Lieber Martin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
6:20: Leise klettere ich aus dem Bett. “Meine Zeit” und die ist aktuell viel wert. Die nächsten 30 Minuten sind für nur mich reserviert. Ich mache mir einen Kaffee und beginne meinen Tagesplan.
6:23: Die Kleine torkelt verschlafen samt weißem Stofftiger herein. Die Familienzeit beginnt. Wir googlen nach „Babyhasen“.
6:40: Die Große kommt und testet sich für die Schule. Die geliebte Geliebte tapst müde zur Morgenhygiene.
7:00: Frühstück & Jause richten. Wo ist der Stofftiger?
7:30: Die Große schnappt sich ihren Rucksack und verlässt gutgelaunt die Wohnung.
7:45: Die geliebte Geliebte geht mit der Kleinen ins Bad. Danach ein schneller Tee. Der Stofftiger taucht im Wäschekorb wieder auf.
8:00: Ich rolle mit der Kleinen in den Kindergarten. Heiliges Abschieds-Winken vorm Kindergarten. Der Stofftiger winkt mit. Am Heimweg treffe ich den Postler, er klagt über das Weihnachtsgeschäft, seine Rückenschmerzen und „de Packl – Schlepperei“.

8:30: Die geliebte Geliebte workt emsig im Home Office.
8:45: Ich starte einen Proben-Durchlauf im Kinderzimmer. Ist “eh fast” wie auf einer richtigen Bühne. Die Stofftiere sind mein Regisseur.
10:30: Telefonat mit der treuen Agentin. Sämtliche Vorstellungen werden verschoben. Ich tu als, ob nichts wäre… was irgendwie auch stimmt.
12:45: So spät? Kann das sein? Was kochen wir? Die Große kommt gleich nach Hause. Ich will meine geliebte Geliebte interviewen. Sie weilt, zumindest mit ihrem oberen Körperdrittel, in einer Zoom Konferenz. Es läutet an der Tür.
12:46: Der Postler. Er ist redselig, hat ein „schwares Packl“ für uns und noch immer Kreuzschmerzen. Das Paket nehme ich ihm ab, die Kreuzschmerzen muss ich ihm lassen.
13:00: Die Große ist da und hungrig. In der Schule war es “schön”. Es ist immer schön. Wenn etwas nicht schön war, dann rückt sie erst später damit heraus.
13:30: Gemeinsames Mittagessen. Anschließend beginnt die Große mit der Hausübung. Ich pendel zwischen Küche und Kinderzimmer. Meine Gitarre liegt noch im Kinderzimmer.
14:45: Die geliebte Geliebte holt die Kleine vom Kindergarten ab.
15:00: Ramba Zamba. Die Kleine reitet auf ihrem Stofftiger durch die Wohnung.
15:01: Die Große schreit. Sie hat keine Ruhe bei der Hausübung.
15:30: Wo war der Unterschied zwischen einer Strecke und einer Geraden? Eh alles gleich… oder? Die geliebte Geliebte rettet uns.
15:45: Die Kleine will eine Jause. Ich denke kurz an meine Vormittagsprobe zurück …und erinnere mich, dass meine Gitarre noch im Kinderzimmer liegt.

16:00: Wir jausnen. Die Große kommt und meint kleinlaut, dass in der Schule nicht immer alles so schön ist. Sie beichtet uns ihren Bio Test.
16:45: Ich gehe mit der Großen Inline Skaten. Sie fährt in ein Hundstrümmerl.
17:30: Die Kleine baut einen Holzturm. Er landet auf meiner Gitarre. Verdammt.
18:30: Ab ins Bad. Der Stofftiger wird nass. Drama.
19:00: Sandmännchen und Abendessen. Ich inspiziere meine Gitarre. Kleiner Kratzer, aber sonst alles ok. Der Stofftiger wird geföhnt.
20:00: Die Kleine geht ins Bett. Wo ist der Stofftiger?
21:00: Die Kinder schlafen. Juhui! Wir auch gleich!
02:15: Die Kleine steht mit Stofftiger neben dem Bett. Sie muss pipi. Noch 4 Stunden, dann geht es wieder von vorne los.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Meine persönlichen 3,5 Gs:
• Gesundheit
•Gelassenheit
•Gute Grundstimmung
Wir müssen es schaffen gemeinsame Lösungen zu finden. Lösungen, die uns allen ein gutes Leben ermöglichen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ein Gefühl, welches mich zeitweise beschleicht ist, dass wir Kulturarbeiter gerade hart gegen eine wachsende Kunst- und Kulturlosigkeit anarbeiten müssen. Das scheint ein endloser Kampf zu sein. Wir versuchen im Lockdown unsere Seele zu beruhigen. Das macht jeder auf seine eigene Art. Einige lesen Bücher, andere hören Podcasts und viele machen es mit RTL. Ich wünsche mir, dass die Kunst eine bedeutendere und größere Rolle einnehmen soll als bisher. Vor allem um das Wort zu strapazieren, eine exponentiell Größere, als sie aktuell inne hat.
Ich mache mir Sorgen, dass nach dem „Neubeginn“ die kantigen, scharfen Ellbogen ausgefahren werden und die notwendige Solidarität auf der Strecke bleibt. Ich halte es für möglich, dass es zu einem kulturellen Überlebenskampf kommen wird. Oder, wie es der Gouverneur der Nationalbank zu Beginn der Pandemie ausdrückte, dass jede Wirtschaftskrise auch eine Reinigung ist. Das finde ich bedenklich, gerade für die kleinen Kunst- und Kulturstätten.
Des weiteren bin ich der Meinung, dass es unsere dringende Aufgabe ist, wachsam zu sein und unser Publikum vom Alltag abzulenken. Mein schönstes Geschenk ist es, wenn die Zuschauer nach einem Kulturbesuch mehr als die Garderobe und ihren Partner wieder mit nach Hause nehmen. Dann ist schon viel erreicht.
Was liest Du derzeit?
+Samuel Beckett – eine Biografie (von James Knowlson)
+1977 (von Philip Sarasin)
+ Das alte Testament (erzählt von Arik Brauer)
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Alles seit je. Nie was anderes. Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ (Samuel Beckett)

Vielen Dank für das Interview lieber Martin, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Kabarett-, Buchprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Martin Buchgraber _ Kabarettist & Autor
NeuStart
Fotos_1 Chaluk; 2,3,4 Clemens Maria Schreiner.
27.11.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.