„Lonely Ballads Eins+Zwei“ Mitreißende Uraufführung Aktionstheater Ensemble _ Werk X, Wien – 16.6.2021

Da ist der leere Raum. Und da ist der Mensch. Ein Mensch. Immer nur ein Mensch. Kein Mit- nur ein Nebeneinander…

Und da ist die Musik, die Bewegung, das Wort. An das DU. Das Verlorene. Hinter der Wand. An die Menschen. Die Verlorenen. Hinter der Wand. Da und dort….

An die Liebe, an die Kindheit, an die Gegenwart. An das Vergessen. werden. Vergessen geworden sein...

Und die Wut. Über das Erdrückende. Jetzt und von Anfang an...

Und wo war das nun? Der Punkt – als sich das Leben drehte? Wer hat verloren? Ich mich? Du dich? Oder wir uns?…

Immer wieder geht der Tag, der Mensch verloren. Da und dort. Laut oder leise. Jetzt bleibt das Ringen. Mit der Leere. Das einsame. 1, 2, 3, 4 – hallo! Ich bin noch hier! Sehnsucht, Lust, Verzweiflung, Macht, Unverständnis…das Ringlspiel des Lebens….

Lass mich erzählen. Wie es ist. Lass mich erzählen. Immer weiter. Ich will ein Mensch sein auf meine Art. Lass mich reden…

Lass mich. Meine Geschichte. Meine Ballade. …

Es bleibt die Musik. Bis zum Schluss…

1, 2, 3 und Leben 4 und dann sind wir nicht mehr hier. Lonely Ballads…

Die Uraufführung „Lonely Ballads Eins + Zwei“ des Aktionstheater Ensembles im Werk X Wien, 1120 trifft punktgenau in das zerrissene, blutende Herz von Mensch und Zeit.

In einzigartiger dramatischer Wucht und Hintergründigkeit setzen das hervorragende Aktionstheater Ensemble Team mit dem genialen Regie-Dramaturgie Duo Martin Gruber und Martin Ojster, den hervorragenden Ausnahmeschauspieler*innen Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Benjamin Vanyek, Tamara Stern und der großartigen Musik mit und von Kristian Musser, Nadine Abado, Andreas Dauböck, Simon Gramberger, Joachim Rigler, Simon Scharinger Pfeil um Pfeil aus dem brodelnden Seelenköcher des alltäglichen Scheitern des Menschseins auf die Bühne. Und diese brennt, und wie!

Inszenierung und Darstellung entlarven in einer unglaublichen Intensität von Sprach- und Körperspiel einen melancholischen Narzissmus als gesellschaftliche Mitte der Zeit, dessen dunkler wie gefährlicher Grund Angst und Einsamkeit ist. Die erfahrenen Todesarten persönlicher Kränkung in Biographie und Beziehung werden zu Keimzellen der vielen gesellschaftlichen Todesarten von Verachtung und Gewalt. Man stirbt an dem, was einem angetan wird und in diesem Sterben wird es anderen angetan. Der Ausgangspunkt erfahrener Lebensfeindlichkeit wird zum Wiederholungszwang, der nicht zu brechen ist. Oder doch?

Ganz außergewöhnlich funktioniert auch der dramaturgische Transfer von Bühne und Publikum. Die Darstellung exemplarischer Lebenswelt zündet von Anfang an und lässt bis zum Finale nicht los. Das Publikum ist sofort mittendrin in Lachen wie betroffener Stille.

Genial sind alle exemplarischen Lebensbeispiele, die in einem furiosen schauspielerischen Crescendo – vom Beamerkauf mit Schwangerschaftsfolge, dem Küchennazi in der Pfanne, der „Tschuldigung“ Karottentorte im Wiener Cafè oder dem Buam und dessen lebenslanges im Kreisfahren zwischen Bim und Familie – welches die Publikumsaufmerksamkeit in Lachen wie Stille mitreißend zünden lässt. Was die Ausnahmeschauspieler*innen Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Tamara Stern und Benjamin Vanyek hier an bitter melancholisch-narzisstischen Erfahrungsstriptease bieten, ist einfach Klasse und ein Geschenk an Publikum und das Theater an sich. Im atemberaubenden Tempo wird hier eine Soloperformance gesetzt, die Sprache und Körper gleichsam immer wieder explodieren lässt. Zu bewundern ist dabei auch die darstellerische Konzentration und Kondition bei sengender Hitze im Bühnenraum. Zweifellos gehört dies zum Besten was auf den Gegenwartsbühnen zu sehen ist.

Der Mut und das Vertrauen von Regie, Dramaturgie wie Ensemble wird mit intensiver Publikumsaufmerksamkeit begeistert belohnt.

Sensationell ist auch wie im individuellen Setting gesellschaftliche Themen geöffnet und verdichtet werden. Etwa die historische Unkenntnis in unqualifizierten Vergleichen in Covid-Zeiten – Anne Frank-Covid Isolation – als gefährliche Angst-Melange der Zeit. Oder die Stellung von Kunst und Gesellschaft, wenn Isabella Jeschke über das Leben als Künstlerin in Covid-Zeiten mitreißend pointiert wie gesellschaftlich entlarvend erzählt. Ob Kaufhaus, Küche, Cafè oder Straßenbahn, es geht immer um Mensch und Gesellschaft und das unter Tränen des Lachens und Weinens.

Ebenso ist das Musik-Ensemble hervorragend. Die Songs sind mitreißend ausdrucksstark und wie hier in Wechsel, Dialog und dramatischem Spannungsaufbau mit Wort und Spiel interagiert wird, ist Sonderklasse.

Das Theaterkonzept Martin Grubers ist einzigartig. Über den Menschen in solch schonungsloser Offenheit zu erzählen, in Sprache und Körper, diese Intensität braucht auch etwas, um die Wucht des Ausdruckes aufzufangen, zu begleiten. Es braucht die Musik, wenn das alltägliche Grauen in solcher Dramatik spielerisch benannt wird, sonst würde es Bühne und Publikum zerreißen.

Die Musik trägt in dieser stellvertretenden Reise in die Abgründe des Lebens. Das Bühnenlicht geht an und geht aus. Doch bei Martin Gruber ist Analyse zugleich immer Utopie. Das Wort des Menschen ist vor Einsamkeit laut oder stumm schreiend in den vier Wänden. Aber da ist auch ein Leiserwerden, eine Stille. Und hier ist Aufmerksamkeit, hinsehen und hinhören eine Chance. Da lebt auch eine ganz kräftige Utopie für Mensch und Leben. In und aus der Einsamkeit. Ein Tag wird kommen? Und Musik weiß hier vielleicht am Besten Impulse zu geben. Laut und leise in der Einsamkeit.

Herzlichen Dank Martin Gruber und Aktionstheater Ensemble für dieses geniale mitreißende Spiegelkabinett von Mensch und Zeit!

LONELY BALLADS EINS + ZWEI

Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble in Koproduktion mit Kulturservice der Landeshauptstadt Bregenz im Rahmen des internationalen Festivals Bregenzer Frühling in Kooperation mit WERK X

Konzept, Regie, Choreografie: Martin Gruber | Text: Martin Gruber, aktionstheater ensemble | Dramaturgie: Martin Ojster | Musikalische Leitung: Kristian Musser, Nadine Abado, Andreas Dauböck | Bühne, Kostüme: Valerie Lutz | Video: Maximilian Traxl | Regieassistenz: Pia Nives Welser | Mitarbeit: Felix Dietlinger, Hacer Göcen Mit: Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Tamara Stern, Benjamin Vanyek und Nadine Abado, andreas Dauböck, Simon Gramberger, Kristian Musser, Joachim Rigler, Simon ScharingerDauer: 2h 30min, inklusive 15min Pause

Premiere_ Mi 16. Juni 2021, 19.30 Uhr, Uraufführung.

Weitere Termine: Do 17. Juni 2021, 19.30 Uhr, Fr 18. Juni 2021, 19.30 Uhr, So 20. Juni 2021, 19.30 Uhr, Mo 21. Juni 2021, 19.30 Uhr, Mo 21. Juni 2021, 19.30 Uhr

Szenische Fotos_Gerhard Breitwieser.

Schlussapplaus Fotos_Walter Pobaschnig.

Walter Pobaschnig 17.6.2021

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