„Literatur sollte gesellschaftlich viel zentraler wahrgenommen werden“ Bettina Frfr. von Minnigerode, Schriftstellerin _ Erlangen 16.1.2022

Liebe Bettina, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich schreibe ganztags, mit Unterbrechungen. Durch die Corona Pandemie bin ich viel länger und öfter zu Hause als früher, dadurch ist mein Alltag als Autorin also nicht beeinträchtigt. Andererseits ist es ein wesentlicher Mangel, keine Menschen im realen Leben treffen zu können. Und am meisten fehlen mir die kulturellen Veranstaltungen, die in Deutschland zum Teil gar nicht stattfinden konnten oder, wie zur Zeit, nur unter sehr erschwerten Bedingungen. Viele meiner KollegInnen und FreundInnen haben auch materiell sehr unter den eingeschränkten Auftrittsmöglichkeiten gelitten. Ich selbst habe im Jahr 2019 vor der Pandemie zwei Bücher veröffentlicht, einen Lyrikband und eine experimentelle „Erzählung“ aus Lyrik und Prosatexten, die natürlich aufgrund diverser abgesagter Lesungen nicht wirklich ihren Weg in den Markt gefunden haben. Das war sehr traurig. Im Frühjahr 2022 kommt nun ein Roman auf den Markt, er heißt „Kalle oder der Küchengötze“ und erscheint im März im Verlag Kulturmaschinen. Ich hoffe sehr, ihn auf der Leipziger Buchmesse vorstellen zu können. Und vor allem, dass ich da persönlich vor Ort sein kann.

Bettina Frfr. von Minnigerode, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich finde drei Dinge wirklich essentiell wichtig:

zum einen, dass wir alle dazu beitragen, diese elende Pandemie zu beenden. Mit Protesten und Impfgegnerschaft wird das nicht gelingen. Ich plädiere also wirklich an alle bisher Ungeimpften, sich die wissenschaftlichen Daten und Fakten anzusehen und für sich selbst die Risiken abzuwägen, die mit einer Erkrankung auch auf junge und scheinbar gesunde Menschen zukommen können.

Zum anderen leben wir nach wie vor mit der globalen Klimakrise, auch wenn dieses Thema vor dem Hintergrund der Pandemie in unzulässiger Weise vernachlässigt worden ist, sowohl in der medialen Berichterstattung als auch in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aber mit der globalen Erwärmung und einer verfehlten Politik, die die Klimaziele nicht einhält, wird dieses die gesamte Erde betreffende Problem ja nicht kleiner! Ich finde es unabdingbar, dass wir alle unseren Teil beitragen, vor allem aber, dass wir Parteien wählen, die die Klimaziele wirklich ernst nehmen.

Zum dritten das Dauerthema, das mich nicht erst seit kurzem beschäftigt: die soziale Ungerechtigkeit. Wir haben gerade in der Pandemie erleben müssen, in welchem Umfang die gesamte Bevölkerung auf unsere Infrastruktur, insbesondere auf das Gesundheitswesen, angewiesen sind. Menschen haben den überarbeiteten, unter völlig inakzeptablen Arbeitsbedingungen schuftenden Pflegekräften in unseren Krankenhäusern applaudiert, aber was hat sich zum Besseren an ihren Arbeitsbedingungen verändert? Viel zu wenig. Ja, sie müssen angemessenere Löhne erhalten, aber sie brauchen auch andere Arbeitszeiten, weniger anstrengenden Schichtdienst, mehr Personal, bessere Pausen-, Freizeit- und Urlaubsregelungen. Seit vielen Jahren wissen wir um die inakzeptablen Bedingungen für das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Altenheimen, aber der Sparkurs unserer bisherigen und auch der neuen Regierung hat keine echte Abhilfe geschaffen. Und jetzt, in der Pandemie, werden diese Defizite eklatant deutlich. Es gibt aus viel mehr Bereichen des Lebens Beispiele für die soziale Ungerechtigkeit in unseren Ländern, aber ich schreibe hier ja keinen Essay.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Die Rolle der Kunst, und insbesondere der Literatur, die ja ihre Kunst mit Worten erschafft, muss und sollte gesellschaftlich viel zentraler wahrgenommen werden. In Zeiten zunehmender Lesemüdigkeit zugunsten von Medien wie Serien und Filmen wäre es wichtig, im öffentlichen Leben das Lesen von Büchern und die Rolle der Literatur viel stärker in den Fokus zu nehmen. Bücher können und sollten weiterhin den gesellschaftlichen Diskurs mitbestimmen. Wir AutorInnen können mit politischen Themen oder Aspekten von politisch relevanten Themen viel zur Bewusstseinsbildung und Meinungsbildung beitragen. In jeder unserer schriftlichen Äußerungen kann und sollte m.E. das Politische eine Rolle spielen. Vielleicht nicht immer zentral als Thema im Mittelpunkt stehen, das wäre sicher nicht immer möglich, aber wenigstens kann sich die LeserInnenschaft mit den wichtigen politischen Fragen der Zeit auseinandersetzen, auch in Romanen oder Lyrik.

Was liest Du derzeit?

Ich lese so oft und viel, wie ich es zeitlich schaffe. Im Augenblick gerade die Bücher eines Kollegen, mit dem ich durch gegenseitiges Lektorat unserer Bücher eng zusammenarbeite. Immer wieder lese ich Lyrik von befreundeten AutorInnen, aber auch deren Romane und Kurzgeschichten. Oder Essays. Meine Bücherstapel wachsen stetig an, ich komme trotz Viellesens kaum dazu, sie abzutragen.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Was braucht eine Frau, um sich als Schriftstellerin durchzusetzen? Zu Virginia Woolfs Zeiten ebenso wie heute? Ein Zimmer für sich allein und ein eigenes Einkommen! Ersteres habe ich, zu Letzerem könnt Ihr alle beitragen, indem Ihr fleißig meine Bücher lest und kauft!

Vielen Dank für das Interview liebe Bettina, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Bettina Frfr. von Minnigerode, Schriftstellerin

Foto_privat.

10.1.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s