Lieber David, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tagesablauf wird hauptsächlich durch meine Kinder bestimmt und beginnt mit zahlreichen Geduldsproben und Liebesbeweisen. Wenn alle versorgt sind kann ich mir eine Tasse Kaffee genehmigen und einmal kurz überblicken was nötig ist, um durch die Woche zu kommen. Sprich bevor ich meine eigentliche Arbeit mache, muss noch schnell dies oder das besorgt werden, oder ich hänge in einer Hotline oder Warteschleife fest, um nötige Papiere, Medikamente oder einen notwendigen Arzttermin zu bekommen.
Wenn ich dann noch ein Zeitfenster habe, kann ich Text lernen oder für aktuelle Proben recherchieren. Am besten kann ich das tatsächlich in den Morgenstunden. Da ist mein Kopf noch frisch. Die Proben beginnen meist um 10 oder erst um 11 Uhr. Wenn ich dann eine Stunde probiert habe, bekomme ich Hunger, der dann sofort gestillt werden will, weil ich sonst unangenehm werden kann. Wenn ich in den Proben nicht weiterkomme, muss ich darüber nachdenken was das Problem ist. Wenn das geklärt ist, brauche ich eine körperliche Betätigung, um im hier und jetzt zu landen.
Nach der Probe brauche ich eine Weile um runterzukommen. Am besten geht das mit den Kindern zusammen, indem wir zusammen spielen oder Fahrräder reparieren. Nach dem Abendbrot sind wir in einer downing Phase, die ich momentan mit ausnutze und sofort einschlafe.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich denke, ich kann nicht für alle sprechen. Da muss jeder Seins finden. Wenn ich für mich das Wichtigste auf einen Nenner bringen muss, ist es die Liebe. Ich muss mir immer wieder vergegenwärtigen, mit welchen Menschen ich mich umgebe. Was kann ich meinen Mitmenschen schenken und was brauche ich, damit ich nicht im Sarkasmus verende. Meistens ist dies mit der Frage verbunden, welche Hindernisse habe ich gerade, dass ich das, was ich brauche, aktuell nicht bekomme.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Schauspiel ist für mich ein permanenter Ausnahmezustand. Ich muss es fast täglich neu lernen, mich in diesem Ausnahmezustand wohl zu fühlen. Erschreckenderweise fing ich gerade an Brecht-Lieder zu recherchieren, als mich die Nachricht des Einmarsches der russischen Armee in die Ukraine ereilte. Ich war sofort von der Frage besessen: Wie weit wird er gehen? Will er tatsächlich bis nach Berlin zurück? Der Schock saß.
Putin ist der Aggressor, aber auch wir im Westen haben in den letzten Jahren einiges falsch gemacht. Unsere alten Lebenslügen gelten nicht mehr. Unsere industriellen Profite sind in Blut und Zerstörung gebettet. Das lässt sich spätestens jetzt nicht mehr leugnen. Wir haben uns in unglaubliche Abhängigkeiten manövriert. Wir müssen weg vom ewigen Wachstum. Dieses Wachstum ist nicht natürlich. Eher hat es die Form eines unendlich auswuchernden Krebsgeschwüres. Meine Hoffnung war, dass dieses Geschwür eines Tages implodieren wird. Der Schaden wäre immer noch immens. Aber ich dachte nicht, dass diese ewig schwelende Kriege wieder in dieser Form aufflammen werden. Gefühlt können wir im Moment nur falsche Entscheidungen treffen. Es kostet unglaubliche Kraft ruhig und besonnen zu bleiben. Insofern kann Theater vielleicht ermutigend sein, weil wir immer im Ausnahmezustand arbeiten. Unsere Kunst ist es, bei allen Turbulenzen den klaren Blick zu behalten. Es gelingt leider nicht immer.

Was liest Du derzeit?
Leider lese ich viel zu wenig. Ich liebe Biografien. Insbesondere die der Kunstschaffenden. Immer mit der Frage verbunden: Wie haben die das gemacht? Wie war das möglich? Durch das Pendeln bin ich ein Podcast- und Hörbuchjunkie geworden. Favourites sind: “Inside Austria”, “WTF happend to Ken Jebsen” oder die gängigen Formate vom “Blocktrainer”. Lisa Jopt “Wofür es sich zu looosen lohnt” (loosen mit drei o). Lisa und Johannes erzählen, quasi im Live-Format, ihre alltäglichen loosigsten Momente ihrer Schauspielkarriere. Da Lisa in Elternzeit ist, bin ich auf den “Spielplatz” ausgewichen. Dort haben sie wahnsinnig interessante Gesprächspartner. Klaus Pohls “Sein oder Nichtsein” habe ich mir auch als Hörbuch auf die Ohren gegeben, weil sich anscheinend zuerst kein Verlag fand, der das drucken wollte.
Jostein Gaarder “Der Geschichtenverkäufer” war tatsächlich das letzte Buch, das ich in einem Schwung ausgelesen habe. Ein ideenreicher Verleger, der ausgebrannten Schriftstellerinnen Plots verkauft und in Schwierigkeiten kommt, weil allmählich ähnliche Geschichten von unterschiedlichen Schriftstellerinnen im Umlauf sind.
Ansonsten lese ich viel Fachliteratur an. Zwischen Harry Potter und zahlreichen Kinderbüchern findet sich auch der ein oder andere Erotikroman wie “Perlen der Lust”. Für alle die sich böses dabei denken: Das sind Überbleibsel einer verhinderten Erotiklesung, die pandemiebedingt über die Recherche nicht hinauskam.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
“Was du nicht selbst machst, passiert nicht” oder “Wer kann einen Baum zeichnen ohne ein Baum zu werden?” Das ist, glaube ich, von Klaus Pohl und Joachim Meyerhoff: “Du musst schauen, dass Enthusiasmus nicht dein einziges Talent bleibt”

Vielen Dank für das Interview lieber David, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
David Kopp, Schauspieler _Lochau/Vbg
Alle Fotos_Marina Deronja
Aktuelle Produktion mit David Kopp:
Lüg mich an und spiel mit mir _Pension Europa 02
Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
Zum Teaser: https://vimeo.com/710817999
Do. 2. Juni 19:30 Uhr Premiere Wien
Fr. 3., Sa. 4., So. 5., Di. 7., Mi. 8. Juni jeweils 19:30 Uhr
im Werk X, Oswaldgasse 35a, 1120 Wien
Karten: reservierung@werk-x.at, T +43 1 535 32 00-11,
http://werk-x.at & www.aktionstheater.at
26.5.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.