Lieber Jan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Gerade ist es bei mir von außen betrachtet ziemlich eintönig. Nicht nur wegen Corona, sondern auch weil unsere erwachsenen Kinder ausgezogen sind und ich derzeit keinen Lehrauftrag oder dergleichen habe. Zuletzt, also letzten Sommer habe ich noch einmal die Woche über Skype am DLL unterrichtet. Da hat mir natürlich der unmittelbare Kontakt sehr gefehlt. Die Zeit vor und nach dem Seminar, vor dem Gebäude. Und auch die Gesten, Blicke, all das Nonverbale, Körperliche. Jetzt stehe ich auf, lese, schau in die Mails, versuche das eine oder andere aufzuschreiben. Rede hin und wieder mit meiner Frau. Ich lese sehr sehr viel gerade. Für mich ist das eine Art Rettung. Allerdings kam das schon vor Corona. Da ich Multiple Sklerose habe, ist lesen meine Art spazieren zu gehen. Das kommt mir jetzt natürlich zu Gute.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Das was immer wichtig ist, wir sollten kommunikationsbereit sein. Und vor allem einander hin und wieder fragen, wie wir klar kommen.Und alle Kanäle nutzen. Telefon, Chats. Was geht halt und das ist ja nicht wenig.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich fürchte, wir werden die Pandemie schnell vergessen haben und in alte Spielformen zurückfallen. Dabei stünde eine Veränderung unserer Lebensweise an, dass wir den Planeten für uns nicht unlebbar machen. Wir sollten die Pandemie in dieser Hinsicht als Training betrachten.
Was liest Du derzeit?
Mary Shelleys „Der letzte Mensch“ unter anderem. Das ist ein Scencefiction, der vom Ende der Menschheit berichtet. Am Ende des 21. Jahrhunderts und das Verblüffende ist, dass Shelley noch nix vom Siegeszug des Verbrennungsmotors wusste, als sie das schrieb. Ich bin ein Fan ihrer Literatur und schon in „Frankenstein“ hat sie sich als geradezu prophetische Autorin erwiesen und die Frage formuliert, wie wir uns dem von uns Geschaffenen gegenüber verhalten sollten.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Das ist sehr schwierig, weil ich Allgemeinem misstraue. Aber es gibt eine Kürzestgeschichte des Guatemalteken Augusto Monerroso. Sie heißt „Der Dinosaurier“ und geht so: „Als ich erwachte, war der Dinosaurier noch da.“ So wird es sein. Wir werden uns nach der Öffnung als die wiederfinden, die wir waren.
Vielen Dank für das Interview lieber Jan, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Jan Kuhlbrodt, Schriftsteller
Jan Kuhlbrodt | Zur Person | Poetenladen
Foto_Nelly Tragousti
9.3.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.