„Dieser Aspekt der Kommunikation bzw. Nicht-Kommunikation verstärkt sich in der Gegenwart“ Janine Hickl, Schauspielerin_Romanjubiläum Malina_Wien_3.10.2021

Janine Hickl_Schauspielerin/Sängerin/Tänzerin _
am Romanschauplatz Malina_Wien

Liebe Janine, herzlich willkommen hier in der Ungargasse in Wien dem Schauplatz des Romans „Malina“ von Ingeborg Bachmann. Was sind jetzt Deine ersten Eindrücke nach dem Fotoshooting am Dach des Hauses?

Ich bin, besonders von dem wunderschönen Ausblick über Wien, begeistert. Wir sind ja soeben auf das Dach geklettert und haben Wien, den Romanschauplatz Malina, von oben gesehen. Es ist wahnsinnig schön, auf diese Art in Literatur einzutauchen und diese Verbindung zu spüren und zu sehen. Ich denke, ich werde das Buch jetzt nochmal lesen, weil ich es mir noch besser vorstellen kann.

Was bedeutet Dir Wien?

Wien ist meine Heimatstadt, ich bin hier geboren und lebe hier, obwohl ich eine ziemliche Weltenbummlerin bin und gerne verreise, wenn es möglich ist. Dieses Rauskommen aus Wien tut mir immer sehr gut. Es ist außerdem der Ort, wo meine Familie, meine Freunde leben und wo ich mir beruflich etwas aufgebaut habe.

Diese Stadt ist nicht grundlos eine der lebenswertesten Städte weltweit und ich weiß das Privileg sehr zu schätzen, in dieser Stadt leben zu können.

Gab es von Dir zum Romanschauplatz hier im dritten Wiener Gemeindebezirk bisher Berührungspunkte? 

Ich hatte im Theater L.E.O., gleich nebenan in der Ungargasse mehrere Konzerte. Ansonsten gab es bisher keine näheren Berührungspunkte.

Welche Zugänge hast Du zu Ingeborg Bachmann und ihren Wienroman Malina?

Im Zuge dieses Projektes zum 50jährigen Romanjubiläum kam ich zum ersten Mal in intensivere literarische Berührung mit Ingeborg Bachmann. Ihr Roman „Malina“ hat mich sehr ergriffen. Die Protagonistin ist eine sehr zerrissene, emotionale Person. Gleichzeitig ist sie aber auch beinhart in ihren Entscheidungen. Diese Wandlungsfähigkeit hat mich überrascht.

Für mich sind die Zerrissenheit und die Leidenschaft, die nicht den Mut findet sich preiszugeben, die Kernthemen des Romans. Und natürlich die Einsamkeit in der Leidenschaft, der Liebe und die Tragik, die das alles mit sich bringt.

Der Roman hat allerdings schon eine gewisse Schwere und Dunkelheit, die natürlich auch passend zum Herbstbeginn ist (lacht).

Was hat sich in Beziehungswirklichkeiten in 50 Jahren verändert?

Schwer zu sagen, ich denke, es ist dann letztlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Im Roman sind ja die Telefongespräche, die Erreichbarkeit und das Nichtmelden ein großes Thema. Ich denke, dass ist auch heutzutage präsent.

Man ist dauernd und viel schneller erreichbar und gleichzeitig bewirkt das, dass man nie wirklich erreichbar ist. Ich weiß, dass dieses Nicht-Antworten viel anrichten kann.

Ob es das Telefon damals oder whatsapp heute ist. Man weiß, ob die Person eine Nachricht gelesen hat, ob sie online ist. Das ist ein Aspekt, der wirklich zerreißen kann und wehtut, auch wenn es dem anderen gar nicht bewusst ist.

Dieser Aspekt der Kommunikation bzw. Nicht-Kommunikation im Roman, diese Verletzungen und Verletzbarkeiten wiederholen sich jetzt nach 50 Jahren bzw. verstärken sich.

Und natürlich ist auch die Zerrissenheit ein Aspekt der Gegenwart. Weil so vieles möglich ist, man so einfach Menschen kennenlernen kann und viele Vergleiche hat.

Ich habe mir darüber schon viele Gedanken gemacht. Es ist schwierig. Liebe ist immer schön und schwierig zugleich.

Was würdest Du der Protagonistin im Roman als fiktive Freundin empfehlen?

Vermutlich wäre ich eher die Protagonistin selbst als die gute Freundin (lacht) aber ich würde ihr raten, auf ihr Herz hören. Selbst wenn ich die gute Freundin wäre, würde ich mir sehr viele Gedanken dazu machen (lacht).

Wenn Du die Protagonistin selbst wärest, wie würdest Du im Beziehungsspannungsfeld zwischen den Protagonisten Ivan und Malina agieren?

Vermutlich sehr ähnlich (lacht). Es ist nicht umsonst eine Geschichte, mit der man sich gut identifizieren kann. Ihre emotionale Ladung kann ich auf jeden Fall nachvollziehen.

Die Protagonistin und Ich-Erzählerin lernt Ivan vor einem Blumengeschäft, um die Ecke von hier, kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Gibt es für Dich Liebe auf den ersten Blick?

Definitiv! Vielleicht nicht gleich Liebe, da kommt es vor allem darauf an, wie man “Liebe” definiert aber dass es Begeisterung und auch Chemie auf den ersten Blick gibt, davon bin ich überzeugt. Man fühlt sehr schnell, ob man mit einem Menschen auf einer Wellenlänge ist und dazu braucht es oft nicht mehr als ein paar Worte oder Blicke. Ich denke, je älter, erwachsener man wird, desto mehr spürt man diese Verbindung im Moment der ersten Begegnung.

Im Roman sind die Beziehungswirklichkeiten in der Dominanz des Mannes gegenüber der Frau festgelegt. Wie siehst Du dies heute?

Naja, die Protagonistin richtet sich im Roman schon sehr nach den Männern (lacht). Wir alle wissen, dass die Liebe viel mit einem macht und dass man in der ersten Begeisterung mehr tut, um der anderen Person zu gefallen.

Es hat sich aber einiges verändert, was die Dominanz des Mannes in der Beziehung betrifft. Frauen sind viel emanzipierter und vielleicht auch egoistischer, was gut ist. Ehrlich gesagt kenne ich vermehrt Beziehungsmodelle, in denen die Frauen die Hosen anhaben. (lacht).

Welche Beziehungsmodelle gibt es heute in Deiner Generation?

Der Wunsch nach Langzeitbeziehungen ist natürlich immer noch da, allerdings kommt mir vor, dass das “für das Leben an eine Person binden” auch ein ziemliches Angstthema ist (lacht).

Soziale Medien spielen bei dem Optimierungs- und Glückanspruch eine große Rolle. Weil alles so schnelllebig ist und man auch so viele Möglichkeiten hat, neue Menschen kennenzulernen.

In allen Lebensbereichen ist heute gesellschaftlicher Druck da. Und in Beziehungswirklichkeiten auch. Es ist einfach schwierig, alles unter einen Hut zu bringen.

Eine Langzeitbeziehung erfordert viel Arbeit und Zeit und dies investieren die meisten nicht mehr.

Trennungen waren für Frauen zur Zeit des Romans kaum vorstellbar, was natürlich damit zu tun hatte, dass sie nicht so viele Möglichkeiten hatten unabhängig zu sein. Es war ein anderes Existenzverständnis in der Liebe.

Heutzutage ist eine Beziehung nicht mehr so existentiell. Es ist eine positive Ergänzung und man wirft schnell das Handtuch, wenn es nicht mehr passt. Das ist allgemein ein trauriges Phänomen unserer heutigen Zeit.

Das Modell der Affäre zwischen Rationalität (Beziehung) und Leidenschaft ist im Roman wesentlich. Wie ist das heute? Ist beides in einer Person zu finden?

Sehr gute Frage (lacht). Prinzipiell denke ich, ja. Es ist nur die Frage, ob man es auch schafft, das auf Dauer aufrecht zu erhalten. Das ist ja auch einer der häufigsten Gründe für Trennungen oder Affären. 

Es gibt Menschen, denen man leidenschaftlich näher ist und es gibt Menschen, denen man rationaler näher ist. Das Ziel ist, Rationalität und Leidenschaft in einer Beziehung zu integrieren. Das ist Arbeit.

Die Protagonistin im Roman weiß, da wo die Leidenschaft ist, ist nicht viel mehr dahinter, was auf Dauer auch nicht glücklich machen kann. Auf der anderen Seite fehlt bei dem rationalen Teil die Leidenschaft. Das ist diese Zerrissenheit, die im Roman ein sehr präsentes Thema ist.

Wie siehst Du das Frausein heute im Allgemeinen wie in Deinem künstlerischen Beruf?

Ich finde es sehr schön, Frau zu sein. Es hat sehr viele besondere Aspekte. Zeitweise ist es aber zugegeben auch überfordernd. Sich als junge Frau das aufzubauen, was man will und sich von dem zu lösen, was man nicht will, ist nicht leicht. Besonders im künstlerischen Bereich muss man sich behaupten, um wirklich ernst genommen zu werden.

In der Arbeitswelt könnte also viel verändert werden, was es uns Frauen leichter machen würde.

Ich persönlich brauche dann Methoden der Ruhe und Zeit für mich, um wieder zu mir zu finden. Etwa beim Yoga oder tanzen. Mir hilft es auch, Gedanken niederzuschreiben und neue Pläne zu machen.

Auch die Dankbarkeit ist sehr wichtig und sich vor Augen zu führen, was man bereits alles geschafft hat. Außerdem muss und kann man es nicht allen recht machen. Das ist ein wichtiger Punkt.

Wie war Dein Weg zur Kunst, zum Schauspiel?

Dieser Weg war immer schon da (lacht). Ich glaube, dieser war mir schon vorgegeben, obwohl ich aus keinem künstlerischen Umfeld komme. Da war etwas, was in frühester Kindheit, ab dem Punkt wo ich mich auf den Beinen halten konnte, rauswollte.

Ich hatte immer den Raum Kunst zu leben. Ich habe mit drei Jahren schon gesungen, kannte unfassbar viele Kinderlieder, habe immer getanzt, machte eigene Choreographien und bereitete an jedem Freitagabend Theaterabende für die Familie vor. (lacht). Ich nahm dann Geige- und Klavierstunden. Sehr bald darauf nahm ich dann auch Gesangs- und Tanzunterricht. Neben der höheren Schule mit dem Schwerpunkt Eventmanagement habe ich jeden Nachmittag im Tanzsaal und bei Gesangsstunden verbracht. Als ich die Schule absolviert hatte, war dann klar, dass ich das auch studieren will.

Mein künstlerisches Dasein ist ein Brennen und eine Begeisterung, die mich gar nicht vor die Wahl stellt, es nicht auszuüben. Ob beim Tanz, Gesang, Schauspiel oder Sprechen – die Ausdrucksform ist da eigentlich egal. Das künstlerisch kreative Denken, Entwickeln, Darstellen und transportieren von Emotionen ist mir wichtig. 

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

Ich arbeite laufend an einem Projekt, nämlich an meinem Swing Trio The Reveilles, mit dem einige Shows und Auftritte in Planung sind. Ansonsten bin ich mit Drehs, Shootings und Proben für andere künstlerischen Projekten meistens ganz gut ausgelastet (lacht). 

Was kannst Du von dem Roman mitnehmen?

Sich nicht zu sehr zu „verkopfen“ und die Schwere nicht immer zuzulassen. Das ist in allen Bereichen wichtig. Man sollte das Leben einfach mehr genießen, auch wenn nicht alles immer perfekt ist und genau so läuft, wie man sich das vorstellt.

Darf ich Dich zum Ende des Interviews zu einem Malina-Achrostikon bitten?

M=Möglichkeiten

Weil sich die Protagonistin alle Möglichkeiten offenhält und sich nicht entscheiden will. Andererseits steckt auch viel Hoffnung in dem Wort “Möglichkeiten” und das trifft nicht ganz auf sie zu. Diese Ambivalenz ist wiederum passend. Das Gedankenkarussell dreht sich, es passt (lacht).

Vielen Dank, liebe Janine, für Deine Zeit bei „Malina“ und das wunderbare Fotoshooting und Interview – viel Freude und Erfolg weiterhin!

Janine Hickl_Schauspielerin/Sängerin/Tänzerin _
am Romanschauplatz Malina_Wien

50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch und szenischem Fotoporträt:

Janine Hickl_Schauspielerin/Sängerin/Tänzerin _Wien

https://www.janine-hickl.com/

Station bei Ingeborg Bachmann_Romanschauplatz_Malina.

Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _Wien_9_2021.

https://literaturoutdoors.com

Walter Pobaschnig 9_21

https://literaturoutdoors.com

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