„Ingeborg Bachmann ist ein Schutzschirm“ Melamar_Schriftstellerin _ Romanjubiläum Malina_Wien 5.8.2021

Melamar_Schriftstellerin _
Romanschauplatz Malina_Wien

Ich begann sehr früh zu schreiben, als Teenager. Ich notierte damals schon meine Gedanken in Notizhefte, die ich immer mit mir herum trug und in der Schule kritzelte ich Gedichte ins Mathematikbuch, anstatt dem Unterricht zu folgen (lacht).

Das Schreiben ging wie von selbst. Ich schrieb auch auf Wände, eine Art Graffiti.

Mein Ding war immer das Wort, die Literatur. Die Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen war mir aber stets wichtig, etwa mit Musiker*innen.

Ich war schon in der Kindheit an Sprache, dem Sprachspiel, wie auch an der Vielfalt von Sprachen interessiert. Wenn ich andere Sprachen gehört habe, habe ich immer die Ohren gespitzt und war neugierig (lacht).

Ich bin in Kärnten aufgewachsen und da hatte ich auch slowenischsprachige Mitschüler*innen. Ich war entsetzt, dass manche von ihnen ihre Mehrsprachigkeit auf Geheiß der Eltern geheim hielten – „Psst, sag´ das ja nicht weiter!“ Ich konnte das als Kind überhaupt nicht verstehen. Für mich war das immer ein Schatz, wenn jemand mehr als eine Sprache beherrschte. Es ist sehr schlimm, wenn sich Menschen für eine Sprache schämen müssen.

Das Thema Kindheit kommt jetzt vermehrt in meinen Texten vor. Lange Zeit war dies nicht der Fall. Jetzt treten Kindheitserinnerungen und Reflexionen mehr künstlerisch zutage.

Ich bin in Wolfsberg, Kärnten, aufgewachsen, da lebt man zwischen Klagenfurt und Graz. Ich wusste aber schon früh, dass ich nach Wien wollte. Wien war ein Sehnsuchtsort für mich. Eine erste Begegnung gab es dann mit vierzehn auf der schulischen Wienwoche.

Ich bin ein Mensch, der sich gerne bewegt, der gerne weiterzieht aber auch gerne zurückkommt.

Orte haben ihre eigene Energie.

Wien kommt sehr viel in meinen Texten vor. Das war auch bei meinem letzten Roman „Bukurìe“ ein Thema im Lektorat – „Das ist ja nicht wichtig ob die Person bei der Josefstädterstraße aussteigt“, „Doch, es ist wichtig“, sagte ich. Ich bestand dann auf den Wiener Straßennamen im Text. Dieses Lokalkolorit habe ich sehr verteidigt, weil es sich nicht nur um Namen handelt, sondern diese eine Bedeutung haben.

Im Roman „Bukurìe“ ist das Thema Identität zentral und es kommen der 8., 16. und der 11. Bezirk Wiens als Schauplätze vor. Da spielt auch die soziale Buntheit einer Stadt eine Rolle, die verschiedenen urbanen Lebenswelten und auch deren Grenzen. Etwa die Bezirksgrenzen, der Sprung über den „Gürtel“ (Anm: der Gürtel ist eine Hauptverkehrsader Wiens um den Stadtkern).

Die Einflüsse im Schreiben sind schwer festzumachen, weil einen alles, was gefällt, beeinflusst. Da ich in Kärnten aufgewachsen bin, waren Ingeborg Bachmann und Christine Lavant allgegenwärtig. Ich bin da sehr dankbar.

Ich wurde einmal in einem Interview gefragt ob es nicht schwierig war, als Frau zu schreiben und man mir nicht vielleicht suggeriert hätte „Schreiben ist Männersache“. Das war für mich nie ein Thema, weil es eben so starke Frauen in der Literatur wie Bachmann und Lavant von meiner Kindheit an gab. Ich war da gleichsam unter ihrem Schutzschirm (lacht).

Ein ganz starker Impuls der Poesie war für mich mit fünfzehn Jahren Erich Fried. Dann fiel mir etwa im „Wühlkistl“ einer Buchhandlung ein Charles Bukowski Gedichtband in die Hände. Und als ich diesen aufschlug, war da ein Gedicht über das „Sch….“. Ich dachte, wow, darüber kann man auch schreiben. Das kannte ich vom Schulunterricht noch nicht (lacht).

Das Interesse für Poesie war auch immer mit Musik verbunden. Ich hörte sehr gerne die DOORS und habe dann auch die zweisprachigen Poesiebände von Jim Morrison, dem Sänger der Band, gelesen, der ja auch die Songtexte schrieb. Ich habe in Paris vor ein paar Jahren das Grab Jim Morrisons im Père Lachaise Friedhof besucht. Ich kannte es von Fotos her als ein sehr buntes, mit Blumen und Graffitis geschmücktes Grab. Zu meinem Entsetzen fand ich es grau und unscheinbar vor, unzugänglich hinter einer Absperrung. Offenbar hatte man den Stein mit einem Sandstrahler „gereinigt“, sehr traurig sah das aus. Ich sprach mit einer Reiseleiterin vor Ort, die sagte, dass sich andere Besucher von diesem bunten Grab in ihrer Trauer gestört gefühlt hatten und auch von den Jim Morrison Fans und ihrer unkonventionellen Art zu gedenken.

In der Prosa hat mich in meiner Jugend „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse sehr begeistert. Ich kannte ganze Kapitel auswendig.

Zu Ingeborg Bachmann kam ich erst in späteren Jahren. Das wäre mir wohl mit fünfzehn Jahren noch zu schwierig gewesen. Es braucht ja auch eine Zeit, bis gewisse Inhalte verstanden werden können.

Ein laufender künstlerischer Schwerpunkt ist jetzt mein Projekt „Poetisiaka“, das sind Gedichte, Aphorismen, Kurzprosa. Derzeit steht auch ein multimediales Kunstprojekt namens „Bäume aus Licht“ im Fokus. Das ist ein Text-, Foto-, Musikprojekt zum Thema Bäume. Da arbeite ich mit dem Musiker Herbert Lacina zusammen, der in der Wiener Improvisationsszene sehr bekannt und aktiv ist.

Ich bin mit der Natur aufgewachsen und schätze auch in Wien die Nähe zur Natur sehr.

Gesellschaftlich gesehen, war zur Zeit des Romans Malina in den 1960er, beginnenden 1970er Jahren, der Mann ja noch das offizielle Familienoberhaupt. Er konnte etwa den Job seiner Frau kündigen. Da hat sich glücklicherweise doch einiges verändert. Eine völlige Gleichstellung ist leider bis heute nicht erreicht. Es gibt noch immer einen beachtlichen Gender-Pay-Gap.

Frauen waren jetzt in der Coronazeit tendenziell stärker belastet als Männer, da traten diese Ungleichheiten massiv zutage. 

Die Geschichte des Patriarchats ist eine jahrtausendelange. Das lässt sich nicht einfach von einer Generation auf die andere überwinden. Das liegt auf der Hand und heißt auch, dass wir wachsam sein müssen und Errungenschaften, die wir erreicht haben, verteidigen.

Wir machen zwei Schritte nach vorn und einen zurück in der Frage nach gesellschaftlicher Gleichberechtigung. Dabei geht es nicht darum, dem Mann etwas wegzunehmen. Es geht einfach um Fairness.

Von sozialer Gerechtigkeit profitiert die ganz Gesellschaft. Es geht nicht darum, nur ein Stück vom Kuchen zu reichen.

Meine gesellschaftlichen Wahlmöglichkeiten sind mit jenen meiner Mutter und Großmutter nicht zu vergleichen. Ich bin froh, jetzt gewisse Freiheiten zu haben, im individuellen Lebensstil und auch in Bezug auf Partnerschaften. Dies wäre vor Jahrzehnten nicht möglich gewesen. Da war es ja eine Verpflichtung zu heiraten und Kinder zu haben. Die Fragen waren nur, wann und wen. Die Frage nach dem ob überhaupt stellte sich ja nur, wenn man ins Kloster ging. Das war für viele Frauen die einzige Alternative.

Diese alte Mentalität der traditionellen weiblichen Rollenbilder ist aber nach wie vor sehr lebendig. Da gibt es natürlich Unterschiede zwischen Stadt und Land.

Ich war vor kurzem wieder in Rumänien. Da ist die Rollenzuschreibung für eine Frau sehr stark. Wenn du in ein Schuhgeschäft gehst, dreht sich  der Smalltalk mit der Verkäuferin gleich um Ehe und Kinder. Da kommt man schnell in eine Rechtfertigungsposition. Das erlebe ich zum Glück in Wien nicht so. Hier sind die Menschen ein wenig diskreter. 

Ingeborg Bachmann ist eine Pionierin in vielem, in diesem großen Spannungsfeld, in dem sie gelebt hat und in dem wir auch heute leben. Malina ist da ein sehr lebendiger wie kritischer Impuls, auch nach 50 Jahren.

Melamar_Schriftstellerin _
Romanschauplatz Malina_Wien

50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch und Fotoporträt:

Melamar_Schriftstellerin_Wien _

melamar (melamarpoetry.blogspot.com)

Station bei Ingeborg Bachmann_Romanschauplatz_Malina.

Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _Wien_8_2020.

https://literaturoutdoors.com

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