Liebe Gudrun, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Um 5:45 aufstehen und bald in die Arbeit fahren. Auf dem Weg dorthin von einer bald kommenden Zeit mit wieder mehr Freiraum träumen, bin dennoch froh in meiner Schule, wo ich kreatives Schreiben unterrichten kann und viele wunderbare und neugierige Schüler*innen habe. Wir reden stundenlang übers Schreiben, über Bücher, über alles Mögliche. Wir experimentieren. Ihre und meine Wachheit beflügeln einander, das funktioniert fast immer. Fühl mich oft privilegiert mit dieser Möglichkeit.
Wenn ich schreibe, schreibe ich morgens ab ca 8:00 und dann nochmals am Nachmittag, wenn ich die Kraft hab. Viel aus dem Fenster schauen und Runden im Wald drehen. Kein Internet, kein Garnix, wenn möglich. Laut lesen, was ich geschrieben hab, viel streichen. Wenig reden.
Beim Recherchieren ist es anders, da bin ich bienenfleißig und arbeite lange Stunden am Stück. Ich mag beides.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Kann nicht für andere klug sein, gerade mal ab und zu für mich selbst.
Horchen, warten, nicht zu schnell Bescheid wissen. Zuhören. Nicht zu schnell schubladisieren. Neugierig bleiben, nicht nur so tun als ob. Das möchte ich von mir selbst. Und auch von anderen. Die flotten Bescheidwisser*innen langweilen mich, aber ich verstecke manchmal wie sehr.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ach, die Kunst. Ein Buch kann vielleicht etwas verschieben im Bewusstsein. Etwas öffnen, weit machen. Wenn man es lässt. Es ist aber ein leiser und intimer Prozess, der mit dem Markt nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.
Was liest Du derzeit?
Silvia Pistotnigs starken Roman „Die Wirtinnen“, in dem wie in den „Libellen im Winter“ auch drei Frauen im Mittelpunkt stehen. Fein erzählt und unprätentiös, auf zurückhaltende Art poetisch. Mag ich sehr gerne. Und K.P.Ließmanns „Lauter Lügen“. Geht mir manchmal gegen den Strich, auf so kluge Art. Ich liebe gescheiten Widerspruch.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
“There is nothing either good or bad, but thinking makes it so”
Shakepeare, Hamlet.
Ich liebe das. Es entfaltet eine große Radikaltität, wenn man es konsequent weiterdenkt und landen lässt.
Vielen Dank für das Interview liebe Gudrun, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Gudrun Seidenauer, Schriftstellerin
Zur Person_Gudrun Seidenauer
geboren 1965 in Salzburg, lebt in Adnet, Studium der Germanistik und Romanistik. Autorin und Lehrerin am Musischen Gymnasium Salzburg für Deutsch und Kreatives Schreiben. 1991-2018 Erwachsenenbildnerin, Leiterin von Schreibwerkstätten für Erwachsene und Jugendliche
Romane:
Aktuell_ Libellen im Winter. Jung und Jung Verlag (2023)
Was wir einander nicht erzählten. Milena Verlag (2018)
Zuvor drei Romane im Residenz Verlag: Der Kunstmann (2005)
Aufgetrennte Tage (2009), Hausroman (2013)
Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien
Preise und Stipendien: u.a. österreichisches Staatsstipendium für Literatur, Rauriser Förderungspreis, Lyrikpreis des Landes Salzburg und Jahresstipendium des Landes Salzburg
Foto_Barbara Klein
28.3.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.