Liebe Judith-Elisa, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tag beginnt mit meiner Arbeit zwischen 3 und 4 Uhr morgens, das tat er aber immer. Aufgrund der vielen Heimarbeit ist es nur umso wichtiger für mich, viel in den Morgenstunden abdecken zu können, da mich dann meine Kinder sehr turbulent und sehr früh überfallen. So anstrengend es ist – das viele Lachen mit den beiden Clowns ist einfach unschlagbar. Danach bringe ich irgendwie Kinder, Familie, wissenschaftliche Forschungs- und Vortragsarbeit, Online-Unterricht und Training meiner Tänzer-/StudentInnen, Leitung von Schule und Akademie… unter einen Hut, wie jeder berufstätige Elternteil. Abends habe ich das Gefühl bereits zu schlafen bevor mein Bett auch nur in meiner Nähe ist.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Das was immer wichtig war. Daran hat sich für mich nicht wirklich was geändert. Liebe und Geborgenheit, Sicherheit und Wärme, also Familie und Freundschaft, Flexibilität, Kreativität… Darin das Genießen des Jetzt und das Wissen um das Morgen. Es gibt immer „dunkle“ Zeiten, aber die sind dafür da, dass wir auch das Licht wieder schätzen lernen. Daran versuche ich mich zu erinnern, wenn mich die Sorge packt.
Viele Menschen, inklusive mir, denken viel nach. Was gut ist. Als Beispiel: Vor Corona klebten so viele Menschen am Handy oder PC – wenn auch viel kritisiert. Jetzt müssen wir Familie und Freunde online treffen, online trainieren, unterrichten, besprechen, usw. – wir haben doch das was wir immer wollten, könnte man sagen… Es ist schön zu sehen, wie viele aufwachen und erkennen, dass das doch nicht das Leben ist, das uns glücklich macht und andere Werte wieder wichtig werden. Wenn wir klug sind, verstehen wir, wo die wirklichen Werte liegen im Leben, die sich von Lockdowns etc. nicht aufhalten lassen (und jetzt könnte man mit meinem ersten Satz wieder von vorne beginnen 😊)
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Tanz, der Kunst an sich zu?
Aufbruch ist ein schönes Wort: die Erde bricht auf, um eine Pflanze durch zu lassen, die das Sonnenlicht sucht und zu wachsen beginnt… Wir brechen auf, um die Erkenntnisse, die wir jetzt durch Corona erlangt haben (hoffentlich) in die Tat umzusetzen. Der Tanz war immer Teil von Mensch und Tier, er wird auch jetzt begleiten, Mut machen, erfreuen, zum Denken anregen… Wenn man den Entwicklungsweg des Tanzes betrachtet sieht man, dass die dunkelsten Zeiten (zb. Tanzzäsur der Kirche im Mittelalter) immer jene waren, die dem Tanz/der Kunst am meisten Entwicklung brachten. So wird es auch mit dieser Situation jetzt sein, die Tanz und Kunst wahrlich hart trifft. Wir werden stärker daraus hervorgehen als wir hinein gingen.
Ich denke viel darüber nach in meiner täglichen Arbeit: Tanz hatte das Gefühl, grenzenlos zu sein. Es gab ja wohl tatsächlich nichts, was es darin nicht gab. Das steuerte auf eine absehbare Erschöpfung zu, während gleichzeitig die Tanzwelt taub für gewisse wesentliche Neuerungen wie zum Beispiel die Tanzmedizin zum Schutz der Tänzer war. Seit Corona begann, hat hier auch viel Umdenken stattgefunden, vielleicht, weil Zeit zum Nachdenken war für viele, die jetzt zuhören und wissen wollen, wie man die Tanzmedizin und tanzmedizinische Tanzpädagogik nützen kann für Zeiten wie diese (wie der kreative Aspekt des Tanzes in solcher Isolation aufrechterhalten werden kann, wie man Online Tanz so unterrichten kann, dass Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Amateure und Profis gesund und glücklich erhalten werden können) und für die Zukunft (wie muss Training jetzt gestaltet werden, um für die Rückkehr zur Bühne fit aber auch verletzungsfrei zu sein und darüber hinaus insgesamt stärker, autonomer, mutiger, selbständiger zu werden)… wir diskutieren in meinen Seminaren und Klassen und schaffen so viel Neues, oftmals aus dem Nichts und der Verzweiflung.
Vor kurzem habe ich ein internationales Seminar in der tanzmedizinischen Tanzpädagogik gehalten zum Thema Tanzgeschichte und Entwicklung des Menschen. Danach sagte jemand in der Diskussionszeit: „Das Ganze hat mich jetzt so glücklich gemacht. Ihr Vortrag, der Tanz und die Tanzmedizin machen mir Mut. Der Tanz ist wie wir: Er steht immer auf, er hört nie auf, er sucht sich seinen Weg und er geht stärker aus Katastrophen heraus als er hinein ging.“
… Das ist, was Tanz und Kunst wirklich sind: Stehaufmännchen. So wie wir.
Was liest Du derzeit?
Fachliteratur aus Medizin, Tanzmedizin, Tanzpädagogik, Sportmedizin, Tanzwissenschaften, Text- und Drehbücher…, die Korrekturabzüge meiner eigenen Publikationen und Bücher…, viel zu viele Emails…
…und „Pony, Bear & Appletree“, „Petterson and Findus“, oder die verschiedensten Abenteuer der „Famous Five“. Letztere lese ich gemeinsam mit meinem Mann laut vor und wir haben ein begeistertes Publikum (uns selbst eingeschlossen 😊)
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Es ist ok, wenn du Angst hast, wenn du nur nie vergisst, dass du alles schaffen kannst und deshalb weiter gehst.“ (mein geliebter Mann)
judithelisakaufmann.com; tanzpaedagogik.eu; bodyartandexpression.com)
Vielen Dank für das Interview liebe Judith_Elisa, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Tanzprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Vielen Dank von meiner Seite und herzlichen Gruß!!! Judith-Elisa Kaufmann
5 Fragen an KünstlerInnen:
Judith_Elisa Kaufmann, Tänzerin _ Tanzpädagogik & Tanzmedizin
Judith-Elisa Kaufmann – Body, Art & Expression – Startseite (bodyartandexpression.com)
Tanzpädagogik – Judith-Elisa Kaufmann (tanzpaedagogik.eu)
Foto_Foto_Furgler.
11.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.