„Liebesfähigkeit behalten. Und ausbauen“ Anja Bachl, Künstlerin_ Salzburg 1.10.2021

Liebe Anja, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Denn es ist jeden Tag gleich, jeder Tag ist anders. Aber. Wenn ich in der Werkstatt zu arbeiten habe, dann stehe ich um fünf auf, ziehe die Augenbrauen hoch, weil ich wieder vergessen habe mir Buchweizen einzuweichen, koche mireinen seltsam klingenden Kräutertee und setzte mich ans Fenster, um zu lesen. Um den Tag zu spüren. Manchmal. Verschlafe ich auch. Dann spüre ich nicht, sondern sprinte vom Bad zum Blumengießen und zurück, weil Schlüssel vergessen. Aber Morgenseiten! Eine Zeichnungkonstante.

Ich fahre in die Arbeit, werkle dort zusammen mit leuchtenden Menschen an Webstühlen. Danach mache ich Dinge mit Medikamenten oder Einkaufslisten für meine Eltern. Hör mir an, wie sie die fetzigsten Witze bringen. Trotz allem. Oder gerade weil. Fahre nach Hause, gehe auf den Nockstein oder hole den Buben vom Skaten ab. Meistens koche ich dann in Phasen die immer selben Sachen, bis mein Sohn Augen aufdringlich verdreht. Reisnudeln zum Beispiel. Dann zwinge ich ihn zum Scrabblespielen. Oder mir ausgelutschte Fragen zu beantworten. Wir spielen Schni-Schna-Schnuck um die Badewanne und den Laptop. Wir gehen zu spät ins Bett.

An Nichtwerkstatttagen gibt es ebenfalls Tee und Skizzen und Blumen, die Wasser brauchen. Aber. Anstatt Garne durch Litzen und Nadeln zu ziehen, verknüpfe ich dann, am Liebsten am Wasser, Fäden beim Schreiben. Oder trenne sie auf. Jedenfalls schreibe ich. Zeichne und verschicke Bilder. Treffe Freund*innen. Treffe Gämsen irgendwo oben. Treffe Privates ist politisch. Höre zu. Sag Sachen. Denke nach als hätte ich drei Köpfe. Lass mir von meinem Sohn TikTok erklären. Lass mir von Lautlachenden Leichtigkeit erklären. Pläne schmieden. Pläne wieder verwerfen.

Anja Bachl, Künstlerin, Ganzheitliche Kunsttherapeutin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Wenn überhaupt generell, dann halt. Solidarität. Das eigene Universum hinterfragen und abgleichen, Privilegien prüfen, Resilienz nicht mit Resignation verwechseln, zuhören, sich informieren, sich an wissenschaftlichen Fortschritten freuen. Durchlässig und verletzlich bleiben. Sanft und wild. Eigene Rassismen, Stereotype, eingefahrene Glaubensmuster, Vorurteile, den Firlefanz, der ein kapitalistisches Upfucksystem nährt, bewusst bekommen und eigene Haltungen zurecht rücken. Auf sich schauen. Liebevoll sein. Sich nicht täuschen lassen und Konsum und Beschäftigtsein nicht als Leerefüller gelten lassen. Liebesfähigkeit behalten. Und ausbauen. Verantwortung sexy finden. Gestalten. Zulassen und abgrenzen. Grenzen niederreißen. Loslassen und einlassen. Den Männernmenschen, die kaffeeschlürfend Fehlentscheidungen treffen, die unsere Erde literally vernichten, Entscheidungsfähigkeit und Macht nehmen. Das Patriachat in Einzelteile zerlegen und aus den Stückchen ein Lagerfeuer machen. Spielräume schaffen. Skateplätze bauen anstatt Straßen. Privatplätze an Seen endlich auflösen. Weil. Die hellblauen Wellen sind für alle da. Aufeinander Acht geben. Nachfragen. Nicht müde werden. Und ausreichend schlafen. Platz in unseren Hirnen machen für die Tatsache, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Würde lernen. Courage. Freund*innenschaft. Zugeben, wenn man sich irrt. Lernen als fancy Alltagsteil etablieren. Sich Herzen brechen nicht auf einen Zettel schreiben und übers Bett hängen. Lauteslachen.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ein Aufbruch kann nur wirken, wenn wir ihn wirken lassen. Das heißt, egal wie viele Delfine zurückkehren an Küsten und wie viele Sterne wir mehr gesehen haben weil Luft weniger dreckig war während einem Pandemie Freeze, Umgestaltungen brauchen Platz, den man tatsächlich faktisch leer räumen muss vorher. Wir können nicht aufbauen auf Splittern und Bruchstellen, wir müssen vorher dekonstruieren. Dass ein Umbruch und Aufbruch und Umgestalten und Neudenken unumgänglich ist, ist klar. Inwiefern wir endlich danach handeln, das ist die Frage. Ich bin überzeugt von der Kraft des einzelnen Menschen, glaube aber dennoch, gewisse gesellschaftspolitische Handlungen sind in ihrer radikalen, einheitlichen Umsetzung essenziell, um eine pulsierende Erde und alles Leben darauf zu erhalten.

Was Aufbrüche auf der individuellen Ebene bedeuten, das ist so unterschiedlich wie Wesen selber.

Aber Kunst ist Kitt. Kunst ist eine der feinsten Kommunikationsformen, eine Zwischendenzeilenfunktionärin, eine Verdeutlichungsform, die Sprachen fließend spricht. Kunst kann Polaritäten. Kunst kann Ambiguität. Aber Kunst weicht nicht in ihren Botschaften. Kunst macht Räume auf. Wo man sich spießt, wenn man das zulässt. Wo Einigung existiert. Und Resonanz. Kunst gestaltet, Kunst findet Zugänge. Sie positioniert. Sie spielt. Sie öffnet und fixiert. Kunst ist Hoffnungsträgerin.

Was liest Du derzeit?

„all about love“ bell hooks; „Disability Visibility“ Alice Wong; „Welch“ Sera Tunc; „Afropean“ Johny Pitts; „Briefe an die Täter“ Karen Köhler; „Niemehrzeit“ Christian Dittloff; „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ Eva Illouz.

Ahm ja. Ich betreibe Inselhopping mit Büchern.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

If they cannot love and resist at the same time, they probably will not survive.

Audre Lorde

Vielen Dank für das Interview liebe Anja, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Anja Bachl, Künstlerin, Ganzheitliche Kunsttherapeutin

Foto_privat.

29.8.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

2 Gedanken zu „„Liebesfähigkeit behalten. Und ausbauen“ Anja Bachl, Künstlerin_ Salzburg 1.10.2021

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