„Der Romanschauplatz ist sehr sinnbildlich für die Geschlechterrollen“ Annkathrin Dehn, Tänzerin_Romanjubiläum Malina _ Wien 8.8.2021

Annkathrin Dehn_Tänzerin, Performerin _
Romanschauplatz Malina_Wien

Mit Ingeborg Bachmann verbinde ich vor allem Wien und sie kommt mir immer wieder zu Ohren hier. Ich denke, Ingeborg Bachmann ist ein Teil dieser Stadt. In Zukunft wird ihre Person, ihr Werk mich bestimmt auch noch beschäftigen.

Wien hat ja immer auch etwas Dunkles, Abgründiges, auch eine Todesnähe. Bachmann ist auch da Wienerin.

Was macht das eigene Selbst aus? Wie sehr erfolgt diese Definition auch über andere, von außen, welche Konstellationen gibt es da? Wie sehr kann man sich selbst darin verlieren, untergehen? Was macht einen als Ganzes aus? Diese Fragen nach Identität sind zentral im Roman. Persönlich denke ich, Identität ist nie etwas Festes sondern eine Entwicklung.

Ebenso sind die Fragen nach der Frauen-, Männerrolle in der Gesellschaft im Roman zentral. Wie stark die eine von der anderen abhängt. Auch wie dadurch gewisse Konventionen kreiert werden.

50 Jahre nach Erscheinen des Romans sind die Fragen nach Identität und gesellschaftlicher Rolle gleichgeblieben. Diese beschäftigen überall auf der Welt sobald wir beginnen, uns diesen bewusst zu werden. Die Kontexte und damit Herangehensweisen sind natürlich anders. Es gibt je unterschiedliche Freiheiten und Debatten.

Derzeit sind die Fragen nach der Benennung von Identität im gesellschaftlichen Mittelpunkt. Wie benenne ich meine Identität und muss ich das überhaupt? Da kommt auch gesellschaftlich viel an die Oberfläche.

Im Kern ist Identität natürlich eine individuelle Frage – wie ich mich und in Beziehung zu anderen definieren möchte.

Wien ermöglicht künstlerisch viele Möglichkeiten und Freiheiten. Dazu braucht es persönliche Perspektiven und Ziele. Das Neuankommen in einer Stadt ist zunächst immer ein Kennenlernen des Rhythmus von Ort und Zeit.

Wien hat große künstlerische Traditionen, aber diese sind nicht festgefahren. Es entsteht überall viel Neues. Es gibt ganz viele unterschiedliche, Plätze, Ecken, Entwicklungen. Das zu entdecken, ist auch eine Aufgabe, wenn man in Wien ankommt.

Es gibt so viele schöne Plätze in Wien, da kann man sich gar nicht entscheiden (lacht). Es ist der Genuss des alltäglich Schönem. Man geht vor die Haustür und findet Geschichte, Kunst. Jeden Gedanken kann man in Wien finden.

Die Floridsdorfer Brücke ist ein Lieblingsplatz von mir. Ich liebe da den Blick in Richtung Stadtmitte. Das war längere Zeit mein Arbeitsweg und immer wieder ein Highlight.

Der Weg über die Donau in Wien ist auch innerlich ein Reflexionsbogen. Da begleiten viele Gedanken und ist man über den Fluss, ist es wieder gerade gebügelt (lacht).

Der Blick auf die Stadt gibt mir viel und Wien wurde auch dadurch schnell Heimat. Das Sehen, Spüren ist ein Entdecken wie Wiederfinden. Man fühlt sich angekommen.

Ich bin sehr gerne am Wasser. Da ist das Fortfließende, Loslassende wie das Verbindende. Die Donau verbindet Europa und damit auch mit meiner Familie in Deutschland. Es ist schön zu wissen, dass das Fließende etwas ist, das auch Nähe spüren lassen kann.

Wasser lässt zur Ruhe kommen, aber auch einen Schritt weiter machen. Die Natur, das Wasser haben eine große Bedeutung für mich.

Ein Genusstag in Wien ist für mich eine Fahrradtour oder ein Spaziergang und dann der Blick auf die Stadt. Ich liebe auch Grätzlspaziergänge, das ist beeindruckend. Fasziniert ist auch wie wenig sich der Wiener bewegt (lacht). Das macht aber auch das Besondere von Mensch und Stadt aus. Es strahlt Ruhe aus.

In meiner tänzerischen Arbeit gehe ich sehr gerne mit Texten um. Ich liebe die Struktur von Texten, den unmittelbaren Raum der Wörter. Das kann vom Märchen bis zum abstrakten Gedicht reichen. Es gibt da viele Ansätze choreographischer Arbeit.

Liebe ist ein Sich-Selbst-Wahrnehmen, ein persönliches Verorten, eine ganz starke Entwicklung, in der man sich mit Ehrlichkeit gegenübersteht. Die Selbstliebe, der Zugang zu sich selbst ist Voraussetzung der Liebe, um zu wissen, wo ich anfangen und verknüpfen kann. Um Klarheit zu gewinnen.

Letztendlich verschwindet die Frau im Roman in dem ihr aufgestülpten Männerbild. Sie geht darin unter.

Kommunikation in der Liebe wie der Gesellschaft hat immer ein breites Spektrum von Hell bis Dunkel. Auch das Schwarze, Dunkle gehört dazu. Wie es ja auch im Roman der Fall ist.

Kommunikation läuft nie nur glatt. Es gibt immer Ecken und Kanten, Konflikte. Liebe ist da die stärkste Basis, um sich austauschen und auch überwinden zu können.

Kommunikation ist die Grundlage jeder Beziehung, des Aufbaus dessen.

Konflikte in der Kommunikation können auch etwas Positives sein. Es ist eine Klarheit und damit Basis, die gewonnen werden kann, in verschiedenen Richtungen.

Die Begegnung mit Ivan am Blumengeschäft ist natürlich sehr sinnbildlich. Ich denke aber, dass es Begegnungen mit einer Form des Zugehörigkeitsgefühls geben kann. Auch das Wege schon auf gemeinsame Interessen verweisen.

Liebe ist Prozess und Entwicklung über einen unterschiedlichen Zeitraum.

Liebe hat vielfältigste Formen, die über das romantische Zusammensein hinausgehen.

Eine Beziehung zeichnet die Spannung von Liebe und Distanz aus. Die Kontexte ändern sich dabei, etwa zur Zeit des Romans und dem Heute.

Ivan hat für die Frau eine Anziehung in Geist und Körper. Es geht ja immer auch um die Welt des Anderen in einer Beziehung.

Lebenswirklichkeiten in einer Beziehung zu verstehen, wie zwischen Ivan und der Frau, ist eine Frage des Wollens und wie weit ich das brauche. Das Verhandeln darüber ist sehr wichtig.

Auf den ersten Blick gibt es heute eine größere Beziehungsfreiheit. Strukturell ist sich da aber nichts vorzumachen. Es ist viel in Bewegung, aber es ist noch viel gesellschaftlich eingefahren, was Freiheit und Toleranz in diesem Bereich betrifft.

Glück gilt es zu suchen. Es ist dafür etwas zu tun. In der Liebe und in allem.

Das eigene Glück ist immer ein Versuch. Es ist Arbeit.

Die Traumbeschäftigung mit persönlicher Vergangenheit im Buch ist ein Teil der Selbstfindung und damit auch der Partnerschaft. Die Kapitelfolge ist ja so aufgebaut.

Träume haben für mich etwas sehr Schönes. Es sind beeindruckende Erlebnisse und ich bin oft traurig mich nicht zu erinnern.

Träume an sich, als auch Lebensziele, machen einen klar, dass es auch andere Wege sind, die möglich sind.

Wien selbst hat etwas von einem Traum. Es erfüllt für mich viel in Lebensqualität, Natur und Kunst.

Mein Weg zum Tanz begann damit, dass meine Mutter meinte, „wir gehen besser nicht eine Ballettvorstellung sonst möchte sie tanzen“. Meine Mutter hat es dann trotzdem getan (lacht) und damit war eigentlich der Weg geebnet und der Wunsch danach da. Es war für mich nie der Rosa-Ballett-Kleid Traum sondern die Freude an Bewegung, das Lernen, Arbeiten und auch das An-Etwas-Dran-Bleiben. Die Freude am Fortschritt, der Weiterentwicklung hat mich auch immer bewegt dies weiterzumachen. Es ging dann über Ausbildungs-, Projektstationen bis jetzt zum gegenwärtigen Unterrichten und zur künstlerischen Arbeit in Wien. Ich bin jetzt sechs Jahre in Wien.

Die Fähigkeit zur Reflexion, auch zu Bescheidenheit und das Bewahren, Finden eines offenen Blickes ist heute für den Menschen wichtig. Dass man sich nicht nur als starkes Ich fühlt, das die Welt beherrschen kann.

Dass die Stärke des Ich heute auch die Stärke eines Zurücknehmens ist – „ich bin hier und kann viele Dinge bewirken und habe eine Verantwortung.“

Der Romanschauplatz und die Wohnsitze der Protagonisten*innen hier sind sehr sinnbildlich für die Geschlechterrollen und die Beziehung von Frau und Mann im Roman. Der Wohnsitz der Frau liegt in der Straße tiefer, das Haus ist etwas zierlicher, aber anderseits gibt es diese Dachterrassen und sie hat den Überblick, eine gleichsam unsichtbare Macht. Zum Eingangstor des Ivan-Hauses führt der Weg die Straße nach oben. Das Haus ist sehr stark im Ausdruck, herausgestellt und dominant. Das fällt schon im ersten Blick auf. Die Topographie spiegelt den Romaninhalt sehr gut wider.

Annkathrin Dehn_Tänzerin, Performerin _
Romanschauplatz Malina_Wien

50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch und szenischem Fotoporträt:

Annkathrin Dehn_Tänzerin, Performerin_Wien 

Station bei Ingeborg Bachmann_Romanschauplatz_Malina.

Tanz | Annkathrin Dehn – Coaching, Masterclasses | Wien

Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _Wien_7_2021.

https://literaturoutdoors.com

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