Liebe Yvonne, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Das ist von Tag zu Tag etwas unterschiedlich, unter anderem auch abhängig davon, ob ich am Abend Vorstellung habe oder nicht. Zurzeit spiele ich bei dem neuen Stück des bernhard.ensembles „JEDE(R).NOW“ mit, welches wir dienstags, freitags und samstags (noch bis 10.12.22) aufführen und dann bin ich auch noch gerade dabei mein letztes Jahr an der „Schauspielschule Wien“ abzuschließen. Ich habe daher eher einen geregelten und recht dicht gefüllten Wochenablauf, wo jeder Tag einen anderen Schwerpunkt hat. Wobei auch das Leben mit meinem siebenjährigen Sohn maßgeblich meinen Rhythmus bestimmt. Morgens frühstücken wir Müsli mit frischem Obst, dabei hören wir gerne die Sendung „Gedanken für den Tag“ auf Ö1, dann schlüpfen wir in unser Gewand, putzen die Zähne und radeln zur Volksschule.
An manchen Vormittagen bin ich im Schauspielunterricht, wo wir uns mit Atem- und Stimmübungen aufwärmen, uns mit Gedichten von Goethe, Morgenstern, Ringelnatz, Turrini, Lavant, Jandl, etc. beschäftigen. In der Bewegungslehre erforschen wir unseren Körper und experimentieren damit Text und Bewegung miteinander zu vereinen. Dann gibt es noch Szenisches Spiel, Camera Acting sowie Stückentwicklung, wo wir mit Nika Sommeregger an einem Stück für unseren Abschluss arbeiten.
An anderen Tagen schreibe ich selbst, was mir so in den Sinn kommt, in mein Tagebuch, welches ich gerne als „TRagebuch“ bezeichne, denn ich trage es eher jeden Tag herum, als dass ich wirklich täglich etwas hineinschreibe. Das passiert nach Lust und Laune und nach Raum und Zeit, aber da sich solche Momente gerne auch spontan ergeben, trage ich es eben lieber immer bei mir, um dann und wann niederzuschreiben, was niedergeschrieben werden möchte.

Am Nachmittag hole ich meinen Sohn von der Schule ab und wir gestalten die gemeinsame Zeit, wie es sich ergibt und wonach uns ist oder auch, je nachdem, was noch zu erledigen ist. So sind wir oft am Spielplatz neben der Schule, spielen fangen, verstecken, versteinern oder manchmal sitze ich auch abseits und beobachte das wilde Geschehen. Wir sind auch oft bei meinen Eltern, die nur ein paar Straßen entfernt wohnen und ohne deren Unterstützung ich nicht stünde, wo ich heute stehe und nicht das täte, was ich heute tue. Dafür kann man sich niemals oft genug bedanken, denn es ist keine Selbstverständlichkeit jemanden zu haben, der so hinter einem steht. Dass meine Eltern für meinen Sohn da sein können und wollen, etwa während ich am Abend Vorstellungen oder Proben habe, dafür bin ich ihnen ewig dankbar. Dann tauchen mein Sohn und ich, jeder für sich, in eine fantastische Welt ein. Er darf den Traumgeschichten von Oma lauschen oder mit Opa über das Universum philosophieren, während ich mich zur Zeit von Jedermann’s Party ins Patrouillenboot stürze, um durch den dortigen Wahnsinn und Irrwitz zu reisen.

Nächste Vorstellungen 9./10.12.2022


An den anderen Abenden genieße ich die Bett-Geh-Routine mit meinem Sohn, mit all ihren immer wieder auftretenden Herausforderungen, sowie wunderschönen und rührenden Momenten, die das Großwerden der Kleinen so mit sich bringt. Und zurzeit lesen wir zusammen „Warum gibt es alles und nicht nichts?“ von Richard David Precht als Gute-Nacht-Geschichte oder manchmal hören wir auch Hörspiele wie „Nils Holgersson“ oder „Der kleine Drache Kokosnuss“.
Tja, und dann gibt es noch den Haushalt zu führen, Freunde zu treffen, Texte zu lesen, Filme zu schauen, Weihnachtskekse zu backen, duschen gehe ich auch manchmal, kochen, essen, trinken und so, oder dann gehe ich aufs Klo. Und manchmal will ich auch nur herumgammeln und heimlich Schokolade verdrücken (wenn das Kind dann schläft) oder ich strecke und dehne mich, mache Yoga und schau, dass ich mir bewusst etwas Gutes tue, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Also, wie ist mein Tagesablauf? Mit einem Wort würde ich sagen: bunt.

Aufführung Off Theater Wien
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir aufeinander Acht geben und Rücksicht nehmen, auf uns selbst, sowie unsere Nächsten, auf die, die besonders bedürftig sind, sowie unsere Umwelt. Was für einen Beitrag kann jede*r einzelne leisten in Bezug auf – zum Beispiel Klimaschutz?
Wie gehe ich mit Ressourcen um? Wie kann ich Nachhaltigkeit in meinen Alltag integrieren, um in meinem ganz persönlichen Umfeld Stellung zu beziehen und über das Wirken im Kleinen eine Veränderung im Großen erzielen zu können? Ist das denn überhaupt möglich?

Ich bin da selber auch noch auf der Suche nach Antworten zu diesen Fragen und denke, dass ein bewusster und verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen zumindest einmal ein Anfang ist. Aber es ist auch klar, dass da auf weltpolitischer Ebene noch unglaublich viel zu tun ist und es in einigen Ländern ein radikales Umdenken sowie eine schnelle Umsetzung bedarf, damit wir nicht in eine komplette Selbstzerstörung rasen.
Der Krieg hinterlässt da auch seine Spuren und das auf so vielen Ebenen: vom immensen menschlichen Leid vor Ort, über die wirtschaftlichen Folgen, hin zur Energiekrise, sowie all die Auswirkungen auf Natur und Umwelt.
Dann die mutigen Proteste im Iran, die mit so unfassbar schrecklichen und gewalttätigen Niederschlägen zu kämpfen haben. Oder die Pandemie mit all ihren Folgen. Da passiert gerade so viel, dass man ja fast in einen Zustand der Ohnmacht fallen könnte. Ja, wo stehen wir denn jetzt alle wirklich? Vor einem Aufbruch und Neubeginn, wie es die folgende Frage formuliert, oder vor einem Zusammenbruch, der das Ende mit sich bringt?

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Was ist jetzt wesentlich?
Ach, wenn ich das nur wüsste, dann würde ich die ultimative Antwort nun ausformulieren, doch was jetzt wesentlich ist, weiß ich selbst nicht. Sollte man sich denn auf apokalyptische Zustände vorbereiten, Lebensmittel und Wasser sichern (und Toilettenpapier nicht zu vergessen!) oder sein Erspartes schleunigst in anderen Wertanlagen sichern, bevor es all seinen Wert verloren hat? Wie bereitet man sich denn vor auf … ja, auf was eigentlich? Strom- und Energieausfälle? Lebensmittelknappheit? Wirtschaftskrise? Krieg? Was kommt denn auf uns zu, oder ist das alles Schwarzmalerei? Da bedarf es doch wohl Experten auf diesem Gebiet, um hier konkrete Formulierungen geben zu können.
Was wir meiner Meinung nach aber immer tun können, ist, Ruhe zu bewahren und wachsam zu sein. Achtzugeben, dass wir unsere Dankbarkeit und Wertschätzung nicht verlieren für all das, was uns vielleicht schon so selbstverständlich erscheint und für all das, was die Natur und das Leben uns von sich aus schon geben. Aber vielleicht sollten wir uns auch in einen inneren Zustand der Bereitschaft begeben, um uns jeglichen Veränderungen stellen zu können, auf dass wir mit ihnen umgehen mögen, ohne dabei in Angst und Panik zu geraten.
Ja, und natürlich die Hoffnung nicht verlieren. Denn wenn wir aufhören würden zu hoffen, wenn wir aufhören würden, an das Leben zu glauben, wenn wir aufhören würden, für das Leben zu sein, dann folgen wirklich nur noch Tod und Verderben.
Ich denke, wir dürfen uns von all den entsetzlichen Dingen, die auf der Welt passieren, nicht entmutigen lassen. Wenn wir uns in diesem Weltschmerz verlieren, verlieren wir irgendwie auch unsere Selbstwirksamkeit. Die brauchen wir aber, um die nötige Kraft aufzubringen, all die Herausforderungen auf uns zu nehmen, die das Leben ganz im Allgemeinen einfach mit sich bringt. Wir brauchen Zuversicht und Hoffnung, um uns mit diesen Unsicherheiten auf eine Art und Weise auseinandersetzen zu können, die uns vorwärts bringt – gesellschaftlich, wie persönlich.

Wir dürfen aber auch nicht unsere Augen verschließen vor dem, was ist. Zu akzeptieren, dass das Leben, aus welchen Gründen und Umständen auch immer, brutal sein kann, ist eine Aufgabe für sich. Und doch sind wir diesen Urgewalten seit jeher ausgesetzt und oft bleibt uns auch nichts anderes übrig, als Schmerz und Leid einfach aushalten zu müssen. Aber die Frage ist doch immer: Wie gehen wir damit um? Was können wir tun? Welcher Handlungsspielraum bleibt uns offen? Wie können wir helfen – uns selbst und den anderen? Und da wären wir wieder beim aufeinander Acht geben und Rücksicht nehmen.
Welche Rolle hat dabei das Theater/ die Kunst an sich?
Nun ja, ich denke, in der Kunst treten wir immer in eine Art Dialog. Es findet ein Austausch statt zwischen Künstler*innen und Rezipient*innen. Gerade beim Theater, beziehungsweise allgemein bei den darstellenden Künsten, ist dieser direkte Kontakt besonders stark gegeben. Man begibt sich mit einem Haufen mehr oder weniger fremder Menschen in einen Raum und teilt eine Geschichte, Stimmungen, Bilder und Emotionen, schafft Erlebnisse – konkret oder abstrakt, persönlich oder politisch. Durch das Aufeinandertreffen selbst sind wir miteinander in Kontakt, und dieser gemeinsame Raum gibt uns die Möglichkeit auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen oder Assoziationen auszulösen, die zum Nachdenken anregen, oder vielleicht sogar dazu provozieren neue Perspektiven einzunehmen. Ich würde sagen, das In-Verbindung-treten, das Eröffnen von Diskurs-Möglichkeiten ist eine wesentliche Rolle des Theaters bzw. der Kunst an sich.
Was liest Du derzeit?
Momentan lese ich „How much Schatzi“ von H.C. Artmann für unser Abschlussstück an der Schauspielschule Wien.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ein Text von Khalil Gibran aus „Der Prophet“:
Von der Freude und von dem Leid
Eure Freude ist euer Leid ohne Maske. Und derselbe Brunnen, aus dem euer Lachen aufsteigt, war oft von euren Tränen erfüllt.
Und wie könnte es anders sein? Je tiefer sich das Leid in euer Sein eingräbt, desto mehr Freude könnt ihr erfassen.
Ist nicht der Becher, der euren Wein enthält, dasselbe Gefäß, das im Ofen des Töpfers gebrannt wurde?
Und ist nicht die Laute, die euren Geist besänftigt, dasselbe Holz, das mit Messern ausgehöhlt wurde?
Wenn ihr fröhlich seid, schaut tief in eure Herzen, und ihr werdet finden, dass nur das, was euch Leid bereitet hat, euch auch Freude gibt.
Wenn ihr traurig seid, schaut wieder in eure Herzen, und ihr werdet sehen, dass die Wahrheit um das weint, was euch Vergnügen bereitet hat.
Einige von euch sagen: „Freude ist größer als Leid“. Und andere sagen: „Nein, Leid ist größer“.
Aber ich sage euch, sie sind untrennbar.
Sie kommen zusammen, und wenn einer alleine mit euch am Tisch sitzt, denkt daran, dass der andere auf eurem Bett schläft.
Wahrhaftig, wie die Schalen einer Waage hängt ihr zwischen eurem Leid und eurer Freude.
Nur wenn ihr leer seid, steht ihr still und im Gleichgewicht.
Wenn der Schatzhalter euch hochhebt, um sein Gold und sein Silber zu wiegen, muss entweder eure Freude oder euer Leid steigen oder fallen.

Vielen Dank für das Interview liebe Yvonne, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Viel Freude und Erfolg für die kommenden Vorstellungen „JEDE(R).NOW!“ im Off Theater Wien.
Termine: Dez: 9.|10. _ Beginnzeit: 19:30 Uhr WHITE.BOX
https://www.off-theater.at/index.html
5 Fragen an Künstler*innen:
Yvonne Brandstetter, Schauspielerin
Zur Person:
2011 – 2012: Mitglied der Phoenix Fire Dancers
2016/17: FLIC Scuola di Circo Torino (Hand-Balance & Acro-Dance)
2017: Contemporary Circus Performance von Francesco Sgrò, Festival di Circo,“Überschwemmt“ Acro-Dance Solo von Yvonne Brandstetter – Spazio FLIC, Torino,
2017: “URSULA” eine Contemporary Circus Performance, Teatro della Concordia, Torino
2018-2019: Internationale Schule für Bewegungsschauspiel (Physical Theatre), Berlin
2019: Atelier für physisches Theater, Berlin, Pfefferberg Theater, Berlin
2019-2020: Tanzausbildung Wien (Contemporary Dance)
seit September 2021 Ensemblemitglied des bernhard ensembles _ Wien
https://www.bernhard-ensemble.at/performer.html
Fotos_ 1 u. 7 Stefan Reiterer; 2,3 Walter Pobaschnig Szenenfotos „JEDER(R).NOW!“; 4, 5, 8 Gunter Macho Szenenfotos „Der Semmelweiß.Reflex“ / „JEDER(R).NOW!“; 6 Wolfgang Springler;
7.12.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.