
Liebe Iris, wir sind hier an persönlichen wie literarischen Bezugspunkten der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann in Wien. Ist es auch in Deinen Kunstprojekten so, dass Du Lebensorte als Ausgangspunkte aufnimmst?
Lieber Walter! Danke für die Frage! Tatsächlich führe ich eine inszenatorische Technik des in Kanada lebenden Choreograf Benoît Lachambre weiter. Diese besteht darin, sich zunächst der eigenen Energie gewahr zu werden, ein langwieriger Prozess, der bei muskulären Spannungen ansetzt. Für meine Kunstprojekte habe Benoîts Technik weiterentwickelt, dafür betrete ich Räume, um Energie zu fühlen. In meiner Videoarbeit „real estate speculation“ (zu sehen auf Vimeo) kann man mich in einem Moment beobachten, in dem ich eine 93 jährige Frau in mir fühlte. Sehr intensiv war die Raumenergie auch in einem Bunker aus dem 1. Weltkrieg, Schauplatz des Filmes „Dolomitenfront“, dessen Regisseur mir die Möglichkeit gab, diesen nicht öffentlichen Ort zu betreten.



Für das von Dir vorgeschlagene Konzept des Fotoshootings visualisierte ich im Vorfeld Koordinaten im Leben Ingeborg Bachmanns, ein Verleger kam in meinen Sinn, der am selben Tag noch zu treffen sei. Die Beatrixgasse, durch die sie/ich ging, fühlte sich wesentlich verändert an, kurz, es entspann sich ein Netzwerk, das mich in verschiedene Richtungen zog und sich, so hoffe ich, durch die Fotos an die Leser:innen Deines Blogs vermittelt.

Welche Bezüge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann?
Der intensivste Moment war unser Fotoshooting. Ich muss aber auch sagen, dass mich ihr Roman „Malina“ packt. Endlich packt mich Literatur wieder. Vor der Fertigstellung meines PhD habe ich viel gelesen, auch Werke, die abseits unserer westlichen Wahrnehmung entstanden. Gern las ich Romane der aus der Türkei stammenden Schriftstellerin Sevgi Soysal, da sie mit sprachlichen Strukturen politische Inhalte ausdrückte, zum Beispiel lässt sie lediglich Figuren einer reichen Oberschicht im Futur denken, um zu kritisieren, dass es für arme Menschen keine Möglichkeit eines Zukunftsentwurfs gibt. Ich denke, das wäre auch für Menschen im heutigen Wien, die von Armut betroffen sind, zutreffend.



Wie bedeutsam ist Literatur in Deinen Projekten?
Literatur ist insofern bedeutsam, da sie – ähnlich Philosophie und Mathematik – uns aus unserem Kommunikations- und Denkmustern heraus, auf andere Ebenen führt.

Wie war Dein Weg zur Weg zur Kunst und welche Schwerpunkte gibt es da?
Stell Dir vor, tatsächlich war mein Weg vermittelt über den ORF, ich stamme aus einem sehr kleinen Ort. Ohne die Sendung „Kunststücke“ wäre ich, bevor ich mit 14 nach Wien ging, nicht so jung mit experimenteller Kunst in Berührung gekommen. Ich verstand die Filme freilich nicht, aber was ich nicht verstehe – das fasziniert mich. Und so kam ich zur Philosophie und zu Konzepttanz und Konzeptkunst.

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?
Ich möchte, neben meiner wissenschaftlichen Tätigkeit, ein konzeptuelles choreografisches Stück entwickeln, das Gebärdensprache in Tanz übersetzt. Damit erreiche ich Menschen unterschiedlich ausgeprägter Sinne auf andere Weise, die Verhältnisse werden sich „umkehren“, und ein somatischer Nachteil wird zu einem Vorteil bei der Rezeption des Stücks.























Welche Bezüge gibt es von Dir zu Wien?
In meinem Leben gibt es mittlerweile zu viele Bezüge zu Wien. In vielen Bezirken gelebt, haben sich aus den Orten und ihren sozialen Milieus viele Geschichten entsponnen. Hoch und Tief.

Welche Eindrücke nimmst Du vom „Ungargassenland“ Ingeborg Bachmanns mit?
Hoch und Tief und intensiv.

Darf ich Dich abschließend zu einem Ingeborg Akrostichon bitten?
Es handelt sich nicht um ein klassisches Akrostichon, sondern die von mir vorgeschlagene Struktur ist zum Tanzen gedacht (–) bedeutet (für mich) ein Rond de Jambe, jede(r) kann es anders interpretieren:
I ( … ) (–) (– –) (– –)
N (– –) ( … ) (–) (– –)
G (– –) (–) ( … ) (– –)
E (–) (–) (– –) ( … )
B (–) (– –) ( … ) (– –)
O (– –) ( … ) (– –) (–)
R ( … ) (– –) (–) (– –)
G (– –) (–) ( … ) (– –)


Vielen Dank, liebe Iris Julian, für Deine Zeit in Wort und Bild bei Malina, alles Gute für alle Projekte!
Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971
im Interview und szenischem Fotoportrait_
Iris Julian_Performance Künstlerin, Kulturwissenschafterin
Interview und alle Fotos_Romanschauplatz _ Malina_Wien _ Walter Pobaschnig
Walter Pobaschnig, 5_22