
„Lyrik lädt uns ein zu der einfachsten und schwierigsten aller Begegnungen, der Begegnung mit uns selbst“, schreibt die Dichterin Hilde Domin. Dazu braucht es für den Menschen „eine Pause, in der die Zeit stillsteht…darin ist die Kunst der Liebe verwandt…“. Diese Pause ist für Domin eine „aktive Pause“, ein Atemholen, ein Blick und Griff nach Innen und Außen, ein Vorwärtsgehen in Leben, Sinn und Liebe. In allem Sturm der Zeit.
Julia Kulewatz, Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin, lädt mit Ihrem ersten zweisprachigen Lyrikband Orkaniden (deutsch/englisch) zu einer poetischen Selbstbegegnung des Menschen, die gleichsam Zeitinseln von Sinn und Welt wiederentdecken lässt. In direkter Selbstaussage und Dialog wird die Erfahrung von Sein in Begegnung und Liebe zur zentralen Selbstvergewisserung und Erkenntnis. Im Fortschreiten darin, in Glück und Scheitern, geht es um Wort und Stimme, die Erfahrenes benennen, sagen und bewahren, leiden und klagen, daraus Kraft schöpfen in Vision und Ausblick im Sturm des Lebens. Der Mensch ist hineingestellt in Zeit und Raum aber nie allein darin. Und aller Anfang ist dabei das Wort im Ich und Du. Dies gilt es immer wieder zu erschaffen, zu benennen und fortzubilden.
Julia Kulewatz ist eine Meisterin der Wort- und Lebensfarben. Ihre Poesie ist ein Kreuzungspunkt von Licht und Dunkel, an dem es um das Innerste, um alles geht. In virtuoser Variation poetischer, mythologischer Referenzen (Genial auch der Bezug und Transfer von Ingeborg Bachmanns „Undine“ Erzählung im Gedicht “Männer mit Namen Hans“) wird das Gedicht zu einer Seelenreise, die Freiheit und Raum eines Lebens öffnet und in Ansprache, Reflexion und Impuls begeistert. Überraschung und Entdeckung – Poesie im besten Sinne!
Es ist ein großes Geschenk, dass uns Julia Kulewatz mit dieser poetischen Reise zu Selbst und Sinn macht. Ein Wort-Geschenk, das auch in seiner wunderbaren Edition mit Illustrationen von Jantien Sturm begeistert!
„Das Gedicht ist unverzichtbar in Selbsterkenntnis, Mut und Freiheit. Es gibt keinen besseren Beweis dafür!“
Walter Pobaschnig 5_21
Man fragt sich: Was soll ein Gedicht noch in diesen Zeiten? Dabei hallen vielleicht zusätzlich die Worte von Karl Marx in den Ohren, dass es doch ganz darauf ankommt, die Welt zu verändern. Die Welt. Die ganze Welt? Hmm, das ist viel verlangt. Insbesondere in, ja, Zeiten wie diesen. Ingeborg Bachmann, der das Sturmgedicht „Männer mit Namen Hans“ gewidmet ist und auf die auch Walter Pobaschnig in seiner wunderbaren Rezension Bezug nimmt, hat dazu einmal in einem Gespräch mit Karol Sauerland das Folgende gesagt: „Natürlich kann man durch ein Gedicht nicht die Welt verändern, das ist unmöglich, man kann aber doch etwas bewirken, und diese Wirkung ist eben nur mit dem größten Ernst zu erreichen, und aus den neuen Leid-Erfahrungen, also nicht aus den Erfahrungen, die schon gemacht worden sind, von den großen Dichtern, vor uns.“ Eines steht, jedenfalls für mich, fest: Die Sturmgedichte bewirken etwas, machen etwas mit einem, wie man so schön sagt, ziehen Grenzen, öffnen Türen, machen Hoffnung und lassen die eigenen Gedanken durch die Luft wehen, um sie einem dann, als wären es andere geworden, wieder neu in die Hände zu legen. Wobei: Man muss vielmehr in der Luft nach ihnen greifen. Das macht Sinn. Insbesondere in, ja, stürmischen Zeiten wie diesen.
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