„Wenn ich mit Frauen arbeite, wissen wir, dies ist außergewöhnlich“ Ethel Merhaut, Sängerin_ Romanjubiläum Malina_Wien 15.7.2021

Jedes Leben hat süße und bittere Zeiten. Dies betrifft das persönliche ebenso wie das kulturelle, gesellschaftliche Leben. Es trifft die Gegenwart auf den Punkt.

Ethel Merhaut_Sängerin

Gesellschaftlich gesehen ist heute das Süße die Fülle an Möglichkeiten, Zugängen, auch der Komfort des Lebens, bitter sind die Erfahrungen von Kontrollverlust. Bitter ist besonders die bedenkliche Situation von Antisemitismus und Rassismus.

Für uns Menschen ist der Kontakt zu uns selbst ganz wesentlich, um nicht die Empathie für scheinbar „kleine Dinge“ zu verlieren, für Menschen und Situationen und eine Gleichgültigkeit um sich greifen zu lassen.

Künstler*innen müssen zu jeder Zeit starke Persönlichkeiten sein, um sich gegen innere und äußere Zweifel behaupten zu können. Das war bei Ingeborg Bachmann so und ist heute so.

Künstler*in bedeutet selbstbewusst zu sein. Zuallererst kritisch gegen sich selbst zu sein aber zu wissen was man kann. 

Meine Zugänge zur Musik, zur Auswahl meiner Lieder, ist zunächst der Text und dann kommt der Rhythmus, der Schwung dazu. Es hängt natürlich auch davon ab ob ich das Programm mit einem Orchester oder einer Band plane.

Ich selbst komponiere und texte nicht, es wird für mich gemacht (lacht). Mein Pianist, Belush Kerany, hat etwa ein Lied aktuell auf „süß und bitter“ geschrieben. Dabei geht es um weibliche Selbstbestimmtheit und Lust. Wir sind dabei auch an weiteren eigen Liedern zu arbeiten. Wir experimentieren da mit Moderne and Tradition.

In den 1960/70er Jahren zur Zeit der Romanentstehung gab es starre weibliche Rollenbilder. Da hat sich viel bewegt. Meine Generation sucht sich Beruf wie privates Leben doch freier aus. Wir studieren, heiraten oder heiraten nicht. Aber unsere Gesellschaft an sich ist nach wie vor sehr patriarchal. Männer sind die Chefs, sind in Führungspositionen.

Wenn ich mit Frauen arbeite, sind wir uns sofort bewusst, dass dies außergewöhnlich ist.

Wie das Leben einer Frau aussehen soll, ist noch sehr geprägt von alten, verstaubten Bildern. Da muss man sich nichts vormachen.

Die Künstler*innen, Schauspieler*innen, Sänger*innen der 1920/30er Jahre waren für Frauen Vorbilder hinsichtlich Selbstbewusstsein und Freiheit, auch wenn diese Künstler*innen natürlich im gesellschaftlichen Kontext, der männerdominiert war, auch in der Kunst, lebten, leben mussten.

Die Künstlerinnen der 1920/30er Jahre sind etwas in Vergessenheit geraten und damit auch diese starke künstlerische, weibliche Stimme der Zeit. Wer kann etwa Künstlerinnen dieser Zeit aufzählen? Meine Musik sucht dies aufzunehmen, diese große Kunst, das Gedächtnis und diese große weibliche Kraft.

Jeder Mensch hat Abgründe. Die Kunst geht diesen nach. Wie weit – ist eine persönliche Entscheidung. Ich bin keine Grenzgängerin.

Die Beschäftigung mit dem eigenen Ich ist in der Kunst unumgänglich. Ich habe aber keinen freudianischen Zugang zu meiner Kunst.

Pure, innere Lust existiert in unserer Gesellschaft nicht. Es gibt die „Lust an“, nicht die Lust an sich – diese läuft nur im Untergrund, in gesellschaftlichen Nischen.

Lust wird von unserer Gesellschaft ignoriert.

Wir leben in Beziehungen. Da gibt es einen Austausch, Energien – im positiven Sinn.

Ich schätze Traditionen – auf entspannte Weise.

Ingeborg Bachmann lernte ich in der Schule kennen. Aktuell lese ich gerne junge russische Autorinnen.

Ethel Merhaut, Sängerin

50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch und Fotoporträt:

Ethel Merhaut_Sängerin _Wien _ Station bei Ingeborg Bachmann_Malina.

Ethel Merhaut

Das Album “Süß&Bitter” von Ethel Merhaut erschien im Mai 2021

Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _ Hotel Regina_Wien_5_2021.

https://literaturoutdoors.com

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