Bachmannpreis 2021_
Im Gespräch und Fotoporträt: Magda Woitzuck Schriftstellerin_Bachmannpreisteilnehmerin 2021

Ich lebe in Niederösterreich auf einem mittlerweile stillgelegten Bauernhof, ich bin da auch aufgewachsen. Ich habe jetzt eine Wohnung im ehemaligen Stall, wo ich auch arbeite. Der Weg zurück war auch mein Weg zu einer künstlerischen Existenz, die Möglichkeit dazu.


Als Schriftstellerin arbeite ich grundsätzlich wie andere Menschen von Montag bis Freitag. Früh aufstehen und dann zum Schreibtisch. Bei Projektarbeiten ist es manchmal sehr dicht und zeitintensiv, dann geht es auch in den Abend und das Wochenende. Es gibt aber dann auch wieder eine Freiheit der Zeiteinteilung.

Unser Bauernhof war eine biologische Landwirtschaft. Meine Eltern haben vieles selbst produziert, Brot, Würste, Marmelade und so weiter. Meine Mutter fuhr mit den Produkten auch auf den Markt. Wir hatten alles außer Kühe. Früher gab es noch mehrere Milchbauern in unserer Gegend und ich fuhr mit dem Radl und der Milchkanne, so eine klassische Emaille-Kanne, zur Nachbarin. Im Umkreis des Dorfes gibt es lokale Lebensmittelproduzenten. Lebensmittel direkt vom Bauern zu besorgen ist eine Organisationsfrage. Manchmal bekommt man auch Wild vom Jäger.


Die ländliche Verortung spielt in meinem Schreiben sicherlich eine Rolle. Es ist für mich jetzt schwer zu beurteilen ob das auch eine Seelenarbeit, Auf- oder Abarbeitung von Erlebtem ist. Grundsätzlich ist es eher die Topographie, die wichtig ist. Man schreibt über das was man kennt. Was einem vertraut ist. Das landet nie eins zu eins in einem Text, aber es fließt sicherlich einiges mit ein.

In den letzten Jahren schrieb ich viele Hörspiele. Im Hörspiel „Vom Fehlen des Meeres auf dem Lande“ (ORF 2013) spielt das Landleben eine große Rolle. Die Hauptfigur pendelt zwischen ihrem Zuhause auf dem Land und der weiten Welt hin und her. Im Dorfwirtshaus tauscht sie bei der Wirtin Muscheln und Schnecken gegen Schnitzel und Zigaretten, bis die Sehnsucht der Wirtin nach dem Meer zu groß wird und die ganze Sache eskaliert. Außer dem Wirtshaus und der Wirtin kommt auch der Wald vor, und ein Jäger. Aber eben auch das Meer.

In der Natur, im Umgang mit Tieren kann man die menschlichen Grenzen spüren. Da liegt ja auch eine gewisse Komik drin: der Mensch rauft mit der Natur herum, mäht den Rasen, jätet Unkraut, kämpft gegen Nacktschnecken, bestellt seine Felder, versucht, der Brombeerhecken Herr zu werden – und das Raufen hört nicht auf. Die Natur macht, was sie will und kann. Diese Unerschütterlichkeit, dieses einfach-vor-sich-hinwachsen, das finde ich sehr tröstlich. Da wird alle moderne Machbarkeit und die eigene Existenz relativiert. Man kann sich auch gut in der Natur verstecken. Und es lässt sich dort sehr viel entdecken. Das Verborgene um uns und das Verborgene in uns liegen ja oft sehr nahe beieinander.

Ich lebte in Wien und war und bin nach wie vor viel unterwegs. Zurück auf das Land zu ziehen war ein bewusster Schritt aus dem Urbanen. Die Ruhe war da ausschlaggebend, der Raum. Und der Horizont. Dass das Auge zum Horizont gehen kann. Die Farbe Grün hat da auch einen sehr großen Effekt. Es kann aber auch am Land sehr laut sein, das glaubt man ja nicht, Traktoren, Vögel, Hufgeklapper, brüllende Stiere, Wind (lacht), aber das ist natürlich anders als der Verkehrslärm in der Stadt.


In meiner Jugend war immer viel Arbeit am Bauernhof. Die Studienzeit in Wien war dann auch eine Zeit des Schreibens, der Zeit dafür.
Ich bin gerne umgeben von Tieren. Habe jetzt einen Hund und zwei Schildkröten, eine Katze. Und ich reite gerne am Hof meiner Freundin.
In der Schule hat mich eine Lehrerin im Schreiben sehr unterstützt. Da war ich zwölf. Diese Förderung in der Schule setzte sich dann fort. Es kam dann schon zu Textveröffentlichungen und Lesungen. „Fleischbeschau“ war eine meiner ersten Kurzgeschichten.

Es ging da um das Kommen des Tierarztes nach der Schlachtung. Wir hatten Schweine, die auch am Hof geschlachtet wurden. Nach dem Schlachten wurde das Fleisch von einem Tierarzt kontrolliert. Wenn alles passte, bekam die Schweinehälfte einen Stempel und das Fleisch konnte weiter verkauft oder verarbeitet werden.

Meine Mutter stammt aus Polen, studierte in Wien Dolmetsch, mein Vater ist Österreicher und fuhr vorher zur See. Gemeinsam wagten sie den Weg eines Biobauernhofes. Es gab aber immer auch einen großen Freundeskreis von Künstler*innen. Das Landleben war so immer auch in Kontakt/Austausch mit dem Künstler*innenleben. Meine Eltern waren meinem Schreiben gegenüber sehr wohlwollend. Sie freuten sich. Meine Mutter unterstützte mich sehr. „Macht etwas, mit dem ihr glücklich seid“ sagte meine Mutter immer zu uns drei Geschwistern. Ich bin die älteste, habe einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester.

Ich war sehr vorsichtig beim beruflichen Schritt zur Selbständigkeit als Schriftstellerin. Da war so viel Freude am Schreiben und dann die Angst durch diesen Schritt etwas zu zerstören. Es kam dann zufällig nach dem Studium. Als ich von einer Reise zurückkam, war da schon der nächste Auftrag. Das ist jetzt zehn Jahre her.
Im letzten Jahr habe ich an einem 13-teiligen Feature-Podcast für SWR2 gearbeitet, an einer Dokumentation. Das war eine ziemliche Herausforderung. Das journalistische Arbeiten, die Regie, die Tontechnik, das war alles Neuland für mich. Es geht um eine Frau, die im Jahr 2000 in Wien für den Handel mit Haschisch verhaftet wurde. Ich bin gespannt wie die Veröffentlichung ankommt. Das wird unmittelbar nach dem Bachmannpreis sein. Dann schrieb ich ein Hörspiel und den Bachmannpreistext. Ich habe auch an einer Stückentwicklung für eine Performance mitgearbeitet.

Die Schriftstellerin und Bachmannpreisjurorin Vea Kaiser rief mich im Jänner des Jahres an und fragte mich ob ich einen Text zum Bachmannpreis hätte. „Nein“, sagte ich und überlegte was ich schreiben könnte. Ich griff dann eine Textidee auf und sandte den ausgearbeiteten Text an Vea. Im März bekam ich dann von ihr die Einladung. Ich war ziemlich überrascht, freute mich aber sehr. Das ist schließlich eine große Auszeichnung.

Es gab dann die Aufnahme für die Lesung vom ORF. Jetzt habe ich ein Technik-Paket des ORF mit einem Stativ und tablet zuhause, dazu eine präzise Anleitung für den Aufbau an den Tagen der Live-Übertragungen. Es gibt auch einen genauen Zeitplan zur online Anwesenheit. Am Dienstag vor der Eröffnung gibt es einen Testlauf. Ich hoffe, dass das Internet hält (lacht), auch hier am Land.

Der Bachmannpreis ist ein wesentlicher Teil des literarischen Jahres. Es ist etwas sehr Großes. Daher ist es jetzt sehr besonders für mich selbst dabei sein zu dürfen.

Das Live-Lesen ist natürlich eine Anspannung, da bin ich froh, dass ich nicht ins Studio muss (lacht). Aber Klagenfurt als so vielstimmiger Begegnungsort und Treffpunkt von Kultur und Literatur, Kolleg*innen und Interessierten, das ist sehr schade, dass dies heuer aufgrund der Umstände nicht möglich ist.
Unter uns Teilnehmer*innen gibt es jetzt im Vorfeld kein (online) Treffen oder einen weitgehenderen Austausch. Persönlich habe ich jetzt mit meiner Kollegin, Teilnehmerin Katharina Ferner Kontakt.

Ingeborg Bachmann, das ist oberstes Bücherregal.

Die Kindheit — da sind ganz viele erste Male, wo wir mit der Welt in Berührung kommen. Die ersten Male werden dann immer weniger. Und damit festigt sich unser Bild von der Welt, wir entdecken immer weniger Neues in ihr, verlieren da auch ein bisschen von unserer kindlichen Freude am Entdecken, von unserer Neugier. Schreiben ist ein Versuch, diese Freude und Neugier zu erhalten, oder sie vielleicht wiederzufinden.

Ich erschreibe mir eine Welt.
Worte, das sind Bausteine, aus denen sich eine Welt zusammensetzen lässt. Es ist ein bisschen wie Lego.

Im Hörspiel hast Du auch im Kopf, dass es speziell dialogisch, akustisch ist. Die Geschichte muss übers Hören verstanden werden, die Bildebene fehlt, aber im Gegensatz zu einem Buch kann man nicht zurückblättern. Und dann kommt noch dazu, dass zwischen mir und den HörerInnen mehrere Instanzen sind, die das Stück nochmal verändern: die Regie, die SchauspielerInnen, der Schnitt. Jede involvierte Person bringt noch einmal was eigenes mit, das am Ende in das Stück einfließt.
Im Prosaschreiben bin ich alleinverantwortlich. Ich schreibe den Text und der Leser liest ihn, da gibt es keine Instanzen dazwischen. Wie der Leser den Text liest, bleibt ihm überlassen, er wird nicht durch eine Stimme geführt, durch Musik oder Regie.

Ich würde mir wünschen, dass in der Literatur, Kunst nicht nur auf die ganz „Großen“ gesetzt wird, sondern Diversität erhalten und gefördert wird. Dass man sich was traut, nicht immer Angst hat, dass Publikum könnte etwas nicht mögen. Mehr Mut. Einfach mehr Mut (lacht).

Ich habe eine große Leidenschaft und Liebe für das Schreiben und freue mich sehr, dass ich das teilen darf. Ich hoffe, ich kann das noch lange machen.

Liebe Magda, ich darf Dich zum Abschluss des Interviews zu einem Bachmannpreis-Akrostichon, einer Buchstaben Assoziation in Wort oder Satz bitten:
Achrostikon _ Bachmannpreis
Breit
Aufregend
Chaos (inneres)
Heiß
Meer
Abenteuer
Nervös
Nahegehend
Prestige
Ritt über den Wörthersee
Exklusiv
Interessante Erfahrung
Souveränität

Herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Magda, alles Gute und viel Freude und Erfolg für den Bachmannpreis!
Teilnehmende Schriftsteller*innen im Gespräch:
Magda Woitzuck_ Schriftstellerin_Niederösterreich.
aktuelles und lesetermine – magdawoitzucks Webseite!
Fotos_Landschaft_Magda Woitzuck.
Interview und alle Fotos Portrait_Walter Pobaschnig _ Hotel Royal_Wien_6_2021.
Infos Bachmannpreis 2021_ Bachmannpreis (orf.at)