Liebe Claudia, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
während ich den ersten lockdown für einen unheimlich ruhigen und produktiven rückzug am land nutzen konnte, war mein alltag im 2.lockdown bis jahresende durch 2 jobs extrem durchgetaktet, für meine künstlerische tätigkeit blieb wenig kraft – das war natürlich frustrierend, aber finanziellen notwendigkeiten geschuldet. die kaum verbleibende zeit nutzte ich für einreichungen, organisatorischen aufwand der kunst. Im hinterkopf, im hinterzimmer der seele, beschäftigten mich 2 ausstellungen, die im frühjahr 2021 geplant waren. oder phantasierte über den letzten teil einer gruppenprojekt-triologie.

nun im dritten lockdown gelandet, ist vorerst wieder alles anders. ich habe wieder zeitlichen freiraum für meine künstlersche arbeit geschaffen, was wunderbar ist, bin aber auch erschöpft. mit der verschiebung der geplanten ausstellungen konfrontiert, muss ich neu planen. das gesamte fotowien festival wurde zb auf 2021 verlegt. das frustriert schon sehr, trotz aller akzeptanz notweniger programmänderungen. ausserdem realisiere ich gerade wie ausgehungert ich schon nach einem normalen, vollen kunst und kulturbetrieb in wien oder woanders bin, ich vermisse das damit verbundene soziale leben, zufällige treffen, spontanes feiern des augenblicks ;-)) anstelle über weite strecken alleine weiterzuwurschteln .. anfangs hat mich dieser stillstand gar nicht gestört, im gegenteil, das hatte was sehr beruhigendes, jetzt kommt ein fehlen dazu
über mein aktuelles persönliches zeitfenster bin ich glücklich, ich kann mich wieder vertiefen, lesen und recherchieren, vorrangig zum projekt „biographie als landschaft“, ohne zeitdruck, ausserdem überarbeite ich gerade alte zeichnungen und photographien, mache an leinwänden weiter .. das finde ich sehr interessant, bestehendes aufzugreifen und fortzuspinnen, verschiedene zeiten zu collagieren ..

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
selbstachtsamkeit und solidarität.
solidarität beginnt ja schon im kontakt halten, sich für anliegen und sorgen der anderen zu interessieren, sich auszutauschen. mir war es ganz wichtig mich für gemeinsame künstlerische projekte zu engagieren, dh teilen von fördermittel, waren sie auch minimalst. zb mit tatjana hardikov zusammen, wir haben 2 erfolgreiche gruppenprojekte verwirklicht, gleich nach dem 1. lockdown „from nowhere to nowhere“ und noch vor dem 2. das projekt „wir“, jeweils mit 10 anderen künstlerInnen – das hat allen extrem gut getan, zusammenzuarbeiten, auch wenn die sozioökonomischen belastungen im herbst schon sehr an allen gezerrt und spuren hinterlassen hatten. jetzt im dritten lockdown sieht es schon wieder anders aus .. angestrengter, erschöpfter, viele sind im rückzug .. der herbst hat auch mich ausgelaugt .. künstlerfreundinnen geht es aehnlich, die aufrechterhaltung des alltags wird immer mühsamer: zu wenig gemeinsames lebendig sein!!

gruppenprojekt 2/3 (organ. mit tatjana hardikov)
so bleibt nur die aufrechterhaltung individueller lebensgestaltung, wird selbstsorge noch wichtiger, ecken von wohlbefinden, die von der aussenkontrolle unerfasst bleiben, viel kleine entscheidungen, momente, die stärken: bewusstes essen, lesen, telephonieren, zb mit freunden im ausland, wenn ich schon aufs reisen verzichten muss, was mir schwerfällt. dafür cruise ich durch unbekannte stadtteile mit dem rad, oder mache stundenlange stadtwanderungen, um mich zu regenerieren, das ist auch toll, macht den kopf frei und inspiriert um die kunst weiterzutreiben… das ist ja meine tür. nach aussen. nach innen. suche, sein, lust, hoffen, trost, genuss, zweifel, verlust, wieder suche..

kooperation mit maximiliano leon, internat. gruppenprojekt
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
kunst ist eine konstante der menschheit, expressiv, reflexiv
krisen vorausdenkend, kreativ gestaltend, verarbeitend .. in der kunst ist veränderung inhärent, kein tabu, sondern entwicklung, arbeitsprozess
für mich funktioniert kunst wie ein kollektives organ, das auf zustände und vorgänge in der gesellschaft reagiert, diese aufnimmt, verdaut, ausspuckt, neue stoffe synthetisiert, sensibel, abhängig und doch autonom: im besten falle! dadurch hat kunst eine zentrale rolle eine gesellschaft lebendig, entwicklungsfähig zu halten.

leider ist sie vom markt oft verdreckt und ausgehöhlt, billig instrumentalisiert, teuer gehandelt: als luxus von sozialschmarotzern für reiche mächtige gebildete menschen, die sich damit selbst darstellen..
mit der lebensrealität der meisten künstlerinnen bzw der künstlerischen tätigkeit an sich hat das ja nichts zu tun. diese wertzuschätzen, nötige bedingungen anzuerkennen, adäquat in der öffentlichkeit zu kommunizieren und zu verteidigen sowie dementsprechend zu fördern mit allen angemessenen dh auch öffentlichen mitteln ist aufgabe der politik – da happerts wieder und wieder quer durch alle parteien an wirklich informierten und leidenschaftlichen vertreterinnen – eine ziemliche katastrophe – es braucht aber fortwährend laute stimmen um die bedeutung von kunst und kultur zu verdeutlichen und das überleben der künstlerinnen und kulturtreibenden zu sichern

aus: inner delay.yxxx, kooperation mit milan mladenovic
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Vielen Dank für das Interview liebe Claudia, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
herzlichst- stay safe, stay sane- claudia schumann
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Claudia Schumann, Multimedia Künstlerin, Psychiaterin
claudia schumann works text photography ©2021
Alle Kunstobjekte_Fotos_Claudia Schumann
21.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.