Liebe Julia, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Oft erwache ich, weil mein kleines Kind an mein Bett kommt und meine Nase in den Mund nimmt. Oder aber ich höre es rufen, dann hebe ich es aus seinem Bett. Dann Kaffee, dann dem grösseren Kind sagen, es soll Zähne putzen, dann dem grösseren Kind nochmals sagen, es soll Zähne putzen, dann zuhören wie der Heinz (der Vater des Kinder) dem Kind sagt, es soll Zähneputzen, dann das Kind aus der Wohnung begleiten, dem Nachbarskind hallo sagen, dann vom Balkon winken, dann nochmals einen Kaffee trinken mit heinz und dem auf dem Teppich herumrollenden kleineren Kind, dann das kleinere Kind in die Kita bringen, dann zum See fahren, dort ins Atelier sitzen und schreiben. Dann schwimmen im See. Dann wieder Kaffee. Schreiben. Schreiben. Dann nachhause fahren, dann Abendessen mit Kindern und Erzählungen der Tage und Rufen und manchmal Tanzen, dann Kinder ins Bett und dann Wein trinken mit Heinz und über das Geschriebene oder die Kinder oder die Welt oder die Bewegungen reden.

Julia Weber, Schriftstellerin _ Bachmannpreisteilnehmerin 2021
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Gerade fällt es mir schwer zu sagen, was wichtig ist, weil gestern hier, in der Schweiz etwas Wichtiges gewesen wäre.
Und es ist ja beinahe so, als wäre die Pandemie vorüber. Aber das ist sie nicht. Es hätte Chancen gegeben auf ein Umdenken, eine neue Umsicht, eine neue Betrachtung von Notwendigkeiten, von Vorsicht mit Menschen und Welt. Aber wir haben Corona bekämpft und nun machen wir weiter wie zuvor. Die Flugzeuge werden wieder fliegen, die Menschen wieder ihre Burnouts produzieren und das Geld wird fließen, Fleisch wir produziert, als hätte es nichts mit Lebewesen zu tun, die ein Anrecht auf ein gutes Leben haben.
Wir haben in der Schweiz gestern über ein Gesetz abgestimmt, dass den Co 2 Ausstoß reduzieren soll und das Volk hat dieses Gesetz abgelehnt. Ich weiß nicht, was los ist, was die Menschen denken, wo wir stehen, warum mehr als die Hälfte der stimmberechtigten Menschen in diesem Land nicht begreift, dass der Klimawandel da ist. Vielleicht kann ich darum die Frage gerade nicht beantworten, was wichtig wäre. Was besonders wichtig gewesen wäre, wurde gestern abgelehnt.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Die Kunst hat für mich immer, in allen Zeiten, nach und vor und bei allen Aufbrüchen, aber vor allem in Zeiten des Schlafes, in die wir nun langsam wieder zurückkehren, die Aufgabe des Wachhaltens oder Wachrüttelns oder neu Erfindens, beweglich Bleibens.
Was liest Du derzeit?
Gerade habe ich drei Kameradinnen von Shida Bazyar fertig gelesen.
Und nun das alles hier, jetzt von Anna Stern angefangen
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Es gibt so viele wichtige Impulse und wunderbare Zitate, die mir natürlich jetzt nicht einfallen, ach ich bin leider auch nicht besonders belesen. Ich glaube, ich will euch einfach diese zwei Bücher empfehlen, auch wenn ich das eine erst gerade angefangen habe. Sie stehen sehr gut neben nacheinander, das eine, drei Kameradinnen ist ein lautes Buch und es hat mich umhergeschleudert, ich musste in mich hineinhören, ehrlich sein, im eigenen Dunkel bewegen, still sein. Und das alles hier, jetzt ist leise und weich und bis jetzt auch eine reise in einen heilen Teil meiner eigenen Kindheit und in eine Trauer hinein.
Vielen Dank für das Interview liebe Julia, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Julia Weber, Schriftstellerin _ Bachmannpreisteilnehmerin 2021
Julia Weber (CH) – Bachmannpreis (orf.at)
Foto_Ayse Yavas
15.6.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.