Schönen Guten Morgen, liebe Constanze Sophie Passin, Schauspielerin, hier im
Biedermeier Hotel Wien in der Ungargasse, dem Romanschauplatz „Malina“!
Herzlichen Dank für das Interesse und die Teilnahme am Projekt zum 50-
jährigen Romanjubiläum!

Romanschauplatz _ Malina _ Wien
Du hast bereits in Deiner Schulzeit den Roman „Malina“ gelesen und dieser
war auch teil Deiner Abschlussprüfungen. Wie kam es dazu und was sind
heute Erinnerungen daran?
Es war in der Maturaklasse und wir hatten eine ganz phantastische Deutsch Professorin und ich wollte für die Abschlussprüfung ein gutes Thema finden. Wir sind dann relativ schnell draufgekommen, dass mich Frauen in der Literatur sehr interessieren und auch der feministische Ansatz und die Fragen nach Selbstbestimmtheit. Und dann sagte meine Professorin, dass der Roman „Malina“ von Ingeborg Bachmann da fast unumgänglich sei (lacht). Und dann habe ich den Roman gelesen und es wurde zu meinem Matura-Thema.
Es hat zum Glück auch sehr gut funktioniert, sonst hätte ich eine Vier bekommen (lacht). Aber dadurch, dass die mündliche Prüfung so gut war, ist es dann sehr gut geworden 🙂

Das Lesen des Romans hat mich damals sehr mitgenommen und als ich jetzt wieder reingelesen habe, war sofort diese Erinnerung, dieser Geruch von der Zeit damals da. Es scheint mich doch sehr geprägt zu haben.

Das war auch die Zeit der ersten großen Liebe, wo alles so wichtig ist, wo man
so sehr beim Andern ist, dass man gar nicht mehr bei sich ist und seinen
Entscheidungen, sondern nur mehr darauf wartet, wann kommt die nächste
Nachricht (lacht).



Es ist so existentiell, so absolut tief, da dreht sich alles nur
darum, wie die Ich-Erzählerin bei Ivan, dieses „bei ihm sein“ ist – wann ruft er an,
dieses stundenlange Dasitzen, wo geht er hin, was sagt er?

Es war auch wahnsinnig interessant, wie ich draufgekommen bin, im Zurückblättern, wieder lesen – damals hat man ja noch nicht gegoogelt (lacht) – dass Malina ja ein Teil ist, der in ihr herrscht. Da habe ich mich auch sehr stark wiedererkannt, in diesen zwei Teilen. Aber dies trifft wohl auch auf einen Mann zu und ist total unabhängig von Mann oder Frau, diese Teile, die in einem kämpfen.

Ich habe viele, viele Jahre gebraucht, dass da kein Kampf mehr ist, sondern dass beides in totaler Gelassenheit existieren kann in mir, wenn man das so benennen will als männlichen und weiblichen Teil. Oder dieser fokussierte, klarere Teil und dieser weichere Teil, warum auch immer das als männlich oder weiblich gesehen wird.

Wie gestaltete sich die pädagogische Aufbereitung, Begleitung in der Schule bei
der Texterarbeitung?
Malina habe damals nur ich gelesen, jede/jeder hatte da eigene Matura-Themen. Meine Deutsch Professorin hat wohl das literarische Interesse bei mir gesehen und sie hat mir dann Malina empfohlen und mich total begleitet dabei in dieser Zeit.

Wir haben viel darüber gesprochen und ich habe auch darüber geschrieben. Aber ich weiß nicht ob eine Lehrerin diese entstehende Innerlichkeit in einer Vollzeitbetreuung auffangen könnte, natürlich ist man da alleine mit seinen Gedanken und der Emotionalität, der Angst, den Albträumen im Roman, wo es einem halt hinzieht beim Lesen. Aber ich denke ich war da schon alt genug.

Und dann gab es die Vorbereitung auf die Matura. Wir hatten da eine total gute Sprache miteinander. Ich fühlte mich richtig toll vorbereitet und Malina war dann eigentlich auch das, was die Jury interessiert hat. Die hat alles andere gar nicht so interessiert, die haben sich total auf Malina geschmissen (lacht).

Erinnerst Du Dich an einen Malina-Gesprächsinhalt, -impuls mit Deiner
Professorin oder der Jury (Prüfungskommission; Anm.)?
Die Jury war zuerst etwas skeptisch mir gegenüber, dass ich das in meinem Alter behandle, was ich einerseits sehr gut verstehen kann. Ich weiß jetzt nicht was die Fragen waren, aber es wurde schon sehr detailliert gefragt und viel über den Teil, dass das Weibliche stirbt am Ende oder unterdrückt wird, sich auflöst oder verschwindet. An das kann ich mich erinnern.

Von den Gesprächen mit meiner Professorin weiß ich, dass wir auch viel über „Die blassblaue Frauenschrift“ (Franz Werfel; Anm.) dazu gesprochen haben und die Ähnlichkeiten darin. Aber sonst, es ist wirklich schon sehr lange her (lacht).

Wo hast Du maturiert?
Ich habe in der Waldorfschule der Stadt Salzburg maturiert. Dabei ist ja das Maturajahr entkoppelt und es kommen Professoren von außen an die Schule zum Unterricht. In Deutsch war es eine Professorin von der Universität. Der Mathe Professor kam auch von der Uni, manche kamen von anderen Schulen. Und ich bin so dankbar für diese Frau, die mich zu Malina als Matura-Thema herangeführt hat. Sie hat viel bewirkt.


Welche Literatur von Frauen war in der Schule noch Thema?
Wir haben grundsätzlich über Frauen in der Literatur gesprochen, was dann auch später, als ich mit Theater in Verbindung gekommen bin, eine Rolle gespielt hat. Es waren aber eher die literarischen Seiten, die wir in der Schule behandelt haben. Genaueres, da müsste ich auf dem Dachboden nachschauen was es von der Matura da noch gibt (lacht).

Welche Gedanken, Zugänge hast Du jetzt, im Zuge dieses Jubiläumsprojektes,
zum Roman Malina?
Jetzt ist für mich natürlich total interessant, wo ich stehe, wenn ich es lese. Was
hat sich bei mir getan? Wie lese ich Dinge jetzt anders?


Man kann den Roman ja sicherlich fünf, sechs Mal in seinem Leben lesen in unterschiedlichen Altersstufen und man wird immer wieder auf andere Dinge draufkommen, die einen ansprechen.

Jetzt beim Lesen war ich wahnsinnig erleichtert, dass ich so einen Kampf nicht austragen muss.



Und dass sich natürlich gesellschaftlich extrem viel getan hat, noch nicht genug (lacht), aber es hat sich viel getan seitdem und ich total froh sein kann, alles zu leben was ich möchte, Teile in mir leben zu können, die ich möchte. Gut, da gibt es natürlich noch die ganzen Abgründe (lacht).



Ich konnte den Roman jetzt einfach anders lesen, ich weiß nicht wie ich das
beschreiben soll, oh Gott, ja, ich bin froh, dass das hinter mir liegt (..hoffentlich).



Dass ich, glaube ich, relativ gesund, emotional gesehen, lebe – was ich auch
brauche in dem Job, den ich mache. Das war jetzt, was mich beim Lesen
bewegte, faszinierte oder erleichtert hat.

Und dass ich die Sprache noch einmal ganz neu wahrgenommen habe. Die einfach krass ist. Zwei Seiten alleine sind so brrrrr. Das ist eigentlich wie ein Trip das Buch. Da klingt auch wieder Intensives, Schönes, Tolles an.


Wie nimmst Du die Intensität eines Textes wie Malina auf? Wie gehst Du da vor?
Ich lese meistens so wie ich sprechen würde, deswegen brauche ich auch länger für ein Buch (lacht). Ich merke beim Lesen wie sich mein Lesetempo innerlich verlangsamt oder beschleunigt.

Ich will reinleben, wenn ich etwas lese, deswegen brauche ich auch länger. Ich merke im Lesen, wenn, musikalisch gesehen ein Tempowechsel drin ist, es wird schneller oder es wird langsamer und ich muss dann etwa eine Pause machen, zurücklesen, oder nach vor gehen, weil ich mich frage, wo sind wir jetzt gelandet wie sind wir da hingekommen,
wo waren wir gerade noch (lacht)? Es ist ein krasses Hin- und Herspringen.

Und dann lese ich reingepackt in diese vollen Tage so bald es halt geht. Im Bus war es schwierig zu lesen, in der U-Bahn leichter, weil es geradeaus geht (lacht). Ich merke dann auch wie die Welt draußen im Lesen richtig ruhig wird, ich brauche da keine Kopfhörer mit Musik drin sondern es passiert so ein Raum. Da muss ich zwischendurch gucken, wo ich bin, dass ich nicht bis zur Endstation fahre (lacht).






Liest Du auch laut zuhause?
Laut lese ich ehrlich gesagt nur, wenn ich mich mit Rollen beschäftige. Was ich in meiner Freizeit lese, lese ich eigentlich nie laut. Gedichte vielleicht manchmal, um sie klingend zu hören. Aber ich finde es eher komisch, laut zu lesen. Aber ich lese gerne vor (lacht).



Ich danke vielmals für die Vorbereitung zu diesem Interview/Fotoshooting in Text und Style, es ist sehr beeindruckend wie Du die Zeit des Romans und Ingeborg Bachmann gleichsam hier in den Raum mitbringst und diesem zur Bühne des Romans machst, verwandelst! Wie gehst Du in Deinem Beruf als Schauspielerin an Rollen heran? Welche Bedeutung kommt dabei der Mode zu?
Früher habe ich die Theaterstücke gelesen und da kam sofort in meinem Kopf – ja, da muss ich so was tragen, da brauche ich? – ich bin da von Außen rangegangen, ganz stark über Kostüme und die haben mir extrem geholfen.

Und natürlich die Schuhe als Extremstes, weil sie den Körper komplett verändern.

Auch privat ist mir Mode sehr wichtig. Ich habe aber keinen Stil, es ist bei mir ganz breit gefächert und trage das, worauf ich Lust habe und es muss einfach passen und manchmal brauche ich dann länger, weil ich merke, es fühlt sich nicht richtig an (lacht). Und dann muss ich auch mal mit Jogginghose raus (lacht).

Und bei Ingeborg Bachmann habe ich mir natürlich nochmal die Fotos im Internet angesehen, klar weiß man wie sie ausgesehen hat und man kennt die Zeit. Und ich dachte perfekt, das habe ich alles Zuhause und würde ich auch selber tragen.

Kleidung auszuwählen fällt mir meistens leicht, aber es kann auch schon mal
eine Krise sein, wenn ich etwa zu einer Gala eingeladen bin, das stresst mich auch (lacht).

Mittlerweile gehe ich zum Kostüm über den Text ran, da wird alles Wichtige beschrieben, wie spricht diese Figur und daraus ergibt sich später das Kostüm was es dann hebt, richtig macht. Das hat sich etwas geändert, das von Draußen raufpacken brauche ich jetzt nicht mehr so.

Und ich bin immer so gespannt, was die Kostümbildnerinnen sich überlegt haben. Ich liebe es in unterschiedlichen Rollen den Style, die Zeit zu leben. Ich liebe Epochen in der Geschichte und könnte mich da richtig reinfallen lassen, würde dann am Liebsten in so einer Wohnung der 50er/60er, wie auch immer, leben wollen (lacht).
Das liebe ich, Architektur, Möbel, Mode



War die Beschäftigung mit Malina in der Schulzeit auch für Dein weiteres Interesse an Mode, Architektur in den Zeiten ein Impuls?
Mein Modestil, der ja keiner ist (lacht), hat sich, glaube ich, erst später geformt. In der Schulzeit waren ja die Modemarken total wichtig, da hatte man ja gar keine Chance einen eigenen Stil zu finden. Ich glaube, dies hat sich jetzt etwas geändert. Wenn ich mir jetzt die Schülerinnen angucke, die sind da viel freier.

Damals war Mode für mich – ich habe sehr gerne schöne Sachen getragen – eher danach orientiert, was sollte ich anziehen als worauf habe ich jetzt Lust oder was trage ich jetzt gerne, habe ich Bock auf einen Rock oder eine zerrissene Jeans.


Für mich war der Umzug von Deutschland nach Österreich total prägend. Meine Eltern sind Musiker und ich bin in Berlin groß geworden. Und da war alles total international, es war vollkommen wurscht ob du eine Frau oder ein Mann bist, in Berlin sowieso, da habe ich nie darüber nachgedacht.

Und dann bin ich in dieses schöne Dorf gekommen und da wirst du dann mit Dingen konfrontiert. Und dann auch als Deutsche, das war schwierig.

Dieses Frauen-Stärken, sich nicht zum Opfer machen lassen, das war früh da. Mein Gerechtigkeitssinn war immer schon stark… was ich mich mit Jungs
geprügelt habe… (lacht).

Später dann, dass man für Solidarität, Akzeptanz und Toleranz steht. Dieses „es ist doch wurscht was ich bin und wenn ich ein Alien bin“ (lacht). Das war total früh da und deswegen war wohl auch das Thema Frauen in der Literatur schon in der Schulzeit interessant.

Wie ist es für Dich als Schauspielerin, wenn Du Mode und Kostüm der Zeit in
einer Rolle auf- und annimmst?
Mode ist für mich, wie gesagt, total wichtig. Nicht was gerade in Mode ist sondern Mode an sich, Kleidung, Stoffe.



Es macht ja so viel aus, was Du auf Deiner Haut trägst. Ob Du etwa Seide oder so ein Kunststoffding trägst, das bewirkt ja etwas mit dem Körper und du kannst das sehr gut nützen für eine Rolle.
Wenn es kratzt und piekst, kann es auf der Bühne in der Rolle phantastisch sein (lacht), oder auch ein Korsett. Du fühlst dich dann einfach anders und wenn du dich in der Mode zeitnah fühlst und dir dann auch noch Haltungen der Zeit ansiehst, die Musik anhörst, das macht etwas. Alles fügt sich so und ist hebend.

Neben dem Text finde ich persönlich den Style am Wichtigsten (lacht). Nein, natürlich die Kolleg*innen, die Regie, Bühne. Aber für mich persönlich ist der Text und dann was sie trägt am Interessantesten, weil es mich auch fasziniert.

Du hast Dich mit den Modestil Ingeborg Bachmanns für dieses Projekt beschäftigt, hast Dir Fotos angesehen. Wie würdest Du ihren Modestil beschreiben?
Ingeborg Bachmann hat in der Mode einerseits etwas total Unprätentiöses, ich denke da an ein Foto, wo sie ein Kleid trägt und ich dachte da, nee, das passt jetzt aber gar nicht. Es ist aber logisch, sie ist ja nicht immer am Präsentierteller und kann ja tragen was sie will (lacht).
Ingeborg Bachmann ist ja eine, Stilikone ist jetzt nicht das richtige Wort, eine wesentliche Figur für uns – diese Frau, die so intensiv geschrieben hat und so einen dramatischen Tod hatte.

Was ich auch interessant fand, waren die Frisuren und dieses Ungeschminkte. Eben auf der einen Seite unprätentiös und auf der anderen Seite dieser lässige, schöne, coole Style.

Man müsste da jetzt einen Fotoband ansehen, um Näheres zu sagen aber sie hat schon diese beiden Seiten, das passt auch zu Malina finde ich. Ich finde es auch total gut, dass sie einerseits dieses Weibliche wie auch Männliche trägt.

Manches wirkt dann modisch fast etwas bieder bei Bachmann. Ja, ich müsste da mehr darüber wissen, möchte aber an dieser Frau jetzt sowieso etwas dranbleiben.

Mein Vater, der leider schon verstorben ist, hat Ingeborg Bachmann persönlich kennengelernt, weil er mit Paul Celan bekannt war. Ich hätte ihn da jetzt gerne noch einiges gefragt dazu. Vielleicht habe ich meinen Vater auch bei der Matura danach gefragt, ich weiß es nicht.

Ich würde meinen Vater jetzt gerne fragen wie sie so gewirkt hat im Raum, das Gefühl, was seine Wahrnehmung von ihr war.

Von Marilyn Monroe gibt es so viele Fotos, da hat man es natürlich leicht, aber von Ingeborg Bachmann gibt es nur ein paar, so weit ich weiß.
Dein Vater war mit Paul Celan und Ingeborg Bachmann bekannt?
Ich weiß, dass mein Vater mit Paul Celan bekannt war und das Paul Celan irgendwann mit Ingeborg Bachmann zu einem Treffen kam, mehr weiß ich, wie gesagt leider nicht Mein Vater war Oboist in Berlin.

Der Roman Malina hat ja eine dreiteilige Kapitelstruktur. Wie siehst Du diesen
Aufbau und die Aussagen darin?
Ich sehe es etwas wie eine Fahrt in die Hölle (lacht), diese Albträume etwa.


Wie so eine Zerfleischung sehe ich es, wie einen Kampf in Aufbäumen und Auflösen.















Ich empfinde es wie gesagt wie einen Trip, den man auch mit ein bisschen Sinn für Wahnsinn nachvollziehen kann (lacht), die Stufen, die da passieren.
Die Begegnung, Beziehung mit Ivan stehen am Anfang der Romankapitelfolge und sind betitelt „Glücklich mit Ivan“. Welche Zugänge gibt es da für Dich?
Von Anfang an fühlt es sich ja nicht gleich an zwischen den beiden und tatsächlich kann ich kein „Glücklich mit Ivan“ sehen. Ich finde da nichts glücklich daran. Ich habe nicht das Gefühl, dass es auf Beiderseitigkeit beruht – dieses „Gar nicht voneinander lassen können“ – das empfinde ich da nicht so.

Die Bezeichnung Glück ist im ersten Kapitel schon sehr interessant. Es ist eher
ein Wahnhaftes „Ich bin glücklich“ von dem/der Ich-Erzählerin.




Mich hat das ein wenig erinnert an eine Freundin von mir, die vor kurzer Zeit über einen Mann erzählt hat, wo ich dachte „…oje“ und dieses „oje“ ist da beim Lesen wieder
passiert (lacht). Es ist diese ungesunde Abhängigkeit, die einem so weh tut und
die man natürlich von sich kennt.

Deswegen finde ich das erste Kapitel, man muss da ja erst mal reinfinden in das Ganze und man muss sie etwas verstehen, nicht als „Glücklich mit Ivan“. Es ist eine Verliebtheit bei ihr aber kein Glücklich-Sein.

Wie würdest Du dieses Ivan-Kapitel betiteln?
Wo ist Ivan? (lacht). Irgendwas mit einer Wartehaltung, um dieses „Ich bin nur
bei Dir“ auszudrücken. Oder einfach nur „Ivan“.



Wir blicken hier vom Fenster auf den Romanschauplatz in der Ungargasse und
unweit davon liegen auch die zentralen Wohnorte Ingeborg Bachmanns in
Wien. Wie wichtig sind Orte für Dich?
Orte sind extrem wichtig. Sie prägen ja unsere Erinnerungen von Kindheit an. Die Gerüche, den Klang, das Licht, die ein Ort hat, dies ist ja alles so eingeprägt.

Wie etwa bei einem Lied, wenn Du genau weißt, da, mit dem Menschen, der Ort, der Geruch. Orte sind ja der Platz, wo Begegnungen stattfinden, die unser Leben
ausmachen.

Ich liebe es, neue Orte kennenzulernen.

Für den Film finde ich Orte viel wichtiger als für das Theater. Im Theater ist es ja fast deprimierend an Orte zu denken (lacht), denn da stehst du ja auf der Bühne und hast ein Bühnenbild. Der Ort muss da im Kopf stattfinden. Im Film kannst Du den Ort ja einfangen.

In der Literatur ist das dann nochmal ganz anders, da findet es ja nur im Kopf
statt.
Ich finde es sehr spannend im Lesen einen Ort zu kreieren, weil es nur dein Bild, dein Ort ist. Da ist ein Weg, ein Hügel, das wird zu deinem Ort, der immer da ist. Wenn Du an das Buch denkst, siehst du das und das finde ich so toll.

Die Liebe im Roman Malina und die Liebe heute. Hat sich da etwas verändert?
(Kopfschütteln) Nein, ich glaube, die Liebe kann sich gar nicht verändern (lacht),
die ist was sie ist.

Die Liebe kann sich in uns entwickeln, aber allgemein ist die Liebe die Liebe. Deswegen entwickeln wir Menschen uns ja auch nicht unbedingt weiter (lacht).
Das wir da stehen, wo wir schon immer standen, eigentlich, bei Besitzdenken,
Neid.

Man kann jetzt Liebe nicht lernen, aber was bedingungslose Liebe betrifft, das
kann man lernen. Oder konnte ich vielleicht lernen. Dass ich sage, das ist der
Mensch und wenn es bedeutet, dass er glücklich ist und mein Weg mit diesem
Menschen nicht weitergeht, ist es doch schön, auch wenn ich dann leide, leiden
muss. Dies betrifft jetzt auch Freundschaften. Solche Dinge kann man, glaube
ich schon lernen. Aber sonst verändert sich die Liebe nicht.

Wie siehst Du das Ende des Romans?
Dieses Verschwinden am Ende ist wie ein Luftzug, der sich noch einmal leicht
hebt und dann stürzt.





Das Schlimme ist dieses Aufgeben der Ich-Erzählerin, dieses „Sich nicht einmal
dagegen wehren“. Dieses „mit sich machen lassen“ oder „mit sich selbst
machen“, dieses Selbstzerstörerische. Das ist sehr traurig eigentlich, sehr, sehr
traurig.

Man kommt natürlich nicht umhin den Tod Ingeborg Bachmanns auch immer
mit dem Romanende zu sehen.

Dieser Roman ist wahnsinnig mutig. Es ist ein extrem mutiges Werk sich mit all
diesen Fehlbarkeiten, dem Nicht-Können, Nicht-Zutrauen, mit all diesen Seiten
so auseinanderzusetzen, in so einer Ehrlichkeit, das ist so bewundernswert.

Malina war ein Teil Deiner schulischen Matura, der Reifeprüfung. Ist der
Roman auch heute für die Leserin/den Leser eine Art persönliche Reifeprüfung
in Liebe, Selbstbild, Selbstbegegnung?
Ja, ich glaube, dass sich jeder darin erkennen kann. Das jeder Anteile davon in
sich hat, Opfer, Täter.


Klar, fünfzig Jahre später, Emanzipation, endlich gendern, aber im Roman geht
es nochmal unabhängig davon um den Teil in Dir, für den du dich entscheidest
oder ob du alle Teile leben lassen kannst. Deswegen ist es wie ein Lebensroman,
den man in mehreren Lebensphasen lesen kann.

Für mich persönlich ist es sehr interessant, den Roman mit achtzehn Jahren
gelesen zu haben und jetzt wieder und dazwischen gar nicht. Aber dazwischen
alles Mögliche durchgemacht zu haben was da auch so drin ist im Roman
(lacht).
Und dann bin ich gespannt, wenn ich den Roman nochmal lese, mit sechzig oder so (lacht).
Der Aufschrei, steh doch für Dich ein, endlich, sei doch stark, liebe diese Anteile in dir, hör doch auf so abhängig so sein, das ist natürlich stärker jetzt. Und ich glaube, das ist bei vielen stärker.
Wie siehst Du die Persönlichkeitsanteile, die in der Liebe ans Licht kommen?
Total spannend (lacht).
Ich finde es schön, so viele Persönlichkeitsanteile zu haben und manchmal muss man halt zurückstecken, nicht als Schwäche, es darf da sein, aber es würde jetzt etwas zerstören.

Man kann sich natürlich in manche Dinge ganz schön reinschmeißen, Eifersucht etwa.

Man sollte im besten Falle allen Persönlichkeitsanteilen in der Liebe Raum geben. Alle emotionalen Teile dürfen da sein, dann ist es gesund.

Wenn du etwas unterdrückst und wegdrückst, ist das meiner Meinung nach nicht gesund
auf Dauer.

Alles muss die Möglichkeit haben, da zu sein und dann muss es eine
Balance kriegen. Wenn`s klappt (lacht). Man macht es ja jeden Tag irgendwie
durch (lacht).


Malina ist auch wesentlich ein Wien Roman. Was bedeutet Dir Wien?
(lächelt) Wien ist ein Zuhause geworden und war für mich wahnsinnig wichtig.
Ich habe von 2003-2005 an der Uni Wien studiert, bevor ich dann Schauspiel in
Salzburg studiert habe. 2014 bin ich dann wieder hierhergezogen. Hier leben
ganz viele liebe Menschen von mir und die Stadt ist natürlich extrem lebenswert
und ja weltweit im Ranking ganz oben (lacht).
Ich finde aber man sollte zwischendurch immer wieder mal weg, um sich neue
Impulse zu holen.

Wien bietet alles was man so braucht, Weinberge (lacht), Donau, wunderschöne
Architektur, da ist viel Liebe zur Stadt.
Du bist in Berlin aufgewachsen. Wo liegen für Dich Gemeinsamkeiten und
Unterschiede der Städte Berlin und Wien?
Die gehören fast ein bisschen zusammen, finde ich (lacht).
Auch wenn Berlin natürlich eine ganz andere Geschichte hat, das kann man dann wieder so gar nicht vergleichen. Aber alleine durch die Kunstszene sind die Städte sehr
verbunden.


Wien und Berlin zu kombinieren ist ziemlich beflügelnd. Wobei ich Wien ein
bisschen unbunter empfinde als Berlin. Aber das liegt an Berlin (lacht).
Ist die Mentalität der Menschen beider Städte ähnlich?
Nein. Man sagt immer die Berliner sind so – Berliner Schnauze – und ich finde
sie aber sehr herzlich und humorvoll eigentlich. In Berlin kriegst du an der Kasse
einen Spruch und dann lachst du gemeinsam.

Der Wiener Humor, Schmäh, ist da etwas Besonderes. Den muss man kennenlernen, dann mag man ihn auch, ich kann darüber lachen, und er klingt ja auch im Roman an und durch.


Romanschauplatz _ Malina _ Wien
Herzlichen Dank, liebe Constanze Sophie, für Deine Zeit in Wort und szenischer Darstellung hier am Romanschauplatz „Malina“! Viel Freude und Erfolg für alle Theater-, Schauspielprojekte!
50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch und szenischem Fotoporträt:
Constanze Sophie Passin, Schauspielerin
http://www.constanzepassin.com/
Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _Wien
Station bei Ingeborg Bachmann_Malina.
Walter Pobaschnig 12_21
Vielen Dank für das schöne Interview und die wiedereinmal tolle Bilderstrecke am Ort meiner Kindheit und Jugend!
LikeLike