Ich habe viel von der Welt gesehen, aber Wien ist mein Heimathafen geworden. Diese Stadt hat einen speziellen Zauber, der einem immer wieder zurückkehren lässt. Das ist wahnsinnig schön.

Wien hat ein spezielles Lebensgefühl. Da ist Lebendigkeit und Gemütlichkeit. Ich schätze das sehr.

Ich bin definitiv ein Stadtkind, bin in der Stadt aufgewachsen. In Wien schätze ich auch die Natur, das Grün, das Wasser. Gestern etwa war ich am Kahlenberg wandern. Diese Verbindung von Stadt und Natur ist einzigartig.

Ich habe Malina vor Jahren auf Empfehlung gelesen. Malina ist kein Buch, das man in einem Stück verschlingt, es braucht Pausen dazwischen. Es ist kein Roman, aus dem man unmittelbar mit einem Supergefühl rausgeht. Da muss man die Gefühle erst mal sacken lassen.





Ingeborg Bachmann schafft es in ihren Leser*innen Emotionen zu wecken, in Prosa und Lyrik, das ist ganz besonders.

Malina regt an, eigenen Gefühlen, Gedanken nachzugehen. Es sind alles Situationen, die man ja selbst schon erlebt hat. In dieser abstrahierten, zugespitzten Form laden sie sehr direkt zum Nachdenken ein. Das ist sehr spannend und dieses intensive Erlebnis habe ich bei wenigen Büchern gehabt.

Die Ich-Erzählerin nimmt im Roman ihr Innerstes, ihre Gedanken, ihre Gefühle radikal auseinander. Sie zerreißt es fast dabei, dass sie sich so sehr mit sich beschäftigen muss.


Sie macht sich sehr abhängig von Ivan. Sie wartet ewig darauf, dass er sich vielleicht meldet. Seine Telefonnummer kreist in ihrem Kopf. Sie ergreift ja sehr selten die Initiative. Sie wartet auf Ivan, auf ein Zeichen der Zuneigung und vergeht fast dabei.


Ich denke, dass dieses Machtverhältnis in der Liebe auch heute noch oft vorkommt. Dieses Muster einer passiven Frau, die Wünsche, Vorstellungen hat aber nicht diese zu thematisieren, umzusetzen sucht. Auch wenn sich das Frauen-, Männerbild etwas gewandelt hat, ist diese Abhängigkeit teil von Beziehungsrealitäten der Gegenwart.

Zu Ivan ist die Beziehung komplett emotionsgesteuert. Malina ist der logische, rationale Part.

Es ist für die Frau im Roman ein Warten auf das „gnädige“ Zuwerfen von Krumen, Körnchen der Zuneigung seitens Ivan. Und daran zerbricht sie. Diese Beziehungskonstellation des Romans könnte auch genau heute in dieser Form stattfinden.


Wenn man selbst in dieser Situation ist und sich so verschossen hat in einen Menschen, ist es natürlich schwierig und herausfordernd zu sich selbst zu finden. Auch Zugänge von außen sind da natürlich schwierig.
Das Wichtigste ist in jedem Fall selbst die Initiative zu ergreifen. Anzurufen, Kontakt aufzunehmen, zu sprechen.

Die Frau müsste ein klares Wort sprechen – „so sind meine Erwartungen, so möchte ich es bzw. so möchte ich es nicht.“ Und dies ist zu klären und dann, wenn es nicht möglich ist, ist es zu beenden.





Sie tut aber alles, um Ivan, diese wenigen gemeinsamen Stunden, nicht zu verlieren obwohl es so eine toxische Situation ist.
Ivan ist eine Wunschvorstellung von ihr. Er wird idealisiert auch wenn er das in seinen Taten bei Gott nicht ist. Aber sie legt so viel Wert auf ihn. Ein großer Teil ihrer Energie geht dahin.


Nur mit Ivan erlebt sie aber auch glückliche Momente, das findet ja mit Malina nicht statt. Mit Ivan wirkt sie lebendig. Sie könnte es vermutlich auch woanders erleben aber sie projiziert dies vollständig auf Ivan.

Im Idealfall kann ein Mann Persönlichkeitsanteile von Ivan und Malina in einer Beziehung leben. Körper und Geist verbinden. Dies trifft auch für die Frau zu.

In der Liebe ist natürlich immer Projektion. Im Idealfall ist es natürlich nicht so viel wie im Roman (lacht).

Die Erzählfigur Malina, das ist der rationale Teil in ihrem Gehirn, der logisch und sachlich hinsieht. Grundsätzlich lässt der Roman aber offen ob Ivan und Malina reale Persönlichkeiten sind oder Aspekte ihres Selbst.

Malina blickt distanziert, rational auf die Situation, sagt „so schaut`s aus“ aber das will sie gar nicht wahrnehmen und hören.

Logik, Rationalität ist wichtig aber Emotionen müssen miteinbezogen werden. Ein Rat für Malina.

Politisch gesehen wird die Gleichstellung von Frau und Mann heutzutage vermehrt in den Blick genommen und es bewegt sich auch etwas. Faktisch gesehen, sind wir von einer Gleichstellung noch ziemlich weit entfernt.

In einer Romanszene wird das gesellschaftliche Machtverhältnis von Mann und Frau etwa beispielhaft thematisiert. Sie wird da von jemanden sofort geduzt und geht dann darauf ein und sagt, dass sie sich oft wie „ein Du“ behandelt fühlt und nicht wie „ein Sie“. Das kann ich bestätigen, dass dies als Frau öfter vorkommt. Ich weiß genau was Ingeborg Bachmann damit meint, dass man nicht auf demselben Level wie jenem des Mannes behandelt wird sondern ein „kleines“ Stück darunter. Das ist leider Gottes auch heute noch so und man muss als Frau dagegen ankämpfen, sich behaupten.

Im Roman sind auch die Gespräche mit der Lebenswelt, der sozialen Umgebung zentral. Deren Meinung ist für die Ich-Erzählerin ganz wesentlich. Das ist auch ein Druck, eine Belastung für sie. Das ist mit der heutigen social media Welt zu vergleichen. Alle posten nur glorreiche Momente, geben vor, dies und das zu sein. Das ist aber nicht die Realität des Lebens.
Dieses social media Konstrukt macht alles das präsenter was man vielleicht selbst nicht hat. Das kann dann persönlich dramatische Ausmaße annehmen.


Der zweite Romanteil mit den grausamen Albträumen vom übermächtigen Vater kann ja für das männliche Geschlecht an sich stehen. Das könnte als unbewusster Ausdruck der Rolle, des Leidens wie Sterbens der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft stehen, den „Todesarten“, von denen Bachmann spricht.



Im Unterschied zu den Träumen, die ja immer ein Horrorszenario darstellen, ist es bei Ivan eine Belohnung für das lange Warten, das Aushalten. Es ist ein Genießen. Da ist kein Zwang, keine Pflicht wie in den Albträumen. Es ist eine Freiwilligkeit und dann wieder das Warten auf diesen Moment.

Es sind Gewohnheiten, Kompromisse, die man in einer Partnerschaft auch akzeptiert. Wenn es ein noch gesundes Ausmaß ist, ist es einfach das getroffene Arrangement. Wenn es ungesund wird und gar gewalttätig, dann heißt es zu reagieren, zu agieren. Da darf man nichts idealisieren.

In langen Beziehungen läuft man oft Gefahr die ganzheitlichen Aspekte des Menschseins im „In-der-Liebe-sein“ zu verlieren. Es ist die Kunst beides zu verbinden, das Rationale, das Reden und die Körperlichkeit. Das ist herausfordernd und schwierig wie wunderschön im immer wieder entdecken, leben.

Die Beziehung zu Ivan ist ja sehr chaotisch. Die Rituale, das Schachspiel etwa, sind der Versuch eine Struktur zu schaffen, Ordnung zu geben. Und Ivan auch ein Stück weit zu binden – „wir haben eine gemeinsame Routine“.

Die Frau gibt ja im Roman ihre künstlerische Tätigkeit, das Schreiben, auf, weil alles Andere überwiegt. Das finde ich als Künstlerin selbst sehr tragisch. Es tut mir in der Seele weh, dieses Aufgeben der Freude und Leidenschaft, die sie ja in der Kunst gefunden, gelebt hat.

Der Roman führt einem in extremer Form vor Augen wie es als Mensch nicht laufen darf.



Es gab so viele Momente im Buch wo ich schlucken und das Buch weglegen musste. Man will sie da auch an der Hand nehmen und auch wachrütteln.



Der Roman macht auch auf die Gegenwart aufmerksam und das wichtige Hinsehen, Zuwenden, Mitgehen mit den Menschen um uns. Oft können einem kleine Gesten ja aus einem emotionalen Tief rausholen. Ein Schritt zum Augenöffnen und einer Perspektive.

Es gibt sehr viele Ivans da draußen, denen ich gerne mal die Meinung geigen würde (lacht) – „achte drauf, welche Auswirkungen deine Handlungen haben!“

Es gibt noch genug Individuen, die gefühlt vor 50 Jahren in ihrer Weltanschauung stehengeblieben sind.

Liebe Sandra, darf ich Dich abschließend zu einem Achrostikon, Wortassoziation, zum Romantitel bitten:
M enschlichkeit
A ufgeben
L iebe
I ntensiv
N ervosität
A nfang
Das Buch gibt viele Denkansätze. Es kann für Leserin/Leser ein Anstoß sein.

50 Jahre Malina _ Roman _ Ingeborg Bachmann _ im Gespräch und Fotoporträt:
Sandra Bell_Schauspielerin, Sängerin _Wien _ Station bei Ingeborg Bachmann_Malina.
Sandra Bell » Musicaldarstellerin / Schauspielerin (sandra-bell.com)
Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _ Wien_6_2021.