„Die darstellenden Künste wurden plötzlich auf den Kopf gestellt“ Sarah Zelt, Schauspielerin _ Wien 22.1.2022

Liebe Sarah, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Als freischaffende Künstlerin ändert sich meine Alltagsroutine alle paar Wochen, manchmal auch alle paar Tage. Das hat sich durch die Pandemie nicht sehr geändert, eher ist es ruhiger geworden. Ich bleibe länger an einem Ort, Wien ist mir noch mehr ein Zuhause geworden und ich habe viele neue Seiten an dieser Stadt entdeckt. Spazieren gehen ist noch wichtiger geworden – als Denkzeit und Fundgrube für schöne wie kuriose Alltagsbegebenheiten.

Neben Proben hat auch die Schreibtischarbeit zugenommen. Mit dem Kollektiv Raumstation erkunde ich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft Stadt. Dabei sind wir eigentlich viel im öffentlichen Raum unterwegs, kommen mit Menschen ins Gespräch, wecken Neugier und erproben Zukunftsvisionen für eine lebenswerte Stadt für alle. Über die Pandemie haben wir uns mit dem Podcast „Bitte halten sie die Grünflächen rein und die Hunde fern“ sehr konzentriert mit Gemeindebau und Care auseinandergesetzt. Die dafür entstandenen Interviews lassen in verschiedene Alltagswelten hineinblicken. Diese Einzelgespräche haben mir noch einmal gezeigt, wie existentiell die Frage nach leistbarem Wohnraum gestellt werden muss. Da spitzen sich bestehende Konflikte und Ungerechtigkeiten durch die Pandemie noch zu.  

Sarah Zelt, Schauspielerin, Künstlerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Wertschätzend zu sein. Solange es die eigene Kraft erlaubt, Kommunikation aufrechtzuerhalten. Das ist sicher nicht leicht und stößt in der angespannten und emotionalisierten Lage, in der wir stecken, schnell an Grenzen. Aber den Versuch diese Grenzen zu verschieben und sich im Dialog näher zu kommen, finde ich unverzichtbar. 

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Sich nicht mehr selbstverständlich mit dem Publikum für das gemeinsame Kunstmachen treffen zu können, erlebe ich als große Lücke. Doch auch in der Distanz bleibt für mich künstlerisches Erleben unverzichtbar. Wesentlich ist für mich die Möglichkeit, weiter zu kommunizieren, zu trösten, sich zu ärgern, sich zum Lachen zu bringen, sich verletzbar zu machen und auch mal hilflos zu zeigen. Vor allem die darstellenden Künste wurden plötzlich auf den Kopf gestellt. Das hat oft weh getan, aber auch Willen zum Durchhalten freigesetzt. Und die Frage: was ist wirklich relevant an meiner Arbeit? Warum kann und will ich nicht damit aufhören?

„Normalität“ wird gerade grundlegend in Frage gestellt, dekonstruiert sich, setzt sich neu zusammen und das in sehr kurzer Zeit. Um damit umzugehen, braucht es glaube ich Vorstellungskraft und Fantasie – als kurze Ruhepause genauso wie als Motivation positiv zu bleiben oder zumindest mit seinem Pessimismus einen freundschaftlichen Bund einzugehen.

Was liest Du derzeit?

Puhh, mal wieder zu viel gleichzeitig: Entangled life von Merlin Sheldrake über das Leben der Pilze unter und mit uns, eine Beethovenbiografie, die mich an die Grenzen meiner musikalischen Kenntnisse bringt, Stadtkonflikte von Gabu Heindl (Empfehlung!) und Was ist der Mensch? Von Mark Twain (die ganz großen Fragen drängen sich ab und an auf)

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Kunst ist Chef.“ Jonathan Meese

Vielen Dank für das Interview liebe Sarah, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen vielseitigen Schauspiel-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:

Sarah Zelt, Schauspielerin, Künstlerin

Foto_Florian Liedel

18.1.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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