
Liebe Lucille, herzlichen Dank für die Einladung in Dein Atelier hier in Wien/Hernals!
Wie gestaltet sich Deine Atelierarbeit und was inspiriert Dich?
Grundsätzlich habe ich eine ganz bestimmte Vorstellung wie ich selbst und mein Tag sein soll. Ich liebe kleine Rituale, Traditionen, mit denen ich in Leben und Kunst nicht brechen werde. Das beginnt schon beim Aufstehen.

Ich bin eine Frühaufsteherin und bin um 4.45h aus dem Bett. Dann mache ich Frühstück, trinke dazu einen Kaffee oder Tee und gehe die Termine für den Tag durch – welche Lieferungen und Aufgaben sind zu erledigen?
Meine Kunstmaterialien stelle ich oft selbst mit Farbpulvern her. Ich arbeite auch gerne mit Kremserweiß, das eine spezielle Genehmigung erfordert und einfach sensationell in seiner Struktur ist.

Neben meiner Tätigkeit als Malerin bin ich auch als Innenarchitektin tätig. Es gibt viele Menschen in Wien, die da auf meinen Geschmack setzen. Auch Wünsche nach Portraits in der Wohnung gibt es.
Inspirationen gibt es sehr viele und vieles, es sind die Menschen und die so lebhafte Kultur in unserer Stadt.

Wie war Dein Weg zur Kunst?
Mein Weg zur Kunst begann mit vier Jahren bei einem Besuch im Kunsthistorischen Museum in Wien. Da war ich begeistert. Es war ein Familienausflug mit meinen Eltern und meinen zwei Brüdern, ein weiterer Bruder kam dann als „Nachzügler“ zur Familie hinzu, aus Bad Schwanberg in der Steiermark, wo wir nach der Flucht aus Rumänien lebten.
Ich habe im Kunsthistorischen Museum in Wien erstmals die einmaligen Werke von Caravaggio (italienischer Maler, Barock, 1571 – 1610) gesehen. Vor seiner „Rosenkranzmadonna“ (1605 – 1607) dachte ich, so will ich auch malen und habe dann angefangen zu zeichnen – tausende Blätter – und es setzte sich in meiner Kindheit/Jugend fort. Ich beschäftige mich mit Egon Schiele, Gustav Klimt, Leonardo da Vinci, um Zeichenformen, das Gefühl für Proportion zu verstehen und wollte einfach zeichnen, malen, um jeden Preis. Meine Eltern sagten, ich müsse einen Beruf erlernen und ich sagte „das ist mein Beruf“. Da war ich vierzehn Jahre alt.

2005 begann ich dann ein Studium an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, die Direktorin der Akademie der bildenden Künste Wien hatte mich empfohlen. Ich lernte da Franz West (*16.Februar 1947 +26.Juli 2012, bildender Künstler) und Brigitte Kowanz (* 13. April 1957 Wien, † 28. Jänner 2022, Installationskünstlerin) kennen, die mich wie der damalige Direktor Peter Noever sehr unterstützen in meinem selbstbewussten Weg.
Da ich eine Kooperation mit den großen Galerien in Wien ablehnte hinsichtlich des 45% Galerieanteil bei jedem Verkauf, war ich sehr schnell eine persona non grata in diesem Bereich des Kunstmarketings. Und dann habe ich mein eigenes Ding durchzuziehen versucht, was nicht leicht war und ist. Mein Atelier hier kostet 1700EUR im Monat.


Wichtig sind Kontakte mit Menschen, die meine Kunst sehr schätzen oder kennenlernen wollen und ich habe da auch viel Interesse und Unterstützung bis heute, wofür ich sehr dankbar bin. Der Künstler Hubert Winter lud mich vor Jahren nach Spanien ein und stellte mir die tollsten Künstler und Galeristen vor. Ich habe da auch heute noch Kontakte nach New York und Los Angeles. Persönlich freue ich mich auch sehr über zwei Skulpturen von Kiki Kogelnik, die ich als Künstlerin sehr schätze.
Was bedeutet Kunst für Dich?
Kunst ist ein Lebensgefühl. Man kann nicht einfach so Kunst „machen“, das hat einen Grund, muss einen Grund haben. Ich denke, Kunst liegt schon in der Wiege und ist dann ein lebenslanger Prozess in Erinnerung, Erfahrung, Reflexion, Ausdruck.



Ich wurde als drittes Mädchen-Wunschkind, nach zwei Söhnen, in Siebenbürgen/Transsylvanien geboren, das war in der Zeit des Kommunismus. Meine Eltern haben mich und meine Geschwister sehr gefördert, sie waren auch sehr kunstbegeistert. Meine Familie floh dann nach Österreich und siedelte sich in Schwanberg/Steiermark an und musste eine neue Existenz aufbauen. Mein Vater war da sehr konsequent und auch eigenwillig, etwa im Hausbau. Er wusste da, was er wollte und das habe ich vielleicht auch in der Kunst von ihm.

Wir waren auch vor dem Zusammenbruch des Regimes Nicolae Ceaușescu (1989, Anm.) öfters in Wien und hatten da auch eine Wohnung. Nach Wien zu kommen in den Wirren dieses Umbruchs war äußerst schwierig und gefahrvoll. Meine Mutter war da sehr stark und mutig gegenüber dem Geheimdienst und den Soldaten als wir Rumänien verließen. Sie hatte Dollars und Kaffee, Whiskey, weiteres dabei und das öffnete die Fluchttüren. Doch dann waren plötzlich Gewehre auf uns gerichtet und meine Mutter sagte zu den jungen Soldaten: „Eine Mutter und ihre Kinder könnt Ihr nicht ermorden!“ Und sie ließen uns gehen. Ich habe diese Stärke und Sicherheit meiner Mutter in dieser Todesgefahr sehr bewundert und es hat mich geprägt.

Als war dann in Schwanberg ankommen, hatten wir guten Kontakt zur Familie Neuwirth, Griseldis und Harald Neuwirth (Pianist) und ihren Töchtern Olga (Komponistin) und Flora (Bildende Künstlerin). Ich habe viel Zeit bei Ihnen verbracht, ich war da auch sehr gerne bei ihren vielen Tieren, Katzen, Hunden und es war ein wunderschönes geheimnisvolles Haus zwischen Pappeln. Das sind sehr schöne Erinnerungen.

Auch Dein Name ist ein sehr klingender in der österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte. Bist Du mit den Wittgenstein Familien verwandt?
Nein, das ist ein gewählter Name. Ich bin eine geborene Filip und in meinem Pass steht Lucille Gabrielle Cäcilia Filip Wittgenstein.
Was bedeutet Dir Wien?
Wien hat mir so viel gegeben. Ich kam als ganz junger Mensch nach Wien und die Stadt sagte „das ist richtig wie Du bist und wir lieben Dich so wie Du bist“. Es war Liebe auf den ersten Blick bei der Ankunft am Südbahnhof. Da war das strahlende Belvedere und auch die dunklen Straßen, ich liebte diese Kontraste sofort, es hat mir imponiert und gefällt mir bis heute als Mensch und Künstlerin.
Herzlichen Dank, liebe Lucille, viel Freude und Erfolg weiterhin!

Atelierbesuch_
Station bei Lucille Wittgenstein, Künstlerin _ Wien/Hernals
Alle Kunstwerke/Atelier: Lucille Wittgenstein, Künstlerin
Interview und alle Fotos_ Walter Pobaschnig
Walter Pobaschnig 8_22