Bachmannpreis 2022_“Verlier dich nicht, versuche wahrhaftig zu bleiben, und nimm dir, was du kriegen kannst“ Franzobel, Schriftsteller, Bachmannpreisträger 1995 _im Rückblick Interview II_ Wien 19.6.2022

Fortsetzung_Interview _Bachmannpreis Rückblick:

Lieber Stefan, wir sitzen hier zum Interview bei prächtigem Frühlingswetter im schattigen Garten eines Praterrestaurants.

Ist so ein Platz wie hier auch ein Schreibort für Dich bzw. welche Orte bevorzugst Du beim Schreiben und gibt es auch bestimmte Schreibzeiten?

Der Schreibort ist bei mir das Bett. Ich schreibe im Liegen. Das hat sich einfach so ergeben.

Zu Anfang meines Schreibens habe ich eher nachts geschrieben. Meine ersten Texte sind alle erst ab Mitternacht entstanden. Mit den Kindern hat sich das völlig umgedreht, jetzt schreibe ich in der Früh. Es ist oft so, dass ich um fünf, sechs Uhr morgens beginne und schreibe, solange der Kopf klar ist.

Franzobel, Schriftsteller _ Wien _
Bachmannpreisträger 1995

Du beeindruckst auch sehr und hast viel Erfolg mit Deinen neuen großen historischen Romanen – „Das Floß der Medusa“ (2017) und „Die Eroberung Amerikas“ (2021), alle Paul Zsolnay Verlag, Wien.

Wie gestaltet sich der Entstehungsprozess eines solchen Romanprojektes?

Es gibt den Stoff, der mich fasziniert, und dann versuche ich möglichst viel zu recherchieren und Material zum Thema zu finden. Das ist heute aufgrund des Internets viel leichter, weil man etwa online bei Antiquaren Sachliteratur auswählen kann. Ich wüsste nicht, wie ich das vorher gemacht hätte (lacht). Dann gibt es Streamingdienste, auf denen ich mir Filme anschauen kann, die in der Zeit spielen, das ist hilfreich, wenn man in andere Zeiten eintauchen will. So komme ich in das Erzählen. Im Idealfall bin ich dann so im Schreiben, dass es meinen ganzen Tag bestimmt. Es geistern immer viele Ideen im Kopf herum und es fallen mir dann etwa im Halbwachzustand Szenen ein, die dann ein Ganzes ergeben.

Es ist ein strahlender Frühlingstag heute. Ist das Schreiben auch jahreszeitabhängig bzw. inspiriert bei Dir?

Nein, eigentlich nicht.

Das Schreiben ist ja oft durch Lesereisen unterbrochen und da gibt es Momente, an denen ich denke, jetzt möchte ich lieber beim Text bleiben. Ich muss dann aber nach Mannheim, Düsseldorf oder Dortmund.

Natur ist fantastisch, wie jetzt hier im Praterfrühling, wenn die kahlen Bäume ausschlagen. Aber jede Jahreszeit hat etwas. Sommer, Herbst, Winter, ich mag jede Jahreszeit und wir sind in Österreich da privilegiert in dieser Vielfalt völlig unterschiedlicher Jahreszeiten.

Gibt es so etwas wie einen Teamgedanken der teilnehmenden Schriftsteller:innen in Klagenfurt und ist man etwa im regelmäßigen Kontakt auch nachher und trifft sich auch bewusst als Gruppe?

Nein, eigentlich überhaupt nicht.

Es hat damals geheißen, es sei ein durchschnittlicher literarischer Jahrgang, aber da waren viele Persönlichkeiten und literarische Qualitäten. Ingo Schulze gewann den dritten Preis. Ilija Trojanow hat einen Preis gewonnen. Radek Knapp war dabei, Händl Klaus, Gundi Fyrer. Ulrike Kolb hat den zweiten Preis gewonnen, war wahnsinnig nett, ist dann aber in meiner Wahrnehmung völlig verschwunden. Und alle anderen trifft man immer wieder im Literaturbetrieb. Etwa Trojanow, wir waren beide in der Endauswahl um den Bachmannpreis. Es ging der Juryentscheid damals, glaube ich, 7:4 für mich aus, es war relativ knapp. Durch diese etwas komische Sache mit Preisvorschlag und Abstimmung damals, hat er dann fast gar nichts gewonnen. Trojanow gewann dann den vierten Preis. Wenn wir uns treffen, flachsen wir schon über den Bachmannpreis (lacht).

Du bist Bachmannpreisträger 1995. 2023 wird des fünfzigsten Todestages der Namensgeberin Ingeborg Bachmann (Schriftstellerin, *1926 Klagenfurt +1973 Rom) gedacht, auch mit einer Ausstellung im Literaturmuseum Wien.

Welche Bezüge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann? 

Ich habe einmal ein Theaterstück über Jack Unterweger (*1950 +1944, Schriftsteller; verurteilter, angeklagter Mörder; in Kärnten wie Ingeborg Bachmann aufgewachsen; Anm.) geschrieben und da gibt es eine Szene, in der Unterweger Bachmann in der Bahnhofsrestauration Klagenfurt trifft. Dieser Plot eines möglichen Zusammentreffens gefiel mir gut.

Ich finde die Gedichte, auch die Lebensgeschichte Bachmanns, sehr spannend. Ihren Roman Malina habe ich versucht zu lesen, aber kam da nicht recht rein.

Bachmann ist für mich ein Typ österreichischer Frau, die aus Bürgerlichkeit und Gesellschaft ausbrechen will. Das war ja zu ihrer Zeit noch viel schlimmer. Ich hatte auch immer wieder Begegnungen mit Frauen, die rebellieren und Ketten sprengen wollten.

Die Liebe zu Rom verbindet uns sicher auch (lacht).

Du bist wie Ingeborg Bachmann nach Wien gezogen. Was bedeutet Dir Wien?

Ich habe in der Volksschule gewusst, dass ich nach Wien gehen werde. Heute fahre ich zwar immer wieder gerne weg, aber ich komme auch gerne zurück, das ist ein gutes Zeichen (lacht). Ich mag Wien sehr.

Wien hat sich sehr verändert. Ich bin in den 80er Jahren nach Wien übersiedelt, da war es sehr viel grauer, sumpfiger, und es gab weniger Möglichkeiten. Leute erzählen mir von den 60er Jahren, dass es zwei Lokale gab, Cafe Sport und noch etwas im Grätzl, mehr war da nicht.

Das hat sich heute sehr verändert und es ist viel spannender und gibt eine gute Mischung mit dem Wiener Grant.

Ich habe in den letzten Jahren aufgehört über Wien zu schreiben. Es hat am Anfang für mich eine Rolle gespielt, das Wienerische zu verarbeiten, jetzt bin ich über Österreich hinausgekommen, ist es mir nicht mehr so wichtig.

Ich könnte mir aber nach wie vor keine andere Stadt als Wien zum Leben vorstellen. Hamburg mag ich, aber zum Leben ist für mich Wien unersetzbar.

Wir sind hier ganz in der Nähe des Ernst Happel Stadions. Fußball ist auch eine Leidenschaft wie literarisches Thema bei Dir.

Im Blick zum Stadium – was macht für Dich die Faszination Fußball aus und gibt es ein historisches Fußballspiel, das Du in Spannung, Dramatik hervorheben möchtest?

Fußball definiert sich ja auch über Antipathie. Meine Freude, wenn Bayern München verliert, ist größer als die, wenn Rapid Wien gewinnt (lacht). Das Finalspiel zwischen Bayern München und Manchester United, in dem es in der Nachspielzeit zwei entscheidende Tore für United gab, war für mich ein persönliches Highlight (Champions League Finale 1999; Bayern München führt bis zur Nachspielzeit 1:0, United gelingt dann der überraschende Umschwung und Sieg;  Anm.).

Generell schaue ich mir Fußball gerne an und freue mich über ein schönes Spiel. Gestern war ich mit meinem Sohn beim Wiener Derby Rapid:Austria in der Rapid Fankurve. Ich freue mich, wenn Rapid gewinnt, aber ich bin kein Fan im Sinne von „Rapid ist mein Leben“. Es gibt dann doch Wichtigeres im Leben (lacht).

Die Virtuosität der Sprache ist ein Kennzeichen Deines Schreibens? Gibt es Virtuosität im Fußball heute noch oder erliegt dies den ökonomischen Sachzwängen?

Das Niveau im Fußball ist in jedem Fall besser geworden. Wenn man sich die Spiele der 70er Jahre ansieht, dann macht da einer ein paar Tricks und der Rest steht. Heute gibt es da ständig Bewegung von allen und auch die unglaubliche Passgenauigkeit über das halbe Feld und die perfekte Ballannahme ist beeindruckend. Wenn man selbst spielt, weiß man, wie schnell sich so ein blöder Ball verspringt (lacht). Das Niveau in der Champions League und der Nationalmannschaften ist schon gewaltig.

Das „Zaubern“ im Fußball, das die Spieler ja auch vermögen, sieht man aber seltener, und man freut sich, wenn es doch aufblitzt. Kylian Mbappe (französischer Nationalspieler, Anm.) schätzte ich etwa sehr.

Fußball selbst ist kommerzialisiert worden. Vor dreißig Jahren konntest Du nicht ein ganzes Leben mit einer Fußballerkarriere finanzieren. Da hast du in Österreich eine Trafik oder Tankstelle bekommen. War auch nicht schlecht (lacht). Heute gibt es Einkommen, die sind höher als das Bruttosozialprodukt eines afrikanischen Staates. Das ist jenseits von allem.

Gibt es ein Fußball WM Spiel, das Dir in besonderer Erinnerung ist?

Es gibt immer wieder so Spiele wie das 7:0 der Deutschen gegen Brasilien bei der WM 2014 in Brasilien, die sich einprägen.

Die wichtigsten Spiele waren für mich sind jene, die ich in der Kindheit gesehen habe. Etwa 1974, Deutschland:Schweden auf einem flimmernden sw Fernseher. Dann die 1978 WM Spiele, vor allem jene der Österreicher. 1982 habe ich intensiv wahrgenommen, da war ich großer Italien Fan. Bruno Conti habe ich da sehr geschätzt mit seinen Sturmläufen und Vorlagen für Paolo Rossi. Dann hat diese Begeisterung etwas nachgelassen. Es gab Jahre, in denen ich Fußball gar nicht konsumiert habe. Später ist es wieder gekommen. Diese enorme emotionale Bindung habe ich aber nicht mehr. Als ich meinem Sohn sagte, dass 2014 Deutschland und nicht Argentinien Weltmeister geworden ist, war das eine Tragödie für ihn (lacht).

Wie hast Du den Bachmannpreis in den letzten Jahren mitverfolgt?

Es gab Jahre, da habe ich ihn gar nicht mitverfolgt, und es hat Jahre gegeben, in denen ich am Bildschirm intensiv dabei war. Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich.

Manchmal kippe ich rein und denke, das ist total spannend und manchmal denke ich, das interessiert mich überhaupt nicht. Es ist mal so, mal so

Hast Du in den letzten beiden Jahren die digitale Version des Bachmannpreises miterlebt?

Nein.

Ich hatte ja selbst viele digitale Lesungen, aber davon halte ich nicht viel. Es ist besser als nichts, aber in einem Raum die Atmosphäre zu spüren ist schon etwas anderes, als wenn jeder Zuhause im Wohnzimmer ist und sich mit dem Handy ablenkt.

Wie hast Du privat und beruflich die letzten beiden Jahre, die ja von einer Pandemie geprägt waren, erlebt?

Zuerst fand ich es spannend, weil da etwas passiert ist, das die Gesellschaft auf die Probe gestellt hat. Man hat gespürt, es geht jetzt nicht mehr um die Freiheit des Einzelnen, sondern um das Überleben der Gesamtheit. Eine interessante Erfahrung, die ich bisher so nicht hatte. Man spürte, du musst dich jetzt der Pandemie fügen, dich an die Vorgaben halten.

Ich habe in dieser Pandemie Zeit versucht, trotzdem ein paar Reisen zu machen. Insgesamt war es keine große Einschränkung. Natürlich waren viel weniger Lesungen und Auftritte, was ist mir auch abgegangen ist, besonders die Begegnungen, das Reden mit Leuten, das Zusammenzusitzen.

Privat haben wir viel gekocht, Rezepte ausprobiert. Das war eine Weile lang ganz lustig, aber irgendwann wird diese Enge, Nähe doch zu viel. Aber insgesamt war es fast romantisch schön.

Woran arbeitest Du aktuell?

Es ist ein literarisches roadmovie über das Amerika der letzten 40 Jahren. Aktuell arbeite ich über einen Pathologen, der das Gehirn von Albert Einstein entnommen und vierzig Jahre damit gelebt hat. Moderne Physik und was ihre Erkenntnisse mit sich bringen, finde ich sehr spannend. Dabei sind Fragen der Gehirnforschung wie auch der Religion im Blickpunkt. Was ist Zeit, Raum?

Wie gelingt es in solche Spezialgebiete literarisch vorzudringen?

Ich versuche viel aufzusaugen, das erfordert viel Arbeit, und es gibt auch Grenzen, wo ich aussteigen muss. Die literarische Aufgabe ist es dann, dieses Wissen umsetzen, ohne im Schreiben zu umfangreich, zu detailliert naturwissenschaftlich zu sein.

Die Literatur ist Dein Schwerpunkt. Gibt es auch weitere künstlerische Wege, die Du gehst?

Nein, nur Literatur.

Ich habe früher gedacht, dass ich Talent für die Malerei hätte und ich habe diese Liebe immer noch. Aber ich bin mit Literatur derart ausgelastet, dass ich schlicht keine Zeit, anderes zu tun.

Was ich manchmal mache, ist schnitzen. Mein verstorbener Onkel war ein guter Schnitzer und ich habe da Schnitzwerkzeug geerbt und ich arbeite gerne hin und wieder handwerklich.

Das Schreiben selbst, am Computer, ist ja körperlos, hat nichts Sinnliches, und da habe ich dann Lust etwas Haptisches zu tun, sei es kochen oder schnitzen oder im Garten Erde umgraben (lacht).

Ist der Garten auch eine Leidenschaft von Dir?

Wir haben uns in Pandemiezeiten ein Stelzenhäuschen gekauft, das war relativ günstig und hat einen sehr großen Garten. Das Sein, das Beobachten des Lebens in der Natur, das habe ich schon gern und es ist auch etwas, das einen runterholt. Man merkt dann, wie unwichtig und klein oft die Probleme sind.

Es gibt ja in vielen Bereichen des Lebens, etwa in der Schule, ein Buddy System, das Neuankommende begleitet. Gibt es, wünscht man sich das auch in der Literatur, dass Erfahrungen, Tipps ausgetauscht und Hilfestellungen bei einem großen Wettbewerb wie dem Bachmannpreis untereinander angeboten werden?

Was ich festgestellt habe ist, dass junge Schriftsteller von sich aus zur Gruppenbildung neigen. Da ist das kein Thema, sie ergänzen sich, wollen wissen, wie es funktioniert und es gibt keine Konkurrenz, was sehr angenehm ist.

Wenn dann einer der Gruppe berühmt wird, ist das sofort der Böse, der sich verkauft hat. Das hat man auch nach der Ostöffnung gut verfolgen können. Als einige westliche Verlage hatten und ihre Bücher gut verkauft wurden, waren sie die Verräter der Gruppe.

Aufgrund der Kapitalisierung des Literaturbetriebes gibt es eine große Konkurrenz untereinander. Es geht um Werbeflächen, wer ist in der Buchhandlung vorne und wer hinten. Was schade ist, weil da ein Gemeinschaftsgefühl zerstört wird.

Der Sommer steht vor der Tür. Wie sieht der ideale Sommer für Dich aus?

Ich bin im Sommer gerne in Österreich am Land, gerne im Garten und in der Natur. Meist auch für eine Woche in Griechenland zum Tauchen, Schnorcheln. Aber nicht einmal das müsste sein. Die Möglichkeit hier im Sommer draußen zu sein, ist schon faszinierend (lacht).

Mir ist der österreichische Winter immer zu lang und da versuche ich, irgendwohin zu fliehen.

Welche Erinnerung hast Du an die Sommertage des Bachmannpreises und die Stadt Klagenfurt?

Das Radfahren fällt mir da ein. Mit dem Fahrrad kam man ja überallhin und wir sind meist zum Wörthersee, zum Bad Maria Loretto gefahren. Ich mochte die Seenähe. Es waren auch wettertechnisch sehr schöne Sommertage.

Was möchtest Du der Bachmannpreisträgerin, dem Bachmannpreisträger 2022 mitgeben?

Verlier dich nicht, versuche wahrhaftig zu bleiben, und nimm dir, was du kriegen kannst.

Franzobel, Schriftsteller _ Wien _
Bachmannpreisträger 1995

Vielen herzlichen Dank für das Interview, lieber Stefan, viel Freude mit dem diesjährigen Bachmannpreis und eine wunderschöne Sommerzeit!

Bachmannpreis 2022 _ im Rückblick _Interview:

Franzobel, Schriftsteller, Bachmannpreisträger 1995 Wien

https://www.hanser-literaturverlage.de/autor/franzobel/

Alle Fotos_Walter Pobaschnig _ Riesenrad/Prater Wien _ Mai 2022.

Walter Pobaschnig 6_22

https://literaturoutdoors.com

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s