der Leute in Dorf und Tal. Viele hatten gesehen, wie es mir ergangen war und hatten Lust, etwas Tröstliches zu sagen oder, dass es ihnen leid tue, wenn wir uns auf der Straße, in Kino, Zug oder Coop begegneten. Das gab neue Verbindungen und eine noch stärkere Verankerung in meiner Heimat.

Welche Erinnerung hast Du in Abstand und Resümee an den Bachmannpreis? Welche Erfahrungen hast Du da gemacht?

Es gab sehr viele schöne Begegnungen, ich knüpfte neue Freundschaften und hatte zu allen Autorinnen und Autoren ein herzliches Verhältnis, einige Kontakte pflege ich bis heute.

Gleichzeitig war es die patriarchalste, sexistischste und rassistischste Erfahrung, die ich bis dahin gemacht hatte, mit anderen Worten: sehr lehrreich.

Über die rassistischen Übergriffe berichte ich nicht, weil sie nicht mir galten, ich war lediglich wütende Zeugin. Diese Erfahrung hat meinen Blick für das Thema Rassismus geschärft, mich sensibilisiert und dauerhaft verändert.

Wie hat die Teilnahme am Bachmannpreis Deine weitere schriftstellerische Laufbahn beeinflusst?

Die Teilnahme hat mich – die ältere, mehrsprachige Frau aus der Randregion ohne Kontakte und ohne Buch – sichtbar gemacht. Das war wunderbar.

Als Autorin war der Bachmannpreis nichts weniger als ein Glücksfall.

Gibt es noch Kontakt zu Mitlesenden, Jury, Journalisten*innen oder Bezugspersonen in Klagenfurt?

Ja, wie oben gesagt, ich pflege mit einigen Autorinnen und Autoren einen freundschaftlichen Kontakt, würde aber alle, auch die, die ich nicht mehr gesprochen habe seit Klagenfurt, sofort und gerne zum Kaffee treffen. Das gilt auch für mindestens ein halbes Dutzend anderer Leute, die ich seit Klagenfurt kenne und schätze.

Würdest Du noch einmal am Bachmannpreis teilnehmen?

Ja, klar.

Was wünscht Du Dir für den Bachmannpreis?

Gute Texte.

Was möchtest Du den aktuellen Teilnehmer*innen mitgeben?

Schreibt über das, was euch umtreibt, ich möchte es hören und lesen. 

Welche Erinnerung hast an den Lesungsort Klagenfurt und welche Aktivitäten hast Du in der Stadt unternommen?

Das Studio war sehr sauber und die beiden Damen, die Make-up und Frisur gemacht haben: zauberhaft!

Klagenfurt also: Sauberkeit, Glitzerpuder, Lockenstab. Außerdem: schöne Speisekarten, große Portionen, süffiger Weißwein.

Welche aktuellen Projekte gibt es derzeit für Dich?

Ich schreibe an einem neuen Roman.

Vielen Dank für das Interview, liebe Romana Ganzoni!

Ich habe zu danken, lieber Walter Pobaschnig.

Romana Ganzoni, Schriftstellerin, Bachmannpreisteilnehmerin 2014 _

Bachmannpreis _ Rückblick _Interview:

Romana Ganzoni, Schriftstellerin, Celerina/CH  _ Bachmannpreisteilnehmerin 2014

Zur Person _ Romana Ganzoni, geboren vor dem Zvieri. Es war ein Dienstag. Es war April und Scuol. 1967. Der Kopf glänzte zwetschgenblau. Später Matura in Ftan et cetera. Im Wesentlichen unverändert. Blaue Handtasche. Darin etwas zum Schreiben. Immer wieder Arbeit am Roman. Erzählungen, Gedichte, Essays. Kommentare und Kolumnen in verschiedenen Zeitungen und Blogs.

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Aktueller Roman_ „Magdalenas Sünde“ Romana Ganzoni. Diogenes Verlag

Taschenbuch
128 Seiten
erschienen am 23. November 2022

978-3-257-24656-8
€ (D) 12.00 / sFr 16.00* / € (A) 12.40

https://www.diogenes.ch/leser/titel/romana-ganzoni/magdalenas-suende-9783257246568.html

Fotos_Bachmannpreis 2014 _ ORF Archiv

Foto_Portrait_Anna Positano

Walter Pobaschnig, Interview 12.3.2023

https://literaturoutdoors.com

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