„Wir alle sind psychisch ausgelaugt“ Elisabeth Schinagl, Schriftstellerin _ Eichstätt/D 25.2.2023

Liebe Elisabeth, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich versuche in meinem Tagesablauf möglichst feste und regelmäßige Strukturen einzuhalten. Das gibt mir gerade in unsicheren und belastenden Zeiten wie diesen Halt und es erleichtert mir auch meine Arbeit.

Zu meinem Leidwesen brauche ich in den letzten Jahren viel Schlaf und stehe erst gegen halb neun Uhr morgens auf. Das ärgert mich. Früher war ich eine ausgesprochene Frühaufsteherin und ich mag die ruhigen Morgenstunden eigentlich sehr.

Nach dem Aufstehen und vor dem Frühstück gehe ich erst einmal an den Computer und schaue kurz, was es Neues gibt. Nach dem Frühstück beginne ich den eigentlichen Tag meist mit einer kurzen Reflexion und einem Eintrag in mein Tagebuch. Erst danach fühle ich mich wirklich psychisch gerüstet.

Es klingt vielleicht seltsam, aber ich verrichte bis zu einem gewissen Grad sehr gerne Hausarbeit. Sie erdet mich und oft kommen mir gerade da die Ideen für mein Schreiben. Die Hälfte des Vormittags verbringe ich in der Regel bei Arbeiten in Haus und Garten. Den Rest dann meist mit Organisatorischem wie dem Beantworten bzw. Schreiben von Mails usw. Wirklich feste Schreibzeiten habe ich ehrlich gesagt nicht. Viele AutorInnen sagen ja, dass sie sich jeden Tag ein bestimmtes Pensum vornehmen. Das tue ich nicht. An manchen Tagen schreibe ich gar nichts, an anderen nur ein oder zwei Sätze und manchmal bin ich gewissermaßen in einem Schreibrausch. Da arbeite ich dann ganze Nachmittage hindurch oder recherchiere. Ich schreibe ja in erster Linie historische Romane und es ist mir sehr wichtig, alles geschichtlich korrekt und stimmig darzustellen.

Elisabeth Schinagl, Schriftstellerin  

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Nicht in Verzweiflung zu verfallen. Das ist in diesen Zeiten wahrhaftig nicht einfach. Wir alle sind psychisch ausgelaugt. Bei vielen meiner Bekannten und Freunde wirken immer noch die traumatischen Erlebnisse der Pandemiezeit nach. Jetzt haben wir diesen schrecklichen Krieg in Europa, also quasi vor unserer Haustüre. Jeden Tag die Bilder von Tod und Zerstörung. Man fühlt sich ohnmächtig. Dazu kommt das Dauerthema des Klimawandels: Unwetter, Überschwemmungen, Dürren, Artensterben und, und, und… Wir alle müssen Lösungsansätze für eine Verhaltensänderung entwickeln. Individuell und gesamtgesellschaftlich. Das ist unbequem und anstrengend.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Das ist eine gute, aber schwer zu beantwortende Frage. Ich würde gerne sagen‚ “Antworten auf die Fragen der Zeit zu bieten.“ Aber das ist ja fast schon ein Klischee und trifft es nicht. Was soll man antworten auf Krieg oder Klimawandel? Welche Lösungsansätze kann Kunst bieten? Ich glaube nicht, dass es „vorgefertigte“ Lösungen gibt. Aber Kunst kann jeden und jede Einzelne auf ganz verschiedenen Ebenen berühren, sowohl emotional wie auch rational. Sie kann zum Nachdenken anregen, kann Impulse liefern. Der unumgängliche Aufbruch, das Umdenken, kann ja nur gelingen wenn wir möglichst viele mitnehmen auf diesem neuen Weg und da kann Kunst helfen. Darin sehe ich im Moment ihre Aufgabe.
In meinen Werken befasse ich mich sehr häufig mit Zeiten des Umbruchs. Für mich sind diese Zeiten eine Art Spiegel für unsere eigene.

Was liest Du derzeit?

Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege.
Zum einen, weil ich im Herbst fünf Wochen in Wien zubringen durfte und diese wunderbare Zeit in der Lektüre nachklingen lassen möchte. Zum anderen aber auch,weil es ein Roman ist, der sich mit einer Zeit des Umbruchs befasst. Das Habsburger Reich ist zusammengebrochen. Die Menschen haben alte Gewissheiten verloren und müssen sich in einer veränderten Welt zurecht finden. So interpretiere ich das zumindest.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ein Rilkezitat, das ich mir zum Lebensmotto erkoren habe:

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Vielen Dank für das Interview liebe Elisabeth, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Elisabeth Schinagl, Schriftstellerin  

Zur Person_Dr. Elisabeth Schinagl, geb. 1961 in München, studierte Latein und Germanistik in Eichstätt und Regensburg. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für mittellateinische Philologie an der Katholischen Universität Eichstätt und danach Gymnasiallehrerin. Von 2009 bis 2017 war sie als Referentin im Bayerischen Landtag tätig. Seit 2018 ist sie freie Autorin. In ihren Werken befasst sie sich vorwiegend mit Themen aus der bayerischen Geschichte.

https://www.elisabethschinagl.de/

Foto_privat

8.1.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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